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ASTRID EICHLER

Friede, Freude –
Pustekuchen!

Wie uns die Bibel hilft,
Konflikte zu bewältigen

Edition Aufatmen-Logo einbauen

ISBN 978-3-417-22826-7 (E-Book)

Datenkonvertierung E-Book:
CPI books GmbH, Leck

Umschlaggestaltung: Ulrike Vohla, grafikdesign-storch, Rosenheim

Für die Menschen, mit denen ich durch tiefe Konflikte gegangen bin.
Es tut mir leid, wo ich euch verletzt habe.
Und für die Menschen, die mir beigestanden haben.
Danke, dass ihr da wart.

Inhalt

Zum Anfang

Teil 1: Es geht um Sein oder Nichtsein

Wer ist der Größte?
Lukas 22

Wenn die Seele Fieber hat
1. Mose 4

Eine unerhörte Lösung
4. Mose 16

Teil 2: Es geht um Haben oder Nichthaben

Verbrannte Erde
1. Mose 3

Großmut
1. Mose 13

Himmelschreiendes Unrecht
Nehemia 5

Teil 3: Es geht um Richtig oder Falsch

Schon die Apostel
Apostelgeschichte 15

Vielfalt als Herausforderung
1. Korinther 1,10-17

Die Schwachen und die Starken
Römer 14

Schluss:
Typisch christlich? Oder:
Was Vergebung nicht ist

Anmerkungen

Zum Anfang

Es wäre so schön, wenn es so wäre – überall Friede und Freude, Harmonie und Verständnis, Freundlichkeit und Rücksichtnahme. Das Leben wäre leicht, harmonisch, himmlisch. Aber Pustekuchen! – Das wissen wir alle: Konflikte gab es schon immer, obwohl sie vermutlich noch nie jemand haben wollte. – Ich erinnere mich noch an die schlaflosen Nächte in heißen Phasen, die mir den Eindruck vermittelten: Jetzt ist alles vorbei. Es geht alles kaputt. Es war alles vergeblich!

Ja, so fühlt es sich an, wenn man mittendrin steckt, und vor allem dann, wenn man nicht darauf vorbereitet ist – ahnungslos, naiv. Ich höre noch die Stimmen: »Wir sind doch alle Christen – da muss es doch ohne Streit gehen.«

Ja, das könnte man denken, aber ein Leben ohne Konflikte – das ist ein schöner Traum, auch unter Christen. Es bleibt ein Traum. Friede, Freude – Pustekuchen! Es ist nicht so, wie wir es uns wünschen.

Ich habe die angstvollen Fragen von Menschen im Ohr, die sich mit dem Gedanken tragen, sich auf gemeinschaftliches Leben einzulassen: »Und was ist, wenn es Konflikte gibt?«

Was heißt hier: »… wenn …«? Es wird sie geben. Und dann stellen wir uns ihnen, dann gehen wir mitten durch sie hindurch, und dann wird uns hoffentlich geschenkt, dass wir darin wachsen und reifen. Leicht gesagt … Ich weiß!

Als ich in der Gemeinde, in der ich vor Jahren Pfarrerin war, sehr existenzielle Konflikterfahrungen machte, begab ich mich auf die Suche nach dem Thema in der Bibel. Ich dachte, dass es da sicher etwas zu lernen gäbe. Vielleicht könnte mir und uns durch das, was da stand, die Angst genommen werden, dass nun alles kaputtgehen würde. Ich suchte und fand und machte daraus eine Predigtreihe, die nicht nur mich nachhaltig prägte.

Es gibt viel Literatur zum Thema Konflikte und großen psychologischen Erkenntnisgewinn – Konfliktforschung, Konfliktmanagement, Konfliktberatung. Man muss das Stichwort nur einmal im Internet eingeben oder bei einer Buchhandlung nachfragen, um zu sehen, welche Vielfalt es an Büchern gibt. Mich fasziniert das und ich befasse mich gern mit all dem, denn ich mag es, dazuzulernen. Aber was mich noch mehr fasziniert, ist, dass es tatsächlich »nichts Neues« unter der Sonne gibt (Prediger 1,9). So alt wie die Geschichte der Menschheit, so alt sind die Geschichten von Konflikten. Und da gibt es bestimmte Ursachen, bestimmte Typen, aber auch bestimmte Hilfen, wie wir damit umgehen können.

Das Thema schon in der Bibel zu finden, ermutigt mich ungemein. Es gibt mir die Gewissheit und den Trost: Auch Konflikte sind unter Gottes gutem Blick. Sie sind nicht der Anfang vom Ende, als wenn Gott irgendwann sagen würde: »Nun ist es genug!« Sie sind auch kein Hindernis dafür, dass Gott Geschichte schreibt. Nein, Konflikte geben der Geschichte Gottes mit uns Menschen oft geradezu eine neue Wendung. Bleiben wir also nicht in ihnen stecken … Lamentieren hilft nicht weiter. Schauen wir vielmehr, wie sie uns weiterbringen können!

Dieses Buch will eine Hilfe für Menschen sein, die Angst vor Konflikten haben. Es will ermutigen, mitten in Auseinandersetzungen nach dem Handeln Gottes Ausschau zu halten, und es will Hoffnung wecken, wie Neues aus ihnen entstehen kann.

Im Rückblick bin ich unsagbar dankbar für die Konflikte, die ich auf meinem Weg zu bewältigen hatte. Zwar möchte ich keinen einzigen davon noch einmal erleben. Nicht alle sind bis heute »restlos geklärt«, manches ist nach wie vor ein Rätsel. Anderes ist immer noch schmerzlich. Aber ein Herz, das nie Schmerz erfährt – wird es nicht ein hartes Herz werden?

Ich bin dankbar für die Menschen, denen ich so nah war, dass wir einen Konflikt ausgetragen haben. Ich bin traurig über die Situationen, in denen es nicht möglich war, weil wir innerlich zu weit voneinander entfernt waren. Und ich bin dankbar für die Menschen, die mir in Konflikten beigestanden, mich begleitet, beraten und getröstet, oft einfach nur zugehört, ausgehalten haben.

Und nun auf! Schauen wir, was wir entdecken können, wenn wir die Bibel aufschlagen. Es gibt ja viele verschiedene Arten, wie wir die Bibel lesen und auslegen können. Das macht gerade ihren Reichtum aus. Je nachdem, wie ich sie lese, werde ich von ihr anderes lernen und empfangen. Historisch interessant, theologisch brisant, gesellschaftlich herausfordernd, pädagogisch wertvoll … Um dieses alles geht es hier nicht. Wir erlauben uns, die Bibel persönlich zu lesen. Die Texte, so wie sie da stehen, auf uns wirken zu lassen. In diesem tiefen Einverständnis mit dem, was wir lesen, kann sich uns dessen Tiefe eröffnen.

Wir bekommen wesentliche Hinweise zu unserem Menschsein im Blick auf unser Ziel und Wesen, im Blick auf Probleme und ihre Lösungen. Wir lesen die Bibel in ihrer Ganzheit, das heißt auch alttestamentliche Texte lesen wir als Menschen des neuen Bundes. Gerade bei dem Thema Konflikte, das uns so sehr gefangen nehmen kann und bei dem die Schuldfrage letztlich immer eine Rolle spielt, brauchen wir den Blick der Erlösung.

Konfliktgeschichten

In diesem Buch werden wir neun Konflikte betrachten. Das ist ganz sicher nicht alles, was es zu entdecken gibt, aber in gewisser Weise sind die ausgesuchten Konfliktgeschichten exemplarisch.

Es geht um Sein oder Nichtsein (Teil 1): Es gibt Konflikte, die zutiefst verwoben sind mit unserer Identität, mit unserem Selbstwertgefühl und unserer Würde.

Es geht um Haben oder Nichthaben (Teil 2): Wie oft nähren sich Konflikte aus dem Streben, zu haben, immer mehr und mehr, und der Angst, nicht genug zu bekommen?

Und es geht um Richtig oder Falsch (Teil 3): In den Konflikten dieser Kategorie geht es um Recht und Unrecht, um Wahrheit und Gesetz, und sie können uns viel Kraft rauben sowie Gemeinschaft zerstören.

In den folgenden Kapiteln werde ich vor allem immer wieder die Frage stellen: Was steckt dahinter? Wenn es bei uns um Geld und Kleidung geht, um die Art von Musik und um Baumaterial, um Arbeitszeiten und Geld, um Ämter und Dienste, um Posten und Pools, um Weihnachtsbaumschmuck und besondere Tage – worum geht es dann eigentlich? Die Hintergründigkeit biblischer Geschichten lädt uns ein, uns selbst auf die Schliche zu kommen.

Es wird also um die Frage gehen, was die Ursache von Konflikten ist, ja, mehr noch, was ihr Wesen ist, was zutiefst dahintersteht. Konflikte sind in der Regel kein einliniges Geschehen: Hier die Ursache, da die Folge. Nein, da kommt oft so vieles zusammen. Da gibt es vielleicht eine offensichtliche Ursache, aber diese Ursache eröffnet häufig so etwas wie ein weites Kampffeld, auf dem sich noch ganz viel anderes ereignet, was mit dem ursprünglichen Auslöser nicht viel zu tun hat. Da geht es um ganz anderes – und das gilt es, zu entdecken!

Wir staunen oder erschrecken ja oft dort am meisten über Konflikte, wo wir sie am wenigsten erwarten – unter Christen und in christlichen Gruppen und Gemeinden. Hier lieben sich doch alle, oder nicht? Hier kann oder darf es doch so etwas nicht geben … Und deshalb tun wir uns vielfach gerade hier so schwer, mit Konflikten gut umzugehen. Wir wollen sie am liebsten »unter den Teppich kehren«, schönreden oder nur oberflächlich behandeln.

In diesem Buch sind besonders Konflikte zwischen Christen im Blick, Konflikte, die dort entstehen, wo Christen zusammen sind, wo Verantwortliche oder Mitarbeiter, Gruppen oder Gemeinden von Unstimmigkeiten oder Streit überrollt oder nahezu zerstört werden. Sie werden ergänzt von Konflikten auf verschiedenen Feldern des Alltags.

Ich bin Single. Deshalb kenne ich mich auf einem Hauptkonfliktfeld, auf dem sich viele bewegen, der Ehe, nicht aus. Aber die Wesenszüge von Konflikten sind übertragbar, und die biblischen Beispiele zeigen Linien auf, die genauso auch für Ehekonflikte gelten. Was wir entdecken – das kann auch in Ehekonflikten angewendet werden.

Neben den Ursachen werden wir uns natürlich auch mit möglichen Lösungen beschäftigen – wie begegnet man Konflikten, wie steigt man aus ihnen aus, wie löst man sie konstruktiv? Das Buch will Ihnen darüber hinaus Anregungen zum Nachdenken und zum Gespräch geben. Am Ende jedes Kapitels finden Sie deshalb Fragen, die dabei helfen können.

Dieses Buch kann eine Hilfe sein für Freundschaften, Hauskreise, Zweierschaften, Teams, Lebensgemeinschaften, Gemeindeleitungen – am besten lange bevor man in die Strudel eines Konfliktes hineingerät. Einige wichtige Prinzipien zu kennen und anzuwenden, kann schon wirksame Prophylaxe sein. Und vielleicht schafft man es, einem Konflikt auf die Spur kommen, bevor es richtig zum Knall kommt – wenn man ehrlich ist und genau hinsieht.

Ich wünsche Ihnen »gute« Konflikte! Und ich wünsche uns allen viel mehr Friede und Freude und nicht so viel »Pustekuchen«.

Astrid Eichler

Teil 1

Es geht um Sein oder Nichtsein

Manche Konflikte wirken banal, aber eigentlich ist nie banal, was da abläuft. Wie schwer wiegt es, wenn wir mit anderen – gegen andere – um unseren Wert und unsere Würde kämpfen?! Wie viele Konflikte sind davon geprägt, dass es in Wirklichkeit um so viel mehr geht als um ein paar Worte oder Dinge? Ganz unbemerkt steht nämlich oft unser Sein im Mittelpunkt – unsere Identität und unser Selbstverständnis.

Mancher Konflikt in einer Gemeinde, einem Team, einer Familie ist zuletzt und zutiefst ein Kampf ums Sein, um Wert und Selbstwert, um Würde und Macht. Da geht es nicht um »irgendetwas«, sondern zutiefst um uns selbst, um unsere Existenz.

Da kommt zum Beispiel eine neue Abteilungsleiterin in ein Team und sie muss erst mal beweisen (so kann es ihr in dieser Situation zumindest vorkommen), dass sie jetzt das Sagen hat, die Chefin ist. Sie schafft Altes ab, führt Neues ein, verändert Vorgänge und Abläufe. Die Teammitglieder stellen sich untereinander die Frage: »Was denkt die denn, wer sie ist?« Ja, genau – da gibt es Konflikte um Arbeitszeiten, Sitzungstermine und Arbeitsabläufe, aber eigentlich geht es darum, wer sie ist … und wer die Leute im Team sind.

Oder ein Hausmeister in einem Wohnkomplex wird darum gebeten, Mängel abzustellen. Jeder Mieter weiß inzwischen, dass er frühestens zwei Wochen nach Schadensmeldung aktiv wird. Da gab es schon viel Ärger. Aber so zeigt er den anderen, wer er ist. Schließlich ist er nicht der Laufbursche für die anderen, nicht ihr Butler. »Die sollen mal nicht denken, dass sie mich herumkommandieren können. Was denken die denn, wer sie sind?!«

Immer wieder spielt diese Frage auf vielfältige Weise in Konflikte hinein. »Wer bin ich denn?« – »Was bilden die anderen sich ein, wer sie sind?!« Im Gewand von vielfältigen Konflikten wird ein Machtkampf ausgetragen, wird versucht, die Frage der Identität zu klären. Aber Konflikte sind dafür nicht geeignet. Sie führen meist nur zu neuen Verletzungen.

Wer wir sind, wie wir uns selbst und die anderen sehen, eigene Verletzungen, Unsicherheit, ständiges Vergleichen – das sind Katalysatoren in ganz vielen Konflikten. Sie begegnen uns auch in der Bibel – beim Streit der Jünger, bei Kain und Abel und beim Aufstand gegen Mose. Um diese Konfliktgeschichten wird es im ersten Teil gehen.

Kapitel 1

Wer ist der Größte?

Lukas 22,24-30

Es ist gerade eine ganz besondere Stunde gewesen, irgendwie »mit Gänsehaut«. Die Jünger sind seit drei Jahren mit Jesus unterwegs. Sie haben so viel Erstaunliches mit ihm erlebt, sind begeistert und fühlen sich beschenkt. Sie durften Zeugen von Heilungen und Befreiungen werden. Jesus hat völlig neues Leben bewirkt und sie waren hautnah dabei. Dennoch haben sie vieles noch nicht verstanden.

Gerade eben, beim Essen, haben sie ihn deshalb vieles gefragt – seine Antworten haben sie bei Weitem nicht alle verstanden. Aber trotzdem – das war etwas ganz Besonderes, diese Tischgemeinschaft. So nah, so klar und zugleich so rätselhaft. Was hat er nur gemeint? Irgendwie lag ein Schatten über dem Ganzen. Und doch: Es war eine wunderbare Gemeinschaft. Sie haben eben zu Ende gegessen, als sich das Folgende unter ihnen zuträgt:

Es kam unter den Jüngern ein Streit darüber auf, wer von ihnen als der Größte zu gelten habe. Da sagte Jesus zu ihnen: »Die Könige der Welt unterdrücken ihre Völker, und die Tyrannen lassen sich ›Wohltäter des Volkes‹ nennen. Bei euch muss es anders sein! Der Größte unter euch muss wie der Geringste werden und der Führende wie einer, der dient. Wer ist denn größer: wer am Tisch sitzt oder wer bedient? Natürlich der am Tisch! Aber ich bin unter euch wie der Diener. Ihr habt mit mir durchgehalten in allen Prüfungen, die ich zu bestehen hatte. Dafür werde ich euch an der Herrschaft beteiligen, die mein Vater mir übertragen hat. Wenn ich meine Herrschaft angetreten habe, werdet ihr an meinem Tisch essen und trinken und über die zwölf Stämme Israels herrschen.«

Lukas 22,24-30; GNB

Sie sind hineingenommen in ein heiliges Geschehen, in eine besondere Stunde inniger Gemeinschaft. Und dann das?! Es kam unter den Jüngern ein Streit darüber auf, wer von ihnen als der Größte zu gelten habe.

»Wie kann man nur?!«, höre ich uns förmlich innerlich aufschreien. »So was Dummes! Das kann doch wohl nicht sein! ›Wer ist der Größte?‹ – diese Frage stellt man doch nicht öffentlich! Die trägt man nur im Herzen – oder etwa nicht?« Wir würden das nie so fragen – so platt, so öffentlich. Nein, so nicht! Aber die Frage kennen wir, wenn wir ehrlich sind, oder?

Das Lebensprinzip des Vergleichens

Ist nicht unser ganzes Leben letztlich ein Streit darum, groß zu sein, anerkannt zu werden, »wer« zu sein? Wir sind, was wir bei anderen gelten. Wir gelten bei den anderen, was wir leisten. Wer ist der oder die Größte? Es tobt ein (un)heimlicher Wettstreit! Und dieser Wettstreit ist der Boden für viele Konflikte.

Wir sind zutiefst geprägt vom Leistungsprinzip. Da ist es gut, der Größte und die Beste zu sein. Es geht doch schon in der Wiege los. Wenn Mütter sich treffen: »Welches Kind läuft zuerst, spricht zuerst, ist zuerst sauber?« Und in der Schule: »Wer ist die Beste? Wer ist der Schnellste, die Schönste?« Der Wettstreit im Sport, Leistungsvergleiche in Mathematik, Vorspiele in der Musikschule, Kämpfe auf dem Pausenhof. Und das geht immer so weiter, auch im Erwachsenenleben: Konkurrenz in der Firma, das Aufzählen von Erfolgen vor Freunden, das Gerede: »Wer hat das sauberste Haus, das perfekteste Leben, die beste Ehe?« Und in der Gemeinde, kann man da nicht auch was werden und sein?

Jetzt kann man natürlich sagen: Ja, aber diesen Wettstreit braucht es doch! Konkurrenz belebt das Geschäft und manche Menschen würden sich ohne Wettstreit gar nicht bewegen. Das ist doch nötig! Das bringt Bewegung ins Leben!

Ja, das ist richtig, wenn wir denn wetteifern um das, was wir schaffen, was wir können, was wir, auch unter schwierigsten Bedingungen, noch hinkriegen. Ja, das stimmt, wenn wir aus dem Ergebnis des Vergleiches nicht auf unser Sein, auf unseren Wert und unsere Würde schließen – dann mag es gut sein mit dem Wettstreit und dem Kampf. Doch wenn dahinter die Frage steht: »Wer ist der Größte, was ist mein Wert, welche Würde habe ich?«, dann stecken zerstörerische Kräfte darin.

All das sitzt tief in unserem Wesen – und es ist nicht in dem Moment, in dem wir Christen werden, ausgerottet. Da laufen ganz unbewusst Reflexe ab, mit denen wir uns gut darstellen, groß rauskommen und die Besten sein wollen. Es ist ein oft langer Weg, bis unser Denken und Leben verwandelt wird. Und deshalb sind auch unsere Gemeinden davon gezeichnet, dass wir in diesem Wettstreit stehen, in dem es nicht nur um unser Tun, sondern um unser Sein geht.

Ganz alltäglich

Natürlich machen wir das nicht so auffällig wie die Jünger. Wir sind da schon klüger! Ein Beispiel:

Wieder einmal ist Gemeindefest. Es wurde ein Küchenteam gesucht, was nicht einfach war, denn eigentlich will niemand mitmachen. Gibt es doch sie, die eine, sie, die alle kennen. Für alle ist klar: Sie ist die Chefin in der Küche. Sie hat das Sagen. Sie ist die Größte.

Wenn es morgens losgehen soll, ist sie schon da. Sie hat bereits alles vorbereitet, ja, auch manche Aufgabe von anderen ist schon erledigt. Alles ist perfekt – aber es nimmt allen anderen die Luft. Sie hat einen Plan und jeder, der mitmacht, muss sich ihm fügen. Kann man so jemand Fleißigem widersprechen? O nein! Die ganze Atmosphäre ist davon geprägt, dass hier nur eine etwas zu sagen hat. Alle anderen werden verdrängt – da will keiner mehr mitmachen, verständlicherweise.

Die Herrscherin der Küche beschwert sich, dass immer alles an ihr hängt – aber sie genießt es auch. Immerhin ist klar: Sie ist die Größte und einfach unverzichtbar. Ohne sie würde es in der Gemeinde nie etwas Richtiges zu essen und zu trinken geben. Das tut ihr gut. Gleichzeitig ist sie allein in der Küche.

So etwas spielt sich jedoch nicht nur in der Küche ab. Da gibt es auch andere Szenarien, nehmen wir zum Beispiel ein Musikteam. Der Leiter hat viele Schulungen besucht und an seinen Fähigkeiten gefeilt. Er ist brillant – aber gleichzeitig kommt niemand mehr mit. Wenn andere spielen, leidet er unter ihrer Unfähigkeit und lässt es sie spüren. Schließlich muss ja klar sein, dass er hier der Beste ist. Einer nach dem anderen steigt aus. Erst kein Schlagzeug mehr, dann keine Bassgitarre. Jetzt sind die Sängerinnen am Gehen. Das haben sie nicht nötig, sich ständig anhören zu müssen, dass sie es nicht richtig machen, nicht gut genug sind. Wenn er der Größte sein will, kann er das haben – soll er es eben allein machen.

Und wie viele Konflikte am Arbeitsplatz haben hier ihre Wurzel? Konkurrenz »belebt das Geschäft«, aber sie kann auch kaputt machen. Da gibt es die, die alles richtig machen, damit sie immer gut dastehen. Sie machen es sogar dann richtig, wenn die Anordnung »von oben« völlig irrsinnig ist. Kein vernünftiger Mensch würde es so machen. Das Team überlegt, wie es dem Chef vorschlagen könnte, es anders und besser zu machen. Nur einer bleibt dabei: Es wird gemacht wie angeordnet. Schließlich kann nur das bei der Geschäftsleitung Punkte bringen. Anordnungen erfüllen – auch so kann man groß rauskommen. Beliebtheit bei den Chefs – auch das ist eine Art von Größe.

Was steckt dahinter?

Da gibt es Geschichten über Geschichten. Und irgendwie steht dahinter immer die Frage: Wer ist der Größte, wer ist die Beste? Da sind die einen, die immer alles machen, immer einsatzbereit, freundlich, einfach stark. Und sie können fast alles. Aber irgendwie fühlt es sich schwierig an. Sie machen es, aber sie zeigen auch ständig, was sie machen, und vermitteln damit den anderen, dass sie es nicht richtig machen. Müssen sie beweisen, wie wichtig sie sind?

Wer sich dabei ertappt fühlt oder von anderen darauf angesprochen wird, zieht vielleicht die Konsequenz: »Na, dann mache ich eben nichts mehr!« Schmollender Rückzug – auch das gibt es.

Wie gut, wenn wir unser Herz prüfen: Was ist das tiefste Motiv bei dem, was ich tue? Und was ist, wenn mir etwas nicht gelingt, wenn ich nicht anerkannt, sondern kritisiert werde? Macht das etwas mit mir, wenn mich die anderen nicht (mehr) sehen? Was ist, wenn ich nicht den verdienten Lohn, nicht die gewünschte Anerkennung bekomme? Was ist, wenn man mir unlautere Absichten unterstellt, meinen Einsatz nicht würdigt oder gar ignoriert?

Wir können dem Wettstreit in unserem Herzen auf die Spur kommen, wenn wir ehrlich vor uns selber werden. Es geht um die zutiefst inneren Motive, Antriebskräfte für unser Tun – oder auch unser Nichttun.

Doch nicht nur »die Besten« sind hier angesprochen, denn da sind auch die anderen, die nichts machen, die sich zurückziehen. »Ich kann das nicht!« – »Nein, die anderen können das besser.« Es soll bescheiden wirken, demütig. Aber letztlich ist es nur der Ausdruck von tiefen inneren Verletzungen. »Ich kann es nicht so wie die anderen. Ich habe keine Chance, hier der Größte oder die Beste zu werden. Also lasse ich es lieber gleich bleiben.«

Rückzug ist nur die andere Seite des Problems. Stolz und Minderwertigkeit – beides lebt letztlich vom Vergleich. Und hier sind wir beim ganz wesentlichen Konfliktstoff angelangt.

Veränderungen bringen vieles ans Licht

Man merkt es oft gar nicht