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Der Autor

Keith Richards ist der legendäre Gitarrist und Songwriter der Rolling Stones. Alfred Neumann ist der unlegendäre Pianist und Songsinger der Starfighters. Beide haben fast zur gleichen Zeit begonnen, Musik zu machen. Beider musikalische Wurzeln waren amerikanischer Blues, Soul und der schwarze Rock’n‘Roll von Chuck Berry. Richards hatte mit den Stones seinen ersten Auftritt im Londoner Marquee Club am 12. Juli 1962, an diesem Tag wurde Alfred Neumann 16 Jahre alt und hatte mit den Starfighters seinen ersten Auftritt ein Jahr später, am 13. Juli 1963, im Jugendhaus in Fechenheim, einem Frankfurter Stadtteil. Hier trennte sich der Lebensweg der beiden.

Alfred Neumann

Musik ohne Handkäs

Eine kurze Geschichte der hessischen Rockmusik

Dieser Roman ist all den unzähligen Musikern gewidmet, die wie ich in den Nachkriegsjahren oft gegen den Widerstand der Eltern, Lehrer und anderer „Autoritäten“ durch hartnäckiges Einstehen für ihre Überzeugung zu Gründervätern der modernen deutschen Beat- und Rockmusik geworden sind.

eISBN 978-3-946413-74-5

Copyright © 2017 mainbook Verlag

Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Mia Beck

Covergestaltung: Olaf Tischer

Covermotiv: © Alfred Neumann

Auf der Verlagshomepage finden Sie weitere spannende Bücher:

www.mainbook.de

Inhalt

Vorwort

1Rodgau Melodies

2Don’t Call Us, We Call You

3Das kann doch nicht wahr sein

4Jenseits von Gut und Böse

5I Was Born By The River

6School Days

7It Hurts Me

8Gonna Be A Star

9Ogott Is God

10Water Bottles And Soda Cups

11Sweet Little Rock’n’Roller

12Concerto In B. Goode

13Scarborough Fair

14Red River Rock

15Two Great Guitars

16Mr. Bass Man

17Too Much Monkey Business

18The Beat Goes On

19Wolfie B. Goode

20The Organ Grinder Swing

21Brown Eyed Handsome Man

22Oh What A Thrill

23Glad All Over

24Needles And Pins

25Towers Of Power

26Little Queenie

27Black Velvet

28Let’s Have A Party

29Honky Tonk Woman

30In Bed With Madonna

31Demon Alcohol

32Hold On, I’m Comin’

33Beam Me Up, Scotty

34Hang ’Em High

35Now What?!

36Come Taste The Band

37Stoke In The Water

38Ha Ha Said The Clown

39Shop Around

40Band Of Gold

41Sign In Stranger

42The Royal Scam

43Haitian Divorce

44House Of The Rising Sun

45Money – The Dark Side Of The Moon

46We Will Rock You

47Evil Ways

48Baby, What A Big Surprise

49Another Rainy Day in Frankfort City

50Abracadabra

51Black Cars Look Better In The Shade

52I Love Rock’n’Roll

53Les Freaks

54Smoke From A Distant Fire

55Pop Muzik

56Money For Nothing

57Schade, schade, schade

58I Want A New Drug

59Right Place, Wrong Time

60Monsters Of Schmock

61Hard Rock Café

62Throwing Shapes

63The Final Countdown

64Video Killed The Radio Star

65The King Of The Blues

66Will It Go Round In Circles

67Daydream

68Alexander’s Ragtime Band

69Peter Gunn

70Riot In Cell Block Number Nine

71Wettenberg On My Mind

72Play That Funky Music

73Word Up!

74Let’s Have A Good Time

75It’s All Over Now Baby Blue

Epilog

Danke

Vorwort

Dies ist die Geschichte des wichtigsten Teils meines Lebens. Ich habe sie aus dem Gedächtnis erzählt. Sie ist eine nicht immer bierernste Dokumentation meiner musikalischen Erlebnisse von den sechziger Jahren bis zum Ende des vorigen Jahrtausends. Ich hoffe, damit Musiker und Musikinteressierte zu erreichen, die mehr über die Geschichte und Entwicklung der Rockmusik im Rhein-Main Gebiet erfahren möchten.

Es ist die subjektive Beschreibung der Ereignisse aus meiner Sicht, wie ich sie erlebt habe. Sollte sich jemand auf den Schlips getreten fühlen, so bitte ich zu bedenken, dass es immer verschiedene Sichtweisen auf die Dinge gibt. Es war aber niemals meine Absicht, jemanden zu verletzen oder gar zu beleidigen.

Die Erlebnisse und Anekdoten sind alle so geschehen, nur einige wenige Protagonisten und Episoden wurden im Roman aus dramaturgischen Gründen hinzugefügt oder verfremdet.

1

Rodgau Melodies

Hungern mussten wir noch nicht, aber wenn es so weiter gehen würde wie bisher, war es nur noch eine Frage der Zeit. Schräg gegenüber dem Studio befand sich der Grieche Dionysos, bei dem wir früher oft gut und günstig gespeist hatten. Der war für uns jetzt so unerreichbar wie eine ferne Galaxie und wir ernährten uns von mitgebrachten Broten.

Das neue Rockpoint Studio hatte ich 1978 gemeinsam mit „Fisch“ einem Bassmenschen, im Frankfurter Stadtteil Bockenheim unter Blut, Schweiß und Tränen gebaut. Es fing langsam an zu laufen. Zumindest bildeten wir uns das ein, denn wir hatten bisher noch keinen einzigen Pfennig verdient. An zahlende Kundschaft war kurz nach der Eröffnung noch nicht zu denken. Wir vertrieben uns die Zeit mit Eigenproduktionen und warteten auf den Hit, der den Durchbruch bringen würde.

Einige Wochen zuvor war ich bei meiner Suche nach neuen Talenten auf eine Band gestoßen, die sich für Außenstehende etwas kryptisch Rodgau Monotones nannte. Die Besetzung bestand damals aus Peter „Osti“ Osterwold (Gesang), Albrecht „Ali“ Neander (Gitarre), Raimund Salg (Gitarre), Joachim „Joki“ Becker (Bass), Hendrik „Henni“ Nachtsheim (Saxofon und Gesang) und Jürgen „Mob“ Böttcher am Schlagzeug.

Auch wenn ich mir jetzt den Unmut der Rodgauer Ureinwohner einhandele, machte der Name durchaus Sinn. Denn die Landschaft um die Stadt Rodgau, irgendwo zwischen Hanau im Norden und Dieburg im Süden gelegen, strahlte eine durch keine störenden und den weiten Blick bis zum Horizont unterbrechenden Bergmassive eine in sich ruhende Gelassenheit aus. Sie erinnerte ein wenig an die norddeutsche Küstenlandschaft, nur ohne Küste und sehr viel kleiner. Ich werde den Teufel tun, das Wort „monoton“ zu verwenden. Aber nur so ist es zu erklären, dass den Kids gar nichts anderes übrig blieb, als durch möglichst laute Musik auf sich aufmerksam zu machen. Ansonsten wären sie wahrscheinlich Ackerbauern oder im ungünstigsten Fall Umweltbelaster bei Pharma Merck geworden. Dass sie sich für Ein Leben für Lärm entschieden hatten, war im Nachhinein betrachtet wohl die bessere Alternative.

Sie hatten das, was heute in der Marketingsprache als Alleinstellungsmerkmal bekannt ist. Außer ZZ Top-Titeln spielten sie, genauso heftig, Bearbeitungen von in der Rockszene überaus beliebten Liedern wie Café Oriental von Vico Torriani oder Drafi (brr…) Deutschers Marmor, Stein und Eisen bricht. Obwohl es ein im doppelten Wortsinn Deutscher Titel war, zeugte schon der Grammatikfehler – richtig musste es heißen „… und Eisen brechen“ – vom unterirdischen Niveau der germanischen Schlagerkultur. Der Einzige, der dabei bricht, ist der Deutschlehrer des Textverbrechers.

Bei diesen Nummern hatten die Rodgaus das oberste zuunterst gekehrt und zu sturzkomischen Lachnummern „veräpplert“. Café Oriental mutierte bei ihnen zu einem endlos langen, monotonen Discofunk, einschließlich strategisch präzise eingesetzter „Uhh Uhh“-Chöre von imaginären Soulschnepfen. Ich fand es umwerfend, insbesondere da sich das noch keine andere Band im ganzen Land getraut hatte. Aber Sie waren im Grunde eine Partyband reinsten Wassers, was sie auch bis heute geblieben sind. Die lustigen Musikanten kamen ins Studio und wir begannen mit den Aufnahmen. Mit den Basic Tracks ging es zügig voran. Bald hatten wir genug Rohmaterial aufgenommen, um eine LP zu füllen.

Mit dem Tonband wagte ich mich durch die Vermittlung von Gerd Freymann – einem Offenbacher Schlagzeuger, der beim Hessischen Rundfunk als freiberuflicher Teilzeitmoderator tätig war – im Februar 1979 zu einem Termin mit dem hauptberuflichen HR-Moderator Jörg Eckrich. Er war für die Rocksparte des Senders zuständig und nahm sich viel Zeit, um mit mir alle Titel der geplanten LP durchzuhören.

Davon ziemlich begeistert, schlug er vor, die Woche darauf ein Rodgau Monotones Live-Special mit Interview der Künstler, Einspielern und allem Furz und Feuerstein zu senden. Ich glaubte mich verhört zu haben, als er dafür eine volle Stunde Sendezeit ansetzte. Die Titel wurden neu abgemischt und das 38er Masterband von mir persönlich zum Hessischen Rundfunk in die Bertramstraße gebracht. Die Sendung lief dann pünktlich am nächsten Freitag im Abendprogramm.

Ich hatte es geschafft, die Band in kürzester Zeit aus dem Proberaum in den Rundfunk zu bringen. So etwas tat nach all den Rückschlägen, von denen ich noch berichten werde, meiner Seele gut. Ich war ein wenig stolz auf mich.

Geschichte wiederholt sich bekanntlich. Mit der HR-Sendung im Hintergrund machte ich trotz einer früheren deprimierenden Erfahrung zum zweiten Mal einen Termin mit dem CBS-Manager Jochen Leuschner aus, der dort für Artists & Repertoire (A&R) zuständig war. Ich weiß nicht, woher ich diesen Mut nahm, hatte ich mir doch geschworen, Herrn Leuschner niemals mehr auch nur mit dem Hintern anzusehen. Mir wurde zugetragen, dass er bereits über das Buschtelefon viel Gutes über die Band gehört hatte. Das ebnete den Weg in die Heiligen CBS-Hallen ganz ungemein. Und dieses Mal schien mir das Glück hold zu sein. Er hörte sich ausführlich die Rodgauer Demokassette an und sagte nur: „Will ich haben!“

Dann bat er mich, ihn baldmöglichst über einen Live-Auftritt der Band zu informieren und entließ mich, völlig unerwartet, in bester Laune.

Ich schwebte auf Wolken. CBS! Endlich Nägel mit Köppen. Jetzt ging’s richtig los!

2

Don’t Call Us, We Call You

Bald nach diesem denkwürdigen Ereignis sollten die Flachlandbuben in der Mensa der Darmstädter Uni auftreten. Sie waren der Opener für Alvin Lee mit seiner Band Ten Years Later. Ich war gespannt, denn JL würde persönlich anwesend sein.

Ziemlich nervös briefte ich vor dem Gig die Band zunächst ausschließlich die Titel von der Demokassette zu spielen, und zwar einen nach dem anderen. Die kannte JL schon, und ich wollte ihm beweisen, wie gut die Rodgauer live waren. Danach, so versicherte ich ihnen, könnten sie spielen was sie wollten.

Gott Leuschner schwebte, sogar pünktlich, mit seiner Entourage ein und erwartete interessiert die Performance. Die Jungs kletterten auf das Podest und stöpselten ihre Klampfen in die Marshalls.

Was wir dann zu hören bekamen, entsprach leider in keiner Weise unseren Erwartungen. Ein ZZ Top-Titel röhrte aus den Boxen, als wollte die Band bei einem Coverband-Wettbewerb den ersten Preis gewinnen. Beim Publikum kam das gut an; aber Herr Leuschner schaute etwas irritiert aus der Wäsche. Der zweite Titel, wohl durch den Applaus animiert, war ein weiterer Hit der Bärte. JL wirkte etwas indigniert, erhob sich dann im Verlauf der Darbietung und verließ nach knapper Verabschiedung kommentarlos den Saal. Ich saß noch einige Zeit wie betäubt auf meinem Stuhl und konnte keinen klaren Gedanken fassen. Dabei nahm ich kaum noch wahr, dass der Vorgruppenjob der Band erledigt war und Alvin Lee sein Programm begonnen hatte. Für mich war sein endloses Gitarrengedudel kaum auszuhalten. Fluchtartig verließ ich diesen Ort des Grauens.

Wenige Tage später kam ein Brief, Absender CBS. Nichts Gutes ahnend öffnete ich ihn und las die Worte:

„… muss ich Ihnen leider mitteilen, dass die Gruppe Rodgau Monotones nach meiner Überzeugung noch nicht reif genug ist, ihre eigenen Titel überzeugend zu präsentieren. Wir wünschen Ihnen für die Zukunft… blah, blah, blah… Mit freundlichen Grüßen Jochen Leuschner, A&R (Nach Diktat verreist).“

Diesen Satz hatte er wahrscheinlich seiner grellrot nagellackierten Sekreteuse nicht wirklich diktiert. Sie hatte ihn bestimmt schon hundertmal geschrieben und kannte ihn auswendig. „Nach Diktat verreist” ist bei einer Absage branchenüblich und bedeutet: „Ruf mich bloß nicht an, ich bin längere Zeit ganz weit weg und für niemanden zu sprechen, ganz besonders nicht für dich, du Vollpfosten!“

Ihn anzurufen hatte ich sowieso nicht vor. Erstmal kühlte ich meine Wunden mit Dr. Henningers Hopfentropfen.

3

Das kann doch nicht wahr sein

Nach einigen Tagen Trübsalblasen, Hopfentrost, Trübsalblasen und wieder Hopfentrost war auch dieser Ärger verraucht. Ich versuchte mich wieder auf das Tagesgeschäft zu konzentrieren.

Zuvor hatte ich in bierernsten Gesprächen versucht, den Rodgau Monotones klarzumachen, dass sie mit ihrem undisziplinierten Verhalten in Darmstadt ganz allein für die Pleite verantwortlich gewesen waren. Aber die Saubande zeigte keinerlei Einsicht und bezeichnete den CBS-Macker als inkompetentes, ignorantes und von nichts Ahnung habendes Individuum.

Die logischen Konsequenz, jetzt mit viel Glück nur noch bei einer B bis C Company unterzukommen, taten sie mit einem Schulterzucken ab. Die unernsthafte Einstellung zum Thema Professionalität im harten Plattenbusiness schien eine Grundhaltung der Band zu sein. Sie waren letztendlich geniale Chaoten. Spaß bedeutete alles, Geschäft nichts. Ein gewisses Verständnis dafür hatte ich schon, aber entweder wollte man seine Tonschöpfungen auf schwarzen Scheiben unters Volk bringen, oder eben nicht. Natürlich wollten sie, aber bitte schön ohne Risiken und Nebenwirkungen. Aber es ist im Musikgeschäft genauso wie in der Apotheke. Ohne unerwünschte Nebenwirkungen funktioniert keine Medizin.

Ich bot darauf die Band auf irgendeine dumme Empfehlung hin der Frankfurter Plattenfirma Bellaphon an. Sie wurde unter Musikern im internen Sprachgebrauch meistens Bellaflop genannt. Warum wohl? Ich hätte darüber etwas nachdenken sollen. Über sie ging die Fama um: „Die nehmen einfach alles“. Wohl etwas übertrieben, aber in unserem Fall tatsächlich zutreffend. Den Termin beim A&R bekam ich auf einen Anruf hin sofort zugesagt, mit der Möglichkeit zu erscheinen, wann immer es mir passte. Eigentlich ein schlechtes Zeichen, machte sich diese Spezies doch immer wichtiger als sie war, auch wenn sie sich in Wahrheit vor Langeweile die Zeit mit Papierkügelchenwerfen in die Ablage „Rund“ vertrieb.

An besagtem Tag fand ich mich in einem engen, unaufgeräumten Büro wieder, an dessen Wänden etliche Goldene Schallplatten hingen. Ich war schwer beeindruckt. Erst bei näherem Hinsehen las ich überall den Aufdruck Die Flippers. Damit verdienten sie also die Wurst auf ihre Brötchen! Meine Achtung wich schlagartig einer herben Enttäuschung, da sich meine Begeisterung für diese Rentnerschunkelmusik doch in Grenzen hielt. Und zwar in solch engen, dass ich eher das in Guantanamo so beliebte Waterboarding ertragen hätte, als mir diese Hardcore-Volksmusik anzuhören. Aber das war jetzt Wurscht. Geschäft ist Geschäft!

Der A&R entpuppte sich dann als blasse, etwas zur Fülligkeit neigende Gestalt mit Rotzbremse. Er war für das deutschsprachige Liedgut zuständig und betreute, wie er mir voller Stolz berichtete, eben diese Flippers.

Was ich ihm verkaufen wollte, war purer ROCK – und der hatte mit den Flippers so wenig zu tun wie mit der berühmten Kuh auf dem Himalaya. Egal. Dieser Mensch konnte, da er in der deutschen Schlagerwelt zu Hause war, nur mit dem Titel Marmor Stein und Eisen bricht etwas anfangen und war sofort bereit, ihn als Single herauszubringen. Auf die B-Seite sollte dann ein eigenes Werk der Rodgau Monotones mit dem Titel Das kann doch nicht wahr sein kommen. Dieser Song sollte sich später als selbsterfüllende Prophezeiung herausstellen.

Bei der Gestaltung des Plattencovers, für das ich bereits eine Idee hatte, stellte Schnauz reichlich übertriebene Forderungen. Es genügte ihm nicht, ein Kleinbilddia als Vorlage zu verwenden. Nein, es musste mindestens das 6x6 Zentimeter Mittelformat sein. Zum ersten Mal schimmerte seine gnadenlose Sturköpfigkeit durch.

Da ich bereits seit über zwanzig Jahren ambitioniert fotografierte, wusste ich genau, dass ein Kleinbilddia für das Singlecover völlig ausgereicht hätte. Für relativ viel Geld lieh ich mir daher eine Rolleiflex Kamera und wir machten die Aufnahmen vor dem Ortsschild von Rembrücken. Immer authentisch sein war die Devise. Das Originalschild hatte ich mit gelber Pappe abgedeckt, auf die mit Sprayerschrift Rodgau Monotones gesprüht war. Dieses Coverfoto fraß der A&R erstaunlicherweise kritiklos. Da ich kurzzeitig außer Haus beschäftigt war, musste mein Co-Studiobetreiber von dem noch später die Rede sein wird, die Endabmischung vornehmen.

Unser Tonknecht hatte mittlerweile soundtechnisch einiges dazugelernt und schlug deshalb vor, alles neu aufzunehmen. Wie befürchtet, hatte der Schnäuzer aber ganz eigene Vorstellungen davon wie der Job am besten zu erledigen war. Um einen von seinen bisherigen Flippers-Produktionen gewohnten Disco Sound hinzubekommen, forderte er zum Beispiel eine durchlaufende elektronische Bassdrum. Die Herren Künstler verlangten hingegen die Verwendung der im Rockpoint-Gewölbekeller eingespielten Urversion von Marmor, Stein usw.

Sie setzten sich natürlich durch. Der verzweifelte Reglerschieber startete den sinnlosen Versuch zu retten, was eigentlich kaum noch zu retten war.

4

Jenseits von Gut und Böse

Die Endabmischung der Single mit dem Schnulzen-Produzenten entwickelte sich wie erwartet dann auch zur mittleren Katastrophe, da er mit seinem Flippers Sound im Hinterkopf weitere blödsinnige Klangkorrekturen verlangte. Sein beliebtester Spruch war: „Mach mal die Bassdrum lauter“!

Trotz unserer Bedenken und einem Sound, bei dem jedem echten Rocker die Zehennägel aufgerollt wären, wurde die Single schließlich mit dem Segen aller fertiggestellt.

Nach ihrer Veröffentlichung gab es ein gemeinsames Konzert mit den Powerkids und Flinkfinger Alvin Lee. Ich hatte ihn noch aus CBS Leuschners Zeiten in sehr mäßiger Erinnerung, aber der auf dem legendären Woodstock Festival noch als Genie gefeierte war viele Jahre später halt nur noch einer unter vielen.

Er war lustigerweise auch irgendwie mit Bellaphon verbandelt, was nicht gerade für ihn sprach. Die Rodgauer traten anlässlich der Jahresfeier der Plattenfirma im Keller der Burgruine Dreieichenhain auf. Mein Avatar war zwar eingeladen, aber offenbar zur Persona non grata erklärt worden und am Tisch der Band plötzlich unerwünscht. Schnauz und die Rodgauer waren dagegen ein Herz und eine Seele.

Auf einmal schienen sie ihren Geschäftssinn entdeckt zu haben. Aber leider nur bei der Nase, die sie im Studio beinahe zum Wahnsinn getrieben hatte. Dennoch: Wes Brot ich ess …

Bei der Latenight-Session der Band zusammen mit Ten Years Later spielte Raimund, der monotone Slide-Guru, Alvin glatt an die Wand. Das alles geschah im Herbst 1980.

Nachdem die Buben aus ihrem Single-Release Delirium erwacht waren stellten sie fest, dass mit einigem Abstand gehört die Aufnahme doch nicht so prickelnd klang, wie sie sie in Erinnerung hatten. Man suchte einen Schuldigen und fand ihn auch. Plötzlich wurde unser Mischpultzauberer beschuldigt, dem Presswerk einen anderen Mix untergeschoben zu haben. Das war natürlich völliger Blödsinn. Auf diese Schnapsidee war vermutlich der Pseudoproduzent gekommen, um jemand anderem die Schuld in die Schuhe zu schieben, nachdem sich die Geschäftsleitung das Machwerk angehört und ihn zur Sau gemacht hatte. Mann, da hatte ich aber Glück gehabt, nicht an diesem desaströsen Vorgang beteiligt gewesen zu sein.

Die Platte verkaufte sich übrigens dank den gewaltigen Bellaphon PR-Anstrengungen nur sehr mäßig – zumindest laut der nicht überprüfbaren Abrechnung – und mit Sicherheit ausschließlich an die mittlerweile beträchtliche Fangemeinde.

Schon während der Aufnahmen der Basic Tracks für die Single hatte ich mich trotz größter Kompromissbereitschaft immer weniger imstande gesehen, weiter mit der Band zusammenzuarbeiten. Wir hatten uns bis dahin immer gut verstanden und ich hatte einen nicht unerheblichen Beitrag zu ihrem Karrierestart geleistet, aber als Konsequenz musste man sich halt mit dem Backen von wesentlich kleineren Brötchen begnügen.

Nach dem Flop der Single gab es reichlich Nörgeleien. Nichts konnte man den Rodgauern mehr recht machen. Es stellte sich heraus, dass es in der Band eine ziemlich einseitige Machtverteilung gab. Der größere Teil der Musiker war umgänglich und zu Kompromissen bereit, aber es gibt immer jemanden, der sich zum Oberkritiker berufen fühlt und nur seine Meinung gelten lässt.

Heute ist das alles Geschichte. Aber damals war ich schon etwas enttäuscht, dass meine ganze Arbeit einfach unter den Tisch gekehrt wurde. Nach der Bellaphon-Affäre war ich immerhin noch gut genug, um den Deal für ihre erste LP, über die ich später noch berichten werde, bei der kleinen Plattenfirma Rockport Records einzufädeln. Die darauffolgenden drei LPs erschienen ebenfalls bei diesem Label. So unsinnig konnte mein Engagement also doch nicht gewesen sein.

Ein wenig Anerkennung wäre durchaus angebracht gewesen. Ich war damals sehr stolz auf meine Provinzrocker. Erwarten durfte ich wohl nicht, dass dies überhaupt von der Band bemerkt wurde. Ein wenig schmerzt so etwas schon, but that’s life …

Die schräge Story, wie es dann doch noch zur Produktion ihrer ersten LP kam, erzähle ich später.

5

I Was Born By The River

Um besser zu verstehen, wie ich auf merkwürdig verschlungenen Wegen zur Musik gekommen bin, muss ich euch, meine hoffentlich geneigten Leser, auf eine etwas längere Zeitreise in die Vergangenheit mitnehmen. Begeben wir uns in das Frankfurt direkt nach dem Krieg, genauer gesagt in den östlichen Vorort Fechenheim.

Neumann – ein urdeutscher Allerweltsname. So hießen meine Eltern, und sie gaben mir passend dazu den etwas schnarchigen Allerweltsvornamen Alfred. Das war, ohne böse Absicht zu unterstellen, voll ein Griff ins Klo, denn ich hatte eine gefühlte Ewigkeit unter diesem Namen zu leiden. Genau genommen begann das Elend in meinem fünfzehnten Lebensjahr, das ich mit sehr gemischten Gefühlen in einer Offenbacher Realschule verbrachte.

Doch zunächst einmal alles auf null zurückspulen und die Play-Taste erneut drücken …

Als ein Frankfurter mit Migrationshintergrund wurde ich – ich geb’s ja nicht gern zu – in Offenbach am Main geboren. Es ist aber allgemein bekannt, dass der gemeine Offenbacher nur ein in der falschen Stadt geborener Frankfurter ist so wie die von einer Katze im Fischladen geborenen Jungen ja auch keine Fische sind.

Es war im Sommer 1946, kurz nachdem keine Bomben, Querschläger und andere unangenehme Dinge mehr um mein Elternhaus flogen. In Offenbach verbrachte ich die ersten Tage meines Lebens in der heute nicht mehr existierenden Klinik in der Kaiserstraße. Diese paar Tage reichten aber aus, um später Offenbach am Main als meinen Geburtsort für alle Zeiten in sämtliche Personalausweise und Reisepässe einzubrennen. Shit happens! Für einen echten Frankfurter der Supergau. Für Aliens, also für alle nicht auf dem Planet Frankfurt Geborenen, ist zum besseren Verständnis wichtig zu wissen, dass zwischen der Großstadt Frankfurt am Main und der kleinen Stiefschwester Offenbach seit ewigen Zeiten eine nicht ganz ernst zu nehmende Hassliebe herrscht.

Wir wohnten hibbdebach, was auf hochdeutsch diesseits des Flusses bedeutet (also auf der guten Seite des Mains) im idyllischen Frankfurter Industrievorort Fechenheim. Damit hatte ich noch Glück, denn das Haus stand in der Nähe des von allen Frankfurtern innig geliebten Flusses inmitten von Wiesen und Feldern. Dieses Glück wurde nur durch den weniger erfreulichen Anblick von Offenbach getrübt, das jenseits des Mains auf der anderen Seite, dribbdebach, lag. Wobei man dem Anblick des Offenbacher Vorortes Bürgel mit dem idyllischen, träge vor sich hin fließenden Strom und den Trauerweiden am Ufer eine gewisse Melancholie nicht absprechen konnte.

Hätte ich damals geahnt, dass ich einmal mit Hilfe der zufälligerweise am Ende unserer Straße befindlichen Personenfähre auf der anderen Seite eine Offenbacher Schule besuchen würde, hätte ich mich womöglich in den Main gestürzt oder wäre zumindest nach Neuseeland ausgewandert.

So verbrachte ich eine glückliche Kindheit mit Spielen, Kartoffelfeuern auf dem Acker, im Winter Schlittenfahren in den Fechenheimer Alpen und zusammen mit Charly – Friede seiner Asche – beim gelegentlichen Sprengen von alten Wehrgängen.

Diese Wehrgänge waren auf den umliegenden Feldern vom erst kürzlich beendeten Krieg übrig geblieben. Nähere Details und technische Anleitungen möchte ich mit Rücksicht auf den damaligen Drogisten meines Vertrauens nicht näher ausführen. Würde heutzutage jemand in einer Drogerie nach 350 Gramm Dingsbums, 50 Gramm Bumsdings und 80 Gramm Bums fragen, dann würde die GSG 9 umgehend auf der Matte stehen und den vermeintlichen Taliban plattmachen.

So tappten wir Mini-Terroristen in spe wie immer völlig arglos in unsere Stammdrogerie, da der Stoff damals noch völlig problemlos im freien Handel erhältlich war. Der Weißkittel wog die Bestellung ab, reichte uns die Tüten und schickte feixend den Ratschlag hinterher: „Ts, ts, ts, Kinner, machd mer bloß kaan Blödsinn …“

Wir ignorierten dies einfach und machten natürlich Blödsinn. Deswegen in diesem Zusammenhang die übliche Warnung: Bitte liebe Kinder, nicht nachmachen! Obwohl es eh schwierig sein dürfte, heute noch alte Wehrgänge zu finden.

Besagter Charly hatte außer einigen ziemlich abgefahrenen Marotten, auf die ich aus Pietätsgründen nicht näher eingehen möchte, als engagierter Fotoamateur auch ein Fotolabor. Dieses sinnvolle Hobby sollte sich in den folgenden Jahren noch als sehr nützlich erweisen, da Charly meinen Lebensweg zu einem guten Stück als Haus- und Hofknipsograf begleitete. Ohne ihn hätte ich diese Geschichte womöglich gar nicht geschrieben, denn seine unzähligen Bilder waren es, die mir die Erinnerung an längst vergangene Zeiten wieder zurückbrachten.

6

School Days

Nach meiner Grundschulzeit, während der mein Vater viel zu früh verstarb, beschloss meine Mutter mich leider wieder dahin zu schicken, woher ich ursprünglich gekommen war – nach Offenbach. Und zwar auf eine Realschule, die Wilhelmschule, wie sie sich damals nach dem fragwürdigen Kaiser Willem Zwo in schöner Tradition noch nannte.

Einige Jahre zuvor hatte ich von Heinrich, meinem Großvater mütterlicherseits, ein Klavier! ein Klavier! geerbt. Der berühmten Loriot-Sketch lief, als die zwei Möbelpacker das Trumm schwitzend durch das enge Treppenhaus in den zweiten Stock des Altbaus wuchteten, noch bevor es Farbfernsehen gab bei uns live und in Farbe ab.

Ein verständnisvoller Mitschüler weihte mich kurz darauf in die grundlegenden Geheimnisse der schwarzen und weißen Tasten ein. Das erste, was ich darauf zustande brachte, war der bekannte Flohwalzer. Es war ganz einfach, da man fast nur die schwarzen Tasten drücken musste. Dumm war nur, dass sie leider von dem scheinbar systemfreien chaotischen Durcheinander ihrer weißen Schwestern umgeben waren. Das machte die Sache dann doch schwieriger als zunächst erwartet.

Zum Grauen unserer Mitmieter versuchte ich dennoch verbissen dem Klangmöbel einigermaßen erkennbare Tonfolgen zu entlocken. Das klappte zu meinem Erstaunen von Mal zu Mal besser. Wahrscheinlich hatte mir einer meiner musikalischen Vorfahren ein Quantum Talent in die Wiege gelegt, was für die verzweifelten Nachbarn ein Quantum Trost bedeutete. Einen Klavierlehrer konnten wir uns nicht leisten. Ich weiß aber nicht, ob das wirklich von Nachteil war, da schon viele frustrierte Klavierschüler aufgrund des ständigen Übungszwangs bald das Handtuch geworfen hatten. Ich hingegen machte dies alles freiwillig, wobei sich mein Fingersatz äußerst fragwürdig entwickelte, das Musikgehör und -gefühl dafür umso besser. Die dadurch nicht zu überwindende Geschwindigkeitsbeschränkung meines Spiels brachte mir später den von einem Oberkomiker verliehenen Titel „Slowhand“ ein. Da aber schon Eric Clapton damit berühmt geworden war, konnte es nichts Schlechtes gewesen sein.

Mein Talentvererber war vermutlich dieser Opa Heini – ich lernte ihn leider nie kennen – der früher in Fechenheim ein florierendes Unternehmen in der Gastronomiebranche betrieben hatte. Er war ein Kneipenwirt. Laut Muttererzählung setzte er sich zwecks Umsatzförderung oft ans Piano und unterhielt die Gäste mit damals sehr beliebten Salon-stückchen wie Heinzelmännchens Wachtparade.

Allerputzigst! Er war sozusagen die deutsche Ausgabe der schwarzen Boogiepianisten, die in den Saloons von El Paso versuchten, mit ihrem Geklimper die Cowboys von Gunfights abzuhalten und sie stattdessen in den ersten Stock zu den gebührenpflichtigen Damen zu locken.

Heinis Job war praktisch der gleiche, nur ohne Boogie, ohne Cowboys und ohne Damen. Dennoch soll er recht erfolgreich gewesen sein, denn von Schießereien in seiner Schänke ist nichts überliefert.

Genau diese verräucherte und von verschüttetem Ebbelwoi versiffte Drahtkommode war es, die mein Schicksal werden sollte. Etwas Musiktheorie und das Abhören zeitgenössischer Songs, damals noch von Vinylplatten, die ich mit einem Philips-Plastikplattenspieler übers Radio abspielte, halfen immens. Parallelen zu den schwarzen Blues- und Boogiepianisten wie „Jelly Roll“ Morton oder Meade „Lux“ Lewis aus den amerikanischen Südstaaten waren schwach zu erahnen. Obwohl meine Hautfarbe wesentlich blasser ausgefallen war, schaffte ich es, mir Stücke wie den Ragtime The Entertainer von Scott Joplin einigermaßen anzueignen. Und aus rein nostalgischem Andenken an Opa auch Heinzelmännchens Wachtparade.

Von diesem bescheidenen Erfolg beflügelt, packte mich der Ehrgeiz. Dem Jazz nicht abgeneigt, suchte ich nach einem weiteren, leichter zu erlernenden Instrument. Dabei erlag ich der irrigen Annahme, eines mit weniger Tasten als ein Klavier wäre auch einfacher in der Bedienung. Da gab es eine ganze Menge, die infrage kamen. Vor allem eines mit nur drei Tasten stach mir ins Auge.

Die darauffolgende kurze Liaison mit einer Trompete wurde leider nicht vom gewünschten Erfolg gekrönt. Es war ein durchaus vielversprechendes Angebot des verzweifelt um Nachwuchs kämpfenden Posaunenchors der Melanchthon-Gemeinde: kostenloses Instrument und kostenloser Unterricht. Ich marschierte kurzerhand in das Pfarrhaus und stellte mich, ganz selbstbewusst, dem ersten Trompeter der Jerichobläser vor.

„Ich hab gehört, ihr braucht noch Verstärkung in euerer Blechgrupp. Da tät ich gern aushelfe, des heißt natürlich erst, wenn ich e bissje was kann. Ich hab schon Erfahrung mit dem Klavier, bin also kein bludische Anfänger.“

Der Obermacker sah mich schräg von der Seite an und knurrte: „Des wollen wir erst einmal sehe, e Blasinstrument geht ganz annersder wie e Tasteinstrument. Was willsde eigendlich lieber lerne, Trompet oder Posaun?“