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Wolf D. Hartmann, Wolfgang Maennig, Run Wang
Unter Mitarbeit von Nikolaus A. Egel

Chinas neue Seidenstraße

Kooperation statt Isolation –
Der Rollentausch im Welthandel

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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Copyright: FAZIT Communication GmbH

Frankfurter Allgemeine Buch, Frankenallee 71 – 81,

60327 Frankfurt am Main

Umschlag: Julia Desch, Frankfurt am Main

Titelgrafik: © Kara – Fotolia.com

Satz: Wolfgang Barus, Frankfurt am Main

Druck: CPI books GmbH, Leck

Printed in Germany

1. Auflage, Frankfurt am Main 2017

ISBN 978-3-95601-224-2
eISBN 978-3-96251-015-2

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, vorbehalten.

Inhalt

Vorwort

1. Chinas neue Rolle in der Globalisierung

Neue Herausforderungen nach Trumps „America first“ und dem Brexit

Chinas praktische Initiativen zum Bewahren des freien Welthandels

Mergers und Acquisitions aus China in Europa und der Welt

Die neue Seidenstraße als Symbol für Kooperation statt Konfrontation

Initiativen anderer Interessengruppen – in der EU, den USA und Russland

2. Meilensteine und Dimensionen der Neuen-Seidenstraße-Initiative Chinas

Von der Vision zur Wirklichkeit der Initiative

Finanzierungsquellen der Megaprojekte

Dimensionen der Landprojekte der neuen Seidenstraße

Dimensionen der maritimen Seidenstraße des 21. Jahrhunderts

Die besondere Rolle Griechenlands in der neuen Seidenstraße

China als neue maritime Weltmacht und militärische Implikationen

OBOR-Projektbeispiele und Chancen für Europa und andere Staaten

3. Erfolgsbeispiele und Probleme chinesischer Innovationsstrategien

Strategische Neuausrichtungen aller Branchen

Überspringen von Phasen der Industrialisierung und Konsequenzen

Von „Copycats“ zu den BAT-Firmen Baidu, Alibaba und Tencent

Aufholen in der Finanzindustrie und digitale Währung

Infrastrukturausbau und Digitalisierungsstrategie

Überkapazitäten, Umwelt- und sozialökonomische Probleme

4. Herausforderungen über das Seidenstraßen-Projekt hinaus

Notwendigkeit der globalen Dekarbonisierung und des Klimaschutzes

Herausforderungen erhöhter Ressourcen- und Energieeffizienz

Auf der Überholspur mit Elektroautos und im autonomen Fahren

Von Mega- und Giga-Cities zu Smart Cities

Neue Anstrengungen zu Clean-Tech-Führerschaft: Beispiel Solarindustrie

5. Möglichkeiten und Grenzen der neuen Seidenstraße

Chancen und Probleme der Erfüllung des 13. Fünfjahresplans Chinas

Strategien zur Befriedigung des enormen Ressourcenbedarfs für die neue Seidenstraße

Innovationshemmnisse und Fortschritte im Modernisierungszug

Image- und Qualitätsaufschwung chinesischer Produkte und Leistungen

Unternehmertum und soziale Spannungen

Chancen für die Europäische Union durch die Belt-and-Road-Initiative

Geopolitische Bedeutung der chinesischen Seidenstraßen-Initiative und des Rollentausches im Welthandel

Forschungsstand zur historischen Seidenstraße

Nikolaus A. Egel

1. Bezeichnung und Verlauf der alten Seidenstraße

2. Geschichte und Bedeutung der alten Seidenstraße

Abbildungsverzeichnis

Anmerkungen

Die Autoren

Vorwort

Seit der jüngsten Präsidentschaftswahl in den USA geht weltweit das Gespenst der Rückkehr zu Protektionismus und Begrenzung der Globalisierung um. Selbst das Androhen neuer Mauerbauten an Staatsgrenzen ist wieder salonfähig geworden. Außenhandelsüberschüsse werden kritisch bewertet, und die USA drohen führenden Exportnationen Strafzölle an.

Ausgerechnet in dieser Zeit triumphierte der chinesische Staatspräsident Xi Jinping im Januar 2017 auf dem Davoser Wirtschaftsforum als neuer Star der freien Weltwirtschaft.1 Dabei ist China immer noch offiziell eine Planwirtschaft mit dem aktuell 13. Fünfjahresplan bis 2020.2 Der Fünfjahresplan zielt darauf ab, dass die Volksrepublik China in definierten Schlüsselbereichen eine globale Führungsposition erreicht. Dazu zählen alle signifikanten Zukunftsbereiche von der Informationstechnik, Robotik und Hightech-Ausrüstungen über die Luft- und Raumfahrt sowie modernste Schnellbahntechnik bis hin zur E-Mobilität, aber auch Biotechnologie sowie Landwirtschaftstechnik. Die wirtschaftspolitische Position der Volksrepublik China gegenüber Europa und speziell Deutschland hat sich laut offizieller Einschätzung des Auswärtigen Amtes weiter verstärkt. China ist inzwischen wichtigster Handelspartner für Europa und Deutschland.3 Zusammenfassend und diplomatisch formuliert schätzt das Auswärtige Amt die Beziehungen so ein:

„Dynamische Handelsbeziehungen, Investitionen, Umweltzusammenarbeit, forschungs- und wissenschaftspolitische Zusammenarbeit und ein intensiver hochrangiger Besucheraustausch prägen die Beziehungen. Reziproke Marktöffnung für Handel und Investitionen, Schutz geistigen Eigentums und unfreiwilliger Technologietransfer bleiben Themen des Dialogs zwischen Unternehmen und den Regierungen beider Länder.“4

Chinas Wachstum bestimmt zunehmend die Weltkonjunktur, auch wenn es sich statt zweistellig „nur noch“ um 6,5 Prozent bewegt. Das Wachstum soll nachhaltiger werden, und angekündigte Reformen vorwiegend strukturbestimmender Staatsunternehmen müssen greifen. Das betrifft vor allem den Umbau von 111 zentralstaatlichen und geschätzten rund 150.000 Staatsunternehmen auf Provinz- und lokaler Ebene.5 Im Wettstreit um die Überlegenheit von Marktwirtschaftsmodellen gegenüber Planwirtschaftsansätzen gibt es allerdings seit Längerem eher verhaltene Töne, wenn es um China geht. Chinas Wirtschaftsmodell lässt sich nicht in ein einfaches Schema einordnen, denn es gibt keine andere erfolgreiche Exportnation mit einem Fünfjahresplan und einem zentralgeleiteten Innovationssystem, aber zugleich auch starken international agierenden Unternehmen.

Im Wettstreit der internationalen Akteure hat China parallel zur zunehmenden Konfrontation des Westens mit Russland ein geopolitisches Initiativmodell der Kooperation und Entwicklung zum gegenseitigen Vorteil entworfen, das weltweit seinesgleichen sucht. Ein zentraler Bestandteil dieser Neuorientierung im freien Welthandel ist Chinas Vision der Wiederbelebung der alten Seidenstraße. Schon im Herbst 2013 hatte Xi Jinping an der Nasarbayev University in Kasachstan seine „One Belt One Road“-Initiative (kurz: OBOR) als Projekt einer „neuen Seidenstraße“ angekündigt. Diese Initiative hat neben der wirtschaftlichen und geopolitischen auch eine hohe symbolische Bedeutung, knüpft es doch an die berühmte Seidenstraße an, die China schon im 2. Jahrhundert v. Chr. über viele Zwischenstationen mit Europa verbunden hatte. Dieser Tatsache ist es geschuldet, dass in einem Anhang gesondert die Historie dieser alten Seidenstraße von Nikolaus Egel, einem Spezialisten alter Weltkarten wie der Mappamondo des Fra Mauro, skizziert wird.6

Tatsächlich ist es nicht das erste Mal in der Geschichte, dass sich das „Reich der Mitte“ zu einer führenden Weltmacht aufschwingt. Noch heute hängen viele Chinesen den großen Zeiten der Han-Dynastien und der Tang-Dynastien nach, in denen China weite Teile der alten Seidenstraße dominierte. Damals waren die Römer und später die Byzantiner begierig nach den Seidenprodukten, die den alten Handelswegen durch Zentralasien und den mittleren Osten ihren legendären Namen gaben. Die Herstellung des Naturprodukts Seide zählte in China zu den bestens gehüteten Geheimnissen bis ins 16. Jahrhundert hinein, so dass der edle Stoff nur aus China importiert werden konnte, obwohl natürlich auch viele andere Güter von Gewürzen bis zu Porzellan auf dem damals weltgrößten Handelsweg transportiert wurden.

In der Tradition der Seidenstraße möchte China im 21. Jahrhundert Asien und Europa nicht nur mit modernen Straßen, Schienennetzen, Schifffahrtslinien, Häfen, Industriekorridoren und Kommunikationsnetzen verbinden, sondern auch den friedlichen Wettbewerb zum gegenseitigen Vorteil und kulturellen Austausch fördern. Die Initiative einer „neuen Seidenstraße“ knüpft in seiner Popularisierung und Vermarktung bewusst an die große Vergangenheit der Seidenstraße an und erscheint als äußerst ambitioniert. Das liegt auch daran, dass die geplante Verbindung mit Kirgisistan, Tadschikistan, Usbekistan, Turkmenistan und den Iran durch Länder führt, die heute nicht nur strukturell wenig erschlossen und voller geografischer Hindernisse sind, sondern die zudem auch zumeist politisch instabil und damit für den Handel nicht ungefährlich – und teils, wie der Iran, auch von den USA und der EU sanktioniert – sind.

Darüber hinaus ist mit der Initiative der „neuen Seidenstraße“ auch an eine ebenbürtige Ausdehnung des Seehandels durch eine maritime Route gedacht, die gleichfalls an ruhmreiche Zeiten Chinas als Seemacht anknüpft. Chinas maritime Ambitionen erinnern damit an die Unternehmungen der Portugiesen, die gegen Ende des 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts den Seeweg nach Indien (die sogenannte „Gewürzroute“) auf ähnlichen maritimen Wegen eingerichtet hatten – mit der Errichtung von Häfen und Befestigungsanlagen entlang der afrikanischen Küste, um sich den Zugang zum lukrativen Gewürzhandel mit Indien und Südostasien dauerhaft zu sichern. So wurde Portugal von einer lokalen Macht zu einem der größten und mächtigsten Imperien der Frühen Neuzeit.7 Einen ähnlichen Versuch hatte China mit den Expeditionen Zheng He’s in umgekehrter Richtung bereits während der Ming-Dynastie zu Beginn des 15. Jahrhunderts unternommen.8

Die chinesische Initiative zur Wiederbelebung der Seidenstraße(n) umfasst eine – zumindest in der aktuellen Zeitgeschichte – unvergleichliche Dimension.9 Die Führung in Peking verspricht sich davon einen engeren wirtschaftlichen Austausch mit seinen Nachbarn, aber auch bis hin nach Afrika, den mittleren Osten und Europa, und darüber hinaus auch immer, zumindest in den Ankündigungen, wechselseitige Vorteile, Wirtschaftswachstum und Aufschwung. Dass die Sicherung der großen Öl-, Edelmetall- und Gasvorkommen sowie sonstigen Rohstoffe in Zentralasien ein weiteres wesentliches Motiv darstellen, liegt auf der Hand.

Die USA haben mit ihrem „Silk Road Strategie Act“10 im Jahr 1999 eine ähnliche Strategie angedacht. Die EU hatte sich bereits seit 1993 im Rahmen des TRACECA-Projekts11 (Transport Corridor Europe-Caucasus-Asia-, deutsch „Verkehrskorridor Europa-Kaukasus-Asien“) um einen infrastrukturellen Ausbau zwischen Europa und Zentralasien bemüht, wie zum Abschluss des ersten Kapitels näher erläutert wird.

In diesem Zusammenhang sei auch an die wiederholten Bemühungen Russlands erinnert, eine Freihandelszone von „Lissabon bis Wladiwostok“ einzurichten. Wladimir Putin hatte diesen Vorschlag bereits auf der Münchener Sicherheitskonferenz 2007 unterbreitet, aber kein Gehör gefunden, obwohl er ihn später mehrfach wiederholte.12 Die Folgen der sich daraus ergebenden verstärkten politischen und ökonomischen Zuwendung Russlands zu China werden – wie alle Entwicklungen entlang der Seidenstraße – erst in Zukunft abzuschätzen sein.13

China wächst wirtschaftlich nach wie vor trotz aller Rückschläge mit einer hohen Geschwindigkeit. Mit China ist eine neue und selbstbewusste politische und wirtschaftliche Großmacht wiedererstanden, die in den nächsten Jahrzehnten von hoher geopolitischer Bedeutung sein dürfte. Chinas neue Seidenstraße ist dafür jene Vision, die als weltumspannende Kontinental- wie Seeverbindung das 21. Jahrhundert verändern soll. Chinas außenpolitische Rolle wächst damit aus geopolitischer Sicht und fordert die USA und Europa wie seit Langem vorhergesagt auf neue Weise nicht nur in Eurasien, sondern bis nach Afrika heraus. Der US-Politologe Joseph S. Nye spricht von einer chinesischen „Marco-Polo-Strategie“.14 Europa und den USA, ja dem gesamten Westen fehlt eine analoge Vision, wie China sie mit der neuen Seidenstraße vorgelegt hat. Im Weiteren werden dazu Licht und Schatten der neuen Seidenstraßen-Initiative im Kontext der gesamten chinesischen Innovations- und Wirtschaftsstrategie erläutert.

Das wird vor allem im ersten Kapitel in Verbindung mit den jüngsten politischen Veränderungen in den USA und der Schwächung Europas durch den Brexit in den Mittelpunkt gestellt. Dazu werden sowohl Chinas interne Anstrengungen zur Modernisierung als auch die erweiterten Unternehmenskäufe in Europa und weltweit bei Technologieführern beurteilt.

Das zweite Kapitel gibt einen Einblick in die Dimensionen der OBOR-Initiative. Neben Verlauf und strukturellen Herausforderungen zu Lande und entlang der Küsten auf dem Seewege werden die zur Realisierung notwendigen Schritte aufgezeigt. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Finanzierung der Mammutprojekte. Hier hat China schon lange kritisch auf die Weltbank und andere global agierende Finanzierungsinstitute geschaut und dann einen für viele, insbesondere die USA doch überraschenden und unerwarteten Schluss gezogen: die Gründung der Asian Infrastructure Investment Bank (AIIB).15 Diese Bank mit Sitz in Peking soll mit weiteren internationalen Finanzinstituten sowie speziellen Fonds die Projekte der neuen Seidenstraßen-Initiative finanzieren helfen. Im Januar 2016 nahm die Bank ihre Arbeit ohne Beteiligung der USA und Japan auf. Deutschland wirkt wie Frankreich und Italien und andere europäische Staaten mit und stellt für die ersten Jahre den Direktor dieser Stimmrechtsgruppe. Über die Schritte zur Finanzierung der Großinitiative Chinas hinaus behandelt das zweite Kapitel vor allem die bereits in Angriff genommenen Realisierungsschwerpunkte im terrestrischen sowie maritimen Bereich der neuen Seidenstraße, zeigt aber auch die von Kritikern der chinesischen Initiative befürchteten militärischen Implikationen.

Das dritte Kapitel umreißt, welche Herausforderungen China parallel zu den Infrastrukturmaßnahmen im Innern des Landes lösen muss. Das Auswärtige Amt fasst zusammen: „China steht unverändert vor gewaltigen Aufgaben: Um wettbewerbsfähig zu bleiben, muss sich die Wirtschaft weiter modernisieren. Das Ziel des aktuellen 13. Fünfjahresplan ist die Umstrukturierung der chinesischen Volkswirtschaft von einer investitionsund exportorientierten zu einer innovationsgetriebenen. Hierfür müssen nicht zuletzt auch Innovationsfähigkeit und Kreativität in der Gesellschaft gestärkt werden, auch durch strukturelle Reformen im Bildungssystem. Um Märkte zu erschließen und technologische Lücken durch Zukäufe im Ausland zu schließen, wurden zudem im Jahr 2016 massive Auslandsinvestitionen getätigt.“16

In Europa wurde allein aufgrund der Sprachbarrieren kaum zur Kenntnis genommen, dass sich längst auch in China mächtige Internetkonzerne herausgebildet haben, die Google oder Amazon Paroli bieten. Oder auf dem Gebiet des Verkehrs geht China mit hohem Tempo in Richtung E-Mobilität, ähnlich wie bei der Durchsetzung von Digitalisierungsstrategien auf vielen anderen Gebieten.

Im vierten Kapitel werden diese Herausforderungen weiter konkretisiert. Dabei geht es insbesondere um das Erzielen eines nachhaltigeren Wachstums. Neben chinesischen Überkapazitäten in einzelnen Industriebereichen wie Stahl und Kohle bereiten vor allem soziale und ökologische Probleme erhebliche Sorgen. In keinem anderen Land der Erde zeigen sich die Folgen ungebremsten Wirtschafts- und Verkehrs – inklusive Logistikwachstums – so deutlich wie in China, obwohl auch das Eisenbahnnetz für Hochgeschwindigkeitsverbindungen erheblich ausgebaut wurde. Die Luftverschmutzung in chinesischen Großstädten zwingt zeitweise zu drakonischen Maßnahmen, wie das Abschalten der Produktion oder Fahrverbote. Immer deutlicher zeigt sich, dass alternative Antriebstechniken im Straßenverkehr unerlässlich sind und Vorrang bei der Autozulassung haben, was auch die deutsche Autoindustrie schmerzhaft spürt. Die Herausforderungen konsequenter Dekarbonisierung und verstärkten Umweltschutzes wachsen in allen Arbeits- und Lebensbereichen mit der zunehmenden Urbanisierung und der Digitalisierung.

Das abschließende fünfte Kapitel bewertet die Möglichkeiten und Grenzen der Belt-and-Road-Initiative im Gesamtkontext der chinesischen Wirtschafts- und Gesellschaftsentwicklung. Dabei werden die Ziele des 13. Fünfjahresplans mit den Ansprüchen der Durchsetzung der neuen Seidenstraßen verglichen, besonders der hohe Ressourcenbedarf und die nötige Kooperationsbereitschaft sowie Konnektivität der Initiative in den betreffenden Regionen und Staaten. Gleichzeitig geht es um die Internationalisierung und Modernisierung des „Innovationssystems Chinas“, die Entbürokratisierung und Verstärkung des Kampfes gegen Korruption bei erhöhter Partizipation der Bevölkerung und dem Ausbau eines dynamischen Unternehmertums. Vom Design bis zum Marketing neuer Produkte aus China werden vielfältige Anstrengungen unternommen, um insbesondere den erhöhten Qualitätsansprüchen weltweit gerecht zu werden und unter Beweis zu stellen, dass die mit der OBOR-Initiative angestrebte Prosperität allen Beteiligten zu Gute kommt.

Die vorliegende Veröffentlichung soll bei der Beurteilung helfen, ob für die betroffenen Regionen die Chancen oder Risiken der Seidenstraße überwiegen. Sicher ist, dass es bei der Beurteilung Freiheitsgrade gibt. Sicher ist aber auch, dass für die Umsetzung der Vision von der neuen Seidenstraße das chinesische Sprichwort gilt:

„Jede große Reise beginnt mit einem kleinen Schritt.“

1. Chinas neue Rolle in der Globalisierung

Neue Herausforderungen nach Trumps „America first“ und dem Brexit

Auf der Webseite des Weißen Hauses sticht als Zeichen der Präsidentschaft Donald Trumps die US-Flagge mit dem Motto „AMERICA FIRST“ ins Auge.1 Die offizielle Einschätzung nach 100 Tagen ging davon aus, dass kein Präsident der USA in den vergangenen 50 Jahren eine brillantere Bilanz aufzuweisen hat, wenngleich das weltweite Medienecho dies teilweise anders sah. Bereits in den ersten Monaten seiner Amtszeit überraschte Trump die Welt mit immer neuen Vorstößen und Dekreten. Sie fokussierten sich nach Angaben des Weißen Hauses insbesondere auf die Stärkung des Militärs, die Beendigung der illegalen Immigration und auf die Wiederbelebung der amerikanischen Wirtschaft. Kritischen Einschätzungen zufolge ist die außenpolitische Position der USA eher geschwächt. Ernsthaft wird gefragt, ob es sich vielmehr um eine „America Third: A China First and Russia Second Foreign Policy“ handelt?2

China wird besonders seit Beginn der Regierungsära von Donald Trump eine weltpolitisch neue Rolle zugesprochen, während sich Russland bedingt durch den Vorwurf einer Einmischung in den US-Wahlkampf und davor vor allem durch die Übernahme der Krim-Halbinsel erneut isoliert hat und von der westlichen Welt mit Sanktionen belegt wurde – obwohl dies auch für die Wirtschaft der sanktionierenden Länder Milliardenverluste bedeutet.

Um China im 21. Jahrhundert und seine neue Rolle in der Weltwirtschaft zu verstehen, muss man die weltpolitische Lage mit ihren gravierenden Veränderungen besonders der letzten Jahre und Jahrzehnte berücksichtigen. Wenn man die im Vorwort benannten, teilweise viele Jahrhunderte zurückliegenden Initiativen insbesondere Chinas und Portugals, aber auch Spaniens außer Acht lässt, startete die Globalisierung aus handelspolitischer Sicht spätestens am 1. Januar 1948, als sich 23 Staaten in Genf zum ersten Zoll- und Handelsabkommen GATT (General Agreement on Tariffs and Trade) zusammenschlossen. Das Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung schätzt, dass rund 50 Jahre lang das GATT den Welthandel bestimmte.3 Die Bundesrepublik schloss sich dem GATT schon 1951 an, wie später viele weitere Staaten, bis das Abkommen 1995 in der Welthandelsorganisation WTO (World Trade Organization) aufging, der seit Juli 2016 bereits 164 Länder angehören.4 Ein von der WTO vorgesehenes globales Freihandelsabkommen scheiterte an den unterschiedlichen Interessen der Industrie-, Schwellen- und Entwicklungsländer. Es folgte die Gründung regionaler Handelsblöcke, etwa in Südamerika 1991 MERCOSUR, der EU-Binnenmarkt 1993, die südostasiatische AFTA 1993 und der nordamerikanische NAFTA-Pakt zwischen den USA, Kanada und Mexiko 1994.

Die USA schotten sich inzwischen ab und stellen die Idee des multilateralen Freihandels ganz offen in Frage – was schlechte Aussichten für die geplanten transpazifischen Handelsabkommen TPP (Trans-Pacific Partnership) und das transatlantische Handelsabkommen TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) bedeutet. EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström sah das TTIP-Abkommen nach Trumps Wahl im „Gefrierschrank“, und die europaweiten Gegner der „neoliberalen“ Handelsabkommen hatten Zeit zum Verschnaufen im Protest gegen diese Handelsabkommen. Inzwischen haben sich die Bündnisse gegen unfaire und geheime Verhandlungen von internationalen Handelsabkommen zu einem „Netzwerk Gerechter Welthandel“ vereinigt, um gemeinsam auf die europäische Handelspolitik einzuwirken.5

Viele Unternehmer sehen für die Weltwirtschaft schwere Zeiten. China öffnet sich just in dieser Phase einer sich dynamisch ändernden Globalisierung. Nach nur rund eineinhalb Jahrzehnten Mitgliedschaft in der Welthandelsorganisation WTO seit Dezember 2001 ruft China eine Wiederbelebung der Seidenstraße aus – und knüpft damit nicht nur an einen historisch erfolgreichen Handelsweg zwischen Asien und Europa an, sondern an seine einstige geopolitische Bedeutung vor über zweitausend Jahren.

Die USA verzeichneten 2016 mit der Wahl von Donald Trump zum Präsidenten ein Wiedererstarken der republikanisch-konservativen Kräfte im Land. Was bedeutet die Trumpsche Außen- und Wirtschaftspolitik für das Gleichgewicht der Weltwirtschaft? Die meisten Verbündeten und nicht zuletzt die Nachbarn Amerikas müssten die Vorstellung und das „populistische Manifest“, das sie zu hören bekamen, erst einmal verdauen, heißt es. Es habe nicht – wie man früher sagte – der Führer der freien Welt oder der Präsident der globalen Ordnungsmacht gesprochen, sondern einer, der Ordnungen zertrümmere: „Insofern ist diese ‚alte Welt’ untergegangen. Ob auch der Westen untergeht? Wenn die Vereinigten Staaten keine Lust mehr haben, internationale Verantwortung zu tragen, auf gemeinsamen Werten gründende Bündnisse zu pflegen, dafür aber die Weltwirtschaft im Führermodus aus den Angeln heben, was bleibt dann vom Westen? … Dennoch muss man sich daran erinnern, dass die europäische Einigung gute Zeiten immer dann erlebte, wenn Amerika sie mit Wohlwollen begleitete. Jetzt heißt es kurz und bündig ‚Amerika zuerst’! Kann der Gegensatz dazu Europa stark machen?“6

Sorgen bereitet vielen Wirtschaftsexperten die „Abschottungsstrategie“ Trumps: „Sollten die USA tatsächlich aus ihren Handelsabkommen ausscheren und Strafzölle etwa auf Waren aus Mexiko oder China erheben, könnte dies schnell in einen weltweiten Handelskrieg münden.“7 Das Washingtoner Peterson Institute of International Economics (PIIE) sieht bei einem Handelskrieg Millionen von Arbeitsplätzen in den USA in Gefahr, vor allem für Minderqualifizierte, denn Trumps Politik „could unleash a trade war that would plunge the U.S. economy into recession and cost more than 4 million private sector jobs.“8

Die „Welt“ zitiert Eric Nielsen, den Chefökonom von Unicredit, demzufolge sich die Weltwirtschaft glücklicherweise erhole, was auch die USA nicht mehr aufhalten könnten. Die Frage sei nur, „bis zu welchem Grad Trump die lang erwartete Erholung von ihrem Kurs abbringen wird“.9

Auch der Bund der Deutschen Industrie warnt vor Abschottungstendenzen. Eine repräsentative Umfrage des Sozialforschungsinstitutes INSA belege, dass jeder zweite Deutsche (52 Prozent) davon überzeugt sei, dass sich Freihandel positiv auf die deutsche Industrie auswirke. Außerdem rechneten sich mehr Menschen in Deutschland persönliche Vorteile (36 Prozent) als Nachteile (21 Prozent) durch Freihandel aus, BDI-Präsident Dieter Kempf äußerte sich in einer Pressemitteilung: „Wir dürfen eine Trendwende weg vom Freihandel hin zu Abschottung nicht zulassen … Die Mehrheit der Deutschen hält die Auswirkungen des Freihandels auf die deutsche Industrie für positiv. Das ist ein wichtiges Ergebnis in einer Zeit, in der Politiker weltweit wieder stärker auf Abschottung setzen.“10 Dabei rangiert Deutschland global bei den Im- und Exporten auf dem dritten Platz, obwohl es nur ein Prozent der Weltbevölkerung stellt. Und rund 15 Prozent aller weltweiten Exporte sowie annähernd genauso viele Importe lassen sich der EU zuschreiben – obwohl diese nur etwa sieben Prozent der Weltbevölkerung stellt.

Die Europäische Union steht angesichts des BREXIT – des am 23. Juni 2016 per Referendum mit 51,89 Prozent mehrheitlich beschlossenen Ausstiegs der Briten aus der EU – vor einer harten Bewährungsprobe wie Großbritannien selbst auch. Großbritannien setzt inzwischen auf einen harten BREXIT aus der EU, also Ausstieg aus der Zollunion, dem Binnenmarkt und dem gesamten europäischen Rechtsgefüge. Die gemeinsame Politik für einen starken Handelsplatz Europa befindet sich seit dem EU-Referendum der Briten auf dem Prüfstein. Beobachter fürchten, die Befürworter eines Austritts in anderen Ländern könnten sich nun gestärkt fühlen. Die Vorsitzende des rechtsextremen Front National in Frankreich, Marine Le Pen, ließ sich im vergangenen Präsidentschaftswahlkampf gerne „Madam Frexit“ nennen und forderte das Ende eines Schengen-Raums ohne Grenzkontrollen und zudem den Austritt aus dem Euro.11 Mit diesem Programm schaffte sie es 2017 immerhin in die Stichwahlen gegen den parteilosen Aufsteiger des sozial- und wirtschaftsliberalen Lagers, Emmanuel Macron. Auch nach dessen Wahlsieg und der Niederlage Le Pens verstummten die Stimmen gegen die Europäische Union nicht.

Das veränderte Agieren der USA und die aktuelle Schwächung der EU beförderten die Pläne Chinas, stärker denn je im Weltwirtschaftsgeschehen mitzumischen. Die Stiftung Wissenschaft und Politik hat diesen zentralen Aspekt der chinesischen Außenpolitik in einer Studie12 untersucht. Darin konstatiert Nadine Godehardt, dass Beziehungen zu den direkten Nachbarstaaten in Asien für China auch in der Vergangenheit immer von Bedeutung waren. Von Deng Xiaoping bis Xi Jinping könne Pekings Nachbarschaftspolitik dabei in drei Phasen eingeteilt werden.

Ende der 1970er Jahre und während des Kalten Krieges ging es China darum, Konflikte zu vermeiden und sich auf die eigene Entwicklung zu konzentrieren. „Nicht auffallen“ (tao guang yang hui) war die Devise. Stabilität in den Grenzgebieten wurde als wesentliche Voraussetzung für die wirtschaftliche Entwicklung gesehen.13 1979 nahm China volle diplomatische Beziehungen zu den USA auf. 1984 schloss es mit Großbritannien ein Abkommen, aufgrund dessen China 1997 die Souveränität über Hongkong zurückerlangte. 1989 erfolgte die Aussöhnung mit der UdSSR.

Von den 1990er Jahren bis Anfang 2000 öffnete sich das Land nach außen. Der frühere Staatspräsident Jiang Zemin strebte „freundliche Nachbarschaftsbeziehungen“ an (mulin youhao). Jeder Nachbarstaat wurde demnach gleich behandelt. Wirtschaftskooperationen wurden nun umgekehrt zu früher als Basis für die nationale Sicherheit gewertet.14 Innenpolitisch intensivierte Deng Xiaoping 1992/93 die wirtschaftliche Reformpolitik. Privatwirtschaftliche Tätigkeit wurde in weitestem Umfang zugelassen.

Ab der Jahrtausendwende vertiefte China seine institutionellen Verbindungen mit dem Ausland. Wichtigster Schritt war dabei Chinas Beitritt zur Welthandelsorganisation WTO am 11.12.2001, der den Aufstieg des Landes erheblich beschleunigte. Um den steigenden Rohstoff bedarf des Landes zu sichern, intensivierte die chinesische Führung die Beziehungen zu Afrika und richtete 2006 ein chinesisch-afrikanisches Gipfeltreffen aus. Die Volksrepublik stieg zu einem Global Player auf, war 2008 Austragungsort der Olympischen Spiele und 2010 der World Expo in Shanghai. Als die globale Finanzkrise 2009 begann, reagierte die Volksrepublik China antizyklisch und verabschiedete ein Konjunkturpaket in Höhe von rund 465 Milliarden US-Dollar. Ohne Zweifel haben die erleichterten Handels- und Investitionsbedingungen China beflügelt, kein anderes Land hat sich so schnell als globaler Player etabliert.

China ist keine Demokratie nach westlichem Verständnis. Das Land bezeichnet sich seit seiner Verfassung von 1982 als „sozialistischer Staat der demokratischen Diktatur des Volkes“. Die Kommunistische Partei Chinas hat laut Verfassung die Führung des Landes auf Dauer abonniert. Nichtsdestotrotz wurde China aufgrund des anhaltenden Wirtschaftswachstums zur Jahrtausendwende ein entscheidender Faktor der ökonomischen Globalisierung. In keinem Land der Welt gibt es mehr Börsengänge als in Shenzhen oder Hongkong. China ist heute die zweitstärkste Volkswirtschaft der Welt, Exportweltmeister, Besitzer der höchsten Devisenreserven, reichster Gläubiger der Vereinigten Staaten. In Folge von Turbulenzen an den chinesischen Börsen verlor China 2015 nicht weniger als 100 Milliarden US-Dollar an Reserven – in einem einzigen Monat, im gesamten Jahr sanken die Devisenreserven um eine halbe Billion. „Von einer Pleite ist das Land … noch sehr weit entfernt“15, schrieb das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ Anfang 2016 und verwies auf die hohen Bestände Chinas von 3,33 Billionen US-Dollar.

Wie Russland traf auch China 2017 massive Vorkehrungen, um gegebenenfalls aus dem Dollar-System auszusteigen.16 Das Land verkaufte US-Staatsanleihen und erhöhte seine Goldreserven. 2014 hat die Volksrepublik mit ihren Beständen die Schweiz überholt und kam mit 1.054 Tonnen Gold Russland sehr nahe (USA: 8.133, Deutschland: 3.384, Russland 1.112 Tonnen).17 Ende 2016 besaß Peking mit 1.842 Tonnen bereits mehr als Moskau (1.615 Tonnen).18 Doch Goldhändler vermuten wesentlich höhere Bestände in chinesischer Hand: „… könnte es sich bei der angeblichen Gold-Unlust im Reiche der Mitte auch um eine Finte der chinesischen Notenbank handeln. Schließlich will diese ihre Währung zum Jahresende in den Währungskorb des Internationalen Währungsfonds legen. Dann wäre der Yuan offiziell eine Reservewährung, so wie Dollar oder Euro. Um diesen Schritt vorzubereiten, musste China überhaupt erst seine Menge an Goldreserven veröffentlichen. Goldoptimisten hoffen nun, dass China bloß die Goldmärkte nicht in Aufregung versetzen wollte und in Wirklichkeit Reserven von 2.000, 3.000 oder noch mehr Tonnen Gold besitzt – und diese in Zwischenspeichern außerhalb der Notenbank-Bilanz parkt. Zum Beispiel bei der Volksarmee.“19

Fernost ist für Autohersteller und viele andere Branchen zu einer zentralen Absatzregion geworden. Um das Agieren internationaler Unternehmen in China zu erleichtern, sind die Zölle von im Schnitt 15,3 auf 9,8 Prozent gesenkt worden, rund einhundert Zweige der Dienstleistungswirtschaft sind inzwischen auch für ausländische Akteure zugänglich. Dies hat weiten Teilen der Europäischen Wirtschaft über die schwere Zeit der Währungs- und Finanzkrise hinweggeholfen. Die F.A.Z. zitiert Zhang Hanlin, Direktor des Instituts für WTO-Studien in Peking: „Unser Wohlstand ist schneller gewachsen, und nur dadurch hatten wir die Nachfragemacht, den Westen in der Wirtschaftskrise vor dem Schlimmsten zu bewahren.“20

Doch wo Licht ist, findet man auch Schatten. China profitiere zwar gern vom freien Welthandel, sagen seine Kritiker, setze sich jedoch über die Prinzipien des fairen Wettbewerbs selbst hinweg. So klagen westliche Unternehmen über „fortgesetzten Diebstahl geistigen Eigentums und den Zwang zum Technologietransfer“21. Wer in Schlüsselbranchen aktiv werden will, muss einen wissenshungrigen chinesischen Joint-Venture-Partner akzeptieren. Ausländische Unternehmer fühlen sich diskriminiert.

In der EU betrifft jede zweite Untersuchung zu Preisdumping das Land China. Handelsstreitigkeiten entstehen vor allem dann, wenn die Staatsführung der heimischen Industrie, vor allem den Staatsunternehmen, Vorteile verschafft. Aufgrund ihrer Exportbeschränkung für neun wichtige Bodenschätze, allen voran Seltene Erden, steht die Volksrepublik ebenfalls in der Kritik – bei Europäern wie bei Amerikanern. Umgekehrt schreiben chinesische Experten dem Westen Diskriminierung und Protektionismus zu, so etwa der bereits zitierte WTO-Fachmann Zhang. Als Motive führt er auf Seiten der EU die Schuldenkrise und auf Seiten Amerikas neue Pazifik-Ambitionen an; der Westen agiere in beide Fällen auf Kosten der Volksrepublik. „Das aber führt zu nichts, wir sind alle aufeinander angewiesen.“22

2013 definierte Peking den Begriff der „Großmachtbeziehungen neuen Typs“, geprägt von drei Merkmalen:

Konfrontationen vermeiden und vorhandene Dialogmechanismen nutzen sowie neue auf bauen,

gegenseitig Respekt vor dem politischen und wirtschaftlichen System und der Vergangenheit des jeweils anderen Staates auf bringen,

nationale Kerninteressen und gemeinsame Ziele beim Verfolgen der eigenen Interessen berücksichtigen.23

In diesem Grundverständnis soll das Verhältnis zwischen etablierten Mächten wie USA, Russland und EU und dem aufsteigenden China gedeihen.

Chinas praktische Initiativen zum Bewahren des freien Welthandels

Die entscheidende Trendwende in der Wirtschaftspolitik Chinas begann im März 2011, als der einmal jährlich tagende Nationale Volkskongress den 12. Fünfjahresplan verabschiedete. Darin bekannte sich die Führung in Peking zu einem nachhaltigeren Wachstum mit einer Fokussierung auf:

Umweltschutz,

Inflationsbekämpfung und

eine Stärkung des Inlandkonsums durch Wohlstandssteigerung.

Das private Unternehmertum förderte das Land bereits seit den 1990er Jahren. Eine wichtige weitere Voraussetzung für die neuen Wachstumspläne stellt der Zugang Chinas zum freien Welthandel dar. Dafür war ein Zugeständnis der Europäischen Union in den WTO-Beitrittsverhandlungen wichtig, die China bereits 1998 den Status einer „Nichtnichtmarktwirtschaft“24 zuerkannt hatte. Die doppelte Verneinung macht die Vorbehalte einiger Mitgliedsstaaten und das lange Ringen deutlich. Weil der chinesische Transformationsprozess noch Jahre dauern würde, gewährten die Verhandlungspartner der EU Übergangsfristen beim Abbau von Handelsschranken. „Zahlreiche Industriezweige … sind noch immer im Schutz protektionistischer Barrieren gegen ausländische Konkurrenten tätig, genießen staatliche Subventionen und operieren in kleinen ‚Fürstentümern‘… Im Zuge des Abbaus von tarifären und nichttarifären Handelsbarrieren und der Liberalisierung des Investitionsregimes werden diese Unternehmen nun plötzlich Konkurrenten gegenüberstehen, die es gelernt haben, sich im globalen Wettbewerb zu behaupten.“25 So gehe es aktuell der Landwirtschaft oder Staatsbetrieben, die bis dato unter dem Schutz des Staates standen. Ihr Hauptproblem: Produktionskosten ein Drittel über Weltmarktniveau.

In den 1980er und 1990er Jahren strebte China eine Teilnahme an der Weltwirtschaft an. Doch war den WTO-Partnern klar, dass der Beitritt massive Auswirkungen auf das Wirtschaftsgefüge haben würde. Auf China kamen weitreichende Anpassungen seiner Wirtschafts- und Handelspolitik und seines Verwaltungsapparates zu, die auch Konsequenzen für das gesellschaftliche und politische System der Volksrepublik haben könnten. Am meisten sollten zunächst die chinesischen Konsumenten vom beschleunigten Warenaustausch Chinas profitieren. Ihnen stand eine größere Auswahl an qualitativ besseren und kostengünstigeren Produkten zur Verfügung. Unter den chinesischen Industrieunternehmen sollten anfangs vor allem die Textil- und Bekleidungsindustrie vom WTO-Beitritt und dem Wegfall der Handelsbarrieren profitieren, weil sie ihre Exporttätigkeit ausweiten konnten. Mittelfristig werde die Aufnahme in die Welthandelsorganisation dreierlei Wachstumsimpulse für die Volksrepublik China bewirken26:

Belebung der Wirtschaft: sowohl innerhalb Chinas selbst als auch im Zusammenspiel mit dem Ausland durch verstärkten Austausch.

Mechanismen des Wettbewerbs: Konzentration auf diejenigen Wertschöpfungsbereiche, in denen das jeweilige Land ein Alleinstellungsmerkmal aufweist.

Fortschritt: Produktivitätszuwächse im eigenen Land durch eine Intensivierung des Binnenwettbewerbs.

Die Aufnahme Chinas in die WTO hat Handelsexperten zufolge nicht nur China selbst verändert, sondern wird die Struktur der Weltwirtschaft insgesamt prägen. Die globale Arbeitsteilung werde sich dadurch weiter verfeinern, es werde neue grenzüberschreitende Güterströme geben und eine neue Allokation von Produktionsfaktoren bewirken. Der Preis spielt in diesem neuen Wirkungsgefüge zwei Rollen: Er ist die Ursache und das Ergebnis von Veränderung zugleich. Ein massiver Anstieg der chinesischen Ausfuhren wird die Preise auf dem Weltmarkt für die betreffenden Güter senken. Eine substanzielle Ausweitung chinesischer Einfuhren wird im Gegenzug Güter verknappen und teurer machen. Davon profitiert nicht China in erster Linie, vor allem profitieren die Volkswirtschaften Europas und der USA.27

Seit dem Beitritt Chinas in die Welthandelsorganisation haben sich die Direktinvestitionen ausländischer Kapitalgeber bis 2010 verdoppelt und liegen seither über 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr – mit steigender Tendenz. Das bedeutet einerseits einen quantitativen Zuwachs auf der Seite der Produktionsfaktoren. Andererseits werden sich chinesische Firmen in der Folge auch westliche Managementpraktiken aneignen und die Qualität ihrer Produkte durch die Einfuhr neuer Technologien weiter steigern.

Vor allem der chinesische Binnenmarkt dürfte von den veränderten Rahmenbedingungen profitieren. Während heute knapp 90 Prozent der ausländischen Direktinvestitionen in Küstenregionen gehen, wird das Engagement ausländischer Kapitalgeber nun verstärkt in die Binnenprovinzen gehen.28 Das bedeutet: Nicht mehr der Export billig in China gefertigter Güter steht im Fokus der internationalen Investoren; derzeit macht der Export noch gut 40 Prozent ihrer Geschäftstätigkeit aus. Langfristiges Engagement in China bedeutet, die starke Binnennachfrage der wachsenden Mittelschicht zu bedienen. Zusammenschlüsse und Aufkäufe von Firmen kommen an die Tagesordnung und werden den Sektor der Staatsbetriebe neu strukturieren. Davon werden auch wachstumsfördernde Spill-over-Effekte für chinesische Unternehmen erwartet.

Grundsätzlich schränkte der Beitritt zur WTO die wirtschaftspolitische Autonomie der Volksrepublik China ein, weil die internationalen Regeln des Welthandels stärker als davor zu beachten sind. Gleichzeitig stieg Chinas Einfluss auf internationale Wirtschaftsunternehmen, und Chinas Präsident Xi nutzte geschickt das schon im Vorwort erwähnte jährliche Davoser Weltwirtschaftsforum 2017 zur Betonung der Notwendigkeit des freien Welthandels gegenüber Rückschritten mit Strafzöllen und Einfuhroder Exportbeschränkungen.

Die Wiederbelebung historischer Handelsbeziehungen im Rahmen der „neuen Seidenstraße“ spielte hierbei eine zentrale Rolle. Als wichtigste Konferenz zur Neuorientierung der Außenpolitik lud China Mitte Mai 2017 zu dem „Belt and Road Forum for International Cooperation“ nach Peking ein. Nach Angabe von The Diplomat nahmen 29 Regierungschefs mit Präsident Xi und Russlands Präsident Putin teil, wobei auch UN-Generealsekretär António Guterres, der Präsident der Weltbank Jim Yong Kim und die Chefin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde, teilnahmen.29 Insgesamt wurden mehr als 1.500 Teilnehmer aus 110 Ländern erwartet.

China erklärte auf diesem Forum der Welt seine geopolitische Strategie zur Verbindung Asiens, Europas und Afrikas auf dem Landweg und über die maritime Route. 65 Länder, drei Kontinente und Milliarden Dollar sollen die beteiligten Länder verbinden. 50 Kooperationsvorhaben sollen unterzeichnet werden. Bereits davor wurden 46 Kooperationsvereinbarungen mit 39 Staaten unterzeichnet, wie dem Nachrichtenportal Fast Facts im Internet zu entnehmen ist.30 Aus Deutschland nahm stellvertretend für Bundeskanzlerin Angela Merkel Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries teil. China plant, mit der Neubelebung der Seidenstraße eine neue Ära der Globalisierung mit Win-Win-Situationen für alle Beteiligten zu eröffnen, auch wenn westliche Diplomaten eher glauben, dass China eine Vorherrschaft erreichen will.

Gleich zu Beginn des Treffens in Peking zeigten sich jedoch Widersprüche zwischen den chinesischen und EU-Auffassungen über gegenseitig freien Handel. Während chinesische Unternehmen weltweit ausländische Unternehmen erwerben können, brauchen umgekehrt westliche Unternehmen in China immer noch zwangsweise einen Joint-Venture-Partner. Darüber hinaus geht es um Transparenz bei öffentlichen Ausschreibungen sowie um die Einhaltung von Sozial- und Umweltstandards, wie Nachrichtenagenturen berichteten.31

Mergers und Acquisitions aus China in Europa und der Welt

Staudämme in Myanmar, Infrastrukturprojekte in Nigeria und der Kauf innovativer Unternehmen in Europa – all das geht auf das Konto Chinas. Allein 2012 hat die Volksrepublik weltweit rund 67 Milliarden Euro in Übernahmen, Neugründungen und sonstige Infrastrukturprojekte gesteckt. China ist damit international auf den dritten Platz geklettert – nur die USA und Japan investieren weltweit noch mehr. Schätzungen des Mercator Institute for China Studies zufolge könnten die Investitionen bis 2020 sogar auf insgesamt 1,5 Billionen Euro32 anwachsen. Strukturelle Veränderungen in der chinesischen Wirtschaft und die verstärkte Unterstützung der Regierung seien die Ursachen. Peking habe eine Reihe von Genehmigungserfordernissen für Investitionsprojekte zurückgenommen. Heute sind mehr chinesische Investoren denn je auf Shoppingtour durch Europa. Es braucht nicht betont zu werden, dass diese Einkaufstouren in Deutschland und Europa durchaus mit gemischten Gefühlen begleitet werden und teilweise auf Argwohn stoßen, wenn Schlüsselinteressen betroffen sind. Das betrifft vor allem sensitive Hochtechnologiebereiche, in denen Genehmigungen des Bundeswirtschaftsministeriums erforderlich sind. Die folgende Übersicht gibt einen Einblick zu den Europaaktivitäten.

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Abbildung 1: Chinas Direktinvestitionen nach Europa steigen an. Vor allem Frankreich, Großbritannien und Deutschland gelten als attraktive Partner33

Obwohl die in Frankreich, Deutschland und Großbritannien getätigten Investitionen gerade einmal drei Prozent des gesamten chinesischen Investitionsvolumens ausmachen, lösen die Transaktionen in diesen Ländern Sorgen aus. Die finanzkräftigen Investoren aus Fernost werden mit einem Ausverkauf von Technologie und Know-how in Verbindung gebracht. In den Jahren 2012 bis 2014 ging der Großteil der chinesischen Gelder für Europa nach Großbritannien, wo chinesische Bauinvestoren hochpreisige Büroprojekte in London realisierten. Eine Unternehmensgruppe aus der Volksrepublik beteiligte sich am Flughafen Heathrow. Und der Nahrungsmittelkonzern Brightfood aus Shanghai kaufte die Marke Weetabix.34

In Deutschland erreichte das Transaktionsvolumen an Mergers und Acquisitions aus China35 allein im ersten Halbjahr 2016 fast 10,8 Mrd. US-Dollar, umgerechnet 9,7 Mrd. Euro. In den zehn Jahren zuvor war zusammengenommen nur halb so viel aufgebracht worden. In ganz Europa betragen die Zukäufe und Beteiligungen chinesischer Unternehmen sieben Mal so viel, meldet die Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft EY. Yi Sun, Partnerin bei EY Deutschland und Leiterin der Chinaaktivitäten in der DACH-Region, erklärt: „Mit dem verlangsamten Wachstum auf dem Heimatmarkt sehen sich die chinesischen Unternehmen gezwungen, neue Geschäftsfelder aufzubauen und sich von der Massenproduktion in Richtung Spezialisierung und Hochtechnologie zu bewegen. Der kürzeste Weg dahin besteht in Akquisitionen ausländischer Marktführer.“36

„Made in Germany“ genießt weltweit eine unverändert gute Reputation. Deutschland gilt als Premium-Standort. Zwei große Übernahmen waren der Roboterhersteller Kuka, für den der chinesische Hausgeräte-Konzern Midea knapp 4,7 Milliarden US-Dollar bot, und die EEW Energy from Waste GmbH, die für 1,6 Milliarden US-Dollar vom Investor Beijing Enterprises Holding aufgekauft wurde.

Kuka prognostizierte nach der Übernahme, dass sein Jahresabsatz an Industrierobotern in China innerhalb von drei Jahren um mehr als 75 Prozent steigen werde – von zuletzt 90.000 auf 160.000 Stück. Kuka würden künftig die Vertriebswege von Midea in einem der größten Märkte für Industrieroboter offenstehen. Der Konzern, der Großgeräte wie Klimaanlagen, Waschmaschinen und Kühlgeräte baut, will Kuka bei Entwicklung und Ausbau von Automatisierungssystemen unterstützen. Midea ordnete den Kauf von Kuka auf der Hannover Messe 2017 als „eine Übernahme von vielen“ ein. Wenn es in Deutschland weitere gute Unternehmen gebe, werde man wieder investieren, zitiert die Agentur dpa den Chef des kauffreudigen Unternehmens, Fang Hongbo.

Zu den beliebtesten deutschen Übernahmezielen für Chinesen gehören vor allem Hightech-Unternehmen mit speziellem Know-how in Produktion, Logistik, Management und IT. Sorgen um einen Arbeitsplatzabbau seien unbegründet: „Die Zeiten, in denen hier ein Stahlwerk abgebaut und in China wieder aufgebaut wurde, sind längst vorbei. Im Gegenteil: Tendenziell bauen sie eher zusätzlich zu den hiesigen Produktionskapazitäten ein Werk in China auf. Und vielerorts, wo Unternehmen von der Insolvenz bedroht sind, sind die investierenden Chinesen sogar diejenigen, die die Arbeitsplätze erst retten.“37

Chinesische Investoren beteiligen sich in großem Stil auch an US-Firmen. Betrug der Anteil von Käufern aus der Region Asia Pacific im Jahr 2005 noch 16 Prozent, so ist er im Jahr 2016 auf 40 Prozent gestiegen, während der Anteil von Investoren aus der Region EMEA (Europe, Middle East, Asia) im gleichen Maße zurückgegangen ist.

Abbildung 2 zeigt den Anteil chinesischer Investoren an den weltweiten Mergers and Acquisitions. Die absolute Höhe der chinesischen Investitionen lag 2015 bei 735 Milliarden US-Dollar.38

Beispiele dafür sind:

Der chinesische PC-Hersteller Lenovo übernahm die IBM-Sparte Personal Computer Ende 2004 für 1,7 Milliarden US-Dollar.

Die Chinese Investment Corporation beteiligte sich 2007 mit 9,9 Prozent am Bankhaus Morgan Stanley und bezahlte dafür 5,5 Milliarden US-Dollar.

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Abbildung 2: Der Anteil chinesischer Investoren an den weltweiten Mergers and Acquisitions steigt seit Jahren39

2012 legte die Dalian Wanda Group 2,6 Milliarden US-Dollar für den weltweiten Kinobetreiber AMC Entertainment auf den Tisch.

Shuanghui International erwarb 2013 Smithfield Foods, den weltgrößten Verarbeiter von Schweinefleisch, für knapp 7,1 Milliarden US-Dollar.