meine geliebten Eltern,

und für Regina, Ratiel, Vimbai und Vuchirai

mehr Bewunderung.

Nicht die schlichte Widerständigkeit eines

Kissens, dessen Füllung

stets zur ursprünglichen Form zurückfindet,

sondern die geschmeidige

Zähigkeit eines Baums: Wird ihm plötzlich

das Licht verstellt, auf einer Seite,

wendet er sich einer anderen zu. Eine

blinde Einsicht, gewiss.

Doch erwuchsen aus solcher Beharrlichkeit

Schildkröten, Ströme,

Mitochondrien, Feigen – die ganze Erde,

harzig und untilgbar.

 

Jane Hirshfield, »Zuversicht«

Der Hornruf zerreißt die Stille des Grabmals. Sein melancholischer Klang, altbekannt und dennoch verstörend, löst unweigerlich Rührung aus. Sogar der Präsident scheint hinter seinen Brillengläsern feuchte Augen zu bekommen. Am Ehrenplatz der Witwe bin ich dicht dran und nehme jede seiner Regungen wahr. Ich beobachte ihn, ohne den Blick zu wenden. Vielleicht sind nicht seine Augen feucht, sondern meine von plötzlichen Tränen umflort. Die Orden, mit denen seine Amtsschärpe gespickt ist, schimmern und verschwimmen auf dem grünen Stoff.

Als er zu klatschen anhebt, treten an beiden Händen die Sehnen hervor. Für einen winzigen Moment wirkt er so betagt, wie er in Wahrheit ist. Ganz unerwartet werde ich von Mitleid ergriffen. Halb vergessene Gedichtzeilen kommen mir unwillkürlich in den Sinn: Er wird alt, er wird alt; bald stellt ihn das Leben kalt. Am Scheitel sind weiße Haarwurzeln zu sehen, die das Färbemittel nicht

Die Gesichter der Sargträger sind zur Hälfte verdeckt von ihren olivgrünen Baretten. Die metallenen Abzeichen an ihren Epauletten glitzern in der Sonne. Ihre Säbel spiegeln sich im polierten Stiefelleder. Sie packen den Sarg und hieven ihn sich auf die Schulter. Die Flagge, die den Sarg bedeckt, rutscht von der glatten Oberfläche und gibt den weiß-goldenen Kasten preis. Die vorderen Soldaten greifen gleichzeitig nach der Flagge, damit sie ihnen nicht entgleitet.

Sie marschieren, ein Schritt, Pause, Doppelschritt, Pause, zum Grab, das mit grünem Filz ausgelegt ist. Der weiße Bestatter steht stocksteif in seinem Frack und Zylinder da. Wo treiben sie diese weißen Männer mit verkniffener Miene über der Begräbnistracht nur auf?

Hierzulande gibt es so gut wie keine Weißen mehr.

Alles ist schwarz und grün und braun und weiß. Schwarz sind der Marmor der polierten Grabsteine und die Trauerkleidung. Grün die Präsidentenschärpe und die olivfarbenen Barette auf den Soldatenhäuptern und die künstlich glänzenden Gebinde auf dem Grab. Zu Schwarz verschwimmt die Menschenmenge, die sich hier versammelt hat und dem Jugendchor in seiner Kampfkleidung lauscht, flaschengrüne Tarnanzüge, heisere Stimmen in der

Das Horn schweigt, als der Sarg hinabgelassen wird. Die plötzliche Stille reißt mich aus meinen Gedanken zur Sterblichkeit des Präsidenten. Ich mache mich bereit für den Gang zum Grab. Auch der Präsident setzt sich in Bewegung, und ich beobachte ihn, ja, ein alter Mann, aber zugleich Oberster Befehlshaber der Armee, Vorkämpfer gegen den Imperialismus und, wie eben, Chefgrabredner für tote Helden.

Vor einer knappen Stunde hat er – nach den Eröffnungsgebeten und vor der letzten Ehrensalve – die Grabrede gehalten.

»Er war ein guter Mann, ein tapferer Mitstreiter in unserem Befreiungskampf, ein liebender Ehemann und Vater. Seiner Familie und seiner Witwe Esther sprechen wir unser tiefstes Beileid aus, möge sie diesen unwiederbringlichen Verlust mit Fassung tragen.«

Die Kameras des nationalen Senders richteten sich auf mein Gesicht. Ich erschien landauf, landab auf sämtlichen Bildschirmen, meinen unwiederbringlichen Verlust mit

Um mich herum trübten sich die Blicke während dieser siebten Grabrede anlässlich des siebten Heldenbegräbnisses binnen vier Monaten. Nach und nach werden sie alle ausgemerzt, Alter und Aids verrichten ihr Werk, selbst an den tapfersten Helden. Der Vizepräsident mit seinen verschleierten Augen sieht aus, als ob er als Nächster an die Reihe käme. Der Redenschreiber des Präsidenten braucht sich wohl nicht besonders anzustrengen, jede neue Rede klingt so, als hätte er einfach den Namen des letzten gefallenen Kameraden gestrichen und dafür den Namen des jüngst Verstorbenen eingesetzt.

Der Präsident redete weiter. Der oberste Richter döste ein. Der Polizeichef wachte ruckartig auf, als Beifall geklatscht wurde. Einzig der Leiter der Zentralbank schien zuzuhören, mit so ungeteilter Aufmerksamkeit, dass seine Miene ganz angespannt wirkte. Beim Begräbnis des dritten toten Kameraden in diesem Jahr, nur eine Woche nachdem das Kabinett sich endlich auf den patriotischsten Wechselkurs für den Umtausch der nationalen Währung

Ich lauschte dem Rhythmus seiner Rede. Nachdem er Thema Nummer eins, den Freiheitskampf, angesprochen hatte, wurde es Zeit für sein zweites Thema. Ehe ich bis zehn zählen könnte, würde er sich schon gegen die Opposition wenden.

Ich war gerade bei sechs angelangt, als seine Stimme von den Hügeln widerhallte.

»Hütet euch vor den Lakaien der sogenannten Opposition, sie stehen alle im Dienst der Downing Street. Mit ihrem ganzen Demokratiegerede wollen sie euch nur in die Irre führen.«

Als er »Lakaien« sagte, knisterte das Mikrofon ein bisschen, es klang wie »Lackhaien«.

»Downing Street« war für ihn das Stichwort, zum nächsten Thema überzugehen, die mehr oder weniger bewegende Frage nach der Souveränität des Landes: »Blair und Bush sollte eins gesagt sein: Dieses Land wird nie, nie wieder zur Kolonie werden, und wenn ich es zig Billionen Mal wiederholen muss.«

Bei »zig Billionen Mal« schrillte das Mikrofon, so hörte sich diese Wendung lauter an als alles andere. Der Gebrauch von »Billion« statt »Million« als Maßstab für die Unmöglichkeit einer Rekolonialisierung brachte den Hauch des Neuen. Seit drei Monaten liegt die Inflationsrate bei jährlich drei Millionen

Der Sarg ist hinabgelassen worden.

Rwauya, der älteste Sohn meines Ehemanns, führt mich zum Grab, damit ich eine Handvoll Erde darauf werfe. Er hat auf sein übliches Outfit verzichtet, bestehend aus einer Hose von undefinierbarer Tönung und einem Hemd, das fast immer die knalligen Farben der Nationalflagge mit dem Konterfei des Präsidenten zu kombinieren vermag. Dennoch dringt aus seinem zerknitterten Anzug der strenge Geruch des ungewaschenen Rwauya. Ich versuche, nicht zusammenzuzucken, als er mich am Ellbogen nimmt und wir dem Präsidenten folgen, an den Gräbern der vielen Männer und beiden Frauen vorbei, die hier bestattet wurden. Meine Handvoll Erde hinterlässt einen großen braunen Spritzer auf dem weißen Sargdeckel.

Die Familie schließt sich uns an. Edna, die Schwester meines Mannes, bricht in laute Wehklagen aus. »Bruder«, heult sie und geht am Grab auf die Knie. »Komm zurück, mein Bruder. Komm zurück. Du hast deine Pflicht noch nicht erfüllt, Bruder. Sieh doch, wie unser Land deine Rückkehr herbeisehnt.«

Sie macht Anstalten, ins Grab zu springen, und wird von ihren Töchtern zurückgehalten. Sie taumelt gegen die Präsidentengattin, die zweite First Lady, die ihr zur

Es überrascht mich kein bisschen, dass Edna sich zum Gespött macht. Sie hat einen Hang zu Gefühlsausbrüchen in aller Öffentlichkeit. Und sie entrüstet sich gern stellvertretend für andere. Als ich der Familie meines Mannes vor einundzwanzig Jahren mitteilte, dass ich ihn verlassen würde, flüsterte Edna ihrer Schwester auf so theatralische Weise zu, dass ich jedes einzelne Wort vernehmen konnte: »Ngazviende, ein Glück, dass wir die los sind. Wenn man bedenkt, dass richtige Frauen die Scheidung hinnehmen mussten, um einer solchen mhanje Platz zu machen.«

Da habe ich zum ersten Mal dieses Wort gehört, mhanje, so bezeichnen sie die unterste Kategorie von Weiblichkeit, eine mangelhafte Weiblichkeit, mhanje ist nämlich eine unfruchtbare Frau, eine Frau ohne Nachwuchs, zu nichts nütze, eine fruchtlose Hülle. Es war ihnen gar nicht in den Sinn gekommen, dass ihr Bruder zeugungsunfähig sein könnte. Die drei Kinder von der Frau, die immer noch seine Ehefrau war, als wir in einer Londoner Amtsstube ohne Zentralheizung von einem Beamten getraut wurden, dem unablässig Rotz ins Taschentuch lief, waren Beweis genug für seine Männlichkeit.

Ich frohlockte, wenn ich ihn sagen hörte: »Ich möchte eine Frau, die meine Träume teilt; eine gleichberechtigte Frau, keine Untergebene.« Ich half ihm, wutentbrannte Briefe voller gerechter Empörung zu schreiben, die das Walten der weißen Siedler und die Lage in seiner Heimat anprangerten. Ich vergaß den Kampf, der in meiner Heimat gegen die Apartheid geführt wurde, weil seiner von größerer Dringlichkeit schien. Wir schrieben Briefe, nahmen Exilanten auf und diskutierten nächtelang über Fanon, Biko, Marx und Engels. Das war, bevor wir in dieses Land kamen, das schließlich seine Unabhängigkeit errungen hatte. Bevor ich herausfand, dass mein Mann bereits eine Frau und drei Kinder hatte, deren Namen mir nicht leicht von der Zunge gingen.

Ednas Versuche, das Grab zu stürmen, sind die einzige Störung im durchchoreografierten Ablauf des Trauerzugs. Nach den engsten Angehörigen werfen die prominenten Gäste ihre Handvoll Erde auf den Sarg, erst die Mitglieder des Politbüros, dann die Anführer der Armee und der Luftwaffe, danach der Polizeichef und der Direktor des Gefängniswesens, zum Schluss die Abgeordneten und Richter in der Reihenfolge ihres Dienstalters.

»Den Erstgeborenen habe ich Rwauya genannt, ›der Tod ist gekommen‹, den zweiten Sohn Muchagura, ›du sollst deine Taten bereuen‹, und den dritten Muchakundwa, ›du sollst besiegt werden‹. Das sind Botschaften an die weißen Unterdrücker, Warnzeichen für die Weißen.«

Auf diese Weise hatte er seinen Kindern den Stempel seines Patriotismus aufgedrückt und sie mit Namen zurückgelassen, die denjenigen, für die diese Botschaften bestimmt waren, garantiert nichts sagen würden, jenen Weißen, die die einheimischen Sprachen bevorzugt ignorierten. Inzwischen wurden die Weißen zweifach besiegt, zuerst durch den Regierungswechsel und nun durch die Wiederinbesitznahme des Landes, aber die Kinder haben

»Dafür brauchen wir nichts Amtliches«, hatte mein Mann gesagt. »Wir haben nach Gewohnheitsrecht geheiratet, ohne offizielle Papiere. Ich gebe ihr einfach ein gupuro, und das kann sie dann ihrer Familie mitbringen.« Er suchte einen Topf aus, den eine rote und eine gelbe Blume zierten, und überreichte ihn ihr zum Zeichen, dass die Scheidung vollzogen war. Sie starb drei Jahre später, dennoch hat sie mit ihrem geblümten Topf und dem frühen Tod das bessere Los gezogen.

Wie alle seine nichtsnutzigen Landsmänner glaubte mein Mann, sein Penis wäre vergeudet, wenn er einer einzigen Frau treu bliebe. Er beglückte jede läufige Hündin, sogar diese Schlampe von Nachrichtensprecherin, amtliche Obernutte der Regierungspartei, die deren Mitgliedern allnächtlich ihre hohlen Reize zur Verfügung stellt. Sie wurde von einem zum anderen weitergereicht, erst die Geliebte eines Geschäftsmanns, dessen Todesursache leicht an seinen roten Lippen abzulesen war, dann die Geliebte des Leiters der Zentralbank, später die Geliebte eines Ministers ohne Geschäftsbereich. Das sieht meinem Mann ähnlich – nach Resten zu lechzen, die andere Männer übrig gelassen haben.

Diese beiden sind gegangen, Rwauya hingegen ist geblieben.

Eigentlich müsste man ihn mit seinem mittelmäßigen Schulabschluss für gescheitert erklären, aber er zählt just zu der Sorte, die in diesem neuen System die Nase vorn hat, vorausgesetzt, man nimmt an jeder Parteiversammlung teil und skandiert jede ihrer Parolen. Doch trotz der vielen Fürsprecher, die ihm den Weg zum Erfolg ebnen sollen, hat Rwauya bereits zwei Metzgereien und einen Spirituosenladen heruntergewirtschaftet, und von sechs Autobussen ist ihm nur einer geblieben. Er steckt voller Pläne und Ideen, aus denen nie etwas wird.

»Ndafunga magonyeti«, erklärte er seinem Vater und mir, woraus wir schlossen, dass er offenbar in Speditionslaster investieren wollte. »Ich brauche nur zwei magonyeti zu kaufen, dann bin ich fein raus.«

Als sein magonyeti-Vorhaben genauso den Bach runterging wie alle anderen, ließ er den Import von Benzin und Zucker sein und flog stattdessen in die Demokratische Republik Kongo, um dort Kunstwerke zu rauben. Und als im Kongo die Masken mit Sehschlitzen, die alten

»Ndafunga zvematombo«, sagte er und exportierte fortan minderwertige Artefakte aus Speckstein, die Namen trugen wie Adler, Geist, Medium oder Leere. »Ich brauche nur zwei Schiffsladungen zu verkaufen, dann bin ich fein raus.«

Jetzt will er sich die Farm unter den Nagel reißen, die mein Mann hinterlassen hat. Vor vier Tagen kam er dort an und machte dem Tod in seinem Namen alle Ehre, die Augen rot von unmäßigem Alkoholkonsum, mit diesen räudigen Dreadlocks, die heutzutage als Ausweis afrikanischer Authentizität gelten, wenn man davon ausgeht, dass es im authentischen Afrika weder Kämme gibt noch Wasser, mit dem man sein Haar waschen könnte. Er umarmte mich eine Spur länger, als schicklich gewesen wäre, wobei seine Hand sich zu meinem Hintern verirrte, anstatt oben bei meiner Schulter zu verweilen.

»Du siehst fabelhaft aus, Mainini.«

Bei Rwauya verzichte ich inzwischen auf jegliches soziale Geplänkel und komme gleich zur Sache. Als ich ihn fragte: »Was willst du?«, ließ er sich lang, breit und nur teilweise verständlich über einen der sechs Minister ohne Geschäftsbereich aus, über dessen drei Neffen, von denen einer die Tochter des Polizeichefs im Bezirk Mazowe geheiratet hatte, der wiederum mit einer Nichte des Agrarministers verheiratet war.

»Stell dir vor, die haben einen Schlägertrupp engagiert,

»Und was soll ich tun?«

»Izvi zvotoda Präsident. Lass dir einen Termin beim Präsidenten geben. Du hast doch Zugang zu ihm, Mainini, lass dir einfach einen Termin geben.«

Früher hätte ich ohne Weiteres mit dem Präsidenten reden können, damals, als er noch Premierminister hieß, bevor das Gesetz zur Ausweitung der präsidialen Macht erlassen wurde, bevor er seine marxistisch strengen Safarianzüge durch Nadelstreifen und goldene Manschettenknöpfe ersetzte, bevor er seine zweite Frau ehelichte, Grace die Große, unsere teuer behütete First Lady. Damals bewegte ich mich im inneren Zirkel, stand seiner ersten Frau nah, mit der ich bis tief in die Nacht über Bildung und Emanzipation redete.

»Du bist ein Feigling«, sagte sie zu ihrem Mann. »Stimmt doch. Er sollte endlich diese erniedrigende Praxis der Vielehe abschaffen.« Hinter den Brillengläsern blitzten seine Augen vor Vergnügen, und er fragte uns, wie er das

Und wir tranken noch etwas mehr Wein und diskutierten über das, was wohl bleiben würde, wenn der Staat abgestorben wäre.

Seine Frau nahm mich in ihren kleinen Kreis von Ausländerinnen auf, die ihre Männer geheiratet hatten, als sie noch im Exil waren, manche stammten aus so fernen Ländern wie Jamaika, England oder Schweden, andere aus Ghana, Swasiland und Südafrika. Wir sprachen Englisch, ohne das Gefühl zu haben, uns dafür entschuldigen zu müssen, tranken Wein und sahen uns in der Residenz des Premierministers Filme an. Wir waren alle hochgebildet: Einige hatten Geisteswissenschaften studiert oder Pädagogik, es gab auch drei oder vier promovierte Ärztinnen. Trotzdem hatten wir uns offenbar damit abgefunden, dass uns die Welt der Werktätigen verschlossen blieb, während wir Kinder großzogen und Partys veranstalteten, auf denen man sich über dialektischen Materialismus

»Um die Nationenbildung hierzulande zu unterstützen«, erklärten wir, dabei wollten wir uns vor allem selbst beschäftigen und den Abgrund der Langeweile überbrücken, der uns in seine gähnende Leere zu reißen drohte.

Dann starb die First Lady, doch zuvor kam es wegen »Willowgate« noch zu einem Eklat. »Führende Kabinettsmitglieder in den illegalen Verkauf von Dienstwagen verstrickt«, geißelten die Schlagzeilen, »Regierung an Willowgate beteiligt«.

Im inneren Zirkel hielten wir den Atem an, überzeugt, dass nun Köpfe rollen und die Arbeiter und Bauern den Aufstand proben, dass sie Rechenschaft verlangen würden. Es starb aber nur ein Minister, der die ungeheure Schwäche besaß, Selbstmord zu begehen. Seine letzte Ruhestätte liegt dort hinter dem Grabmal des Unbekannten Soldaten. Wir, die Gruppe der ausländischen Ehefrauen, nahmen schockiert zur Kenntnis, wie die First Lady, unsere Freundin und Gönnerin, mitten in den Strudel dieses Skandals geriet. Der Schock ließ nach, als sie sich an der Spitze halten konnte. Die Fördergelder flossen nach wie vor, und wir lernten die Vorzüge kreativer Buchführung kennen. Wir redeten uns ein, dass diese Form der

Dann starb die First Lady, aber selbst als sie im Sterben lag, hielt sich der Präsident in einem Häuschen eine heimliche Zweitfrau, und auch unsere Männer legten sich Häuschen zu und verstreuten ihren Samen in sämtliche Provinzen. Mein Mann und ich wurden als Botschafter in eine Bananenrepublik entsandt, damit die Nation seine inzwischen dritte Korruptionsaffäre im Zusammenhang mit einer öffentlichen Ausschreibung derweil vergessen konnte.

Später kehrten wir in dieses amnesische Land zurück, aber wir besuchten nur noch selten den Regierungssitz. Aus der heimlichen Zweitfrau im Häuschen war nun die zweite First Lady in der herrschaftlichen Villa geworden. Ihre Hüte waren so ausladend wie fliegende Untertassen, und zahllose Rinder mussten ihr Leben lassen, damit ihr Vorrat an Ferragamo-Schuhen niemals versiegte.

Zu den Waisenkindern der Nation sagte die neue First Lady: »Ach, wenn ich nur könnte, würde ich euch alle adoptieren, wirklich alle.«

Ein Soldat tritt aus der Reihe der Sargträger hervor, mit der fein säuberlich zu einem Dreieck gefalteten Flagge. Er salutiert und übergibt sie mir. Ich lege mir das Päckchen mit den Streifen nach oben auf den Schoß. Zu sehen sind

»Wie kann jemand ewig herrschen?« Von dieser Frage war mein Mann besessen, bevor er starb. »Achtundzwanzig Jahre, und er will immer noch weitermachen?«

Er beteiligte sich an einer Verschwörung, die sicherstellen sollte, dass der nächste Präsident aus seiner Provinz stammte. Es gab geheime Zusammenkünfte. Die »Schwergewichte«, wie die Presse diese Männer in Anspielung auf deren vermeintlichen politischen Einfluss nennt, hatten sich auf der Farm eingefunden, wobei der Ausdruck sich ebenso gut auf deren Bäuche beziehen könnte, die sicher nicht leicht zu stemmen waren, bei all den Liebeshändeln mit Schönheitsköniginnen und ihren Mitbewerberinnen. Die Männer schmiedeten Ränke, sie spannen Intrigen, und der Präsident erfuhr von diesen Ränken und Intrigen, weil er immer alles erfährt. Doch ließ er Gnade walten; das Gewinsel meines Mannes war wohl so jämmerlich, dass der Präsident ihm nur durch die barmherzig ausgestreckte Hand herrschaftlicher Vergebung ein Ende setzen konnte. Diese Gunst kostete mein Mann nicht lange aus, denn er starb bald an einer langwierigen Krankheit, um eines der vielen präsidialen Synonyme für den Aids-Tod zu gebrauchen. Als er starb, war ich froh, dass ich seit vielen Jahren nur noch auf dem Papier mit ihm zusammen gewesen war.

Trommelwirbel.

»Kompanie, Feuer!«

Die Soldaten schießen in die Luft.

»Kompanie, Feuer!«

Weitere Schüsse.

»Kompanie, Feuer!«

Und immer so weiter, bis die einundzwanzig Salven abgefeuert sind und der Sarg mit allem Pomp und allem Prunk eines ordentlichen Militärbegräbnisses verabschiedet ist. Morgen wird die Regierungszeitung eine vierseitige Fotostrecke bringen. Sie wird berichten, dass mein Mann standesgemäß in der Stoddard Hall aufgebahrt wurde, bevor man seinen Sarg auf eine Lafette lud und mit einem Geleit von fünfzig Wagen zur nationalen Gedenkstätte in Warren Hills fuhr, wo der Staatspriester den Trauergottesdienst abhielt, auf den eine Rede des Präsidenten folgte, auf die wiederum einundzwanzig Ehrensalven folgten. Die Rede des Präsidenten wird in voller Länge abgedruckt werden. Außerdem wird dieses Begräbnis mindestens eine Woche lang einziges Thema der Abendnachrichten sein.

Ich frage mich, wie die Menschenmenge wohl reagieren würde, wenn man ihr sagte, dass sie sich hier versammelt hat, um ein Stück Holz über einem Sack voll Erde zu begraben, während der Mann, um den wir trauern, in einem namenlosen Grab liegt.

Die Nachrichtensprecherin, die einst seine Geliebte gewesen war, gab bekannt, dass mein Mann zum Nationalhelden erklärt werden sollte. Das Politbüro hatte verkündet, dass man ihn als Helden an der nationalen Gedenkstätte begraben werde. Mich, seine Witwe, hatte man darüber nicht unterrichtet, sodass ich erst in den Abendnachrichten aus dem Mund seines Flittchens davon erfuhr. »An dieser Stätte werden die tapferen Landessöhne begraben, die für die Befreiung gekämpft haben«, ergänzte sie beflissen.

Sie unterschlug allerdings, dass mein Mann diesen Status nur mit viel Glück zuerkannt bekommen hatte.

Schließlich suchten sie mich doch noch auf, um mir ihr Beileid zu bekunden und die Trauerfeier zu besprechen.

»Sein Leichnam soll in der Stoddard Hall aufgebahrt werden«, sagte der Sprecher des Präsidenten. »Danach wird er nach Warren Hills überführt und mit allen militärischen Ehren bestattet.«

»Das ist aber nicht sein Wille«, sagte ich. »Er will in seinem Dorf bestattet werden.«

Es wurde still.

Nach einer Pause fuhr ich fort: »Am Ende war er regelrecht davon besessen. Er war überzeugt, nur dann Frieden zu finden, wenn er in seinem Heimatdorf begraben würde.«

Ich war mir sicher, dass die Aussicht auf einen möglicherweise ruhelosen Geist die atavistischen Instinkte der Kabinettsmitglieder wecken würde. Immerhin glauben sie an übernatürliche Kräfte, begeben sich ständig zu traditionellen Heilern, um Zaubertränke zu kaufen, die ihnen den Erfolg sichern sollen, und machen sich zugleich für ein Gesetz gegen Hexerei stark.

»Wir haben keine andere Wahl, als die Trauerfeier wie geplant durchzuführen«, beharrte der Sprecher. »Der Präsident hat es höchstpersönlich angeordnet; davon abzurücken wäre …« Er verstummte, aber er brauchte seinen Satz auch gar nicht zu beenden. Der Präsident würde auf keinen Fall sein Gesicht verlieren wollen.

Am Ende kamen sie mir vielleicht weniger aus Angst vor dem ngozi-Geist meines Mannes entgegen, sondern vielmehr um die Peinlichkeit zu vermeiden, die sich ergeben würde, wenn ich meine Drohung wahr machte, damit an die freie Presse zu gehen. Sie schickten einen Emissär nach dem anderen, um mit mir zu reden, und zu guter

Mein Mann gehörte jenem widerspenstigen Stamm im Süden an, der schläft und isst und den Präsidenten ignoriert. Dabei leiden diese Leute unter einem Minderwertigkeitskomplex, der so groß ist wie ihre ganze Provinz. Sie haben nicht genug Macht, nicht genug eigene Helden an der nationalen Gedenkstätte. Wenn mein Mann zum Helden erklärt würde, könnte das den widerspenstigen Stamm beschwichtigen und die schwelenden parteiinternen Kontroversen über die Nachfolge des Präsidenten beenden, glaubte man im Politbüro. Und darin erkannte ich meine Zukunftschance. In meiner Heimat habe ich kein Zuhause, in das ich zurückkehren könnte; alles, was ich besitze, habe ich hier hineingesteckt. Ich konnte mich dafür entscheiden, als offizielle Witwe bei jeder Heldengedenkfeier ans Licht gezerrt zu werden.

Ich konnte aber auch meinen eigenen Weg gehen.

»Geben Sie mir die Farm meines Mannes zurück«, sagte ich. »Die Eigentumsurkunde soll auf meinen Namen ausgestellt werden. Außerdem verlange ich einen garantierten Sitz im neuen Senat.«

Und so wurde der Handel besiegelt: Für den Sitz im neuen Senat und für die eigene Farm würde ich Stillschweigen bewahren und ihnen erlauben, anstelle meines Mannes

Sie haben den letzten Zapfenstreich erklingen lassen und die einundzwanzig Ehrensalven abgeschossen. Ich zähle die polierten Marmorplatten, eine nach der anderen, die die mürben Knochen der toten Helden bedecken. Bald wird eine dieser Platten die Erde bedecken, die das Fleisch und die Knochen meines Mannes repräsentiert.

Hier finden sich viele Geheimnisse dieser Art, les secrets de Polichinelle, wie die Franzosen sagen, Geheimnisse, die durchaus allen bekannt sein können, die aber nicht ausgesprochen werden dürfen. So ist allgemein bekannt, dass einer der Helden, die wir kürzlich hier begraben haben, keineswegs ein aufrechter Patriarch war, wie es in der Präsidentenrede hieß, sondern ein lüsterner Greis, der einem

Nur die offizielle Wahrheit zählt, nur diese Wahrheit wird in die Geschichtsbücher eingehen und den Kindern gelehrt werden. Und sie werden Folgendes lernen: Mein Mann ist ein Nationalheld, der in Warren Hills bestattet ist. Warren Hills ist die nationale Gedenkstätte in einem Land, das vom weisesten aller Präsidenten regiert wird. In diesem Land herrscht Wohlstand, seine Bürger sind alle glücklich. Die Ungerechtigkeit vergangener Zeiten wurde überwunden, um die Errungenschaften des Freiheitskampfs zu konsolidieren. Und ich werde in diesem glückseligen Land zur neuen Farmbesitzerin und Senatorin.