Die Autorin

Claudia  Balzer – Foto © Privat

Claudia Balzer, Jahrgang 1987, wuchs vor den Toren Dresdens auf, wo sie noch heute mit Mann, Kind und zwei Katzen lebt. Schon im zarten Alter von fünfzehn Jahren hat sie sich in den Kopf gesetzt, ein Buch zu veröffentlichen, bevor sie dreißig wird. Dass sie ihr Ziel sogar deutlich vor ihrem dreißigsten Geburtstag erreicht hat, verdankt sie nicht nur einem ausgeprägten Hang zur Nachtaktivität, sondern vor allem ihrem Lieblingsgetränk: Kaffee.

Das Buch

Welche Geschichte erzählt dein Leben?

Juna braucht Geld, wenn sie endlich die Schulden ihres Vaters abzahlen und ihre Vergangenheit hinter sich lassen will. Da ist der lukrative Ghostwritingjob für YouTube-Superstar Yannick genau das Richtige. Auch wenn sie sich nicht erklären kann, dass ein 24-Jähriger eine Biografie veröffentlichen will. Was Juna nicht braucht, sind Aufmerksamkeit, Stress und vor allem Gefühle. Und sie ahnt, dass die Zusammenarbeit mit Yannick ihr all das einbringen könnte…  

Yannick braucht vieles, aber keine Autobiografie. Und schon gar keine Autorin, die in seinem Leben herumstöbert. Das machen seine Fans schon genug. Aber er weiß, nicht nur sein eigener Job steht auf dem Spiel, sondern auch die seines gesamten Teams. Er spürt die Verantwortung jeden Tag. Und bald spürt er etwas, von dem er dachte, dass es in der Scheinwelt von Clicks, Likes und Challenges gar nicht mehr gibt: Vertrauen, Lebensfreude und sogar echte Gefühle…

Von Claudia Balzer sind bei Forever erschienen:

In der Burn-Reihe:
Burn for Love - Brennende Küsse
Burn for You - Brennende Herzen
Burn for Us - Brennende Leidenschaft

Außerdem:
Flying Hearts
Meant to be
Nothing Between Us
Just one Breath
All the things we are
One Step Closer

Claudia Balzer

One Step Closer

Roman

Forever by Ullstein
forever.ullstein.de

Originalausgabe bei Forever
Forever ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin Mai 2022 (1)
© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2022
Umschlaggestaltung: zero-media.net, München
Titelabbildung: © FinePic®
Autorenfoto: © privat
E-Book powered by pepyrus
ISBN 978-3-95818-590-6

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Playlist

 

Was war der schlechteste Ratschlag, den du je bekommen hast?


Juna

Ein bekanntes Zitat gibt sinngemäß wieder, dass man zu jedem freundlich sein soll, weil man nie weiß, welche Kämpfe der andere mit sich austrägt, die sein Verhalten rechtfertigen könnten. Ich lebe nach diesem Sinnbild und gebe mein Bestes, immer freundlich zu sein.

Doch diese erste Begegnung hier stellt meine Prinzipien auf eine harte Probe. Mein Geldbeutel und ein lukratives Angebot zwingen mich dazu die Grenzen meiner Geduld und Toleranz bis zum Äußersten auszudehnen. Dieter Thelen ist eine Nummer für sich und Agent aus Leidenschaft. Er hat diese Art Freundlichkeit, die einem die Nackenhaare zu Berge stehen lässt. Ein Lächeln, das nie zu verschwinden scheint, selbst wenn er spricht. Der Anblick erinnert sehr an den Heath-Ledger-Joker. Es fehlen nur die grünen Haare und die Narben an den Mundwinkeln. Der Ausdruck in seinen Augen dagegen ist zum Verwechseln ähnlich. Seine unnatürlich weißen Zähne sind immer zu sehen. Seine Stimme ist melodisch, als ob er mich mit einem Schlaflied besänftigen will. Ich könnte nicht mit dem Finger darauf zeigen oder sagen »Da! Genau das lässt es mir kalt den Rücken runterlaufen!« Dieses Gefühl, es ist wie Zigarettenqualm. Man kann ihn sehen, riechen und schmecken, aber nicht greifen. Bei Batmans Erzfeind hat man die Verrücktheit auf den ersten Blick gesehen. Bei Dieter muss man sicherlich tiefer graben, um herauszufinden, warum alles in mir danach schreit, sein Büro zu verlassen. Vielleicht ist es auch sein Erscheinungsbild. Auf ihn zugeschnittene Designerkleidung, die aufgezwungen locker sitzt. Sie ist zeitlos und immer im Trend, aber nicht für seinen Typ geeignet. Oder sein Umgang mit Worten. Ein Gespräch von zehn Minuten würde reichen und man würde ihm, ohne es zu merken, sein Erstgeborenes versprechen.

Alles in diesem Büro ist darauf ausgelegt mich oder jeden, der es betritt, entweder zu beeindrucken oder einzuschüchtern – das kommt ganz darauf an, als was Dieter mich betrachtet. Freund oder Feind? Verbündete oder jemand, auf den man ein Auge haben muss. Ich will nichts davon sein. Ich will nur meinen Job machen.

Der Besucherstuhl, in dem ich sitze, ist bequemer als jedes Möbelstück in meiner Wohnung. Er scheint sich meinem Körper anzupassen und ihn zu umarmen. Mich würde nicht wundern, wenn das gute Stück mehr kostet als mein gesamtes Mobiliar. Alles in diesem Büro ist in Schwarz und Weiß gehalten. Jedes Detail ist aufeinander abgestimmt. Mit rollenden Schultern versuche ich die Kälte abzuschütteln, die dieser Raum ausstrahlt. Draußen ist der Sommer inzwischen in vollem Gang, doch die überdrehte Klimaanlage sorgt für Gänsehaut auf meinen Armen.

In meinem WG-Zimmer ist alles bunt zusammengewürfelt und ich liebe es. In diesem Berliner Büro bin ich fehl am Platz. Aber das bin ich so ziemlich überall. Ich muss mich darauf konzentrieren Dieters Worten zu folgen. Mein Instinkt sagt mir, dass er kein guter Mensch ist, und mein Instinkt hat mich noch nie im Stich gelassen. Ich bin einigen unangenehmen Menschen in meinem Leben begegnet und er ist definitiv nicht der schlimmste, aber wohl der, der am meisten heraussticht. Wie er sich vor mir bewegt, erinnert er mich mehr an einen aufgeblasenen Gockel als alles andere. Vom Alter könnte er mein Vater sein. Wenn ich meine Augen zukneife, könnte er ihm sogar ähnlichsehen. Vielleicht ist es das, was meine Abneigung ihm gegenüber noch steigert. Sein strahlend weißes Hemd ist um einen Knopf zu weit geöffnet und seine blonden Locken fallen ihm immer wieder in die Augen. Nach jedem Satz, den er sagt, pustet er sie sich aus dem Gesicht. Vermutlich soll sein Look einen Surfer-Vibe vermitteln. Ich finde ihn nur schleimig. Es gibt Menschen, bei denen es funktioniert und man ihnen das abkauft. Dieter gehört definitiv nicht dazu. Dazu versucht er es zu sehr. Ich bezweifle, dass er je auf einem Surfbrett gestanden hat. Dennoch sitze ich lächelnd und nickend vor ihm, als er mir seine Lebensgeschichte erzählt, und bemühe mich, innerlich nicht wieder einfach abzuschalten. Ich glaube ihm kaum eines seiner Worte. Er erzählt ebenso wie der Joker nur aufgeplusterte Geschichten, die nur er für wahr hält. Aber ich brauche diesen Job. Diesen hier speziell. Er verspricht eine Menge Geld, mehr als üblich. Ich muss nur die Details mit Dieter klären und dann habe ich hoffentlich nur noch wenige Berührungspunkte mit ihm.

»Du kennst Yannick sicherlich, Juna«, sagt er und hört endlich auf, vor mir auf und ab zu gehen. Auch gestikuliert er endlich nicht mehr ausschweifend mit seinen Händen oder seine Muskeln sind müde von der ständigen Bewegung oder er merkt, dass er mich mit seinen Worten nicht abholen kann, wie vielleicht seine üblichen Gesprächspartner. Er setzt sich in seinen Chefsessel auf die andere Seite des Schreibtisches, die Skyline Berlins in seinem Rücken.

»Natürlich.« Wieder lächle ich nur und nicke. Bis vor Kurzem habe ich ihn nur aus Erzählungen meiner besten Freundin gekannt, die ihn und seine Freunde vergöttert. Aber außerhalb dieser Fangirlmomente ihrerseits in unserem Wohnzimmer, wenn mal wieder eine besondere Aktion oder ein Livestream online geht, habe ich noch nie etwas von diesem Yannick Pohlmann mitbekommen. Er tauchte nie in irgendeinem meiner Social Media Feeds auf, weil die Algorithmen unsere Interessen nie verbunden haben. Erst, als sein Name in den Medien rauf und runter gespielt wurde, habe ich mehr Notiz von ihm genommen. Er ist der erste deutschsprachige YouTuber, der die Marke von zehn Millionen Abonnenten auf der Videoplattform geknackt hat. Es gibt andere deutsche Kanäle, die diese Zahlen schon lange erreicht haben, aber auf denen wird kein Deutsch gesprochen. Es mag ein kleiner Unterschied sein, aber Dieter wird sicherstellen, dass dieser Unterschied jedem bewusst wird. Seither sieht man Yannicks Gesicht überall. Auf jedem Plakat und in jeder Werbung. Und jetzt will er seine Memoiren schreiben.

Mit vierundzwanzig.

Vierundzwanzig!

Wenn man das Wort Memoire im Wörterbuch nachschlägt, findet man als Definition: eine veröffentlichte Lebenserinnerung, unter besonderer Berücksichtigung des persönlichen Entwicklungsganges sowie der Darstellung zeitgeschichtlicher Ereignisse.

Wer schreibt also in diesem Alter seine Lebenserinnerungen nieder? Mit meinen siebenundzwanzig Jahren würde es mir im Traum nicht einfallen. Aber ich sollte nicht urteilen, immerhin ist es meine Einkommensquelle und allemal besser, als die tausendste Produktbeschreibung zu verfassen, um die nächste Miete bezahlen zu können. Selbst mit meinen Romanen verdiene ich nicht so viel wie mit diesem Projekt hier. Es ist unter anderem meine Aufgabe als Ghostwriterin für andere Leute deren Ideen auf Papier zu bringen, die selbst dazu nicht in er Lage sind oder die Zeit nicht dafür haben. Es ist die ideale Lösung für meine Situation. Ich kann meiner Leidenschaft nachgehen und damit Geld verdienen, aber mein Name wird nicht veröffentlicht. Zumindest, wenn ich es nicht möchte. Für gewöhnlich will ich das auch nicht. Dennoch, auch wenn es die Kuh ist, die ich melke: Memoiren mit vierundzwanzig? Wie abgehoben muss man sein? Ich weiß, dass es ein Trend unter den Internetberühmtheiten ist. Unzählige solcher Bücher scheinen gerade den Markt zu überfluten. Ich versuche an meinen Prinzipien festzuhalten und nicht voreingenommen zu sein, aber die gegebenen Umstände erschweren mir dieses Vorhaben.

»Yannick ist großartig. Er ist mein bestes Pferd im Stall«, schwärmt Dieter und ich muss mir ein Augenrollen bei seiner Metapher unterdrücken. »Ich meine zehn Millionen! Juna! Kannst du dir das vorstellen?«

Ich knirsche unhörbar mit meinen Zähnen. Ich kann mich nicht erinnern, wann wir einvernehmlich beschlossen haben uns mit Du anzusprechen.

»Es ist eine imposante Zahl«, gestehe ich ein. Mich graut es jetzt schon, diese Zahl zu erhöhen. Wenn ich dieses Buch schreibe, wird ein beachtlicher Teil der Recherche Stunden vor seinen Videos auf YouTube beinhalten. Ich werde mir anonyme Accounts bei TikTok, Instagram und YouTube zusätzlich zu meinen bestehenden zulegen müssen, um alles Wissen über Yannick aufzusaugen, das ich finden kann, und mir damit meinen eigenen Feed in der Buchbubble nicht zu versauen. Dabei wird es nicht bei seinen Kanälen bleiben. Freunde, Wegbegleiter, Gegenspieler – sie alle gehören dazu, wenn ich es richtig machen will. Egal, als wie wenig sinnvoll ich dieses Buch erachte, eine gute Arbeit will ich dennoch abliefern. Dazu muss ich mich in ihn hineinversetzen können, auch wenn ich mir nicht vorstellen kann, so ein Leben in der Öffentlichkeit zu führen. Ein derartiges Dasein stelle ich mir als moderne Art der Folter vor. Ich habe noch nie verstanden, warum andere so ein enormes Interesse am Alltag und Leben von fremden Menschen haben. Ich meine, Yannicks Fans glauben, ihn in- und auswendig zu kennen, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass er wirklich alles in seinem Leben teilt und offenlegt. Die scheinbar perfekten Momentaufnahmen auf seinem Instagramprofil oder die strategisch platzierten TikTok-Videos sind eben nur das: eine Spiegelung des Augenblicks. Hinter der Kamera könnte das größte Chaos herrschen und niemand würde es mitbekommen. Yannicks Lächeln könnte fallen, sobald das Video oder das Foto gemacht ist. Niemand macht sich so öffentlich nackt und lässt alle in jeglichen Winkeln seines Lebens herumkriechen. Jeder hat in seinem Leben die eine oder andere Rumpelkammer, in die niemand einen Blick hineinwerfen darf. Dennoch komme ich nicht umhin selbst neugierig zu werden, wie es eben hinter jenen Kulissen, hinter der Fassade aussieht. Falls ich einen echten Einblick bekomme. Denn so wie Dieter spricht, soll dieses Buch eine reine Lobeshymne über seinen Liebling werden und nicht unbedingt die Wiedergabe von Tatsachen. Das muss meine Agentin gewusst haben, bevor sie mich hergeschickt hat und genauso weiß sie, dass ich niemanden schönschreibe. Ich vermute, dass ich Dieter Thelen ein gesamtes Kapitel widmen werde und ich bezweifle, dass ihm der Inhalt gefallen wird.

»Und er ist wirklich erst Anfang zwanzig?«, frage ich nach, obwohl ich die Antwort weiß. Aber ich muss Zeit überbrücken, bis besagter Yannick auftaucht. Unser Termin für ein erstes Treffen ist vor einer halben Stunde verstrichen. Ich weiß nicht, ob ich noch eine Runde Selbstdarstellung seines Agenten ertragen kann. Ich weiß nur, dass Dieter sich und Yannick, aber vor allem sich, großartig findet. Ob ich mir das antun würde, wenn ich das Geld nicht brauchen würde? Ich weiß es nicht. Meine Situation ist nun mal wie sie ist und ich kenne kein anderes Leben. Ich bin auch kein Freund davon, mir mit Was-wäre-wenn-Fragen den Kopf zu zerbrechen. Das mache ich genug in meinen Büchern, wenn ich Geschichten erfinde. Es ändert an der Realität nichts und man zieht sich damit nur selbst herunter.

Ich selbst könnte auch einige Kapitel über mein Leben schreiben. Ich spüre jedoch nicht den Drang dazu und warum nicht? Weil ich gerade einmal verdammte siebenundzwanzig Jahre alt bin. Zeitweise glich jeder meiner Atemzüge einem reinen Überlebenskampf. In meinem Kopf verstecken sich so viele Erinnerungen, die ich am liebsten mit einem Tippen auf die Löschtaste entfernen würde. Doch leider geht das nicht so einfach. Sie kriechen nachts aus ihren dunklen Ecken und suchen mich in meinen Träumen heim, bis ich schweißgebadet in die Wirklichkeit zurückkehre. Ich kann mir nicht vorstellen ihnen noch eine Bühne aus Papier zu geben.

Die Vermutung liegt nah, dass diese Idee zum Buch ein Ergebnis von Dieters Hirngespinsten ist. Aber wenn Yannick damit einverstanden ist, kann er nicht viel anders sein. Ob die Egos der beiden überhaupt Platz in diesem Büro finden werden? Ich meine, das Zimmer ist größer als die gesamte WG, die ich mir mit meiner besten Freundin Josi teile.

Ehe Dieter tatsächlich noch einmal ausholt, um mir von seinen fraglichen Erfolgen zu berichten, wird die Tür aufgeschwungen und ich wende mich dankbar für die Ablenkung dem neuen Besucher zu. Ich habe jedoch keine Augen für Yannick, der ebenfalls eintritt. Sein haariger Begleiter fängt sofort meinen Blick ein: Ein junger Golden Retriever, der eine abschätzige Bemerkung von Dieter bekommt und ein dickes, fettes Grinsen von mir. Er schwänzelt geradewegs auf mich zu und setzt sich neben mich, als ich ihm über den Kopf streichle. Aus der Nähe erkenne ich, dass der Hund ein Mischling ist. Wenn ich richtig liege, dann hat er die Fellfarbe eines Golden Retriever, aber seine Kopfform ist eindeutig die eines Schäferhundes.

»Musstest du den Köter mitbringen?«, fragt Dieter, als er um seinen Tisch eilt, um Yannick zu begrüßen. Er bemüht sich, seine schleimige Art aufrecht zu erhalten, aber es gelingt ihm kaum.

»Nur für dich, Dieter. Ich weiß doch, wie sehr du Hunde magst«, erwidert der Erfolgs-YouTuber. Seine Stimme ist tiefer, als ich angenommen habe und ein Schauer überzieht meinen Rücken. Dass er Dieter bereits mit dem ersten Satz aufzieht, bringt ihm Pluspunkte ein. Ich grinse auf das Tier neben mir herab und erst, als zwei Füße in Sneakers vor mir erscheinen, sehe ich auf.

Yannick sieht exakt so aus wie auf den Plakaten und in der Werbung. Ich weiß nicht, was ich erwartet habe. Vielleicht, dass die Werbeversion Photoshop entspringt? Oder, dass tausend Filter über jegliche Fotos gelegt wurden? Das Outfit, das an Dieter gezwungen erscheint, würde an Yannick wie für ihn gemacht aussehen. Seine dunklen Haare bändigt er mit einem Cap, natürlich nach hinten gedreht. Sein graues Shirt hat einen tiefen Ausschnitt, der durch eine lange Kette, dessen Anhänger unter dem Stoff versteckt ist, betont wird. Darüber trägt er ein hellblaues Hemd, dessen Ärmel bis zu seinem Ellbogen hochgekrempelt sind. Ein dunkelgrauer Rucksack ruht auf seinem Rücken und hält sein Skateboard sicher und seine Hände frei. Seine helle Jeans macht das Outfit komplett. Er könnte geradewegs als Protagonist in einem meiner Romane mitspielen. Das Lächeln, das ich ihm schenke, erwidert er nur zögerlich, aber freundlich.

»Dolby, aus!«, befiehlt er und der Hund trottet zu seinem Herrchen. Und dann – passiert nicht wirklich viel. Yannick wendet sich von mir ab, als wäre er nicht sicher, was er mit mir anfangen soll.

Außerdem sind seine Augen verdächtig rot. Ich könnte mich natürlich täuschen und er erholt sich nur von einer Bindehautentzündung. Aber ich bin ein gebrandmarktes Kind: Mir sieht es verdächtig danach aus, als hätte er etwas geraucht, das ziemlich wenig mit einer herkömmlichen Zigarette zu tun hat, oder er erholt sich von einem Kater. Leider befinden sich beide Möglichkeiten auf der Liste mit unverzeihlichen Dingen. Mein Vorsatz, unvoreingenommen zu bleiben, bröckelt langsam aber sicher.

»Setz dich, Yannick«, sagt Dieter und kehrt selbst auf seinen Stuhl zurück.

»Warum hast du mich herbeordert?«, fragt Yannick und verschränkt die Arme vor der Brust. Er setzt sich nicht. Für einen Moment sehe ich das erste Mal an diesem Vormittag Verunsicherung in Dieters Gesicht. Erst deutet er an, sich ebenfalls wieder hinzustellen, aber scheint sich dann eines Besseren zu besinnen, um sein Gesicht zu wahren.

»Yannick, darf ich dir Juna Roos vorstellen?«, sagt er freundlich und deutet mit einer ausladenden Geste auf mich. Yannick sieht auf mich herab und das nicht nur auf Grund unserer Positionen, sondern auch sprichwörtlich. Ohne zu lächeln oder auf eine andere Art und Weise zugänglich zu wirken, hebe ich meine Hand und winke kurz. Der Star in diesem Raum scheint noch immer nicht sicher, was er von mir halten soll, als er sich wieder seinem Agenten zuwendet und ich lache geräusch- und humorlos auf.

»Sollte ich sie kennen?«, fragt er, als wäre ich eine seiner unangenehmen Stalkerinnen, die er laut einigen Artikeln zuhauf hat. Die eben verteilten Pluspunkte streiche ich wieder. Er scheint genauso arrogant und herablassend wie sein Agent. Dieser hatte wenigstens noch den Anstand mich zu begrüßen und Freundlichkeit zu heucheln. Das einzig Sympathische an dem Mann vor mir ist sein Hund. »Juna ist deine Ghostwriterin, ein großer Fan und wird deine Memoiren schreiben«, eröffnet Dieter. Bei seiner Lüge, dass ich ein Fan wäre, verschlucke ich mich fast an meiner eigenen Spucke. Doch ich sage nichts. Sein Grinsen jagt mir kalte Schauer über den Rücken und lässt meinen Magen zusammenziehen.

Ich würde die Situation vielleicht mit einem Lachen überspielen, wenn Yannicks eigene Reaktion nicht so unerwartet käme.

Was würde Beyoncé tun?


Yannick

Zu oft muss ich mich in letzter Zeit daran erinnern, warum wir uns von ThelenNetzwerk und damit von Dieter vertreten lassen. Es sollte so vieles einfacher machen. Aufträge und die Abwicklung der Finanzen im Marketing unseres Kanals sollten besser überwacht werden und uns dadurch mehr Freiraum zur Kreativität geben. Nur scheint Dieter zu glauben, dass wir nichts anderes mit unserer Zeit anzufangen wissen, als uns ständig und überall zu präsentieren. Unser Name ist inzwischen groß genug, dass diese Firma nicht wenig Umsatz durch uns allein macht. Ich weiß nicht, seit wann er glaubt, dass er sich über meine Meinung und Entscheidung stellen kann.

»Ich habe klipp und klar gesagt, dass ich so ein Buch nicht veröffentlichen werde! Nicht mit vierundzwanzig und auch nicht mit dreiundachtzig!« Ich habe aufgehört zu zählen, wie oft ich Dieter in letzter Zeit gesagt habe, dass seine Idee nicht umgesetzt wird. Mein Werbespezialist springt wieder aus seinem Stuhl und eilt um seinen Tisch herum. Mit beschwichtigt ausgestreckten Händen stellt er sich vor mich. Dolby weicht vor ihm zurück und rückt näher zu der Autorin, deren Namen ich schon wieder vergessen habe und die alles schweigend beobachtet. Ihre Augen sind verdammt wach und ihnen scheint kein Detail zu entgehen. Hätte ich sie nicht hier in Dieters Büro das erste Mal gesehen, was ein Warnzeichen an sich ist, wäre sie mir trotzdem aufgefallen. Allein schon durch Dolbys Reaktion auf sie. Bis eben dachte ich, dass sie die neue Caroline werden soll und habe sie deshalb nur halbherzig wahrgenommen. Obwohl es schwer scheint, sie zu ignorieren. Ich will sie einfach immer wieder ansehen. Sie ist hübsch, das lässt sich nicht abstreiten und was schlimmer ist: Sie ist genau mein Typ. Ja, eine oberflächliche Beobachtung und ich weiß, dass schon mehr dazu gehört, um jemanden sympathisch zu finden, aber das ist mein Ersteindruck von ihr.

»Hey, hey. Wir haben doch drüber geredet«, beginnt Dieter und ich falle ihm gleich ins Wort.

»Wir haben drüber geredet und ich habe gesagt, dass ich diesen Mist nicht will!«

»Aber deine Fans wollen es«, hält er in seiner Singsangstimme dagegen und ich kann die Eurozeichen in seinen Augen aufblitzen sehen. Er scheint keine Gelegenheit auszulassen, ihnen Geld aus der Tasche zu ziehen. Das übliche Merchandise, wie Shirts, Pullover oder gar Tassen sehe ich völlig ein. Ich trage selbst gerne Sachen von meinen Lieblingsbands und -künstlern. Aber irgendwo ist auch eine Grenze erreicht. Und Memoiren würden diese Grenze ganz klar sprengen.

»Bullshit! Alles was sie wissen wollen, finden sie im Netz über mich. Ansonsten sind sie nicht auf den Mund gefallen und fragen mich direkt. Sie brauchen keinen weiteren Merch, der ihnen das Geld aus den Taschen zieht.«

»Aber Yannick«, versucht mein Agent es noch einmal in einem Tonfall, der einen glauben lässt, dass er mit einem bockenden Kleinkind redet.

»Dieter! Ich bin kein Kerl voller Lebensweisheiten. Ich bin wie jeder andere in meinem Alter! Die meiste Zeit habe ich keinen blassen Schimmer davon, was ich eigentlich mache.«

»Aber die Verträge habe ich in deinem Namen längst unterschrieben«, sagt Dieter, als wäre jegliche Diskussion ohnehin sinnlos. Was sie vermutlich auch ist, aber das heißt nicht, dass ich das einfach hinnehmen muss.

»Ich kann mich nicht erinnern, etwas unterschrieben zu haben.«

»Das hast du, als du mir eine Vertretungsvollmacht ausgestellt hast, mit den Worten, und ich zitiere dich hier: Damit ich mich nicht um jeden popligen Vertrag kümmern musst.«

Das ist die einzige Unterschrift, die ich bisher in meinem Leben ansatzweise bereue. Es klang mit zwanzig nach einer großartigen Idee und ich sage auch nicht, dass nur Schlechtes aus dieser Kooperation entstanden ist. Im Gegenteil – beide Seiten haben ihren Nutzen daraus gezogen. Nur in letzter Zeit hat Dieter des Öfteren vergessen unsere Meinung einzubeziehen.

»Aber nur für die, denen ich vorher mein Okay gegeben habe.« Ich stöhne frustriert auf.

»Ich sehe schon, du willst es nicht einsehen«, sagt Dieter und mit geschlossenen Augen atme ich einmal durch. Es ist nicht die erste Aktion dieser Art, mit der er mich konfrontiert, aber ich werde einen Weg finden, dass es seine letzte ist. Ich habe zwar keine Ahnung wie ich das anstellen soll, weil nicht nur meine Karriere daran hängt. Das ganze Vorhaben nur aus meiner Sicht zu sehen wäre egoistisch. Mein Team darf unter keiner meiner Entscheidungen leiden. »Die Diskussion ist sowieso sinnlos, Yannick. Die Verträge sind unter Dach und Fach und die Deadlines stehen. Denk an die Jobs, die daran hängen.« Natürlich spielt er diese Karte aus, als ob ich nicht ständig selbst daran denken würde. Er weiß, dass er mich damit in eine Ecke drängt, in der mir nur die Zustimmung bleibt. Nicht umsonst ist seine Agentur eine der gefragtesten, wenn es um die Künstlervermarktung geht. Er ist gut in seinem Job, das kann jeder sehen. Was nicht jeder sehen kann, sind seine Methoden, dank der er seine Ziele erreicht. Mit welchem Recht stelle ich mich über andere und riskiere deren Kopf?

Als wäre das Thema erledigt, geht er zurück zu seinem Tisch und kramt in seinen Unterlagen nach etwas. Mir fehlt Dolbys Wärme neben mir, als ich automatisch meine Hand nach ihm ausstrecke.

Mit angezogenen Ohren und gesengtem Kopf nähert er sich weiter der jungen Frau. Er weiß, dass er gegen das Wort seines Herrchens handelt. Juna, wie mir gerade wieder einfällt, begrüßt ihn mit einem Lächeln und krault ihn ausgiebig hinter den Ohren.

Sie ist wirklich hübsch. Ihre langen rotbraunen Haare fallen über ihre Schultern und sind zur Hälfte zurückgebunden. Die Haut ihres rechten Armes ist mit floralen Tattoos verziert. Das schwarze T-Shirt betont ihren Körper an jeder Stelle vorteilhaft. Der grüne Rock reicht ihr bis über die Knie. Caroline würde mich jetzt vermutlich belehren, dass diese Farbe kein Grün ist, sondern Petrol. Aber sie ist nicht hier, also ist er grün. Schwarze Strumpfhosen, die ihre Haut durchblicken lassen, runden das Outfit ab. Sie ziert sich nicht, als Dolby seine Schnauze in ihren Schoß legt. Viele andere Frauen, die ich kenne, besonders Caroline, hätten ihn beiseitegeschoben oder gequiekt, dass meine Ohren klingeln, aus Angst ihr Outfit könnte durch mögliche Sabber oder Hundehaare versaut werden. Sie streichelt ihn einfach weiter.

»Du bist so ein guter Junge«, flüstert sie ihm zu. Eine ihrer Augenbrauen zieht sich fragend in die Höhe. »Bist du überhaupt ein Junge? Entschuldige, dass ich einfach davon ausgehe. Ich hätte dich fragen sollen. Dolby ist so ein niedlicher Name«, sagt sie und meinem Hund gefällt es. Sein Schwanz hört nicht auf zu wedeln. Ich würde sie vielleicht sympathisch finden, wenn sie nicht die Autorin des schwachsinnigsten Buches des Jahrhunderts wäre. Es ist mehr der Hass gegen diese Memoiren als gegen Juna, der mich antreibt, als ich beschließe sie in diese Schlammschlacht zwischen Dieter und mir hineinziehen.

»Und du? Juna, richtig? Hast du eigentlich keinen Stolz, Liebes?«, frage ich so kühl ich kann. Ich treffe den Ton, den ich anstrebe, ohne große Mühe. So zuwider ist mir die Idee, ein Buch über mein Leben schreiben zu lassen.

»Entschuldigung?«, fragt sie empört und das zurecht. Sie steht auf, aber lässt eine Hand auf Dolbys Kopf ruhen. Ihre Augen haben ein warmes Braun und Caroline wäre auf ihren perfekten Lidstrich neidisch. Sie ist ein Stück größer als Caroline, aber erreicht meine Größe um gute fünfzehn Zentimeter nicht. »Was soll das heißen?«

»Warum schreibt man ein Buch, auf dem der eigene Name nicht erscheint?«, frage ich. Wenn ich sie dazu bekomme, den Auftrag hinzuschmeißen, löst das sicher nicht das Grundproblem, aber es gibt mir Zeit eine Lösung zu finden, bis Dieter mir einen Ersatz vorsetzt. Ich bin mir sicher, dass sie noch andere Bücher zu schreiben hat und ihre Karriere am wenigsten von allen leiden würde.

»Ich habe meine Gründe«, sagt sie. Sie atmet einmal durch, als hätte ich einen wunden Punkt getroffen, den sie nicht offenbaren will. Wenn ich noch ein wenig bohre, bringe ich sie vielleicht zum Explodieren und zum Hinschmeißen des Projektes insgesamt.

»Oder bist du so schlecht, dass es dir peinlich ist, deinen Namen auf dem Cover zu sehen?«, lege ich nach.

»Das Einzige, was mir peinlich an der Sache sein könnte, wäre meinen Namen neben deinem auf dem Cover zu sehen. Meine Schreibe ist alles andere als schlecht, keine Sorge.« Sie hat Biss. Das gefällt mir. Wären wir uns unter anderen Umständen begegnet, würde ich mich womöglich wunderbar mit ihr verstehen. Johannes würde sie lieben.

»Ich verstehe es trotzdem nicht. Wenn du so gut bist, müsstest du dann nicht stolz sein, deinen Namen unter dein Werk zu setzen? Warum die Stunden und den Schweiß investieren, wenn niemand erfährt, wer es geschaffen hat, Liebes?« Bisher reißt sie sich zusammen, aber ich sehe deutlich, wie es unter ihrer Oberfläche köchelt. Ihre Nasenflügel beben, als sie tief Luft holt. Noch ein bisschen und ich habe sie. Wenn ich ihren Stolz genug verletze, komme ich auch zum Ergebnis. Egal für was für ein Arschloch sie mich im Anschluss halten wird. Sie wäre nicht die Erste.

»Ich habe meine Gründe. Außerdem brauche ich keine Bestätigung durch andere, um stolz auf meine Arbeit zu sein«, wiederholt sie so ruhig, dass ich Zweifel an meiner Taktik habe. Der letzte Teil ihrer Aussage fühlt sich wie ein Seitenhieb auf meine eigene Arbeit an.

»Hör auf damit«, schaltet sich Dieter dazwischen. »Du wirst sie nicht reizen, bis sie hinschmeißt.« Er kennt mich zu gut. »Steh es einfach durch, sei kooperativ und um so schneller hast du es überstanden.«

»Wenn es von vornherein klar war, dass es keinen Spielraum zum Verhandeln gibt, warum musste ich dann erst antanzen?«, frage ich. Das Grinsen, das Dieter auflegt, verrät mir sofort, dass mir die Antwort nicht gefallen wird.

»Damit du weißt, wer bald in dein Haus einzieht und Teil der Squad wird«, eröffnet mein Agent, der eigentlich nur das Beste für mich im Sinn haben sollte und dessen Ziel es nicht ist, mich an den Rand des Wahnsinns zu treiben.

Mein entsetztes »Was?« wird von einem ebenso überraschten »Wie bitte?« von Juna begleitet. Diese Information ist also für uns beide neu. Das nun wiederum überrascht mich keineswegs. Wäre Dieter nicht der Beste in seinem Geschäft, dann hätten sich unsere Wege schon längst getrennt. Es ist der einzige Grund, warum ich ihn, trotz solcher Aktionen wie dieser, ertrage. Diesen Ruf hat er letztendlich auch durch genau dieses Vorgehen. Er setzt dem Gegenüber die Pistole auf die Brust und lässt kaum Zeit zum Nachdenken. Dass er diese Methoden bei seinen eigenen Klienten nutzt, ist selten, aber aus seiner Sicht hier wohl nötig. Er weiß, dass ich dagegen halten werde, wenn ich etwas nicht möchte.

»Es war nie die Rede davon, dass ich in das Haus einziehe oder, dass ich Teil dieser sogenannten Squad werden soll!«, empört sich Juna und ich glaube, stände der Tisch nicht zwischen den beiden, würde sie ihm an den Hals springen. Wie sie das Wort Squad hämisch betont, lässt mich innerlich grinsen. »Ich werde mich durch die unzähligen Videos kämpfen, Interviewfragen vorbereiten und mich melden, wenn mir noch etwas fehlt oder ich Fragen habe.«

»Das wird nicht reichen«, hält Dieter dagegen. »Dieses Leben kann man nur beschreiben, wenn man es am eigenen Leib gespürt hat.« Das ist ein Punkt, bei dem ich ihm recht geben muss. Dennoch bin ich gegen einen Einzug einer weiteren Person, speziell, wenn es jemand ist, der mich ausspionieren soll. Dafür haben wir zu hart gearbeitet uns alles aufzubauen. Das Haus ist der einzige Ort, an dem wir wir sein können. Es gibt Dinge, die gehen die Öffentlichkeit nichts an.

»Nein«, stellt sie klar. »Beobachten reicht völlig aus. Ich werde sicher nicht Teil dieser öffentlichen Zurschaustellung. You do You, aber für mich ist das absolut nichts.«

Zieht sie gerade über meine Art zu leben her, während ich neben ihr stehe?

»Es ist doch nicht die erste Biografie, die du schreibst, oder? Und soweit ich informiert bin, warst du mit diesen Künstlern sogar auf Tour und wochenlang auf engstem Raum mit ihnen in einem Bus unterwegs«, argumentiert Dieter.

»Das ist nicht dasselbe. Von ihnen hat mich keiner auf die Bühne gezerrt, um mit ihnen im Scheinwerferlicht ein Duett zu trällern. Ich wohne in Berlin, gebt mir die Adresse und ich stehe pünktlich jeden Morgen auf der Matte und gehe erst, wenn der Tag auch für den Rest beendet ist.« Diese Aussage zeigt, wie wenig sie tatsächlich über unsere Arbeit weiß. Als hätten wir einen Tagesrhythmus, nach dem wir arbeiten.

»Juna, du wirst merken, warum das nötig ist. Außerdem bekommst du alles, was du als Mitglied an Werbegeldern und Sponsoren verdienst, ausgezahlt. Du bekommst einen Vertrag wie jeder, der in diesem Haus wohnt.«

»Jeder hat einen Vertrag, der dort wohnt?«, fragt sie ungläubig.

»Natürlich«, sagt Dieter, erklärt aber nichts weiter dazu. Die Information, dass sie das zusätzlich verdiente Geld behalten kann, scheint sie nachdenken zu lassen. Verdient man als Ghostwriter so schlecht, dass man auf jeden Cent angewiesen ist? Oder ist sie wie fast jeder in meinem Leben und versucht durch den Kontakt zu mir den größtmöglichen Profit rauszuschlagen?

»Es bleibt bei meinem Nein.« Dieters Dauerlächeln wackelt kurz und er scheint das nächste Argument parat zu haben, doch Juna kommt ihm zuvor. »Mein Auftraggeber ist der Verlag und nicht du, Dieter.« Wie sie Dieters Namen betont, lässt mich ahnen, dass man nicht in ihre Ungnade fallen will. Doch ich will genau das, um mir ihre Missgunst zum Vorteil zu machen. »Squad«, fügt sie noch murmelnd hinzu. »Zu meiner Zeit hat man dazu noch Freunde gesagt.« Damit bringt sie mich fast zum Lachen.

Juna Roos ist eine Frau, mit der ich mich unter anderen Umständen mit Sicherheit angefreundet hätte, schon allein aus dem Grund, dass sie sich von Dieter nichts gefallen lässt und Dolby scheinbar einen Narren an ihr gefressen hat. Doch das Timing und vermutlich auch der Grund unseres Aufeinandertreffens hätten nicht unpassender sein können.