»Jeder zehnte Bundesbürger leidet nach Expertenschätzungen unter Angst- und Panikattacken«, meldete die Deutsche Presseagentur (dpa) im November 1997. In jeder vollbesetzten U-Bahn befindet sich ein Panik-Patient – wenn er sich überhaupt noch traut, U-Bahn zu fahren. Und darum geht es: um die praktische Bewältigung der Angst, um das Zurückfinden zu einem Leben jenseits der engen Grenzen, die von Panikattacken gezogen worden sind.

Der Autor, der nach Jahren der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Thema selbst Betroffener wurde, zeigt eine klare Perspektive auf: Es ist möglich, Panikattacken zu überwinden, aber es ist illusorisch, für immer von allen Angstzuständen frei sein zu wollen. Was jeder Patient verlieren kann, ist die Angst vor der Angst. Und zu diesem Ziel hin gibt es praktische und für jeden realisierbare Schritte, die in diesem Buch von einem erfahrenen Christen beschrieben werden.

INHALT

Vorwort

1.  Panik – eine Erfahrung, die das ganze Leben verändert

Teil I: Panik von A bis Z

2.  Wann und wo Panikattacken auftreten

3.  Wie Panik Menschen verändert

4.  Was ist eine Panikattacke?

Teil II: Falsche Glaubenssätze

5.  Was Panik nicht ist

6.  Falsche Glaubenssätze in Bezug auf Tod und Krankheit

7.  Die »Mein-Körper-macht-mich-kaputt«-Irrtümer

8.  Die »Ich-verliere-den-Verstand«-Irrtümer

Teil III: Woher Panikattacken kommen

9.  Wodurch werden Panikattacken verursacht?

10.  Die Hintergrundursachen behandeln

11.  Gefühle verarbeiten und Panik verhindern

Teil IV: Praktische Therapievorschläge für Betroffene

12.  Von Ihrer Einstellung hängt alles ab

13.  Die einzelnen Elemente der Angstreaktion

14.  Der Angst ihren Stachel nehmen

15.  Ralph – ein Beispiel für eine erfolgreiche Therapie

16.  Arbeiten Sie Ihre persönliche Versuchsreihe aus

Teil V: Der normale Panikpatient

17.  Möglichkeiten, Schwierigkeiten und Grenzen

18.  Das Wichtigste noch einmal in Kurzform

Nachwort: Meine persönlichen Erfahrungen mit Panikattacken

Anmerkungen

VORWORT

Im Jahr 1977 nahm ich meine Tätigkeit am Clinical Psychology Department der Universitätsklinik Aberdeen (Schottland) auf; das war auch der Zeitpunkt, zu dem ich mich mit Panikattacken zu beschäftigen begann. Malcolm McFadyen, ein Psychologe mit langjähriger Berufserfahrung, der noch schottischer ist, als sein Name vermuten lässt, nahm mich mit offenen Armen auf – und bombardierte mich praktisch vom ersten Tage an mit seinen Beobachtungen und Theorien über Panik. Er übte mit seinem Ansatz der kognitiven Invalidation einen starken Einfluss auf mich und all die anderen Psychologen aus, die am Institut arbeiteten.

Die meisten Psychologen scheinen irgendein Steckenpferd zu haben, dem sie sich mit besonderem Interesse widmen, aber überraschenderweise schien damals noch kaum einer von Panikattacken gehört zu haben. Selbst als Malcolm 1984 an der Universität Liverpool im Rahmen eines Seminars für klinische Psychologie sprach, musste er erklären, was Panikattacken überhaupt sind, und mehrere ältere Psychologen bezweifelten ernsthaft, dass es sie wirklich gab.

Dieses Buch baut in wesentlichen Teilen auf Malcolms Erkenntnissen auf.

Nachdem ich mehrere Jahre lang mit Patienten gearbeitet hatte, die unter Panikanfällen litten, wurde ich allmählich unzufrieden mit mir selbst. Ich wollte Wesen und Auswirkungen der Panikattacken von Grund auf verstehen lernen und falsche Vorstellungen, die ich mir möglicherweise im Laufe der Zeit gemacht hatte, über Bord werfen. Ich beschloss, alles zu vergessen, was ich bisher über Panikstörungen gelernt hatte, und noch einmal ganz von vorn anzufangen. Im Grunde geht das natürlich nicht – man kann sich nicht völlig von gewohnten Denkmustern lösen –, aber ich wollte wenigstens so offen sein wie möglich.

Womit sollte ich anfangen? Ich wollte versuchen, möglichst unvoreingenommen zu sein, und entschloss mich, mit den Betroffenen zu beginnen – mit ihren Erfahrungen und ihren Ansichten. Ich sammelte so viele Lebensgeschichten von Patienten, die unter Panikstörungen und Platzangst litten, wie ich bekommen konnte, und vertiefte mich in sie. Ich führte zahllose Gespräche mit Betroffenen; ich machte Tonbandaufzeichnungen von diesen Gesprächen und schrieb sie dann nieder. (Die meisten Zitate in diesem Buch stammen aus solchen Aufnahmen.) Ich sammelte Fallgeschichten. Während der Therapiestunden bemühte ich mich, ganz genau hinzuhören, damit mir nichts entging, was irgendwie von Bedeutung war. Ich ließ eine ungeheure Zahl von Patienten mit Panikstörungen, Nicht-Betroffene und Patienten, die unter anderen seelischen Erkrankungen litten, psychologische Fragebögen ausfüllen und wertete die Ergebnisse statistisch aus.

Während dieses ganzen langen Prozesses hatte ich nur ein Ziel: zu begreifen, was Panikstörungen wirklich sind. Ich habe über fünf Jahre gebraucht, um das vorliegende Buch zu schreiben. Ich hoffe, dass es den Patienten, für die ich es geschrieben habe, dabei hilft, ihre beunruhigenden und verwirrenden Erfahrungen zu verstehen und mit ihnen umzugehen.

Roger Baker

1. Panik – eine Erfahrung, die das ganze Leben verändert

Für einen einzigen Tag, an dem ich völlig gesund gewesen wäre, hätte ich mit Freuden meine Seele dem Teufel verkauft. Ich hätte alles gegeben, was ich besaß, wenn mir jemand dafür vierundzwanzig Stunden Gesundheit versprochen hätte.

Ich leide seit beinah neunundzwanzig Jahren unter diesen Anfällen – seit ich bei der Marine gedient habe. Ich brauche Ihnen wohl nicht zu erklären, dass das Leben für mich die Hölle auf Erden ist.

Wenn ich einen Mann an Krücken an meinem Haus vorbeihumpeln sehe, einen, der sein Leben lang ein Krüppel sein wird, dann beneide ich ihn, weil ich das Gefühl habe, dass ich viel schlimmer dran bin als er.

Wovon sprechen diese Menschen? Warum sind sie so verzweifelt? Was kann denn so schlimm sein, dass sie einen Mann, der an Krücken geht, um seine Gesundheit beneiden?

Die Antwort lautet: Sie leiden unter Angstanfällen.

Wir wissen alle, was Angst ist. Wir haben Angst, wenn wir eine Prüfung ablegen oder eine wichtige Rede halten müssen, wenn wir beim Sport in die Endausscheidung kommen oder wenn wir zum Zahnarzt müssen. Aber wenn die Angst übermächtig wird und anscheinend ohne wirklichen Grund über einen Menschen hereinbricht, dann ist das etwas ganz anderes.

Das tägliche Leben, die Arbeit und die zwischenmenschlichen Beziehungen werden durch diese unangenehmen Gefühle, die kaum unter Kontrolle zu bringen sind, immer mehr beeinträchtigt.

Die Hölle auf Erden

Wenn die Betroffenen nicht mehr wissen, wie sie sich drehen und wenden sollen, um diese quälenden Gefühle abzuschütteln, dann kann das wirklich die Hölle auf Erden sein. Menschen, die unter Angstzuständen leiden, sagen oft, dass es unmöglich sei, Außenstehenden zu erklären, was sie durchmachen. »Es ist, als wollte man mit Blinden über Farben reden.« Das Frustrierende daran ist, dass sie einmal ein ganz normales Leben geführt haben. Und dann bekamen sie eines Tages einen Panikanfall. Er brach über sie herein wie ein Blitz aus heiterem Himmel, und seitdem ist nichts mehr, wie es war. Seitdem ist ihr Alltag bestimmt von der »Angst vor der Angst«, und sie bezweifeln, jemals wieder ein normales Leben führen zu können.

Frau A. stand eines Tages an der Kasse eines Supermarkts und wollte gerade bezahlen. Da begann ihr Herz plötzlich zu rasen und ihr Mund wurde ganz trocken. Ihre Hände zitterten so sehr, dass sie ihr Geld nicht aus dem Portemonnaie holen konnte. Hals über Kopf flüchtete sie nach Hause. Seitdem brach die Angst jedes Mal über sie herein, wenn sie allein aus dem Haus ging. Sie musste immer von einem Mitglied ihrer Familie begleitet werden. Auch heute noch, Jahre nach dem ersten Anfall, hat sie Angst, allein aus dem Haus zu gehen, und sie achtet auch immer darauf, dass sie nie allein zu Hause gelassen wird.

Frau M. arbeitete als Reiseleiterin. Sie liebte ihren Beruf, aber nachdem sie in Italien in einem überfüllten Zug einen Panikanfall erlitten hatte, hörte sie ganz auf zu arbeiten. Sie war lange Zeit arbeitslos und konnte danach nur eine verhältnismäßig anspruchslose Tätigkeit aufnehmen, bei der sie nicht zu reisen brauchte.

Frau C. wünschte sich sehnlichst Kinder, aber da sie unter Panikattacken litt, schob sie die Erfüllung dieses Wunsches so lange hinaus, bis es zu spät war. »Ich dachte, ich schaffe es doch nie, für ein Baby zu sorgen – dann ist man doch so ans Haus gebunden.«

Kaum zwei Menschen erleben einen Panikanfall auf genau dieselbe Weise. Manche leiden unter unerträglichem Herzrasen, andere fühlen sich schwindlig oder betäubt, und wieder andere bekommen Atemnot oder haben das Gefühl zu ersticken. Aber eins ist ihnen allen gemeinsam: Ihr Leben wird durch die Panikstörungen enorm beeinträchtigt. An einem schicksalhaften Tag hatten sie einen Panikanfall. Er veränderte ihr Leben und lenkte es in eine Richtung, die sie sich nicht ausgesucht und die sie nicht gewollt hatten. Er lenkte ihren Blick nach innen statt nach außen. Er belastete ihre Beziehungen. Er wurde zu einer Quelle täglicher Angst und Sorge.

Was ist eine Panikattacke?

Schon seit Jahrhunderten sind uns Panikattacken aus der Literatur bekannt.

Im sechzehnten Jahrhundert wurden sie in Frankreich terreur panique genannt. Ein englischer Schriftsteller beschrieb sie im Jahre 1603 als »plötzliche und ohne bestimmten Grund auftretende törichte Ängste, die als panique terrores bezeichnet werden«. Sigmund Freud gehörte zu den Ersten, die Panikattacken detailliert beschrieben (1884); er benutzte damals den Ausdruck Angstanfälle. In der medizinischen und psychologischen Praxis wurden Panikattacken jedoch weitgehend ignoriert und fanden erst etwa hundert Jahre später Beachtung. Im Jahre 1980 nahm die American Psychiatric Association den Begriff Panikattacken in ihr Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders auf (eine Art Bibel für Psychotherapeuten), das von Fachleuten bei der Diagnose emotionaler Störungen zu Rate gezogen wird. Die in diesem Nachschlagewerk gegebene Definition gilt heute als allgemein akzeptiert. Die aktualisierte Ausgabe von 19871 nennt die folgenden dreizehn Symptome, die während einer Panikattacke am häufigsten auftreten:

–  Kurzatmigkeit oder Atemnot

–  Benommenheit, Instabilität oder Schwächezustände

–  Herzklopfen oder Beschleunigung des Herzschlags

–  starkes Zittern

–  Schweißausbrüche

–  Erstickungsgefühle

–  Übelkeit oder »nervöser Magen«

–  Realitätsverlust, »Entpersonalisierung«

–  Empfindungslosigkeit oder Prickeln der Gliedmaßen

–  Hitzewallungen

–  Schmerzen oder Engegefühl in der Brust

–  Todesangst

–  Angst, verrückt zu werden oder etwas Unkontrolliertes zu tun

Treten vier dieser Symptome (egal welche) gleichzeitig, plötzlich und unerwartet auf und sind sie während eines Zeitraums von etwa zehn Minuten deutlich und heftig spürbar, dann handelt es sich um eine Panikattacke. (Das ist allerdings nur dann der Fall, wenn diese Symptome nicht durch eine offensichtlich lebensbedrohliche Situation ausgelöst werden.)

Bei vielen Patienten treten mehr als vier Symptome auf; die Empfindungen, die einen Panikanfall begleiten, können sich auch von Mal zu Mal etwas unterscheiden. Etwas, worunter ein Patient sehr leidet, macht einem anderen vielleicht kaum etwas aus. Wenn nur ein oder zwei dieser Symptome vorliegen, spricht man von einer »leichteren Panikattacke«. Ich sage »nur eines oder zwei«, aber das ist im Grunde irreführend, denn wenn ein Mensch häufig und unerwartet mit einem oder zweien dieser Symptome konfrontiert wird, dann kann das für ihn sehr besorgniserregend und unangenehm sein und seine Lebensqualität deutlich mindern.

Kann ich ein normaler Mensch sein, wenn ich Panikattacken habe?

Auch wenn das Diagnostic and Statistical Manual insofern sehr nützlich war, als es einem breiteren Fachpublikum die Tatsache, dass es Panikattacken gibt, überhaupt erst bewusst gemacht hat, war es in anderer Hinsicht wenig hilfreich. Das Nachschlagewerk prägte nämlich den Ausdruck »Panikerkrankungen« für Patienten, die regelmäßig Panikattacken erleiden oder solche befürchten und sozusagen ständig mit der »Angst vor der Angst« leben. Es mag zwar aus versicherungstechnischen Gründen nützlich sein, der Sache einen medizinisch klingenden Namen zu geben, dadurch entsteht aber unglücklicherweise der Eindruck, dass der Betreffende an einer Erkrankung im eigentlichen, medizinischen Sinne leidet. Das ist jedoch nicht der Fall.

Panikattacken lassen sich durch normale psychische Prozesse, die in ganz normalen Menschen ablaufen, völlig hinreichend erklären. Sie lassen sich beispielsweise darauf zurückführen, dass Menschen lernen mussten, auf ungesunde Weise mit den Belastungen des Lebens umzugehen – ebenso auf mangelndes Wissen über das, was in ihrem Körper geschieht und auf die Furcht vor dem, was ihnen passieren könnte. Angst und Unwissenheit sind allgemein menschliche Erfahrungen und haben nichts mit Krankheit zu tun.

Kann man Angst und Panik überwinden?

Viele Betroffene haben Hilfe gesucht und dabei verschiedene Wege beschritten. Einige gehen zu ihrem Hausarzt und lassen sich Medikamente verschreiben, die ihnen Erleichterung verschaffen. Manche werden an Herzspezialisten oder Neurologen überwiesen. Sie sind der Meinung, an einer körperlichen Krankheit zu leiden; wenn eine solche nicht gefunden wird, sind sie ratlos und verwirrt. Wieder andere suchen Rat bei Freunden oder nehmen seelsorgerliche Hilfe in Anspruch. Einige finden vorübergehende Erleichterung durch Alkohol. Manche kommen einigermaßen zurecht – sie schaffen es, irgendwie weiterzumachen, obwohl sie das Leben nie wirklich genießen können. Und bei anderen scheint einfach nichts zu helfen – ihr Leben ist ein ständiger Alptraum.

Kann sich das jemals ändern? Ist es möglich, diese quälenden Gefühle loszuwerden? Kann das Leben je wieder normal sein? Die Antwort lautet: Ja! Es geht nicht über Nacht, aber es geht. Ich habe dieses Buch geschrieben, um Menschen zu helfen, sich durch den Dschungel ihrer Paniksymptome hindurchzukämpfen und auf der anderen Seite als freie Menschen wieder herauszukommen. Es ist bestimmt nicht einfach, und es wird einige Zeit dauern – aber es ist möglich!

Für wen ist dieses Buch bestimmt?

Es ist für drei Zielgruppen bestimmt:

–  In erster Linie ist es als Selbsthilfebuch für Betroffene gedacht.

–  Darüber hinaus soll es Verwandten, Partnern und Freunden von Angstpatienten helfen, deren Probleme zu verstehen, und es ihnen ermöglichen, die Betroffenen sinnvoll zu unterstützen. Meist leiden diese Menschen ebenfalls, da das Phänomen so verwirrend ist und sie nie genau wissen, wie sie sich den Betroffenen gegenüber am besten verhalten. Sollten sie streng sein oder verständnisvoll und einfühlsam? Ist es eine Krankheit oder eine Schwäche oder einfach eine Überreaktion?

–  Drittens ist es dazu gedacht, Therapeuten bei ihrer Arbeit mit Panikpatienten zu unterstützen. Seit etwa vier Jahren gebe ich selbst meinen Patienten frühere Versionen der Kapitel 4 bis 8 dieses Buches zum Lesen, damit sie sich zwischen den Therapiesitzungen damit beschäftigen können. Die Patienten empfinden es oft als hilfreich, wenn ihnen schriftliches Material vorliegt; es kann dazu beitragen, dass die Informationen, die sie erhalten haben, vertieft werden und dass die therapeutische Arbeit effektiver wird.

Natürlich variiert der therapeutische Ansatz stark von Therapeut zu Therapeut. Ich habe versucht, dem Rechnung zu tragen – verschiedene Therapeuten werden jeweils verschiedene Teile dieses Buches bevorzugen und sie als Ergänzung ihres eigenen Ansatzes empfinden. Sie sollten ihre Patienten natürlich nur auf die Abschnitte hinweisen, die ihnen im Rahmen der Therapie als sinnvolle Ergänzung erscheinen.

Können Betroffene sich selbst helfen?

Zu den schlimmsten Begleiterscheinungen von Angst und Panik gehört, dass man nicht weiß, was eigentlich los ist. Ich habe diesem Buch den Untertitel gegeben Panikattacken verstehen und überwinden, weil ich davon überzeugt bin, dass das Verstehen der Hauptschlüssel zur Überwindung der Angst ist.

VERSTEHEN

Ich habe es bei meiner Arbeit oft mit Patienten zu tun, deren Panikattacken schon nach einer einzigen Sitzung, in der ich ihnen erkläre, was Panikattacken wirklich sind und was sie nicht sind, spürbar nachlassen. Wenn die Betroffenen erkennen, was wirklich geschieht, dann wird der Angst viel von ihrem Schrecken genommen, und sie gewinnen wieder Hoffnung und Zuversicht. Teil I dieses Buches gibt einige grundlegende Informationen über Panik. In Teil II wird erklärt, was während einer Panikattacke tatsächlich geschieht. Außerdem gehe ich auf einige weit verbreitete Missverständnisse ein.

Ein weiterer wesentlicher Aspekt, um Panikattacken zu verstehen, ist der ganz persönliche Faktor – warum ist das ausgerechnet mir passiert? Teil III dieses Buches ist der Beantwortung der Frage gewidmet, warum es zu Panikattacken kommt. Er enthält ein Sieben-Punkte-Programm, mit dessen Hilfe der Patient herausarbeiten kann, welche Verbindung zwischen bestimmten Ereignissen aus seiner Vergangenheit und den gegenwärtigen Angstanfällen besteht.

Teil IV schließlich beschreibt ein Programm praktischer Therapieübungen zur Überwindung der »Angst vor der Angst«. Es wurde in den späten Siebzigerjahren von Malcolm McFayden ausgearbeitet, und Hunderte von Patienten des Department of Clinical Psychology in Aberdeen wurden damit erfolgreich behandelt. Während der letzten fünfzehn Jahre haben Malcolm McFayden und ich in enger Zusammenarbeit diesen Ansatz der kognitiven Invalidation [Entkräftung durch Erkenntnis; Anm. d. Übers.] weiterentwickelt.2 Dieser therapeutische Ansatz beruht auf den Theorien George Kellys.3 Er ähnelt dem Ansatz der kognitiven Therapie, wie er heute von zahlreichen klinischen Psychologen praktiziert wird, hat jedoch andere Wurzeln. Er basiert weder auf dem Gebrauch von Medikamenten noch auf Entspannungs- oder Atemübungen und auch nicht auf der »Umprogrammierung« von Gedankenmustern. Viele Patienten machen die Erfahrung, dass sie gute Fortschritte machen, sobald sie wissen, wie und womit sie anfangen können.

HILFE VON FREUNDEN

Ich würde jedem, der mit Teil IV dieses Buches arbeiten möchte, empfehlen, seine/n Partner/in oder eine/n Freund/in um Unterstützung zu bitten. Diese/r Helfer/in sollte auch die Teile I bis III dieses Buches lesen, um das Wesen und die Behandlung der Panikattacken besser zu verstehen. So kann er/sie dem Betroffenen wieder Mut machen, wenn er aufgeben möchte oder das Gefühl hat, dass er kaum vorankommt (in diese Krise kommt früher oder später so gut wie jeder Patient).

PROFESSIONELLE HILFE

Manche Betroffenen brauchen zusätzlich zu der persönlichen Unterstützung durch Freunde auch professionelle Hilfe. Sie müssen vielleicht einen klinischen Psychologen oder einen Therapeuten aufsuchen oder sich einer Selbsthilfegruppe anschließen.

MEDIKAMENTE

Die in diesem Buch vorgestellte Therapie basiert nicht auf medikamentöser Behandlung. Das bedeutet jedoch nicht, dass ein Patient aufhören soll, die Medikamente einzunehmen, die ihm verordnet worden sind, sondern dass ein Patient, der mit diesem Buch arbeitet, seine Panikattacken auch ohne Medikamente überwinden kann, wenn er das wünscht. Manche Menschen möchten auf Medikamente verzichten, weil sie es vorziehen, aus eigener Kraft zurechtzukommen, auch wenn das bedeutet, ein gewisses Maß an Leid auf sich zu nehmen. Andere wieder bevorzugen es, ein Medikament einzunehmen, das ihren Zustand erträglicher macht.

Diese Entscheidung liegt allein bei dem Patienten selbst. Niemand sollte sich schuldig fühlen, wenn er Medikamente nimmt; andererseits sollte er auch nicht den Eindruck haben, dass eine Heilung nur mithilfe von Medikamenten möglich ist. Der Patient kann und sollte hier selbst entscheiden, welchen Weg er beschreiten möchte.

Was liegt diesem Buch zugrunde?

Die Informationen und Aussagen, die sich in diesem Buch niedergeschlagen haben, stammen aus den folgenden sieben Quellen:

–  der achtzehnjährigen persönlichen Erfahrung bei der Behandlung von Panikpatienten im Rahmen des britischen National Health Service und im Rahmen privater Therapiesitzungen,

–  der Beschäftigung mit wissenschaftlichen Studien über Panik und dem Gedankenaustausch mit führenden Autoritäten dieses Fachgebiets während der Arbeit an einem Buch mit dem Titel Panikstörungen – Theorie, Forschung und Therapie, das 1989 erschienen ist4,

–  der Untersuchung von Lebensläufen und veröffentlichten Fallgeschichten zum Thema Agoraphobie und Panik5,

–  einer ausführlichen Befragung von zwanzig Panikpatienten, die 1990 durchgeführt wurde6 (die Gespräche mit den Patienten wurden aufgezeichnet und niedergeschrieben; die meisten Zitate aus diesem Buch entstammen diesen Interviews),

–  der Entwicklung einer »Theorie der Panik« während des Zeitraums von 1977 bis 1994 am Department of Psychology, Aberdeen2; 7,

–  einer vergleichenden Untersuchung von 130 Angst- und Panikpatienten, 177 körperlich erkrankten und 521 gesunden Personen8,

–  einer bewertenden Studie, die alle Patienten erfasste, die zwischen 1991 und 1993 am Psychology Department in Aberdeen behandelt wurden, einschließlich der Panikpatienten, die während dieses Zeitraums behandelt wurden9.

Hat sich unser Therapieansatz in der Praxis bewährt?

Es sind schon zahlreiche Bücher und Zeitschriftenartikel zu den Themenbereichen Stress und Angst erschienen, wenn auch nicht viele speziell zum Thema Panik. Viele der Ratschläge, die man dort findet, sind nicht hinreichend durch die Forschung belegt. Wie ist es mit dem Programm, das ich in diesem Buch vorstelle? Funktioniert es auch?

Die Studie, die von 1991 bis 1993 am Department of Psychology in Aberdeen durchgeführt wurde und jeden behandelten Patienten erfasste, wurde zur Beantwortung dieser Frage herangezogen.9 Jeder Panikpatient, der von einem praktischen Arzt oder einem Psychotherapeuten an unser Institut überwiesen worden war, nahm an dieser Studie teil. Die Patienten mussten vor der Therapie, drei Monate nach Therapiebeginn und sechs Monate nach Therapiebeginn (das bedeutete, gegen Ende der Therapie) jeweils denselben Fragebogen ausfüllen. Andere Patienten, die noch auf der Warteliste standen, wurden als Vergleichsgruppe herangezogen und gebeten, im Abstand von sechs Monaten zweimal diesen Fragebogen auszufüllen.

Abbildung 1 (s. S. 20) macht deutlich, wie stark sich das Befinden der Panikpatienten während des Therapieverlaufs veränderte. Die Abbildung zeigt, in welchem Ausmaß die Patienten vor, während und nach der Therapie unter den in vier Hauptsymptombereiche eingeteilten Problemen bzw. Symptomen litten. (Die Null-Linie entspricht hier den Werten, die von einer großen Gruppe von Personen erreicht wurden, die in der Nähe unseres Instituts lebten und zum Vergleich herangezogen worden waren. So können wir gut erkennen, wie nahe Panikpatienten den »Normalen« nach der Therapie wieder kommen können.) In jedem Symptombereich war im Verlauf der Therapie eine deutliche Besserung festzustellen. Die Patienten, die noch auf der Warteliste standen, konnten während dieses Zeitraums jedoch keine Besserung verzeichnen. Der Unterschied zwischen den beiden Patientengruppen war statistisch überaus signifikant. Das deutet darauf hin, dass der Ansatz der kognitiven Invalidation bei diesen Patienten zu einem deutlichen Rückgang von Angst, Furcht, Depression und Zwangsvorstellungen führte. Gegen Therapieende waren ihre Werte fast so niedrig wie die der nicht von Panikattacken betroffenen Vergleichsgruppe.

Das lässt darauf schließen, dass dieser Ansatz im Rahmen der klinischen Therapie erfolgreich ist. Das Ziel dieses Buches ist nun, den betroffenen Lesern selbst diesen Ansatz zugänglich zu machen sowie die Therapeuten, die Panikpatienten behandeln, bei ihrer Arbeit zu unterstützen.

Abb. 1: Symptomverringerung während der Therapie (Studie anhand von 20 behandelten Patienten)

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TEIL I

Panik von A bis Z

2. Wann und wo Panikattacken auftreten

Wenn ein Mensch zum ersten Mal eine Panik- oder Angstattacke erlebt, hat er das Gefühl, dass sie ihn »wie ein Blitz aus heiterem Himmel« überfällt – von einem Augenblick zum andern und ohne ersichtlichen Grund. Ein Mensch, der wie alle anderen auch irgendwie mit den üblichen Belastungen des Lebens zurechtkam, erlebt plötzlich eine Panikattacke, und von diesem Moment an ist nichts mehr, wie es war. Mit der ersten Panikattacke beginnt fast immer eine Zeit des Leidens und der schmerzlichen Veränderung. Ein Mensch erlebt seine erste Panikattacke meist in einem Alter zwischen fünfzehn und dreißig Jahren; es kann jedoch in jedem Lebensalter zu Panikattacken kommen.

Ich habe oft Betroffene gefragt, wie sie selbst diese Attacken nennen. Oft gebrauchen sie den Begriff »Panik«, ohne ihn zuvor von jemandem gehört zu haben. Manche betrachten sie auch als eine Art Nervenzusammenbruch. Sie sagen: »Ich hatte einen Zusammenbruch« und haben das Gefühl, dass sie ihren Beruf nicht mehr ausüben oder ihre Freizeit aktiv gestalten können. Manche sehen sich gezwungen, eine vielversprechende Karriere aufzugeben.

Wie ein Blitz aus heiterem Himmel

Das Beunruhigendste an der ersten Attacke ist, dass sie ohne Warnung kommt und dass die Betroffenen meist keinen Grund dafür erkennen können, warum ausgerechnet ihnen so etwas Dramatisches widerfährt – auch wenn es, wie ich später zeigen werde, immer eine Ursache dafür gibt. Besonders verwirrend ist es für die Betroffenen, dass sie ihre erste Panikattacke oft gerade dann erleben, wenn sie es am wenigsten erwarten, z.B. während eines erholsamen Wochenendes oder im Urlaub. Wenn es in einer beruflichen oder privaten Stress-Situation zu einer Panikattacke käme, könnten sie das vielleicht eher verstehen.

Nach der ersten Panikattacke kann es während der nächsten Tage und Wochen zu weiteren Attacken kommen, sodass diese regelrecht zu einem festen Bestandteil des Alltags werden.

Es gibt acht Hauptfaktoren, durch die Panikattacken ausgelöst werden können.

Bestimmte Orte

Bei manchen Menschen werden Panikattacken dadurch ausgelöst, dass sie sich an bestimmten Orten aufhalten. Dazu gehören überfüllte Geschäfte, Busfahrten, in einem Geschäft Schlange stehen, in einer Kirche sitzen oder einfach »in die Stadt gehen«. Diese Art von Panik wird in der Fachsprache als Agoraphobie bezeichnet. Der Ausdruck stammt aus dem Griechischen und bedeutet Angst (phobos) vor dem Marktplatz (agora). Für die Menschen, die hiervon betroffen sind, ist auch das Gefühl von Sicherheit an einen Ort gebunden (meist ihr Zuhause), an dem sie sich geborgen und sicher fühlen. Sie neigen dazu, Menschenmengen und Geschäfte zu meiden. Das geht manchmal so weit, dass sie das Haus überhaupt nicht mehr verlassen. Hier einige Beispiele:

Es war Sonntag, und ich ging zum Bingospielen in ein Lokal. Aber ich konnte mich überhaupt nicht konzentrieren. Meine Hände fingen an zu zittern. Ich versuchte die Nummer auf der Karte anzukreuzen. Aber irgendwie ging es nicht. »Reiß dich zusammen, Mensch«, sagte ich zu mir selbst. Ich hab’ die Nummer einfach nicht geseh’n, wissen Sie. Und meine Hände haben gezittert, und mein ganzer Körper … ich hatte ein ganz flaues Gefühl im Bauch, und dann spürte ich plötzlich so ein Stechen im Genick, und da hab ich mir gesagt: »Ich spiele kein Bingo mehr«, weil ich das Gefühl hatte, die Leute starren mich alle an.

(Ann P.)

Ich begann Attacken zu bekommen, wenn ich mit vielen Leuten zusammen war, besonders am Wochenende in der Studentenvereinigung. Das vorherrschende Gefühl war, dass ich nicht atmen konnte; ich hatte aber auch Herzrasen. Wenn das passierte, ging ich immer weg und setzte mich irgendwo hin, wo ich allein war und mich erholen konnte … Später bekam ich auch während der Vorlesungen Panikattacken