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    John Lennox– Gott im Fadenkreuz– Warum der Neue Atheismus nicht trifft– Aus dem Englischen von Doris C. Leisering– SCM R.Brockhaus

Dieses Buch erscheint in der Reihe »Glaube und Wissenschaft« des INSTITUTS FÜR GLAUBE UND WISSENSCHAFT.

Herausgeber der Reihe ist Dr. Jürgen Spieß.

Wenn nicht anders angegeben, sind alle Bibelstellen nach der Revidierten

Deutsche Bearbeitung: Michael Dennstedt

ISBN 978-3-417-22656-0 (E-Book)

Datenkonvertierung E-Book:

© der deutschen Ausgabe 2016

Original published under the title: More Drops

Übersetzung: Carmen Matussek

Mit tiefer Wertschätzung
für meine Freunde und Kollegen
David Gooding,
Michael Middleton
und Arthur Williamson

Inhalt

Über den Autor

Einleitung

Der Vorwurf der »Bright Brigade«

Was ist neu an den Neuen Atheisten?

Warum so aggressiv?

Die religiöse Landschaft

Der Neue Atheismus und die Wahrheit

An Gottes Stelle

Die moralische Dimension

Einige Definitionen

Die Ironie des Versuchs, die Religion abzuschaffen

Kapitel 1
Sind Gott und Glaube Feinde von Verstand und Wissenschaft?

Stephen Hawking und Gott

Was ist Glaube?

Glaube an Menschen

Ist der Glaube an Gott blind oder beruht er auf Belegen?

Glaube und Freud: Ist Glaube eine Wahnvorstellung?

Glaube und Wissenschaft

Glaube, Indizien und Beweise

Der Glaube an Gott und die menschliche Erkenntnisfähigkeit

Auf welche Belege gründen Wissenschaftler ihren Glauben an die rationale Begreifbarkeit des Universums?

Zusammenfassung

Kapitel 2
Vergiftet die Religion alles?

Die Gefahr ungerechtfertigter Verallgemeinerungen

Hat das Christentum Gewalt hervorgebracht?

Das Ausmaß der Gewalt in der Christenheit

Gewalt gegen Kinder: Ist religiöse Erziehung Kindesmisshandlung?

Hat das Christentum etwas Gutes gebracht?

Ein Atheist, der glaubt, dass Afrika Gott braucht

Kapitel 3
Vergiftet der Atheismus alles?

Die neuatheistische Einstellung zur Geschichte

Ist der Neue Atheismus gefährlich?

Der Neue Atheismus ist nicht neu

Kapitel 4
Können wir ohne Gott gut sein?

David Hume und das »Sein-Sollen-Problem«

Sozialdarwinismus

Soziobiologie

Evolution und Altruismus

Die Abschaffung der Moral

Zusammenfassung

Kapitel 5
Ist der Gott der Bibel ein Despot?

Neuatheistische Moral: Die Neuen Zehn Gebote

Probleme der alttestamentlichen Moral

Die Invasion Kanaans und ihr moralischer Kontext

Gottes Gericht

Der Kern des Problems

Die Bedeutung des Kreuzes Christi

Kapitel 6
Ist die Erlösung moralisch abstoßend?

Die Erbsünde

Ist das stellvertretende Sühneopfer unmoralisch?

Kapitel 7
Sind Wunder reine Fantasie?

David Hume und Wunder

Das Argument von der Gleichförmigkeit der Natur –Humes widersprüchliche Position

Wunder und die Naturgesetze

Das Argument von der Gleichförmigkeit der Erfahrung

Humes Kriterien für Belege und die Glaubwürdigkeit von Zeugen

Humes Kriterien und die Hypothese, dass die Jünger Schwindler waren

Humes Kriterien und die Ursache der Entstehung des Christentums

Humes weitere Einwände gegen Wunder

Kapitel 8
Ist Jesus von den Toten auferstanden?

Die Quellen der Belege

Die Anzahl der Manuskripte

Das Alter der Manuskripte

Abschriftfehler

Sind die Evangelien Fiktion?

Belege für die Auferstehung

I. Der Tod Jesu

II. Das Begräbnis Jesu

III. Das leere Grab

IV. Die Augenzeugen

Einige letzte Überlegungen

Kapitel 9
Abschließende Gedanken

Anmerkungen

Über den Autor

John Lennox ist Professor für Mathematik in Oxford und erfolgreicher Buchautor. Seine Veröffentlichungen beschäftigen sich mit dem Verhältnis von Glauben und Wissenschaft. 2007–2009 führte er vielbeachtete öffentliche Debatten mit Richard Dawkins und Christopher Hitchens, profilierten Vertretern des Neuen Atheismus.

Autor

Einleitung

Auch wenn man Flöhe nicht hüten kann, machen sie sich in ausreichender Zahl doch so bemerkbar, dass man sie nicht mehr ignorieren kann.

Richard Dawkins

Wahrscheinlich gibt es keinen Gott, also machen Sie sich keine Sorgen mehr, und genießen Sie Ihr Leben.

Bus-Werbekampagne der britischen Humanisten

 

Der Atheismus ist in der westlichen Welt auf dem Vormarsch. Lautstark. Mit einer konzertierten Aktion versucht man, die atheistischen Getreuen zusammenzubringen und sie zu ermutigen, sich ihres Atheismus nicht zu schämen, sondern aufzustehen und als vereinte Armee zu kämpfen. Der Feind ist Gott. Sie schießen auf Gott. Ihr größtes Kaliber, auch als ehemaliger Oxford-Professor für das Öffentliche Verständnis der Wissenschaft bekannt, war bisher Richard Dawkins. Im Jahr 2005 wurde er von der Zeitschrift Prospect UK zu einem der drei führenden öffentlichen Intellektuellen der Welt gekürt. Sein Buch Der Gotteswahn1, erschienen 2006, dominierte monatelang die Bestsellerlisten und verkaufte sich allein in der englischsprachigen Ausgabe mehr als zwei Millionen Mal.

Allerdings gibt es jetzt ein noch größeres Kaliber, zumindest was seine akademischen Referenzen anbelangt – den Cambridge-Professor für theoretische Physik Stephen Hawking. Jahrelang schien Hawking die Gottesfrage offengelassen zu haben. Am Ende seines Bestsellers Eine kurze Geschichte der Zeit schrieb er: »Wenn wir jedoch eine vollständige Theorie entdecken … wäre das der endgültige Triumph der menschlichen Vernunft – denn dann würden wir Gottes Plan kennen.«2 Doch in seinem letzten Buch Der große Entwurf3, das er zusammen mit Leonard Mlodinow schrieb, behauptet er, dass nun kein Platz mehr für Gott sei. Natürlich ist Richard Dawkins entzückt und sagt über Gott: »Darwin hat ihn aus der Biologie verbannt, doch die Physik war sich noch unsicher. Nun versetzt Hawking ihm den Gnadenstoß.«

Im Kielwasser von Dawkins schwimmt eine ganze Phalanx von im Verhältnis zu ihm eher kleinkalibrigen, aber ebenso schießwütigen Revolverhelden, angeführt von dem höchst wortgewandten in den USA lebenden Briten Christopher Hitchens (gestorben 15.12.2011, nach dem Erscheinen der englischen Originalausgabe; Anm. d. Übers.). Er war Professor in New York und Autor von Der Herr ist kein Hirte.4 Als Nächster folgt ein Naturwissenschaftler, Daniel Dennett, der Breaking the Spell: Religion as a Natural Phenomenon5 (Den Bann brechen: Religion als Naturphänomen) verfasste. Er bezeichnet sich selbst als »gottlosen Philosophen«6. Schließlich gibt es noch den etwas jüngeren Neurowissenschaftler Sam Harris, der The End of Faith7; Brief an ein christliches Land8 und das noch relativ neue The Moral Landscape9 schrieb.

Doch das Anti-Gott-Adrenalin fließt nicht nur durch die englischsprachige Welt. In Frankreich ist der prominenteste Aktivist – und das ist keine Überraschung – kein Naturwissenschaftler, sondern ein Philosoph: der erfolgreiche Autor Michel Onfray, Verfasser von Wir brauchen keinen Gott10. Von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet, spricht er regelmäßig vor riesigen und äußerst aufmerksamen Zuhörerschaften. In Italien provozierte der Mathematiker Piergiorgio Odifreddi mit seinem Essay Warum wir keine Christen sein können (und erst recht keine Katholiken)11 eine Kontroverse. Der Vatikan war nicht gerade angetan von seiner Parodie des lateinischen Segens, in dem er die Dreifaltigkeit durch Pythagoras, Archimedes und Newton ersetzte.

Dawkins hofft, eine atheistische »Erweckung« in Gang bringen zu können – obwohl diese Aufgabe seinen eigenen Worten zufolge so knifflig ist, wie den sprichwörtlichen Sack Flöhe zu hüten: »Auch wenn man Flöhe nicht hüten kann, machen sie sich in ausreichender Zahl doch so bemerkbar, dass man sie nicht mehr ignorieren kann.«12 Nun, er, der Ober-Flohhirte, und seine Kollegen demonstrieren unzweideutig, wie man sich unangenehm bemerkbar macht. Ob sich dieses Gewusel in etwas Allgemeinverständliches umarbeiten lässt, ist eine ganz andere Frage.

Ein Versuch der Neuen Atheisten, ihre Botschaft an die Menschheit zu bringen, ist die Werbung auf Bussen. Eine Zeit lang waren Gelenkbusse das Medium, das die atheistische Botschaft verbreitete. Sie fuhren durch die großen Städte Großbritanniens und brachten die bemerkenswert unbeeindruckende Aussage: »Es gibt wahrscheinlich keinen Gott, also machen Sie sich keine Sorgen mehr, und genießen Sie Ihr Leben.« Außer der Werbung für einen bekannten Schokoriegel gibt es wahrscheinlich nur sehr wenige Werbesprüche, die das Wort »wahrscheinlich« enthalten. Oder können Sie sich vorstellen, dass sich irgendjemand von einer Werbung wie »Dieses Medikament hat wahrscheinlich keine gefährlichen Nebenwirkungen …« oder »Diese Bank wird wahrscheinlich nicht zusammenbrechen …« oder »Dieses Flugzeug bringt Sie wahrscheinlich an Ihr Ziel …« hinter dem Ofen hervorlocken lässt? Trotzdem war Richard Dawkins bereit, diese Kampagne aus eigener Tasche zu unterstützen.

Natürlich wollten die deutschen Atheisten dem in nichts nachstehen. Da sie keine Genehmigung für eine ähnliche Kampagne auf öffentlichen Bussen erhalten konnten, mieteten sie einen Bus eines privaten Unternehmens, um ihre Botschaft zu verbreiten. In typisch teutonischgroßem Stil verkündeten sie gewissenhaft: »Es gibt (mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) keinen Gott. Ein erfülltes Leben braucht keinen Glauben.« Auf seiner Reise durch Deutschland bekam dieser Bus Konkurrenz von einem ähnlichen Fahrzeug, das Christen gemietet hatten. Darauf stand die einfache, bescheidene Frage: »Und wenn es ihn doch gibt …« Die Medien waren begeistert, in einer Stadt nach der anderen beide Busse nebeneinandergeparkt zu sehen. Und der Effekt? Gott stand unübersehbar auf der Tagesordnung.

Nun kann ich mir vorstellen, dass das Wort »wahrscheinlich« aus rechtlichen Gründen hinzugefügt wurde, um Gerichtsverfahren nach dem Warenkennzeichnungsgesetz zu vermeiden. Den Atheisten ist natürlich klar, dass sie nicht genügend Belege ansammeln können, um ein Gericht davon zu überzeugen, dass die Wahrscheinlichkeit von Gottes Existenz gleich null ist – und wenn sie nicht gleich null ist, dann ist Gottes Existenz möglich. Und wenn man genauer darüber nachdenkt, kann man auch Richard Dawkins’ Existenz nicht einfach voraussetzen. Seine – so wie unser aller – Existenz ist unwahrscheinlich. Und dennoch – man mag es kaum glauben – gibt es Richard Dawkins und Sie und mich tatsächlich. Die Botschaft auf dem Bus geht an der eigentlichen Frage vorbei. Die lautet nämlich nicht: »Wie wahrscheinlich ist Gott?«, sondern: »Gibt es Belege dafür, dass es Gott wirklich gibt?«

Wenn wir noch nicht in den Atheismusbus eingestiegen sind, sollten wir vielleicht die Frage stellen, was für ein Gott das ist, dessen Existenz für unwahrscheinlich gehalten wird. Der Slogan informiert uns stolz darüber, dass es ein Gott ist, dessen Existenz (zumindest in der Vorstellung der Atheisten) mit Sorgen und einem Mangel an Vergnügen verbunden ist. Zweifellos soll das im Umkehrschluss heißen, dass Atheismus die Quelle der Freude ist, die diesen bedrückenden Gott nicht braucht und die Sorgen des Lebens erleichtern wird.

Der Mathematiker David Berlinski macht dieser Vorstellung allerdings einen realistischen Strich durch die Rechnung.

»Die These, dass, wenn es keinen Gott gibt, die Nichtgläubigen sich auf viele neue Vergnügungen freuen können, wirft eine offensichtliche Frage auf: Haben wenigstens die Atheisten aufgehört, sich Sorgen zu machen, und angefangen, ihr Leben zu genießen? In der Tat hat man in den letzten Jahren nicht feststellen können, dass die prominenten Atheisten ihr Gewissen mit Ängstlichkeit belastet hätten. Man kann sich nur schwer vorstellen, wie Richard Dawkins, Sam Harris, Daniel Dennett oder Christopher Hitchens noch mehr aufhören könnten, sich Sorgen zu machen, als sie bereits aufgehört haben, sich Sorgen zu machen.«

Er fährt fort:

»Wer allerdings den Atheismus als neue persönliche Überzeugung in Erwägung zieht, wird die versprochene Linderung der Angst nicht finden. Wenn die große Sorge, die der Atheismus hervorruft, Gottes Unmut ist, scheint es, dass – in Anbetracht der Tatsache, wie vorsichtig sie von seiner Nichtexistenz reden – die Atheisten ihre Sorgen zu früh über Bord geworfen haben. Ganz gleich, welche anderen Vorteile der Atheismus noch zu bieten hat, gilt er doch allgemein nicht als Position, die dazu gedacht ist, die schlimmsten Ängste der Menschheit zu stillen. Und wie die Arbeiten von prominenten Atheisten erahnen lassen, haben diejenigen, die tatsächlich aufgehört haben, sich Sorgen zu machen, dies nur getan, weil sie aufgehört haben zu denken.«13

Einer der prominentesten Atheisten, Jean-Paul Sartre, sagte: »Atheismus ist ein langes, hartes, grausames Geschäft.« Könnte es daher nicht sein, dass die Sorgen keine Konsequenz des Glaubens an Gott, sondern vielmehr untrennbar mit der Ablehnung Gottes verbunden sind? Und wäre es dann nicht klug zu fragen, wohin der Atheismusbus fährt, bevor man einsteigt? Die Slogans auf der Seite eines Busses könnten einen davon abhalten, auf die Anzeige mit dem Bestimmungsort zu sehen …

Doch die Werbekampagne der Atheisten endete nicht bei den Bussen. Im Jahr 2009 ließen Richard Dawkins und die britische Humanistenvereinigung Plakate produzieren, auf denen zwei sehr glücklich aussehende Kinder mit dem Slogan »Bitte drück mir kein Etikett auf. Lass mich erwachsen werden und selbst entscheiden« zu sehen waren. Die Ironie an der Geschichte: Es stellte sich heraus, dass die lachenden Kinder, die von den Atheisten als Inbegriff ihrer Vorstellung von kindlichem Glück ausgesucht worden waren (und die Voraussetzung für Glück ist ja bekanntlich der Atheismus!), aus einer gläubigen christlichen Familie stammten. Der Vater der Kinder sagte dazu, er empfände es als großes Kompliment, dass genau diese Kinder glücklich und frei auf die Atheisten wirkten, ohne dass sie etwas über ihren familiären Hintergrund wussten.14

Ich werde später noch erklären, weshalb ich den Wunsch der Atheisten, Kinder nicht von vornherein festzulegen und selbst entscheiden zu lassen, gut verstehen kann. Allerdings steht die Frage, ob und wie Eltern ihren Kindern vermitteln sollten, was sie selbst glauben, auf einem ganz anderen Blatt.

Zurzeit scheint es so, als sei Richard Dawkins der Cheffahrer des Atheismusbusses. So wie er bin auch ich Wissenschaftler (Mathematiker); wie er glaube ich an die Wahrheit; und ebenfalls wie er bin ich Professor an der Universität Oxford. Doch anders als er bin ich Theist – genau gesagt, Christ. Ich verbinde die Existenz Gottes als solche nicht mit Sorge, sondern mit Freude. Wenn ich eine Buswerbung entwerfen müsste, würde ich vielleicht sagen: »Es gibt stichhaltige Belege für die Existenz Gottes. Vertrauen Sie ihm deshalb und erleben Sie echte Freude.« Natürlich ist mir klar, dass Gott für die Atheisten durchaus Grund zur Sorge sein könnte. Immerhin bemerkte Lukrez schon vor Jahrhunderten, wenn es Gott gibt, werden die Atheisten eines Tages vor ihm stehen. Mehr dazu später.

Richard Dawkins und ich haben bisher zwei große öffentliche Debatten geführt: Die erste fand 2007 in Birmingham, Alabama, statt, wo wir über einige der Hauptthesen aus seinem Bestseller Der Gotteswahn15 diskutierten. Die zweite Debatte stand unter der Frage »Hat die Wissenschaft Gott begraben?« zum Thema meines gleichnamigen Buches16. Diese zweite17 Debatte fand 2008 im Naturkundemuseum Oxford statt, dem Ort, an dem 1860 Thomas Henry Huxley seine berühmte Kontroverse über Darwins Über die Entstehung der Arten mit Bischof Samuel Wilberforce führte. Der Schauplatz war sowohl ungewöhnlich als auch dramatisch. Dawkins und ich saßen auf Hockern, über denen der riesige Kopf und Kiefer des eindrucksvollsten Ausstellungsstücks des Museums, des Tyrannosaurus-Rex-Skeletts, hoch und bedrohlich aufragten. Der T-Rex ist ausgestorben. Darüber sind Dawkins und ich uns einig. Dawkins denkt außerdem, dass Gott ausgestorben ist – oder, genauer gesagt, dass er nie existiert hat. Diese Ansicht teile ich nicht.

Ebenso gab es zwei öffentliche Debatten zwischen Christopher Hitchens, der sich selbst als Querdenker bezeichnete¸ und mir. Unsere erste Begegnung fand vor einem großen Publikum in der Usher Hall beim Edinburgh Festival 2008 statt. Das Thema dort war »Das neue Europa sollte den neuen Atheismus begünstigen«18. Am Ende der Debatte überraschten eine ganze Reihe von Zuhörern, die anfänglich ihre Unentschlossenheit zu dem Thema bekundet hatten, viele andere aus dem Publikum mit dem Antrag auf ein Negativvotum. In der Folge wurde die Debatte vom Moderator James Naughtie von der BBC für Christopher Hitchens als verloren entschieden, als Hitchens gnädigerweise einlenkte. Ein Zuhörer, der nicht zu diesem Meinungsumschwung beigetragen hatte, war Richard Dawkins. Er wirkte ganz und gar nicht erfreut über das Ergebnis.

Im März 2009 traf ich Hitchens zu einer ebenso lebhaften Revanchepartie wieder. Dieses Mal war es eine größere Veranstaltung, die vom Socratic Club der Samford-Universität in Birmingham, Alabama, ausgerichtet wurde. Die Fragestellung lautete: »Ist Gott groß?« – das Thema von Hitchens’ Bestseller.19 Vielleicht überrascht es nicht, dass dieses Mal keine Abstimmung stattfand.

Mit dem Physiker Victor Stenger (und anderen) führte ich ebenfalls eine Debatte, nämlich in Australien bei einer vom Sydney Morning Herald im August 2008 veranstalteten IQ2 Debate20 zum Thema »Ohne Religion wäre die Welt besser dran«. Bei der Sydney Science Week 2008 traf ich auf Michael Shermer, den Herausgeber des Sceptic Magazine, um über die Frage »Existiert Gott?« zu diskutieren. Im Juli 2009 gab es eine ausgedehnte moderierte Diskussion für das australische Fernsehen mit Peter Atkins, einem emeritierten Professor der Chemie in Oxford21. Außerdem führte ich im April 2011 eine sehr warmherzige öffentliche Diskussion mit Daniel Lowenstein (Juraprofessor an der Universität von Los Angeles) über das Thema »Ist das Christentum wahr?«22.

Das bringt mich zu meiner Motivation für dieses Buch. In allen meinen Debatten und Diskussionen habe ich mich bemüht, in der Öffentlichkeit eine glaubwürdige und rationale Alternative zum Angebot der Neuen Atheisten zu bieten, statt einfach nur zu versuchen, durch rhetorische oder emotionale Appelle die jeweilige Debatte zu »gewinnen«. Ob mir das gelungen ist oder nicht, dieses Urteil bleibt dem jeweiligen Publikum überlassen. Jedoch erlauben es diese öffentlichen Veranstaltungen natürlich nicht, eine vollständige Argumentation zu entwickeln. Daher erschien es mir lohnend, diese Erfahrungen zu nutzen und die zentralen Fragen in Buchform ausführlicher darzustellen.

Den wissenschaftlichen Aspekt habe ich bereits eingehend in meinem Buch Hat die Wissenschaft Gott begraben? behandelt und in einem weiteren Buch, Stephen Hawking, das Universum und Gott23, Stephen Hawkings und Leonard Mlodinows neuere Beiträge zur Debatte angesprochen. Aufgrund ihrer Aktualität werde ich einige dieser Argumente hier einbringen. Die Hauptdebatte beschränkt sich allerdings nicht auf die Wissenschaft. Tatsächlich haben die Argumente, die die Aufmerksamkeit der breiten Öffentlichkeit fesseln, oft eher mit Moral und den angeblichen Gefahren der Religion zu tun. Diese Fragen sollen uns hier am meisten beschäftigen.

Andere Autoren haben dafür bereits den Weg geebnet. Alister und Joanna McGrath haben in Der Atheismuswahn24 viele der Hauptargumente demontiert, ebenso wie Keith Ward in Why There Almost Certainly Is a God25. Etwas leichtere Lektüre stellt David Robertsons ausgezeichnete Einführung Briefe an Dawkins26 dar. Ein neuerer Titel ist Atheist Delusions: The Christian Revolution and Its Fashionable Enemies27 von David Bentley Hart, in dem der Autor äußerst wirkungsvoll bloßstellt, mit welcher Oberflächlichkeit der Neue Atheismus mit Geschichte umgeht. So könnte man sich fragen: Warum nun noch ein Buch?

Die Neuen Atheisten wollen Atheisten »sensibilisieren« und sie ermutigen, aufzustehen und sich zu ihrem Glauben zu bekennen. Daher suchen sie sich ständig neue Sprecher für ihre Sache. Sie wollen bekehren.28 Die Bedeutung der Fragen und das Ausmaß an öffentlichem Interesse erfordern eine Analyse der neuatheistischen Argumente aus so vielen Blickwinkeln wie möglich, sodass alle »sensibilisiert« werden – auch die Christen.

Mein Ziel ist es, einen dieser Blickwinkel darzustellen, in der Hoffnung, eine Hilfestellung geben zu können. Dieses Buch ist nicht einfach ein Produkt distanzierter Analyse, so wichtig diese auch ist. Es ist ein Produkt der öffentlichen Auseinandersetzung mit den Neuen Atheisten und ihrem Gedankengut. Ich habe die öffentliche Bühne betreten, um mit meiner Stimme diejenigen zu unterstützen, die davon überzeugt sind, dass der Neue Atheismus nicht automatisch die Einstellung aller denkenden Menschen sein muss, die die Wissenschaft für ein hohes Gut halten. Wie ich sind noch viele weitere Naturwissenschaftler und andere der Ansicht, dass der Neue Atheismus ein Glaubenssystem darstellt, das ironischerweise ein klassisches Beispiel desjenigen blinden Glaubens verkörpert, den es bei anderen so lautstark verachtet. Ich möchte gern meinen eigenen kleinen Beitrag dazu leisten, das öffentliche Bewusstsein diesem Umstand gegenüber zu stärken.

Allerdings habe ich noch einen weiteren Grund für dieses Buch. Durch die öffentliche Debatte haben die atheistischen Argumente und Reaktionen darauf zwangsläufig eine Vorrangstellung erhalten, was bedeutet, dass die positive Darstellung der Alternative tendenziell zu kurz kommt. Vielleicht wiederholen die Neuen Atheisten genau aus diesem Grund unaufhörlich Bertrand Russells berühmtes Mantra, es gäbe nicht genügend Beweise. Angesichts dessen möchte ich in diesem Buch dazu auffordern, nicht nur auf die atheistischen Einwände gegen den christlichen Glauben zu reagieren, sondern auch aktiv detaillierte positive Begründungen für die Wahrheit des Christentums zu liefern.

Mein besonderer Dank gilt den vielen Menschen, die mich über die Jahre zum Nachdenken über dieses Thema angeregt haben, einschließlich der Vertreter der atheistischen Weltanschauung, denen ich sowohl in öffentlichen Debatten als auch in privaten Gesprächen begegnet bin. Ich danke auch meinem Forschungsassistenten Simon Wenham sowie Barbara Hamilton für ihre unschätzbare Hilfe bei der Erstellung des Manuskripts.

Der Vorwurf der »Bright Brigade«

Die Neuen Atheisten betrachten sich als auserlesene und würdige Nachfahren der Aufklärung und haben sich demzufolge – in dem Versuch, das negative Image loszuwerden, das der Atheismus ihrer Ansicht nach bisher hatte – als die »Brights« (die »schlauen Köpfe«) präsentiert. Man muss Christopher Hitchens Anerkennung für seine Ablehnung eines solch »selbstherrlichen Vorschlags« zollen.29 Stellen Sie sich nur einmal vor, wie die Reaktion ausgefallen wäre, wenn die Christen sich ebenso töricht und herablassend als die »Cleveren« bezeichnet hätten.

Zweifellos werden diejenigen von uns, die anderer Ansicht als die »schlauen Köpfe« sind, automatisch als »kleine Leuchten«, »Dumme« oder gar »Kleingeister« abgestempelt. Dennett jedoch sagt, dies sei nicht zwangsläufig der Fall. Vielmehr sollten sich diejenigen, die an das Übernatürliche glauben, »Supers« nennen (von engl. supernatural – übernatürlich; Anm. d. Übers.).30 Ein »Super-Schlauer« wäre somit ein Widerspruch in sich.

Hitchens’ Einwand zu diesem ziemlich geschmacklosen Anfall von Hybris wurde ignoriert, und die »Brights« haben nun ihr Revier im Internet markiert, indem sie eine mehrsprachige Website unter diesem Namen eingerichtet haben. Dort finden wir die folgende Erklärung für den Begriff »Bright«: »Ein Bright ist eine Person mit einem naturalistischen Weltbild. Das Weltbild eines Bright ist frei von übernatürlichen und mystischen Elementen. Die Ethik und Handlungen eines Bright basieren auf einem naturalistischen Weltbild.«31

Als Kinder der Aufklärung betrachten sich die »Brights« als Lichtträger einer neuen Ära des rationalen Denkens, die der Finsternis religiösen Aberglaubens und Irrtums ein Ende setzen. Michel Onfray legt ein recht beschränktes Erinnerungsvermögen an den Tag, wenn er ihre Ziele folgendermaßen erklärt: »[Wir brauchen] eine Rückbesinnung auf den Geist der Aufklärung, die dem 18. Jahrhundert [seinen] Namen gegeben hat«32 – als habe es vor dem 18. Jahrhundert keinen hochkarätigen intellektuellen Diskurs gegeben und, wie Alasdair MacIntyre herausstellt33, als sei die Aufklärung als Grundlage für Moral nicht ein völliger Fehlschlag gewesen. Als hätte uns die Aufklärung auf einen aufstrebenden Pfad von der Barbarei zum Frieden gebracht, statt uns von einer gewalttätigen Revolution in die andere zu stürzen, bis wir im bisher blutigsten Jahrhundert aller Zeiten – dem zwanzigsten – den Abgrund der menschlichen Bosheit erreichten!34 Die »Bright Brigade« scheint in ihrem Schweinsgalopp nicht innehalten und über solche Fakten nachdenken zu wollen. Wir allerdings müssen – und werden – es tun.

Was ist neu an den Neuen Atheisten?

Die Neuen Atheisten gibt es nun schon seit einiger Zeit; in diesem trivialen Sinn sind sie also nicht mehr neu. Zudem waren auf intellektueller Ebene ihre Argumente noch nie wirklich neu. Neu sind allerdings ihr Ton und ihr Nachdruck. Die Neuen Atheisten sind viel lauter und schriller als ihre Vorgänger. Sie sind auch aggressiver. Dieser veränderte Ton ist der Tatsache geschuldet, dass sie sich nicht mehr damit zufriedengeben, Gottes Existenz zu leugnen. Zum Beispiel sagt Christopher Hitchens: »Ich bin weniger ein Atheist als vielmehr ein Antitheist; ich behaupte nicht nur, dass alle Religionen Versionen der gleichen Unwahrheit sind, sondern ich behaupte auch, dass der Einfluss der Kirchen und die Auswirkungen des religiösen Glaubens definitiv schädlich sind.«35 Die Agenda der Neuen Atheisten hat sich somit erweitert und beinhaltet nun auch den Angriff auf die Existenz des Glaubens selbst. Dieses besondere Merkmal wird von ihnen als Ausdruck ihres »Respektsverlustes« vor der Religion beschrieben. Wie Richard Dawkins sagt: »Ich habe den Respekt vor der Religion, der uns wie mit einer Gehirnwäsche eingebläut wurde, endgültig satt.« Christopher Hitchens fasst diese Position mit seiner allumfassenden und typisch ungestümen Aussage »Die Religion vergiftet alles«36 zusammen. Bradley Hagerty vom National Public Radio berichtet, dass Hitchens (unter dem tosendem Beifall eines hochkarätigen Publikums der Universität von Toronto) sagte: »Ich finde, die Religion sollte mit Hohn, Hass und Verachtung behandelt werden, und dieses Recht nehme ich in Anspruch.«37 Sam Harris’ Absicht ist es, »den geistigen und moralischen Anmaßungen des Christentums in seiner pflichtversessensten Form den Boden zu entziehen«.38

Warum so aggressiv?

Etwas scheint das Fass zum Überlaufen gebracht zu haben. Dieses Etwas war der Einsturz der Zwillingstürme am 11. September 2001. Dem deutschen Nachrichtenmagazin Der Spiegel zufolge war es dieses schreckliche Ereignis, das den Neuen Atheismus hervorbrachte. In einem Leitartikel mit dem Titel »Gott ist an allem schuld«39 hieß es: »Ohne die Anschläge auf New York und Washington gäbe es keinen Neuen Atheismus.« In einem späteren Interview mit der gleichen Zeitschrift sagte Richard Dawkins, der 11. September habe ihn »radikalisiert«40. Damit bestätigte er seine frühere Aussage:

»Die letzten Überbleibsel meines Respekts vor der nichtradikalen Religion verschwanden im Rauch und dem Atem raubenden Staub des 11. September 2001, gefolgt vom ›Nationalen Gebetstag‹, als Prälaten und Pastoren ihre beste zu Tränen rührende Martin-Luther-King-Imitation lieferten und Menschen aus inkompatiblen Glaubensrichtungen drängten, sich bei den Händen zu halten, vereint in einer Würdigung ebenderselben Kraft, die das Problem überhaupt erst verursacht hatte.«41

Die Logik ist ganz einfach. »Stellen wir uns«, sagt Dawkins, »doch mal mit John Lennon eine Welt vor, in der es keine Religion gibt – keine Selbstmordattentäter, keinen 11. September, keine Anschläge auf die Londoner U-Bahn, keine Kreuzzüge, keine Hexenverfolgung, keinen Gunpowder Plot, keine Aufteilung Indiens, keinen Krieg zwischen Israelis und Palästinensern, kein Blutbad unter Serben/Kroaten/Muslimen, keine Verfolgung von Juden als ›Christusmörder‹, keine ›Probleme‹ in Nordirland, keine ›Ehrenmorde‹, keine pomadigen Fernsehevangelisten im Glitzeranzug, die leichtgläubigen Menschen das Geld aus der Tasche ziehen (›Gott will, dass ihr gebt, bis es wehtut‹). Stellen wir uns vor: keine Zerstörung antiker Statuen durch die Taliban, keine öffentlichen Enthauptungen von Ketzern, keine Prügel auf weibliche Haut für das Verbrechen, zwei Zentimeter nackte Haut zu zeigen.«42

Diese Botschaft spricht natürlich eine Welt, die seit den von Extremisten verübten fanatischen Terroranschlägen in Angst lebt, besonders an. Wer von uns – abgesehen von den Gewalttätern selbst – hätte nicht gern eine Welt, die frei von solchem Schrecken ist? Die meisten von uns würden ohne Zögern den Neuen Atheisten darin zustimmen, dass einige Aspekte der Religion problematisch sind – äußerst problematisch. Wie könnten wir religiöse Extremisten »respektieren«, die junge Männer und Frauen dazu anstiften, sich als lebende Bomben den sofortigen Zugang zum Paradies zu sichern? Die Neuen Atheisten tun völlig recht daran, auf solche Dinge aufmerksam zu machen, besonders in Gesellschaften, in denen die Gefahr besteht, dass der öffentliche Diskurs aufgrund der »Political Correctness« zum Erliegen kommt.

Seite um Seite buchstabieren die Neuen Atheisten in allen schmutzigen Einzelheiten die mit der Religion verbundene Geschichte von Schrecken und Bosheit durch – von den grauenhaften Taten fundamentalistischer islamischer Selbstmordattentäter, die ihre unschuldigen Opfer töten und verstümmeln, bis hin zum unsäglichen Kindesmissbrauch durch Priester, die ihren Opfern die kindliche Unschuld rauben und ihnen ein oft brutales und dauerhaftes psychisches Trauma zufügen; von Sekten, die die Ängste ihrer Anhänger zur Gehirnwäsche nutzen, bis hin zur ethnischen Säuberung auf dem Balkan und den folgenschweren oder tödlichen Schusswunden, die sich extremistische Protestanten und Katholiken in Nordirland gegenseitig zufügen. Tatsächlich zeigt bereits ein flüchtiger Blick auf die heutige Welt, dass es nicht nur Krieg zwischen den verschiedenen Religionen gibt, sondern dass auch die verschiedenen Gruppen derselben Religion sich bis aufs Blut bekämpfen. Es ist eine widerliche Litanei. Zweifellos muss so die Religion als riesiges Problem erscheinen.

Nun gut, wenn also die Religion das Problem ist, dann ist die Lösung doch eindeutig (sagen die Neuen Atheisten): Schaffen wir die Religion ab. Ihrer Ansicht nach kann sich eine zivilisierte Gesellschaft nicht mehr den Luxus leisten, nachsichtig auf eine Religion herabzulächeln, die viel zu gefährlich und viel zu extrem für eine solche Selbstgefälligkeit geworden ist. Daher muss die Religion aus der Welt geschafft werden. Der Nobelpreisträger Steven Weinberg beispielsweise zögert auch nicht, dies laut zu äußern: »Die Welt muss aus dem schier endlosen Albtraum der Religion aufwachen. … Wir Wissenschaftler sollten alles in unserer Macht Stehende unternehmen, um den Einfluss der Religion zu schwächen. Das könnte sogar unser größter Beitrag zur Zivilisation sein.«

Dies ist, kurz zusammengefasst, das erklärte Ziel der Neuen Atheisten. Dem aufmerksamen Leser wird das totalitär klingende Wort »alles« in Weinbergs Äußerung nicht entgangen sein.43 Dawkins formuliert das Ziel folgendermaßen: »Wenn dieses Buch die von mir beabsichtigte Wirkung hat, werden Leser, die es als religiöse Menschen zur Hand genommen haben, es als Atheisten wieder zuschlagen«44, selbst wenn er in seinem nächsten Satz zugibt, dass diese Hoffnung schlichtweg vermessener Optimismus sein könnte. Er möchte nicht nur die getreuen Atheisten »auf Linie« bringen und sie ermutigen, sich zu ihrem Glauben zu bekennen (denn trotz aller gegenteiliger Proteste ist der Atheismus eine Glaubensrichtung, wie wir noch sehen werden). Vielmehr will er auch »missionieren« – bei anderen »ein Bewusstsein schaffen«, indem er die Reize des Atheismus beschreibt – und so eine noch stärkere atheistische Spur in der demografischen Landschaft hinterlassen.

Die religiöse Landschaft

Um einen Eindruck davon zu gewinnen, wie diese Landschaft aussieht, nehmen wir hier Bezug auf eine britische YouGov-Umfrage, die 2007 von dem BBC-Moderator John Humphrys in Auftrag gegeben wurde. Demzufolge bezeichneten sich 16 % der 2200 Befragten als Atheisten; 28 % gaben an, an Gott zu glauben; 26 % sagten, sie glauben an »etwas«, ohne genau zu wissen, worin dieses »Etwas« besteht; 9 % betrachteten sich als Agnostiker (darunter auch Humphrys selbst); 5 % sagten, sie würden gern an etwas glauben und beneideten alle Gläubigen, könnten aber selbst nicht glauben; 3 % wussten es nicht; 10 % hatten noch nicht eingehender darüber nachgedacht; und 3 % gaben die Antwort »Anderes«.45

Interessant ist auch, diese Zahlen vor dem Hintergrund einer vorangegangenen (2004) internationalen Umfrage in zehn Ländern zu betrachten, die ebenfalls von der BBC in Auftrag gegeben wurde und der Frage »Was die Welt über Gott denkt« nachging.46 Insgesamt bezeichneten sich dabei 8 % der Befragten als Atheisten. Das heißt, das Vereinigte Königreich hatte mit 16 % nicht nur einen doppelt so hohen Anteil an Atheisten wie der Durchschnitt, sondern auch insgesamt den höchsten Anteil. In den USA gaben etwa 10 % der Befragten an, nicht an Gott zu glauben, obwohl eine Gallup-Umfrage von 2005 den viel niedrigeren Anteil von 5 % ermittelt hatte. Ein Internet-Streifzug durch eine Auswahl von neueren Umfragen scheint darauf hinzudeuten, dass mehr Menschen bereit sind, die negative Aussage zu treffen, nicht an Gott zu glauben, als die positive Aussage, Atheisten zu sein – so unlogisch das auch erscheinen mag. Zum Beispiel gibt die 2001 durchgeführte American Religious Identification Survey (ARIS, »Untersuchung zur religiösen Identifikation der Amerikaner«) den Anteil von Atheisten in den USA mit 0,4 % an, obwohl sich 14 % als nicht religiös bezeichnen.47

So interessant diese Zahlen auch als Indikator dafür sein mögen, wie schwierig es für die Neuen Atheisten ist, sich Gehör zu verschaffen, lässt sich doch die zentrale Frage – ob ihr Atheismus wahr ist oder nicht – nicht durch das reine Zurückgreifen auf statistische Analysen beantworten. Um die Wahrheit herauszufinden, brauchen wir schlagkräftigere Belege.

Der Neue Atheismus und die Wahrheit

Ein erfrischendes Merkmal des Neuen Atheismus ist, dass er nicht nennenswert vom postmodernen Relativismus beeinflusst ist, zumindest was den Bereich der Wahrheit angeht. Richard Dawkins schreibt augenzwinkernd: »Zeigen Sie mir in 10 000 Metern Höhe einen Kulturrelativisten, und ich zeige Ihnen einen Heuchler.«48 Seine christlichen Leser ansprechend, sagt Sam Harris: »[Ich möchte] zunächst einmal einräumen, dass es viele Punkte gibt, in denen ich mit Ihnen konform gehe. Wir sind uns beispielsweise über die Aussagen einig: Wenn einer von uns recht hat, dann hat der andere unrecht.«49 Die Neuen Atheisten glauben also, dass eine dem menschlichen Verstand einsichtige Wahrheit existiert. Sie akzeptieren das Gesetz des ausgeschlossenen Dritten – entweder ist dieses Universum alles, was es gibt, oder nicht; entweder gibt es einen Gott oder nicht; entweder ist die Auferstehung Jesu geschehen oder nicht. In diesem Sinn vertreten sie mit ihrer Überzeugung durch und durch die Moderne. Das bedeutet konkret, dass wir von Anfang an genau wissen, worüber wir sprechen; wir haben zumindest eine Basis für eine rationale Debatte.

An Gottes Stelle

Im Jahr 2006 fand im Salk Institute im kalifornischen La Jolla eine Konferenz zum Thema »Jenseits des Glaubens: Wissenschaft, Religion, Vernunft und Überleben« statt. Sie hatte es sich zur Aufgabe gemacht, drei Fragen zu erörtern:

Sollte die Wissenschaft die Religion abschaffen?

Was sollte die Wissenschaft an die Stelle der Religion setzen?

Können wir ohne Gott gut sein?

Unter den Referenten waren führende Neue Atheisten wie Richard Dawkins und Steven Weinberg. Die Zeitschrift The New Scientist hielt diese Konferenz für so wichtig, dass sie in einer Sonderausgabe zu ihrem 50-jährigen Bestehen einen Bericht darüber veröffentlichte. Der Artikel trug den Titel »An Gottes Stelle«.50

Dieser Titel macht deutlich, dass das Ziel der Neuen Atheisten nicht einfach darin besteht, den Prozess der Säkularisierung durch die Verbannung Gottes aus dem Universum zu vollenden; vielmehr wollen sie etwas an die Stelle Gottes setzen. Und es ist nicht so, dass die Gesellschaft Gott durch etwas anderes ersetzen sollte – nein, die Naturwissenschaft sollte es tun. Offenbar ist kein anderer Bereich des menschlichen Denkens oder Handelns außer der Naturwissenschaft qualifiziert, in dieser Hinsicht irgendetwas Nützliches beizutragen. Die Naturwissenschaft ist oberste Instanz. Natürlich besteht die Naturwissenschaft aus verschiedenen Disziplinen, die von Menschen ausgeübt werden; somit wäre das letztendliche Ziel wohl, die Naturwissenschaftler zu Schiedsrichtern dessen zu machen, was von allen anderen Menschen nicht nur geglaubt, sondern verehrt werden soll. Vergessen Sie nicht, es ist Gott, der ersetzt werden soll! Sehen wir dort etwa weitere Hinweise auf einen gewissen Totalitarismus?

Die ersten beiden Fragen auf der Tagesordnung der Konferenz von La Jolla zeigen, dass die Verbreitung des Atheismus Teil eines größeren Ziels ist, nämlich der Krönung der Naturwissenschaft zur obersten Herrscherin. Dieses Ziel trägt kräftige Anklänge an eine ähnliche Kampagne von T. H. Huxley in den Jahren nach der Veröffentlichung von Darwins Über die Entstehung der Arten. Huxley betrachtete Darwins Theorie als seine Hauptwaffe, um den Griff des Christentums zu lockern und die Säkularisierung der Gesellschaft durch die Vorherrschaft der Naturwissenschaft zu erreichen. Bei einer berühmten Versammlung der British Association im Jahr 1874 in Belfast, bei der Huxley, J. D. Hooker (Botaniker) und John Tyndall (Vorsitzender der Britischen Gesellschaft zur Förderung der Naturwissenschaften; er erforschte die atmosphärischen Gase) die Hauptreferenten waren, war dieses Thema augenfällig. Tyndall sagte: »Alle religiösen Theorien müssen sich der Herrschaft der Naturwissenschaft unterwerfen und jeglichen Gedanken aufgeben, sie beherrschen zu wollen.«51

Die moralische Dimension

Unweigerlich müssen die Neuen Atheisten daher die Frage der Moral und Ethik angehen. Deshalb erscheint auch die dritte Frage (Können wir ohne Gott gut sein?) auf der Tagesordnung der Konferenz, auch wenn sie auf den ersten Blick fehl am Platz scheint. Die Organisatoren der Konferenz waren offenbar der Ansicht, die unbestreitbare Tatsache thematisieren zu müssen, dass – zumindest in der westlichen Welt – die jüdisch-christliche Tradition jahrhundertelang die Quelle der Moral war. Die Neuen Atheisten möchten die Religion abschaffen; daher müssen sie eine alternative Quelle für die Moral schaffen – nicht zuletzt, weil ihr Hauptvorwurf gegen die Religion ist, sie sei nicht nur intellektuell, sondern auch moralisch im Unrecht.

Daher können wir die Hauptpunkte der Agenda der Neuen Atheisten wie folgt zusammenfassen:

1. Die Religion ist eine gefährliche Täuschung: Sie führt zu Gewalt und Krieg.

2. Wir müssen daher die Religion abschaffen: Die Naturwissenschaft wird das erreichen.

3. Wir brauchen Gott nicht, um gut zu sein: Der Atheismus kann eine absolut adäquate ethische Basis bieten.

Einige Definitionen

Zunächst müssen wir etwas zur Bedeutung der Begriffe »Atheismus« und »Religion« sagen. Dem Oxford English Dictionary (OED) zufolge ist Atheismus (A-Theismus) der »Nichtglaube an die oder das Leugnen der Existenz eines Gottes«. Das OED zitiert Shaftesbury (1709): »Weder an ein formendes Prinzip oder einen formenden Verstand noch an eine andere Ursache, ein anderes Maß oder eine andere Regel der Dinge als den Zufall zu glauben … bedeutet, ein absoluter Atheist zu sein.« Dawkins definiert (unter Bezugnahme auf Steven Weinberg) seine Vorstellung von Gott so: »Wenn das Wort ›Gott‹ nicht völlig nutzlos werden soll, sollte man es so gebrauchen, wie die Menschen es im Allgemeinen verstanden haben: als Bezeichnung für einen übernatürlichen Schöpfer, ›den anzubeten für uns angemessen ist‹.«52 Dawkins’ erklärte Antipathie richtet sich demnach nur gegen das, was er »übernatürliche Götter« nennt. Sie sind die einer wahnhaften Idee entsprungenen Götter und von dem Gott einiger (Dawkins zufolge »aufgeklärter«) Wissenschaftler und Philosophen zu unterscheiden, bei denen der Begriff »Gott« zum Synonym für die Naturgesetze geworden ist – oder für eine Art kosmischer natürlicher Intelligenz, die, obwohl sie der menschlichen Intelligenz überlegen ist, sich letztlich doch wie jede andere niedrigere Intelligenz auch aus der primitiven Materie des Universums entwickelt hat. Daher ist das Angriffsziel der Neuen Atheisten der übernatürliche Gott der Bibel, der der Schöpfer und Erhalter des Universums ist.

Ich benutze den Begriff »Angriffsziel«, um auf den Umstand aufmerksam zu machen, dass die Neuen Atheisten nicht einfach Atheisten sind. Sie lassen sich vielleicht besser als Anti-Theisten beschreiben, im Gegensatz zu jener Art Atheist, der, obwohl er nicht selbst an Gott glaubt, ganz zufrieden damit ist, dass andere an Gott glauben, sofern sie ihn nicht stören.

Ein Resultat dieses Anti-Theismus ist, dass den Neuen Atheisten dabei vor allem die großen monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam vor Augen stehen, wobei ihr Hauptaugenmerk auf dem Christentum liegt. Pantheistische Religionen wie der Hinduismus und Religionen, die man vernünftigerweise auch als Philosophien einordnen könnte – wie der Konfuzianismus und einige Formen des Buddhismus –, spielen in der Literatur der Neuen Atheisten kaum eine oder gar keine Rolle.

Ich selbst bin in Nordirland aufgewachsen und kann diejenigen verstehen, die meinen, die einzige Lösung für die Probleme der Welt bestünde in der Abschaffung der Religion. Doch gerade weil ich in Nordirland aufgewachsen und trotzdem ein überzeugter Christ bin, habe ich vielleicht etwas zur Korrektur dessen beizutragen, was ich als bedenkliches Ungleichgewicht in der Logik des neuatheistischen Ansatzes empfinde. Dieses Ungleichgewicht betrifft sowohl die Diagnose als auch den Lösungsvorschlag der Neuen Atheisten.

Mit dieser Beunruhigung bin ich nicht allein. Viele Atheisten teilen sie. Barbara Hagerty weist in ihrem bereits erwähnten NPR-Bericht53 darauf hin, dass die gestiegene Aggressivität nicht auf allgemeine Zustimmung unter den Atheisten gestoßen ist. Sie zitiert dazu den Atheisten Paul Kurtz: »Ich betrachte sie als atheistische Fundamentalisten. Sie sind leider antireligiös und böswillig. Natürlich sind sie gute Atheisten und sehr engagierte Menschen, die nicht an Gott glauben. Doch diese aggressive und militante Phase des Atheismus richtet mehr Schaden an, als zu nützen.« Das Interessante dabei ist, dass Paul Kurtz das Center for Inquiry gegründet hat, dessen Mission es ist, »eine säkulare Gesellschaft zu fördern, die sich auf Wissenschaft, Vernunft, Informationsfreiheit und humanistischen Werten gründet«. Dieses Zentrum ist auch Organisator eines »Blasphemiewettbewerbs«, dessen Teilnehmer dazu eingeladen sind, kurze religionskritische Erklärungen einzureichen. Hagerty berichtete, dass Kurtz behauptet, durch eine »Palastrevolution« von seinem Posten im Center for Inquiry verdrängt worden zu sein.

Offensichtlich sind die Atheisten sich uneinig, was den aggressiven Ansatz der Neuen Atheisten betrifft, und manche finden ihn sogar regelrecht peinlich. Ihre Verlegenheit spiegelt die des Philosophen Michael Ruse wider, als er folgende Rezension für das Buch Der Atheismus-Wahn von Alister und Joanna McGrath schrieb: »Der Gotteswahn lässt mich mich dafür schämen, Atheist zu sein, und die McGraths zeigen warum.«54 Aus diesem Grund ist es wichtig, sich von Anfang an klarzumachen, dass die Neuen Atheisten längst nicht repräsentativ für alle Atheisten sind. Tatsächlich bemühen sich viele meiner atheistischen Freunde und Bekannten, sich von der Aggressivität der Neuen Atheisten zu distanzieren. Das überrascht mich nicht.

Der Agnostikerclub fühlt sich durch die Attacke der Neuen Atheisten ebenfalls gestört. In seinem Buch In God We Doubt55 (»An Gott zweifeln wir«) stellt der bekannte BBC-Radiomoderator John Humphrys die grundlegenden Ideen der Neuen Atheisten dar und seine Antworten darauf – in seiner einmalig angriffigen, kernigen Art. Das liest sich etwa so56:

1. Gläubige sind weitestgehend naiv oder dumm. Oder zumindest nicht so schlau wie Atheisten.

Antwort: Das ist so offensichtlich unwahr, dass es kaum wert ist, sich damit auseinanderzusetzen. Richard Dawkins brachte in seinem Bestseller Der Gotteswahn kaum mehr fertig, als eine »Studie« von Mensa anzuführen, die angeblich belegte, dass Intelligenz und Glaube sich umgekehrt proportional zueinander verhalten. Er behauptete ebenfalls, nur sehr wenige Mitglieder der Royal Society glaubten an einen persönlichen Gott. Na und? Manche Gläubige sind zweifellos dumm (man schaue sich nur Kreationisten an), aber ich habe auch ein oder zwei Atheisten kennengelernt, denen ich nicht einmal zutrauen würde, eine Glühbirne zu wechseln.

2. Die wenigen cleveren Gläubigen sind erbärmlich, weil sie eine Krücke brauchen, um durchs Leben zu kommen.

Antwort: Geht es uns nicht allen so? Manche benutzen dafür Bier statt der Bibel. Das beweist auch gar nichts.

3. Sie sind auch deswegen erbärmlich, weil sie die Endgültigkeit des Todes nicht akzeptieren können.

Antwort: Mag sein, doch das heißt nicht, dass sie unrecht haben. Fragen Sie einmal, wie viele Atheisten es in Schützengräben oder auf Krebsstationen noch gibt.

4. Der Glaube wurde ihnen per Gehirnwäsche eingetrichtert. Das »christliche Kind« gibt es beispielsweise nicht – es gibt nur das Kind, dessen Eltern es haben taufen lassen.

Antwort: Stimmt, und viele Kinder lehnen den Glauben ab, wenn sie älter werden. Aber viele andere bleiben auch dabei.

5. Sie wurden gewaltsam zum Glauben gezwungen.

Antwort: Auch das trifft in vielen Fällen zu, doch im Grunde kann man niemanden zum Glauben zwingen – nur dazu, so zu tun, als glaubte man.

6. Wenn wir den religiösen Glauben nicht bis spätestens übermorgen ausrotten, ist die Zivilisation, so wie wir sie kennen, zum Untergang verurteilt.

Antwort: Natürlich sind die verrückten Mullahs gefährlich, und natürlich ist der extreme Islamismus eine ernst zu nehmende Gefahr. Doch wir haben die monotheistischen Religionen ungefähr 4000 Jahre überlebt, und mir fallen ein oder zwei andere Dinge ein, die eine größere Gefahr für die Zivilisation darstellen.

7. Vertrauen Sie mir: Ich bin Atheist.

Antwort: Warum?

Und ironisch fügt Humphrys hinzu: »Ich entschuldige mich nicht dafür, dass ich die Ansichten der Neuen Atheisten in meiner kleinen Liste stark vereinfacht dargestellt habe: Das Gleiche machen sie ständig mit den Gläubigen.« In der Tat.

Natürlich gibt es noch mehr zu sagen. Doch diese Reaktion von John Humphrys, einem hochintelligenten Mann ohne religiöse Zugehörigkeit (er stuft sich selbst als Zweifler ein), soll zeigen, warum die Botschaft der Neuen Atheisten bei vielen Menschen ein ungutes Gefühl hinterlässt. Sie finden sie unausgewogen und an vielen Stellen extrem; bestenfalls unbegründet und schlimmstenfalls schlichtweg falsch. Dawkins fordert uns ständig dazu auf, kritisch zu sein, doch wir werden sehen, dass er bezüglich seiner Kritikpunkte und in der Tat auch bezüglich dessen, was er unter Kritik versteht, äußerst selektiv ist.

Die Ironie des Versuchs, die Religion abzuschaffen