cover
Eckhard Schaefer – Du hast mich berührt – Begegnungen mit Jesus. Biblische Betrachtungen – SCM R.Brockhaus
SCM R.Brockhaus

INHALT

 

Geleitwort von Horst Marquardt

Vorwort

Aufbrechen und Ankommen

Eine erstaunliche Wende:

Der Fischzug des Petrus

Komm und sieh:

Die ersten Jünger

Glauben und Zweifeln

Eine Geschichte vom Glauben:

Jesus und die kanaanäische Frau

Ein Außenseiter im Chor der Glaubenden:

Thomas, der Zweifler

Suchen und Finden

Auf der Suche nach Sinn:

Jesus und Nikodemus

Auf der Suche nach dem Wasser des Lebens:

Jesus und die Samariterin

Jubeln und Staunen

Wir haben unmögliche Dinge gesehen …

Die Heilung eines Gelähmten

Warum ich? Warum ich nicht?

Die Heilung eines Kranken am Teich Betesda

Freude und Leid

Freude, Freude über Freude …

Die Hochzeit zu Kana

Jesus wehret allem Leide:

Die Auferweckung des Lazarus

Dienen und Herrschen

Ein Beispiel habe ich euch gegeben:

Die Fußwaschung

Ohne Fleiß kein Preis?

Maria und Marta

Loslassen und Festhalten

Eine zweifelhafte Größe:

Zachäus

Vermeintliche Sicherheit:

Der reiche Jüngling

Lieben und Geliebt werden

Zu viel des Guten?

Die Salbung in Betanien

Allein mit dem Auferstandenen:

Jesus und Petrus

Chance und Verweigerung

Nein danke!

Die Verwerfung Jesu in Nazareth

Es geht ums Ganze:

Vom Ernst der Nachfolge

Sammlung und Sendung

Die Gemeinde – eine bunte Gesellschaft:

Die Berufung der Zwölf

Österlicher Aufbruch ins Grenzenlose:

Die Vollmacht der Jünger

 

Nachwort

Quellenverzeichnis

Geleitwort von Horst Marquardt

Etwas Bekanntes so zu präsentieren, dass es neu und unverbraucht erscheint – das schaffen nicht viele. Eckhard Schaefer gelingt es. Er legt Bibeltexte so aus, dass selbst bekannten biblischen Berichten neue Seiten abgewonnen werden. Gerade wer zu den regelmäßigen Lesern des Neuen Testaments gehört, freut sich, wenn er erneut merkt, wie aussagekräftig die Texte sind. Beim Lesen habe ich allerdings auch an Menschen gedacht, die vielleicht die Lust am Bibellesen verloren haben, weil sie bisher nicht entdeckt haben, wie bereichernd Bibeltexte sein können.

Eckhard Schaefer hat etwas zu sagen. „Sagen“ ist mehr oder weniger wörtlich zu verstehen, denn die Texte werden so spritzig und verständlich dargeboten, als spräche der Autor mit dem Leser. Da kommt kein Gedanke auf wie „Kenn ich schon“ oder „Wie gehabt“, im Gegenteil!

Mancher Leser wird feststellen: Das ist ein gutes Andachtsbuch für meine Stille Zeit. Vielleicht nimmt er es mit in seinen Hauskreis oder auf die nächste Reise. Was Eckhard Schaefer in mancher christlichen Veranstaltung feststellt (und was meines Erachtens gelegentlich auch für fromme Publikationen gilt), stimmt wohl leider: „Unser Lachbedürfnis ist unterentwickelt. Doch im Himmel wird gelacht.“

Schon der Aufbau weckt Aufmerksamkeit. Da werden Themen paarweise entfaltet, die wie Gegensätze zu sein scheinen, z.B. „Glauben und Zweifeln“, „Dienen und Herrschen“ oder „Chance und Verweigerung“. Man spürt, dass der Autor kein Theoretiker ist. Es kommt ein kundiger Seelsorger und Gesprächspartner zu Wort. Über manche Aussage habe ich nicht nur geschmunzelt, sondern laut gelacht. Eckhard Schaefer vermittelt eindrucksvoll die „Botschaft der Freude“. Die sehr bewusst ausgewählten Liedstrophen am Ende jeder Andacht unterstreichen das Gesagte. Mein Wunsch: Mögen diese „Begegnungen mit Jesus“ dazu dienen, dass viele Leser dankbar bekennen: „Du (Jesus) hast mich berührt.“

Horst Marquardt,
Pastor i.R. der Evangelisch-methodistische Kirche (EmK)
und Vorsitzender des Kongresses christlicher Führungskräfte,
früherer Leiter des ERF, Gründer und Vorstandsvorsitzender von IDEA

Vorwort

„Herr, wir möchten Jesus gerne sehen.“ Das wünschte sich eine Reisegruppe aus Griechenland bei einem Besuch in Jerusalem (Johannes 12,21). Und das wünsche ich auch den Lesern dieses Buches, wenn ich nacherzähle, wovon die Evangelien berichten: Jesus begegnet Männern und Frauen, die unterschiedlicher nicht sein können. Er geht auf seine Gesprächspartner ein, fordert sie heraus, tröstet und heilt. Er will sie bekannt machen mit seinem und unserem Vater im Himmel.

Seit fünfzig Jahren predige ich in verschiedenen Kirchen und bei Gelegenheit auch auf öffentlichen Plätzen und Konferenzen das Evangelium von Jesus Christus. Mich begleitet dabei wie ein roter Faden die Frage: Wird das, was ich weitersage, wirklich ein rettendes und hilfreiches Wort sein für die Menschen, oder wird es nur eine christliche Formel sein, mit der die Zuhörer nichts anfangen können? Ich wünsche mir so sehr, dass sich heute das wiederholt, was wir in den Evangelien nachlesen können: Das Wort Gottes steht in einer lebendigen Auseinandersetzung mit dem, was die Menschen denken, fühlen, wollen und tun.

Einige der folgenden Bibelarbeiten wurden bereits in der lesenswerten Zeitschrift für Senioren LebensLauf veröffentlicht und für dieses Buch noch einmal überarbeitet. Andere sind neu hinzugekommen.

Beim Schreiben ertappte ich mich, wie ich ganz unbewusst altvertraute Lieder summte. Und die dazugehörenden Texte formten sich dann zu einem Gebet.

Frau S. Gabrisch vom Lektorat des Verlages danke ich für die kompetente Zusammenarbeit. Ich hatte jederzeit das Empfinden, dass wir dieselben Wünsche für unsere Leser haben: Sie mögen Jesus begegnen.

Eckhard Schaefer

Eine erstaunliche Wende

Der Fischzug des Petrus

Begegnungen lassen Spuren zurück. Begegnungen können ein Leben komplett umkrempeln. Lukas berichtet von einfachen Fischern, die nach dem Zusammentreffen mit Jesus alles liegen lassen, was ihnen bisher wichtig war, und sich neuen Aufgaben zuwenden.

Es begab sich aber, als sich die Menge zu ihm drängte, um das Wort Gottes zu hören, da stand er am See Genezareth und sah zwei Boote am Ufer liegen; die Fischer aber waren ausgestiegen und wuschen ihre Netze. Da stieg er in eines der Boote, das Simon gehörte, und bat ihn, ein wenig vom Land wegzufahren. Und er setzte sich und lehrte die Menge vom Boot aus. Und als er aufgehört hatte zu reden, sprach er zu Simon: Fahre hinaus, wo es tief ist, und werft eure Netze zum Fang aus! Und Simon antwortete und sprach: Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen; aber auf dein Wort will ich die Netze auswerfen. Und als sie das taten, fingen sie eine große Menge Fische, und ihre Netze begannen zu reißen. Und sie winkten ihren Gefährten, die im andern Boot waren, sie sollten kommen und mit ihnen ziehen. Und sie kamen und füllten beide Boote voll, sodass sie fast sanken. Als das Simon Petrus sah, fiel er Jesus zu Füßen und sprach: Herr, geh weg von mir! Ich bin ein sündiger Mensch. Denn ein Schrecken hatte ihn erfasst und alle, die bei ihm waren, über diesen Fang, den sie miteinander getan hatten, ebenso auch Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, Simons Gefährten. Und Jesus sprach zu Simon: Fürchte dich nicht! Von nun an wirst du Menschen fangen. Und sie brachten die Boote ans Land und verließen alles und folgten ihm nach (Lukas 5,1-11).

Am Anfang dieser Geschichte lesen wir davon, wie unbedeutende Fischer ihre alltägliche Arbeit verrichten. Am Ende dieser Geschichte sehen wir, wie dieselben Leute gänzlich aus der Bahn geworfen mit einem globalen Auftrag einen Weg beschreiten, der sie um die damals bekannte Welt führen wird. Zu Beginn lernen wir Menschen kennen, die ein geregeltes, mühevolles, eintöniges, pflichtbewusstes Leben führen. Zum Schluss beobachten wir, dass nichts mehr seinen gewohnten Gang geht. Was ist passiert? Wie ist diese Wende begründet?

Die Wende ist durch die Begegnung dieser Fischer mit Jesus begründet. Wo Jesus in ein Leben hineinkommt, da führt man nicht mehr selbst Regie. Da lässt es sich nicht mehr gemütlich weiterplanen wie bisher; da werden wir vor unerwartete Entscheidungen gestellt. Jesus, Jesu Wort und Wille, wird die neue Logik des Lebens.

Jesus kann uns überall begegnen. In diesem Bericht begegnet er Simon, dem Chef der Fischereiinnung mit Sitz in Kapernaum, und seinen Mitarbeitern an ihrem Arbeitsplatz, dort, wo es nach Fischen riecht. Anderen begegnet Jesus auf der Straße oder in der Synagoge oder in ihren Häusern. Begegnungen mit Jesus sind also nicht auf einen liturgischkeimfreien Raum beschränkt. Überall, wo wir uns rund um die Uhr aufhalten, lieben und lachen, weinen und klagen, arbeiten und ruhen, können wir Jesus antreffen.

Die Geschichte beginnt mit der Feststellung, dass sich die Menge zu ihm drängte. Menschenmassen kommen heute in der Regel bei einem sportlichen Großereignis zusammen oder auf einem Konzert eines berühmten Künstlers. Hier jedoch drängen sich die Leute, weil sie Gottes Wort hören wollen. Und wir können ganz sicher sein, dass sie von Jesus auch nichts anderes zu hören bekommen. Als Kanzel wählt Jesus ein Boot. Es gehört Simon, der später von Jesus einen neuen Namen erhalten wird, nämlich Petrus, der Fels.

Die Geschichte Jesu mit dieser späteren Leitfigur der christlichen Gemeinde und der Mission fängt für Simon ganz harmlos an. Jesus bittet ihn, ihm mit dem, was er hat und kann, einen Gefallen zu tun. Er braucht sein Boot, um ein Stück vom Ufer abzulegen. Und er braucht seine Muskelkraft zum Rudern. Dadurch kommt Simon in den Einflussbereich Jesu. Er hat einen Platz in der ersten Reihe. Aus unmittelbarer Nähe hört er, dass das Reich Gottes keine zukünftige Utopie ist, sondern gegenwärtige Wirklichkeit. Diese Botschaft verkündigt Jesus allen, die ihm an diesem Morgen zuhören. So weit, so gut. Aber plötzlich wird das allgemein Gültige zu einer persönlichen Herausforderung. Gottes Wort ist immer ein Wort für alle und gleichzeitig ein persönliches Wort.

Simon wird mit seinem Namen gerufen: „Fahre hinaus, wo es tief ist, und werft eure Netze zum Fang aus!“ (Vers 4). Jetzt kann Simon sich nicht mehr nur theoretisch mit der Predigt in einem Predigtnachgespräch beschäftigen. Jetzt muss er Farbe bekennen und eine Entscheidung treffen: fahren oder nicht fahren, fischen oder jammern, dass die Nachtarbeit vergeblich war (Vers 5)?

Es ist nicht leicht, wenn man zugeben muss, dass man mit leeren Händen dasteht, da ist Simon nicht der Einzige. Viele Menschen müssen erkennen: „Als ich aber ansah alle meine Werke, die meine Hand getan hatte, und die Mühe, die ich gehabt hatte, siehe, da war es alles eitel und Haschen nach Wind und kein Gewinn unter der Sonne“ (Prediger 2,11). Das erfahren Menschen in ihrem Berufsleben, wenn sie zum „alten Eisen“ gezählt werden. Das erfahren Eltern bei der Erziehung ihrer Kinder. Das erfahren Leute, wenn sie an Beziehungen denken, in die sie viel an Liebe und Geduld, an Geld und Fachwissen investiert haben. Unter dem Strich steht vorübergehend oder aber für immer die Einschätzung „vergeblich“.

„Nichts gefangen“ ist jedoch nicht das letzte Wort. Der Bericht endet nicht mit dieser totalen Resignation, sondern beginnt hier erst, und zwar mit dem kleinen Wort „aber“. Dieses Wort können wir sehr unterschiedlich verwenden; es kann als Abwehr oder als Beginn einer Wende dienen. Als Abwehr einer Entscheidung wurde es einmal von einem Mann gebraucht, der zwar grundsätzlich Gott recht gab, der aber seinen eigenen Weg weitergehen wollte und einer Konsequenz auswich: „Herr, ich will dir nachfolgen; aber …“ (Lukas 9,61). „Aber“ ist hier der Schutz vor einem Anspruch. Jemand kann viele Worte machen. Was er eigentlich sagen will, folgt immer im Nachsatz, der mit „aber“ eingeleitet wird.

Bei Simon hören wir heraus, dass er Gottes unbegrenzten Möglichkeiten mehr vertraut als seiner Berufserfahrung: „… aber auf dein Wort will ich die Netze auswerfen“ (Vers 5). Er sieht seine eigene Lage ganz klar: Hat er zur besten Fangzeit, in der Nacht, nichts gefangen, so wird er auch jetzt nichts fangen. Hat er bei vollen Kräften keinen Erfolg gehabt, so wird er, müde, wie er jetzt ist, erst recht keinen Erfolg haben.

Simon sagt nicht: „Guter Meister, ich habe dir gerne zugehört, als du uns vom Reich Gottes erzähltest und uns Informationen aus der Ewigkeit offenbartest. Aber von der Berufswelt eines Fischers verstehe ich mehr, zu Hause hängt mein Meisterbrief. Du hast ein göttliches Diplom bei deiner Taufe bekommen. Davon erzählen die Leute, die am Jordan dabei waren. Ich schlage dir deshalb eine Arbeitsteilung vor. Du kümmerst dich um die Seelen der Menschen. Ich kümmere mich um den Fischereibetrieb.“ Menschen, die Gott auf den geistlichen Bereich beschränken wollen, sterben nicht aus.

Doch Simon sieht seine Situation realistisch. Der Glaube täuscht sich nicht bei der Einschätzung unserer eigenen Möglichkeiten. Gleichzeitig rechnet er mit den Möglichkeiten Gottes. Er muss die Frage beantworten: Wer ist stärker, Gott oder die Umstände? Simon setzt seiner Erfahrung, die ja nicht falsch ist, entgegen: „Aber auf dein Wort will ich …“ Damit öffnet er eine Tür zu den unbegrenzten Möglichkeiten Gottes. Mit seinen Angestellten fängt er eine große Menge Fische, so viele, dass Hilfe zum Abtransport gebraucht wird. Der göttliche Segen ist für beide Boote und für die Seeleute erdrückend. Petrus weiß mit seinem Glück nichts anzufangen. Er sinkt auf die Knie und sagt: „Herr, geh weg von mir! Ich bin ein sündiger Mensch“ (Vers 9).

Wie kommt Simon darauf? Was hatte er sich vorzuwerfen? Er hat doch den Auftrag Jesu ausgeführt. Könnte er den reichen Fang nicht als verdiente Belohnung für seinen Gehorsam annehmen? Im Anblick des Segens erhellt sich ihm blitzartig seine eigene Situation. Da ist kein Platz für den Stolz über den bewährten Glauben. Da wird der unendliche Abstand zwischen Gott und dem Menschen erkannt. Es ist nicht ein strenges Gerichtswort, das Petrus zu dieser Erkenntnis führt, sondern das gänzlich unerwartete Glück. Der Apostel Paulus hat das später so gesagt: „Weißt du nicht, dass dich Gottes Güte zur Buße leitet?“ (Römer 2,4).

In der Seelsorge erlebe ich oft, dass notvolle Lebenssituationen oder Sackgassen, in die Menschen geraten sind, zum Nachdenken über Gott führen. Ganz selten aber die Erfahrung, dass Gottes unvorstellbarer Segen eine Einladung zur Buße, das heißt zum Nachdenken und zur Besinnung, ist. Es wäre so wichtig für unser Leben, dass nicht nur Not beten lehrt, sondern auch all das Gute, was wir im Leben haben. Simon hätte vor Freude in die Luft springen und Jesus eine Teilhaberschaft in seinem Betrieb anbieten können. Er fällt aber vor ihm nieder. Bevor ein Mensch „Halleluja“ schreit, sollte er „Kyrie eleison“ (Herr, erbarme dich) rufen. Ich denke an einen Studenten, der an meiner Tür klingelte und fragte: „Können Sie mit mir beten, damit ich meine Prüfung bestehe? Ich habe immer solche Prüfungsangst.“ Auf meine Frage hin, warum er zu mir komme, erzählte er von einem Mitstudenten, der ihm den Tipp gegeben hatte: „Geh zu diesem Pastor, der kann mit Leuten beten.“ Und treuherzig ergänzte er, dass ein Besuch beim Pastor auch billiger sei als eine psychotherapeutische Behandlung. Zunächst wollte ich diesem jungen Mann erklären, dass er sein Leben unter Gottes Herrschaft stellen müsse, um ein „Anrecht“ auf eine Gebetserhörung zu haben. Dann fiel mir aber diese Geschichte von Petrus ein. Ich betete für ihn, dass Gottes übervernünftiger Friede sein Herz und seine Sinne bei der Prüfung steuern möge, und versprach ihm überzeugt, dass mindestens achtzig Prozent dessen, was er gelernt hatte, beim Examen abrufbar sein würde.

Nach einigen Wochen klingelte es erneut bei mir. Der Student stand vor der Tür und bat: „Erzählen Sie mir mehr von diesem Gott, der so gut zu mir ist. Ich habe genau das erlebt, was Sie mir zugesprochen haben. Meine Nerven flatterten nicht so wie sonst immer.“ Wir konnten am Ende dieses Gespräches niederknien und beten, und das wurde zum Anfang eines Lebens mit Gott für diesen Mann.

Jesus nimmt Simon in seinen Dienst. Er geht nicht von ihm weg, wie Simon es nach seinem eigenen Urteil verdient hätte. Nein, Jesus richtet ihn auf und beauftragt ihn: „Fürchte dich nicht! Von nun an wirst du Menschen fangen“ (Vers 10). Das ist bis heute das eigentliche Wunder, dass Jesus für seine Mission Menschen braucht wie Simon.

Simon tut jetzt etwas, das bei den Zuschauern auf Kopfschütteln stößt. Er parkt die Boote, die bisher zu seinem Lebenserwerb nötig waren, an Land. Für seine neue Berufung sind sie hinderlich, obwohl sie für andere Fischer natürlich weiterhin wichtig sind. Jeder muss also für sich wissen, was ihn an der Nachfolge hindert. Was nicht fördert, das hält zurück. Mit Jesus bricht Simon in eine neue Freiheit auf. Das wiederholt sich bis in unsere Tage. Immer wieder erleben geistig und geistlich jung gebliebene Zeitgenossen, wie sie nach der Pensionsgrenze ausgetretene Gleise verlassen und nach der Platzanweisung Gottes für die dritte Lebensphase fragen. Nachfolge Jesu ist kein Programm, wo alles kalkulierbar und übersehbar ist. Der Wille Jesu ist ausschlaggebend und wird unser ganzes Leben immer wieder zu überraschenden Wendungen führen, wenn wir dafür offen sind.

image

Wenn Christus heute Menschen sucht,

die ganz auf seiner Seite stehn,

dann soll meine Antwort sein:

Hier bin ich, Herr, segne mich.

Wenn Christus heute Menschen sucht,

die ihm zu folgen sind bereit,

darf kein Hindernis mehr sein:

Hier bin ich, Herr, löse mich!

Wenn Christus heute Menschen sucht,

die zum Gehorsam sich ihm weihn,

tret ich betend vor ihn hin:

Hier bin ich, Herr, führe mich!

Wenn Christus heute Menschen sucht,

durch die er lieben will die Welt,

will auch ich nicht ferne stehn:

Hier bin ich, Herr, stärke mich!

Wenn Christus heute Menschen sucht,

die er als Boten senden kann,

will ich folgen seinem Ruf:

Hier bin ich, Herr, sende mich!

Bodo Hoppe, 1969

Aufbrechen und Ankommen

Eine erstaunliche Wende:

Der Fischzug des Petrus

 

Komm und sieh:

Die ersten Jünger

image

Glauben und Zweifeln

Eine Geschichte vom Glauben:

Jesus und die kanaanäische Frau

 

Ein Außenseiter im Chor der Glaubenden:

Thomas, der Zweifler

image

Komm und sieh

Die ersten Jünger

Es gibt Stunden, die entscheiden über unser ganzes Leben. Solche unvergesslichen Momente heben sich ab vom alltäglichen Allerlei. In seinem Buch „Sternstunden der Menschheit“ schreibt Stefan Zweig: „Stunden, in denen eine zeitüberdauernde Entscheidung auf ein einziges Datum, eine einzige Minute zusammengedrängt ist, sind selten im Leben eines Einzelnen und selten im Lauf der Geschichte.“ Von einer solchen Stunde berichtet der Apostel Johannes in seinem Evangelium. Die Erinnerung führt diesen hochbetagten Mann viele Jahrzehnte zurück. Seine erste Begegnung mit Jesus ist ihm ganz gegenwärtig. Er kann noch nach 60 Jahren den genauen Ort sowie Zeit und Stunde angeben.

Am nächsten Tag stand Johannes abermals da und zwei seiner Jünger; und als er Jesus vorübergehen sah, sprach er: Siehe, das ist Gottes Lamm! Und die zwei Jünger hörten ihn reden und folgten Jesus nach. Jesus aber wandte sich um und sah sie nachfolgen und sprach zu ihnen: Was sucht ihr? Sie aber sprachen zu ihm: Rabbi – das heißt übersetzt: Meister –, wo ist deine Herberge? Er sprach zu ihnen: Kommt und seht! Sie kamen und sahen’s und blieben diesen Tag bei ihm. Es war aber um die zehnte Stunde (Johannes 1,35-39).

Diese Begegnung – zwei Stunden vor Sonnenuntergang – ist Johannes – der wohl einer der beiden erwähnten Jünger ist und später das Evangelium verfasst hat; der andere ist Andreas, wie wir später erfahren – so präsent, als ob es gestern gewesen wäre. Es geht ihm so, wie es allen Menschen geht, die Jesus begegnen: Eher würde jemand seinen Geburtstag vergessen, als dass er diesen Tag vergessen könnte. Es gibt besondere Momente, die wiegen tausend andere auf.

Einen ganzen Tag sind Andreas und Johannes mit Jesus zusammen gewesen. Sie haben sicherlich viel zu besprechen gehabt. Von der Unterhaltung hält Johannes aber nur Bruchstücke fest. Die Person Jesu muss ihn bei diesem Treffen stärker beeindruckt haben als der Gesprächsverlauf. Das ist bei Begegnungen oft so.

Der Abschnitt im Johannesevangelium beginnt mit einer Zeitangabe. Was ist diesem unvergesslichen Tag vorausgegangen? Johannes der Täufer wirkt als Bußprediger am Jordan. Er gibt Auskunft über sich selbst und über seine Sendung (Verse 19-28). Die späteren Apostel Johannes und Andreas gehören zu diesem Zeitpunkt zu seinem Jüngerkreis. Mehrere Tage lang müssen sie schwere geistliche Kost verdauen. Der Täufer erspart seinen Zuhörern nichts. Einige Kostproben: „Niemand kann Gottes Zorn entgehen. Es kommt jemand mit eisernem Besen zum Großreinemachen. Mit der Axt wird er einen Kahlschlag vornehmen, Spreu wird er vom Weizen trennen. Was jetzt so ungehemmt geschieht, wird vergolten werden. Zeigt durch eure Taten, dass ihr euch wirklich ändern wollt.“ Nachzulesen bei Matthäus und Lukas.

Solche Worte bewirken Erschrecken und Furcht. Wer sie ernst nimmt, geht bedrückt durchs Leben. Gibt es jemanden, der bei dieser Gerichtsbotschaft wirklich aufatmen kann? Fachleute meinen sogar, dass solche Bußpredigten feinfühlige Menschen krank machen. Bis heute gibt es dafür Beispiele. Weil Johannes Jesus noch nicht kannte (Verse 31.33), konnte er seinen Zuhörern nur sagen, was sie alles würden ertragen müssen. Es musste ein neuer Tag kommen (Vers 29), an dem der Bußprediger von Gott selbst auf eine neue Spur gesetzt wurde (Verse 31-34). Erst dann konnte er weitersagen, was ihm am Tag zuvor noch verborgen war (Vers 29): Da kommt jemand im Auftrag Gottes und trägt, was wir nicht ertragen können. Nachdem er zunächst von sich selbst und seiner Sendung gesprochen hat, weist er nun auf Jesus hin: „Siehe, das ist Gottes Lamm, das der Welt Sünde trägt!“ (Vers 29).

Dies ist der Hintergrund für die Begegnung Jesu mit Johannes, seinem späteren Jünger, und Andreas. Für die beiden wird es eine bleibende Lebensbereicherung sein, einen Lehrer gehabt zu haben, der ihnen die Augen für die zerstörende Macht der Sünde geöffnet hat, ihnen aber gleichzeitig auch den Blick auf Jesus gewiesen hat, der Sünde nicht nur erträgt, sondern wegträgt. Welche Chance für Eltern und Großeltern bis heute! Leute, die die Diagnose für die Misere der Welt kennen, darüber nicht nur jammern, sondern auch den Therapeuten, unseren Heiland Jesus Christus, benennen, werden gesucht.

Nachdem Johannes der Täufer von sich weg auf den Sohn Gottes verwiesen hat, erlebt er, wie zwei seiner Jünger sich von ihm lösen und sich Jesus zuwenden. Der Täufer lässt sie ungehindert gehen. Bevor sie selbst etwas sagen können, ergreift Jesus die Initiative. Er kommt ihnen auf halbem Wege entgegen und fragt sie: „Was sucht ihr?“ Immer ist es Gott, der den Anstoß gibt, wenn er Menschen ruft und beruft. Jesus hätte auch fragen können: „Wen sucht ihr?“ Er weiß nur zu gut, dass wir Menschen in der Regel zunächst gar nicht ihn als Person suchen, sondern Sinndeutung, Erfolg oder Gesundheit. Es ist oft ein langer Weg, bis Menschen sprechen lernen: Wir suchen nicht irgendetwas bei dir, Jesus, sondern wir suchen dich.

Andreas und Johannes haben im Leben schon immer etwas gesucht. Sonst wären sie nicht zu Johannes dem Täufer gegangen. Unsere Sehnsüchte haben etwas mit Suchen zu tun. Jeder von uns sucht etwas, weil er etwas zu werden wünscht, was er nicht ist. Darin unterscheiden wir uns von den Tieren. Das Eichhörnchen ist auf einem Baum voller Nüsse vollkommen glücklich. Die Kuh ist zufrieden, wenn sie auf einer Wiese saftiges Gras findet. Unser Herz dagegen ist für Gott geschaffen und sehnt sich nach Gemeinschaft mit ihm. Seit dem verlorenen Paradies ist der Mensch auf der Suche. Der Mensch sucht seinen Ursprung und Beziehung. Die vaterlose Welt sucht ihren Vater.

Johannes und Andreas haben sicherlich nicht so abstrakte Gedanken. Sie sind von Beruf Fischer. Arbeit haben sie genug. In ihrem Familienverband sind sie geborgen. Eigentlich haben sie alles, was ein Mensch zum Leben braucht. Und doch