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Inhalt

Inhalt

Vorwort

Psalm 73 – eine Herausforderung

Die Jahreslosung – ein Motto für das Jahr

Der Psalter – ein Gebetbuch für das Leben

Ein erster Brief an Asaf: das traditionelle Bekenntnis

Ein zweiter Brief an Asaf: die krisenhafte Anfechtung

Ein dritter Brief an Asaf: die erlösende Wende

Ein vierter Brief an Asaf: die vertrauensvolle Gewissheit

Ein altes Buch – und Gottes Wort durch die Zeiten

Nähe Gottes – persönlich erlebt

»Das ist meine Freude …« Gotteslob von Jung und Alt

»… dass ich mich zu Gott halte« Zuversicht im Leben und Sterben

»Dennoch bleibe ich stets an dir …« Eine Christin in der DDR

»Gott ist der Fels meines Herzens …« Eine Ordensschwester im Hospiz

»Nichts kann uns trennen …« Ein Bibelvers für mich

Gottes Wohnung – bei den Menschen

Der Makler und seine Glaubens-Häuser

Überraschender Besuch

»Jesus in My House«

Die Sicht eines Rabbis

Mit Christus auf dem Weg

Nicht mehr Fremdlinge, sondern Gottes Hausgenossen

Der nahe Gott – wirklich mein Glück

»Pass auf, kleines Auge …« Der bedrohlich nahe Gott

»So bist du auch da …« Der grenzenlos nahe Gott

Ein letzter Brief an Asaf: die beglückende Nähe

Anmerkungen

Weitere Literatur

Vorwort

Liebe Leserin, lieber Leser!

Lichtbeschienenes Hoffnungsgrün im Hintergrund. Eine Tulpenknospe.

Sie ist geschlossen – aber nicht ganz: Die Spitzen lösen sich schon leicht.

Blätter umschirmen die Knospe – aber nicht ganz: Da ist eine Öffnung.

Licht: zum Wachsen. Zum Farbegewinnen. Zum Aufblühen.

Dieses Foto auf dem Cover ist für mich ein Sinn-Bild für die Jahreslosung 2014: Gott nahe zu sein ist mein Glück! Nähe Gottes – sie bedeutet Hoffnung. Geborgen sein und zugleich Freiheit spüren. Beschützt werden, aber sich entfalten dürfen. Lebendig sein und kraftvoll aufbrechen. Nähe Gottes ist (m)ein Glück.

Es ist ein interessantes Wort aus einem zentralen Psalm, das Christinnen und Christen im Jahr 2014 begleiten soll. Und ich fand es spannend, mich damit zu beschäftigen.

Ich habe mir zum Beispiel vorgestellt, ich könnte die Jahrtausende »überspringen«, und habe dem Psalmdichter Asaf fünf Briefe geschrieben. So bin ich mit ihm ins »Gespräch« gekommen über den Weg, den er in Psalm 73 beschreibt – vom Bekenntnis zum guten Gott über seine tiefe Glaubenskrise bis hin zur neuen Gewissheit: Gott nahe zu sein ist mein Glück!

Ich habe auch gefragt: Wie erleben andere Menschen die Nähe Gottes – zum Beispiel eine Ordensschwester im Hospiz, ein jüdischer Rabbi oder die Sängerin Judy Bailey. Und wie ich selbst? Gern erzähle ich auch ein wenig von mir persönlich und meinem Weg mit Gott.

Spielerisch habe ich überlegt: Wie wäre das eigentlich, wenn wir uns und Gott ein »Glaubens-Haus« bauen würden oder wenn Gott überraschend in unser »Lebenshaus« zu Besuch käme? Oder: Wie geht es Menschen, die sich draußen fühlen, außerhalb von Gottes »Haus«? Und was bedeutet es, dass wir Gottes »Hausgenossen« sein dürfen? Auch über eine bedrohliche, Angst machende Nähe Gottes habe ich nachgedacht.

Verschiedene Zugänge, unterschiedliche Texte. Aber immer der Wunsch, dass auch Sie Freude gewinnen an diesem wunderbaren Psalmwort und es mit Ihnen geht – nicht nur in diesem Jahr: Gottes Nähe – wirklich ein Glück!

IHRE

ANDREA SCHNEIDER

Psalm 73 – eine Herausforderung

Die Jahreslosung – ein Motto für das Jahr

Spätestens seit Anfang dieses Jahres hängt sie in unzähligen Wohnzimmern und Kirchen, Gemeindehäusern und Krankenzimmern. Sie prangt auf Kalenderblättern, Kerzen und Kaffeetassen – mal klassisch gestaltet, mal modern. Sie wurde in den meisten Kirchengemeinden gepredigt und in manch einem Hauskreis besprochen. Sie wurde vertont und dann vielleicht sogar gesungen. Sie wurde auswendig gelernt und leider vielleicht hier und da auch schon wieder vergessen – die Jahreslosung: Gott nahe zu sein ist mein Glück. Wie kam es zu dieser Losung für das Jahr 2014?

Anders als die in aller Welt verbreiteten Herrnhuter Losungen für jeden Tag des Jahres, die seit 1731 ununterbrochen von der Herrnhuter Brüdergemeine herausgegeben werden, wird die Jahreslosung nicht buchstäblich »gelost«. Für sie ist nur die zweite Bedeutungsrichtung des Wortes »Losung« zutreffend: Dieses Bibelwort soll ein Leitwort, ein Motto für das Jahr sein.

Die Geschichte der Jahreslosung ist auch längst nicht so alt wie die der Herrnhuter Losungen:

In der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg entwickelte zuerst der »Reichsverband der Evangelischen Jungmännerverbünde in Deutschland«, der heutige CVJM, erste Bibellesepläne, später dann gemeinsam mit dem Verband der evangelischen weiblichen Jugend und einigen Diakonissenhäusern. Ziel war, das Bibellesen besonders in der jungen Generation zu fördern.

Und aus den in den jährlichen Bibelleseplänen vorgeschlagenen Texten wurden dann Monatssprüche und Jahreslosungen ausgewählt, zum ersten Mal 1930. Ab 1935 traten weitere evangelische Verbände und Kirchen dieser Arbeitsgemeinschaft bei, die sich jetzt »Textplanausschuss« nannte.

In der Zeit des Nationalsozialismus war diese Arbeit nicht nur missionarisch, sondern auch – unerwartet? – politisch: Die biblischen Leitworte wurden in vielen Zeitschriften abgedruckt und die Monatssprüche auch großformatig auf Plakaten veröffentlicht. Weil diese Plakate aus gelbem Papier waren, nannte man sie die »Gelben Monatssprüche«. Innerhalb kurzer Zeit erreichten sie eine Auflage von 500 000 Exemplaren und erregten Aufsehen in der Öffentlichkeit.

Das war ein großes Ärgernis für die Nationalsozialisten, die als Reaktion den »Braunen Spruch« mit NS-Parolen herausgaben. Und mit Berufung auf das »Gesetz zur Abwehr heimtückischer Angriffe gegen Partei und Staat« verbot die Reichsregierung schließlich die Plakate der Christen mit dem Monatsspruch. Ich finde es interessant, wie aufmerksam Bibelworte in bestimmten Zeiten wahrgenommen werden und wie politisch »fromme« Sprüche sein können …

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges formierte sich der Textplanausschuss neu. Mitglieder sind heute u.a. die Volksmissionarischen Ämter, die Evangelischen Bibelgesellschaften aus Deutschland, der Schweiz und Österreich, der Deutsche EC-Verband, die Vereinigung Evangelischer Freikirchen und das Katholische Bibelwerk Stuttgart. Seit 1970 heißt der Textplanausschuss »Ökumenische Arbeitsgemeinschaft für Bibellesen«, kurz ÖAB. Er verdient wirklich die Bezeichnung »ökumenisch«.

In der Zeit der Teilung Deutschlands gab es eine Ost- und eine West-Arbeitsgruppe der ÖAB, doch trotz Mauer trafen sich die Delegierten einmal im Jahr in Ostberlin zur Auswahlsitzung für die Jahreslosung – denn das Wort Gottes widersteht eben doch von Menschen gesetzten Grenzen … Wie wunderbar, dass diese Grenze überwunden und heute eine in jeder Hinsicht gemeinsame Arbeit wieder möglich ist!

Und so trafen sie sich also vom 14.-16. Februar 2011 zu ihrer jährlichen Sitzung in Berlin: die 24 Beauftragten der ÖAB-Mitglieder, dazu einige Berater und stimmberechtigte Jugenddelegierte. Der Auftrag: die Monatssprüche und besonders auch die Jahreslosung für 2014 festlegen.

Wieder einmal eine bunte ökumenische Runde ganz unterschiedlich geprägter Christinnen und Christen. Wieder einmal eine wichtige Aufgabe und eine spannende Sitzung: Welches Bibelwort wird am Ende dieser Sitzung stehen? Welches Motto am Anfang eines Jahres, das noch in weiter Zukunft liegt?

Jedes Mitglied der ÖAB darf zwei Vorschläge für die Jahreslosung einbringen. Dieses Bibelwort wiederum darf mindestens zehn Jahre lang weder als Monatsspruch noch als Jahreslosung vorgekommen sein und auch nicht der Sammlung der Wochensprüche entstammen.

Und dann geht das Gespräch los – zunächst in vier Gruppen. Auch der Kontext, dem ein Wort entnommen ist, spielt eine Rolle, denn es soll ja nicht zugehen wie in einem »Steinbruch«, dem beliebiges Material zu entnehmen ist. Dazu werden natürlich auch die Originalzitate auf Hebräisch bzw. Griechisch betrachtet. Am Ende muss sich jede der vier Gruppen auf zwei Vorschläge einigen.

Diese wiederum werden daraufhin im Plenum diskutiert. Sicherlich immer engagiert, vielleicht zuweilen auch heftig kontrovers: Welches Bibelwort kann ein Impuls sein für die breite Öffentlichkeit? Welches passt zu den Fragen der Zeit? Welche Übersetzung ist exegetisch richtig? Und welche verständlich?

Zum Schluss kommen dann zwei Vorschläge in die engere Wahl. Ziel ist ein von allen überzeugt mitgetragenes Ergebnis und ein Wort, das eben nicht nur in einer Diskussion errungen, sondern auch von Gott geschenkt ist.

Vor der letzten Runde wird eine Nacht darüber geschlafen und vor der endgültigen Wahl wird das Gespräch unterbrochen; es wird ein Lied gesungen, ein Gebet gesprochen und erst dann abgestimmt – so Wolfgang Baur, Vorsitzender der ÖAB und stellvertretender Direktor des katholischen Bibelwerks: »Wir denken schon, dass der Heilige Geist bei uns eine Rolle spielt – sozusagen die spirituelle Dimension der Demokratie.«

Keine schlechte Arbeitsweise! Sie spiegelt etwas davon wider, was schon zur Zeit der ersten Christen ein guter Weg war: sich eigene Gedanken machen und zugleich eine Wahl umbeten, darum bitten, dass Gottes Geist wirkt.

Und der Spruch, der dann gewählt wird, wird drei Jahre später die Jahreslosung. Für das Jahr 2014 ist das nun also – im Februar 2011 ausgesucht – Psalm 73,28: Gott nahe zu sein ist mein Glück.

Der Wortlaut dieser Jahreslosung entstammt der Einheitsübersetzung. Und er klingt überraschend. Ich jedenfalls habe dieses eigentlich bekannte Wort aus einem zentralen Psalm nicht gleich erkannt. In der Lutherübersetzung ist es sehr geläufig. Vers 28 aus Psalm 73 heißt da so: »Das ist meine Freude, dass ich mich zu Gott halte und meine Zuversicht setze auf den Herrn.«

Wolfgang Baur erzählte mir, dass die Diskussion dieses Mal besonders intensiv war: Klingt diese Übersetzung nicht zu ungewöhnlich? Das Bibelwort zu fremd? Aber schließlich fiel die Wahl doch auf die besonders in der katholischen Kirche gebräuchliche Einheitsübersetzung. Er begründet das so: »Dieser Satz aus der Einheitsübersetzung ist zwar sperrig, trifft aber die Kernaussage des Psalms exakter. In den letzten Jahren kamen die Losungen fast immer aus der Lutherbibel. Auch von daher ist es mal ganz schön, dass jetzt die ökumenische Übersetzung gewählt wurde.« Die Jahreslosung 2014 – also auch durch ihren Wortlaut ein schönes Zeichen für die Verbundenheit von Christen aus allen Konfessionen!

In der Einheitsübersetzung hat dieses Psalmwort übrigens eine Einleitung: Ich aber – Gott nahe zu sein ist mein Glück. Und sehr bewusst hatte sich nach langer Diskussion die Auswahlkommission zunächst dafür entschieden, das einleitende »Ich aber« nicht aus dem Vers wegzustreichen. Denn ohne diesen Vorsatz sei die Jahreslosung »einfach nur schön« – so die Begründung.

Ich finde, das stimmt: Dieses »Ich aber« deutet den heftigen Konflikt an, der Gegenstand des Psalms ist. Mit dem abschließenden »Gott nahe zu sein ist mein Glück« wird er aufgehoben in einer eben gerade nicht leicht dahingesagten Glaubenszuversicht. Das vorangestellte »Ich aber« verleiht der Rede vom Glück der Nähe Gottes persönliche Tiefe.

Nach der ersten Veröffentlichung der Jahreslosung gab es jedoch von vielen Seiten massiven Protest gegen diese etwas holprig klingende Einleitung, wie mir Wolfgang Baur sagte. Und so wurde – auch zu seinem Bedauern – erstmalig in der Geschichte der ÖAB diese Entscheidung in der nächsten Sitzung rückgängig gemacht. Die eigentlich schon festgelegte Jahreslosung wurde noch einmal verändert – und die Einleitung weggestrichen.

Das finde ich schade und zugleich spannend: Können wir die Provokation, das ungewöhnliche Holprig-Widerständige doch nicht ertragen? Wollen wir lieber ein »glattes« Wort, das »schön« auf eine Kaffeetasse passt?

Nein, das Wort Gottes ist nie glatt und nie nur schön. In keiner Übersetzung. Es will wirken und Konsequenzen haben – so wie zum Beispiel der »Gelbe Monatsspruch« damals in der Zeit des Dritten Reiches. Gerade auch in seiner Sperrigkeit will es uns erreichen. Es will mit uns gehen und uns begleiten in großen Lebensfragen und im kleinen Alltag – weit über dieses Jahr hinaus. Damit auch wir ab und zu sehr bewusst sagen: Ich aber – Gott nahe zu sein ist mein Glück!

Machen wir uns also auf den Weg, dieses Wort Gottes für uns zu entdecken! Auch wenn es auf manch einem Kalenderblatt, manch einer Kerze und manch einer Kaffeetasse »einfach nur schön« daherkommt …

Der Psalter – ein Gebetbuch für das Leben

Die Losung für das Jahr 2014 stammt aus einem Psalm, aus dem »Buch der Lobpreisungen«, wie der Psalter in jüdischer Tradition ehrenvoll genannt wird. Dabei meint Lobpreis nicht eine besondere, fröhliche Aktivität, wenn es einem mal so richtig rundum gut geht. Nein – Loben ist eine urmenschliche Äußerung, die das ganze Leben umfasst: »Loben ist die dem Menschen eigentümlichste Form des Existierens. Loben und nicht mehr Loben stehen einander gegenüber wie Leben und Tod«, so der Alttestamentler Gerhard von Rad.1

Wer sich mit allem, was ihn ausmacht – Leichtes und Schweres, Freude und Leid –, auf Gott bezieht und sich betend vor ihm ausspricht, der ist lebendig. So gesehen sind die Psalmen – nicht nur die Lob- und Dankpsalmen, sondern auch und gerade die Klagepsalmen – das vielleicht menschlichste Buch der Bibel. Eben: ein Gebetbuch für das Leben.

In der Vorrede zu seiner Psalmenübersetzung schreibt Martin Luther:

Ein menschliches Herz ist wie ein Schiff auf einem wilden Meere, welches die Sturmwinde von allen vier Himmelsrichtungen hin und her treiben: von hierher stößt Furcht und Sorge vor zukünftigem Unglück; von dorther fährt Gram und Traurigkeit über gegenwärtiges Übel; von da weht Hoffnung und Vermessenheit im Blick auf zukünftiges Glück; von dort bläst Sicherheit und Freude über gegenwärtigen Gütern.2

Ein treffendes Bild: Wie oft sind wir hin- und hergerissen zwischen Zuversicht und Sorge, Glück und Leid, Freude und Trauer. Wie oft schwanken unsere Meinungen, werden unsere Ziele umgeweht. Auch unser Glaube – oft wie ein Schiff im Sturm, auf Wellen des Zweifels. Getragen von Geborgenheit oder fast untergehend in Angst. »Solche Sturmwinde aber lehren mit Ernst reden und das Herz öffnen und es von Grund ausschütten« – so Martin Luther weiter. Das Herz öffnen und von Grund ausschütten – das ist möglich mithilfe der Psalmen, denn:

Was ist aber das meiste im Psalter anderes als solch ernstliches Reden in allerlei solchen Sturmwinden? Wo findet man feinere Worte von Freuden als in den Lob- oder den Dankpsalmen? Da siehst du allen Heiligen ins Herz wie in schöne Lustgärten … Wo findest du tiefere, von Klage und Jammer mehr erfüllte Worte der Traurigkeit als in den Klagepsalmen? Da siehst du abermals allen Heiligen ins Herz wie in den Tod, ja wie in die Hölle …

Ich finde es wunderbar, wie Martin Luther hier vor fast 500 Jahren die Bedeutung der Psalmen beschrieben hat: der Psalter als Gebetbuch für schöne und schwere Zeiten, bei ruhiger See und im Sturm des Lebens. Es gibt keine menschliche Erfahrung, die es nicht auch in den Psalmen gäbe. Und wenn es uns die Sprache verschlagen hat – vor Glück oder im Leid –, dann können wir in den Psalmen Worte finden, die unsere eigenen und zu einem sehr persönlichen Gebet werden:

Das Allerbeste ist, dass die Psalmisten diese Worte Gott gegenüber und mit Gott reden; denn das bewirkt, dass doppelter Ernst und zwiefältiges Leben in den Worten liegt. Denn wo man sonst Menschen gegenüber von solchen Dingen redet, geht es nicht so stark von Herzen, brennt, lebt und drängt nicht so sehr. Daher kommt’s auch, dass der Psalter aller Heiligen Büchlein ist und ein jeder, in welcher Lage er auch ist, Psalmen und Worte darin findet, die sich auf seine Lage reimen und so auf ihn passen, als wären sie nur um seinetwillen so geschrieben; er könnte sie auch selbst nicht besser verfassen oder erfinden noch sich bessere wünschen.

Durch die Psalmen »den Heiligen ins Herz sehen« – und alles wahr-nehmen, was so ein Herz voll, fröhlich oder traurig macht: Begeisterung und Lebenslust. Zorn und Zweifel. Todesangst und Rachegedanken.

Mit den Psalmen beten und dabei kein Blatt vor den Mund nehmen müssen. Sondern singend, tanzend, weinend, klagend alles aus dem Herzen sprudeln lassen.Gott in seiner Größe loben: Den Schöpfer des Universums. Den Tröster in der Not. Die Schutzburg bei feindlichen Angriffen. Aber auch Gott in seiner Unbegreiflichkeit anrufen: Den Fernen anklagen. Den Mächtigen anflehen. Den Barmherzigen erinnern.

Die Psalmen – was für ein Geschenk! Was für ein immer wieder überraschender Zugang zum Glauben, wenn alle anderen Wege vernagelt sind! Dies gilt für den Einzelnen in seinem »stillen Kämmerlein«, aber auch und mit besonderer Kraft für das Gebet in der Gemeinschaft der Glaubenden.

Der Psalter ist das Gebetbuch des ersten Volkes Gottes. In ihrer großen Vielfalt spiegeln die Psalmen Israels Geschichte mit seinem Gott: eine Geschichte von Zuwendung und Abkehr. Und sie spiegeln Gottes Geschichte mit seinem Volk: eine Geschichte von Verheißung und Erfüllung. Die Liebesgeschichte von der unverbrüchlichen Treue Gottes.

Aber die Psalmen sind auch untrennbar verbunden mit der jahrtausendelangen Leidensgeschichte Israels – bis in unsere Zeit. Wenn für die Juden nichts mehr blieb, nur noch Verfolgung, Todesangst und Vernichtung, so blieb doch das Schreien zu ihrem Gott – mit den Psalmen. Johann Baptist Metz hat einmal gesagt: »Wir dürfen nach Auschwitz beten, weil auch in Auschwitz gebetet wurde.« Das ist wahr. Wenn wir als Christen heute, gerade auch als Deutsche, die Psalmen für uns in Anspruch nehmen und sie nachbeten, dürfen wir über diese Geschichte nicht achtlos »hinwegbeten«.

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