Die Autorin

Raywen White – Foto © Privat

Raywen White lebt gemeinsam mit ihrem Mann im Raum Frankfurt am Main. Schon als Kind wurde ihr nachgesagt, sie habe eine lebhafte Fantasie. Diese hat sie sich glücklicherweise bis heute bewahrt. Denn erst in den letzten Jahren entdeckte die Diplominformatikerin ihre Leidenschaft fürs Schreiben. Ganz besonders haben es ihr dabei die Genres Fantasy und Romance angetan, die sie gekonnt miteinander verbindet.

Das Buch

Zwei Feinde müssen zusammenarbeiten, aneinander gebunden durch einen Zauber – kann sie ihm vertrauen?

Als die Diebin Shaira auf einer Party in New York ankommt, hat sie nur ein Ziel: Ein Artefakt stehlen und schnellstmöglich wieder verschwinden. Doch sie hat die Rechnung ohne den Vampir Veyd gemacht. Seinetwegen verliert sie nicht nur das Artefakt, sondern muss auch um ihr Leben fürchten. Denn offenbar sind nicht nur Shairas Auftraggeber hinter dem Artefakt her. Um zu entkommen setzt sie ein spezielles Elixier ein, das Veyd zwingt, ihre Schmerzen zu teilen. So hat er keine Wahl, als sie vor ihren Feinden zu beschützen, statt sie ihnen auszuliefern. Während Shaira sich immer mehr zum gutaussehenden Veyd hingezogen fühlt und ihm zugleich misstraut, beginnt eine erbarmungslose Jagd …

Von Raywen White sind bei Forever by Ullstein erschienen:
Entfachte Glut (Der Fluch der Unsterblichen 1)
Vergessene Leidenschaft (Der Fluch der Unsterblichen 2)
Flammender Sturm (Der Fluch der Unsterblichen 3)
Gestohlene Gefühle (Der Fluch der Unsterblichen 4)

Raywen White

Gestohlene Gefühle

Forever by Ullstein
forever.ullstein.de

Originalausgabe bei Forever
Forever ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin
Oktober 2018 (1)

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2018
Umschlaggestaltung:
zero-media.net, München
Titelabbildung: © FinePic®
Autorenfoto: © privat
E-Book powered by pepyrus.com

ISBN 978-3-95818-364-3

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Widmung

Für mein geflügeltes Monster. Ich vermisse dich.

Gestohlenes Herz


Hoffnung

Staubpartikel wirbelten durch die schale und trockene Luft. Atemlos verharrte jeder der Novizen auf den Knien, den Kopf gesenkt. Das Schlagen der Herzen hallte durch den Raum wie das stetige Dröhnen von Trommeln. Die Blicke waren fest auf den körnigen Sand gerichtet, in dem sie seit Stunden hockten. Sand, der sich über alles legte, in jede Ritze eindrang und zwischen den Zähnen knirschte.

Das wenige Licht, das durch kleine Öffnungen sickerte, durch die weiterer Sand in das große Gewölbe rieselte, veränderte seine Farbe. Es wurde wärmer und gab den kleinen Steinchen unter ihren Knien einen goldenen Ton, bevor es schwand und die Schatten der Nacht sich über die Frauen und Männer legten.

Keiner sagte ein Wort. Keiner beschwerte sich. Keiner unterbrach die Prüfung. Denn keiner wollte versagen! Jeder von ihnen war aus einer anderen Intention heraus hierhergekommen war, doch nun warteten sie gemeinsam in der Dunkelheit, mit dem gleichen Ziel: ihr altes Leben zurückzulassen.

Die verzweifelte Hoffnung auf Erlösung hing wie eine dunkle Wolke über den Anwesenden. Die Vergangenheit des Einzelnen spielte hier keine Rolle. Man gab sich selbst auf, um Teil von etwas Größerem zu werden. Es war ein Neubeginn. Eine Reinigung der Seele. Eine Wandlung in etwas Mächtigeres.

Ein dumpfer Schlag durchbrach die Stille. Einer der Novizen hatte es nicht geschafft und jeder hoffte, dass er nicht der nächste sein würde, dessen bewusstloser Körper aus der großen Halle unter dem Wüstensand gezerrt wurde. Wenn man diese einfache Prüfung nicht überstand, wie sollte man dann das kommende Training überleben? Ein Training, das einen brechen würde. Seelisch und körperlich. Das einen in die kleinsten Teile seines Selbst zerlegte, um einen dann neu zu formen. Die wenigsten wussten, was sie hier erwarten würde, sonst hätten sie schon längst schreiend dieses Gewölbe verlassen. Sie wären geflohen vor den Schrecken und den Entbehrungen, die vor ihnen lagen. Dies war nur der Anfang eines Weges, den man, einmal betreten, nicht wieder verlassen konnte.

Der beißende Geruch von Urin mischte sich mit dem penetranten Gestank kalten Schweißes. Ein weiterer Novize kippte um und wurde von jemandem in einem weiten Gewand unter den Achseln gepackt. Die Fersen hinterließen Schleifspuren im Sand, die unter den Fußabdrücken eines Mannes verschwanden, der leise durch den Raum schritt und nach vorne trat.

Dort blieb er stehen und stellte die Geduld der Novizen auf eine weitere Probe. Der Herzschlag einiger beschleunigte sich in Erwartung, dass sie jeden Moment erlöst wären und die Prüfung bestanden sei.

Es schien eine Ewigkeit zu vergehen, bis der Mann die weite Kapuze, die bisher sein Gesicht verborgen hatte, nach hinten streifte und sein Gesicht enthüllte. Viele atmeten bei dem Anblick des finster dreinblickenden Kriegers scharf ein. Narben zierten sein Gesicht und zeugten von seinen geschlagenen Schlachten.

Ein Schaudern durchlief die Körper der Novizen und Angst machte sich in ihren Herzen breit. Erst als er jedem von ihnen direkt in die Augen gesehen hatte, erhob der glatzköpfige Mann seine Stimme. »Geht! Verlasst diesen Ort solange ihr noch könnt. Wenn ihr erst ein Teil von uns seid, wird der einzige Weg uns zu verlassen der Tod sein. Ruhm und Reichtum werdet ihr hier nicht finden. Wir sind Schatten, die in der Dunkelheit leben.« Es war wie ein Paukenschlag. Das Echo seiner Worte hallte von der rauen Gewölbedecke und ließ weiteren Sand von ihr rieseln.

Unruhe kam auf und einige der Novizen wechselten besorgte Blicke. Die meisten blieben knien, aber es gab auch welche, die aufstanden und den Worten Folge leisteten. Der Mann schnaubte. »Erbärmlich!« Erst als Ruhe eingekehrt war, sprach er weiter. »Steht auf!«

Alle erhoben sich. Hier und da wurde Stöhnen laut, als Knochen, Muskeln und Sehnen sich der plötzlichen Bewegung wiedersetzten, nachdem sie lange Zeit in ihrer Position verharrt hatten. Abermals kippten einige der Novizen um, wurden durch Wassermangel und Hitze in die Bewusstlosigkeit gezogen, aus der sie erst wieder erwachen würden, wenn sie sich weit weg von diesem Ort befanden, ohne eine Erinnerung an die letzten Tage dieser Prüfung.

Niemand blickte ihnen nach, während sie aus dem Raum geschleift wurden. Aller Augen waren auf den Mann gerichtet, der in dem schwarzen Mantel vor ihnen stand und wartete, bis wieder Ruhe einkehrt war. »Ihr seid von diesem Moment an nicht mehr ihr selbst. Ihr seid nicht mehr als ein Klumpen Metall, den wir formen werden. Den wir bearbeiten, bis er eine Klinge aus härtestem Stahl ist. Eine Waffe des Todes. Willkommen bei der Gilde der Assassinen.«

1.


Eben noch hatte Shaira mit dem gutaussehenden Unbekannten geflirtet und schon im nächsten Moment wurde sie brutal zur Seite gestoßen. Beherrscht schluckte sie den derben Fluch hinunter, der ihr auf der Zunge lag. Sie war eine Dame und wusste, wie man sich in solch gesellschaftlichen Kreisen zu verhalten hatte.

Die steife Wohltätigkeitsveranstaltung in den noblen und großzügigen Räumlichkeiten ihres Gastgebers verwandelte sich innerhalb von Sekunden in das reinste Chaos. Männer feuerten die beiden Kontrahenten an. Frauen schrien auf und stolperten außer Reichweite des Kampfgeschehens.

Das dumpfe Geräusch einer Faust, die auf Knochen traf, löste in ihr dennoch den Wunsch aus, sich dazwischen zu werfen und ebenfalls einige gezielte Schläge auszuteilen. Allerdings würde sie das nicht tun. Sie brauchte den Zutritt zu den oberen Zehntausend und ein Fehlverhalten sprach sich schnell herum. Normalerweise hatte Shaira nichts gegen einen guten Fight und hätte es sich nicht nehmen lassen dabei zuzusehen, wie die beiden stattlichen Männer aufeinandertrafen. Für so etwas war sie allerdings nicht hier. Der Name einer Frau fiel. Sie verdrehte genervt die Augen und wandte sich ab. Es ging doch bei diesen testosterongesteuerten Dummköpfen immer um Frauen oder darum, dem Ego eine neue Trophäe zu präsentieren.

Was sie an diesem Moment am meisten störte, war, dass ihr schöner Plan gerade am Boden lag und von jedem neugierig taxiert wurde, während ein wildgewordener, um sich schlagender Schotte von ihm heruntergezerrt wurde. Mal davon abgesehen, dass ihr geschmackvolles neues Kleid von Valentino, was sie ein kleines Vermögen gekostet hatte, ruiniert war und feucht an ihrem Körper klebte. Shaira atmete tief durch und stellte das Sektglas, dessen Inhalt sich gerade zwischen ihren Brüsten sammelte, auf ein kleines Sideboard ab.

O ja, sie hätte diesen beiden Idioten gerne eine verpasst. Männer! Innerlich fluchte sie, auch wenn sich ihr in diesem Moment eine günstige Gelegenheit bot. Die meisten Gäste konzentrierten sich auf das Geschehen und würdigten sie keines Blickes, während sie den Raum verließ. Selbst die Aufpasser, die im Flur postiert waren, damit keiner der Besucher sich zufällig in das falsche Zimmer verirren konnte. Sie waren stattdessen damit beschäftigt die panischen Menschen, die wie aufgeschreckte Hühner durch den Raum eilten, zu beruhigen.

Wenn der Sekt nicht so ekelig kleben würde, wäre sie diesen beiden Hornochsen für die gelungene Ablenkung sogar dankbar gewesen. Geschwind schlüpfte sie aus ihren High Heels, nahm sie in die Hand und raffte ihr Kleid, um über die Absperrung zu steigen und die Treppe hinaufzueilen, die zu den privaten Räumlichkeiten ihres Gastgebers führte. Keine weitere Menschenseele begegnete ihr auf dem Weg durch den dunklen Flur zu ihrem Ziel. Dieser Job war fast schon langweilig, so einfach war er. Nicht einmal ihre speziellen Fähigkeiten würde sie benötigen, um einige Dinge mitgehen zu lassen. Wenn der Kerl irgendwelche Volltrottel einstellte, die diesen Bereich bei dem kleinsten Anzeichen von Schwierigkeiten ungeschützt ließen, war er selbst daran schuld, wenn man ihn beklaute.

Und es gab einiges zu klauen. Bereits im großen Saal hatte es Shaira in den Fingern gejuckt, einige Dinge mitgehen zu lassen, denen ein Großteil der Besucher nicht einmal einen zweiten Blick schenkte. Die meisten Gäste waren schon mit einem goldenen Löffel im Mund zur Welt gekommen, während Shaira die ersten Jahre ihres Lebens damit verbracht hatte, um ihr Überleben zu kämpfen.

Ursprünglich war ihr Plan gewesen, einen gutaussehenden Kerl aufzureißen und sich mit ihm zufällig ins Schlafzimmer des Hausherrn zu verirren. Denn das Objekt, weswegen sie hier war, befand sich in diesem Raum. Um ganz genau zu sein, in dem großen Ankleidezimmer. Die Tür war jedoch dummerweise abgeschlossen. Sie stellte die Schuhe ab und zog zwei lange Nadeln aus ihrer Hochsteckfrisur, die immer noch von den kunstvollen Dolchen zusammengehalten wurde, die sie ständig bei sich trug – für Notfälle. Kurz starrte sie auf ihr Werkzeug, atmete durch und setzte dann den Spanner ein. Ihr Atem ging flach und ihre Konzentration teilte sich zwischen den kleinen Stiften im Schloss und ihrer Umgebung auf. Mit einer sachten Bewegung drückte sie gegen die Metallteile, bis es leise klickte. Sie ging dabei sehr sachte vor, stocherte nicht herum, als würde sie gelangweilt ihr Essen auf seine Bestandteile überprüfen. Es sollten keine Spuren zurückbleiben. Shaira verstand ihr Handwerk und sie würde nicht unvorsichtig werden.

Mit dem Klick des letzten Stiftes ruckte ihr Kopf hoch und Shaira hielt den Atem an. Schritte. Auf der Treppe. Sie kamen näher. Ihr Herz schlug weiter im ruhigen Takt eines Metronoms, während sie den Knauf drehte. Auf Fingerabdrücke achtete sie nicht, denn ihre Hände steckten in weißen Handschuhen, die ihr bis zu den Ellenbogen reichten und ihrem eleganten Outfit den letzten Schliff verliehen.

Shaira bückte sich, ergriff ihre Pumps und schloss die Tür in dem Moment leise hinter sich, als Gemurmel im leeren Flur erklang. Sie verharrte reglos an der Tür und lauschte. Das Klappern der Absätze auf dem teuren Marmor näherte sich unaufhörlich. Die Vibrationen der Schritte waren im Boden zu spüren und Stimmen drangen gedämpft durch das Holz an ihre Ohren.

Sie durchstreifte mit einem Blick den riesigen Raum, in den ihre Wohnung dreimal hineingepasst hätte und der nur durch die Lichter der New Yorker Skyline beleuchtet wurde. Es war in ihrem Beruf von Vorteil im Dunkeln hervorragend sehen zu können. Sie huschte schnell zu einer weiteren Tür, hinter der sich das Ankleidezimmer verbarg.

Atemlos verharrte sie in einer geduckten Position. Wartete einige Sekunden, bevor sie die angehaltene Luft kräftig ausstieß und sich wieder aufrichtete. Offensichtlich war das Schlafzimmer nicht das Ziel der beiden Personen im Flur gewesen. Suchend sah sie sich um. Die kleine Kamera, die sich hinter einem Lüftungsgitter versteckte, entdeckte Shaira auf Anhieb. Es war ein einfaches Aufnahmegerät mit integrierter Festplatte. Mit einem leichten Ruck löste sie das Kabel, sodass man morgen nur weißes Rauschen auf der Platte entdecken würde.

Sie schaltete das Licht ein. Die grelle Beleuchtung schmerzte für einen Moment ihren Sehnerv, bevor ihre Augen sich an die Helligkeit gewöhnt hatten. Shaira mochte diese Neonröhren nicht, die bis in den letzten Winkel alles ausleuchteten und bei ihr für Kopfschmerzen sorgten. Sie bevorzugte die Nacht, die ihr Schutz gewährte. Mit den Fingern strich sie über einige der teuren Anzüge, die ordentlich in Reih und Glied hingen. Wo würde sich wohl ein Safe verstecken? Hier? Oder doch in einer der vielen Schubladen?

Sie wusste nur eins: Das, was ihr Auftraggeber begehrte, befand sich in diesem Raum. Leise schob sie die Kleiderbügel zur Seite und begann systematisch die Wand abzuklopfen. Öffnete jede einzelne Schublade der modernen Einbauelemente. Sie schnappte sich einen Hocker und kletterte hinauf, um auch an die oben gelegenen Regalfächer zu kommen. Nichts!

Gut, es war nicht nichts. Sie fand teure Uhren, Manschettenknöpfe und Anstecknadeln aus Platin. Aber deswegen war sie nicht hier.

Frustriert drehte sie sich im Kreis und ihr Blick fiel auf eine Fernbedienung, die vor einem kleinen Monitor auf einer Kommode lag. Sie legte ihren Kopf schräg. Die Haut zwischen ihren Brüsten juckte von dem mittlerweile getrockneten Sekt. In Gedanken verdammte sie erneut die beiden Hornochsen. Jedoch verdrängte sie ihre Abscheu und ging zielstrebig zu der Hochglanzfront, in der sie die Schubladen bereits durchsucht hatte. Jetzt zog sie den Schubkasten so weit es ging heraus und ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus, als sie feststellte, dass dieser bestimmt dreißig Zentimeter Platz zur Wand ließ. Sie zog ihr enges Kleid hoch, sodass sich der weiche Stoff um ihre Hüften bauschte, kletterte auf das Möbelstück und presste ihre Wange an den rauen Putz, um den Spalt zwischen Wand und Kommode zu inspizieren. Jeden Zentimeter untersuchte sie penibel, bevor sie sich sicher war, dass keine versteckten Drähte einen Alarm auslösen würden. Eigentlich hatte sie mit besseren Sicherheitsvorkehrungen gerechnet, wenn sie an die wertvollen Kunstgegenstände dachte, die im ganzen Penthouse standen und hingen.

Auch wenn die Wohnung in einem dunklen und maskulinen Stil eingerichtet war, der einen erlesenen Geschmack und Feinsinn für Investitionen erahnen ließ, so war die weibliche Note nicht zu leugnen. Entweder hatte ihr Gastgeber eine hervorragende Innenarchitektin oder ein weibliches Familienmitglied, das sich um so etwas kümmerte. Jedenfalls wusste er das Ganze nicht zu schätzen, war ein sorgloser Idiot oder – und das wäre fatal – sie hatte etwas übersehen.

Nach einer weiteren Prüfung war sie sich sicher, dass der erste Fall zutraf und sie drückte auf der Fernbedienung die rote Taste. Sollte sie tatsächlich den Alarm auslösen – was nicht passieren würde – so hatte sie einen Fluchtplan, und wenn der nicht funktionierte, würde sie einfach nackt im Bett liegen und betrunken säuseln, dass sie auf den Hausherrn wartete.

Doch statt eines schrillen Alarms erklang nur das Summen eines kleinen Motors. Aus dem Holz fuhr der Safe nach oben und präsentierte ihr sein digitales Nummernschloss. Dicht ging sie an die Tasten heran und legte ihren Kopf erneut schräg. Deutlich erkannte man anhand eines leichten Fettfilms der Finger, welche Tasten der Hausherr regelmäßig nutzte. Eins. Zwei. Acht. Neun. Dieser Job war so langweilig und bot keine Herausforderung, dass ihr langsam wirklich der Spaß verging und sie nur noch schnell fertig werden wollte. Sie tippte das Geburtsjahr des Mannes ein, der hier wohnte, und der Metallkasten öffnete sich mit einem leisen Klick.

Vorhersehbar. Ihr Gastgeber war eindeutig ein sorgloser Idiot. Glücklicherweise war er nicht der Einzige in New York, sodass Shaira auf ewig ausgesorgt hatte. Sie öffnete die Tür und musterte das Innenleben. Einige Akten und Papiere lagen ordentlich gestapelt in dem kleinen Safe. Eine 9-Millimeter und ein merkwürdiger kleiner Würfel, in dessen metallener Oberfläche sich das Licht brach. Im ersten Moment sah es aus, als würden sich die vielen Streben, aus denen er bestand, wie Schlangen umeinander winden. Er wirkte antik, goldglänzend und zugleich hochmodern. Seltsame Zeichen waren in das Metall geschnitzt. Er entsprach genau der Beschreibung.

Shaira griff nach dem Objekt und spürte einen schwachen Widerstand, als wenn sie zwei Magnete mit gleichen Polen immer näher aneinander brachte. Es kribbelte, als ihre Hand das Metall umschloss. Trotz des Handschuhs fühlte es sich heiß und kalt zugleich an. Sie sprang von der Kommode herunter und zog die Dolche und restlichen Nadeln aus ihrem Haar, sodass es in weichen Wellen über ihre Schultern bis hinab zur Mitte ihres Rückens fiel. Sie schüttelte es und betrachtete mit einem Lächeln die Spiegelung ihrer selbst im Monitor. Mit den Fingern kämmte sie sich das Haar und wickelte es um das Objekt zu einer lockeren Hochsteckfrisur, die sie mit den beiden kleinen diamantbesetzten Dolchen wieder feststeckte. Sie drückte auf die Fernbedienung und der Safe verschmolz mit der Kommode zu einer Einheit, während sie die letzten Spuren ihres Besuchs verwischte. Bevor sie den Ankleideraum verließ, glitten ihre Augen ein letztes Mal über die Einrichtung und sie nickte zufrieden. Es sah alles aus, als wäre sie niemals hier gewesen.

Leichtfüßig tänzelte sie durch das Zimmer zur Tür und genoss noch einmal den Anblick, den ihr die großen Fenster boten. Der fast volle Mond lugte hinter einem der Hochhäuser hervor und leuchtete mit der Stadt um die Wette. Tief atmete sie ein und verließ den Raum. Sie huschte den Gang entlang und horchte auf jedes Geräusch. Die Musik der Party übertönte ihre Schritte, während sie in den Salon zurückkehrte. Als der Flur einen Knick machte, blieb sie stehen und spähte vorsichtig um die Ecke, um zu sehen, ob die Security bereits wieder an ihrem Platz am Fuße der Treppe stand. Und das tat sie.

Shaira biss sich auf die Unterlippe und überlegte fieberhaft, wie sie an den Männern vorbeikommen könnte, als ein unerträgliches hohes Pfeifen ihr empfindliches Gehör malträtierte, das außerhalb des menschlichen Wahrnehmungsbereichs lag.

»Was suchst du hier?«, erklang hinter ihr eine Stimme.

Shaira stieß vor Schreck einen spitzen Schrei aus, der von einer Hand, die sich über ihren Mund legte, sofort gedämpft wurde. Im selben Augenblick schämte sie sich ihrer Reaktion, die sie beinahe verraten hätte. Es hatte noch nie jemand geschafft sich an sie heran zu schleichen. Dieser verdammte stille Alarm! Sie verfluchte denjenigen, der ihn ausgelöst hatte, denn sie war sich sicher, dass sie es nicht gewesen war. Der Mann, der sie erwischt hatte, drehte sie zu sich um und ihre Pupillen weiteten sich.

Kristallklare blaue Augen bohrten sich in ihre. Eine kräftige Kieferpartie verlieh seinen feinen Gesichtszügen einen männlichen Charakter und sein schwarzes Haar war vom Kampf mit dem Schotten noch verwuschelt. Er hatte etwas Verwegenes und Anziehendes an sich. Der oberste Knopf des teuren Designerhemds war geöffnet und sein Blick herausfordernd. An ihren Fingern spürte sie die kräftigen Muskeln, die sich unter dem perfekt sitzenden Jackett verbargen. Sein Herzschlag war ruhig und gleichmäßig, im Gegensatz zu ihrem, der durch den Schreck in einen kräftigen Galopp gefallen war. Oder lag es an ihm?

»Was suchst du hier?«, wiederholte er bedrohlich und legte seine Hände schwer auf ihre Schultern, sodass sie sich gefangen fühlte. Wie in einem Käfig. Wenn sie eines nicht mochte, dann, dass ihre kostbare Freiheit eingeschränkt wurde. Fieberhaft suchte sie nach einer Ausrede und ihr ursprünglicher Plan kam ihr in den Sinn: Sie hatte diesen gutaussehenden Leckerbissen verführen wollen, um ihn zu überreden, mit ihr in das Schlafzimmer ihres Gastgebers zu gehen. Während er auf dem Bett auf sie gewartet hätte, wäre sie mit dem Versprechen, sich für ihn zurecht zu machen, in das Badezimmer geschlüpft, das ebenfalls eine Tür zum Ankleidezimmer besaß. Nachdem sie das Objekt an sich genommen hätte, wäre sie nackt zu ihm zurückgekehrt. Es hätte diesem Job wenigstens etwas Nervenkitzel verliehen. Und es war ein verdammt gutes Alibi.

»Dich!«, raunte sie heiser, stellte sich auf Zehenspitzen und legte kurzerhand ihre Lippen auf seine. Sie griff in sein Haar, um ihn näher an sich zu ziehen. Ihre Brüste presste sie an seinen Oberkörper und drängte ihre Hüften an seine. Ihre Wange rieb sie an seiner rauen Haut. »Ich habe dich gesucht«, flüsterte sie ihm verführerisch ins Ohr und löste sich lächelnd von ihm. Ihr Blick wanderte nach unten und sie öffnete einen weiteren Knopf seines Hemdes. Helle Haut kam zum Vorschein, auf die sie ihre Lippen presste und an der sie leicht knabberte. Ihre Finger tasteten sich blind weiter, öffneten ihrem Mund einen Weg, der immer tiefer führte. Sein Geschmack war leicht herb und salzig. Sie zog das Hemd aus seiner Hose und öffnete den Gürtel, während ihre Zunge die Konturen seiner Bauchmuskeln nachfuhr, die sich unter ihren Liebkosungen zusammenzogen.

Der Kerl hätte schon vom anderen Ufer sein müssen, um auf ihr Angebot nicht zu reagieren. Verheiratet war er jedenfalls nicht – zumindest trug er keinen Ring am Finger, wie Shaira auf der Party bereits bemerkt hatte. Allerdings zeigte er immer noch keine Reaktion. Sie spürte nur seinen durchdringenden Blick auf sich und bekam eine Gänsehaut.

Der Alarm verstummte und die Männer im Flur sprachen leise in ihre Headsets. Verdammt, sie musste hier weg. Die Hände des Fremden umfingen plötzlich ihr Gesicht, zogen sie zu sich nach oben und schon im nächsten Moment eroberte seine Zunge ihren Mund. Sein Kuss war überwältigend, wild und fordernd. Überrascht und zugleich erleichtert über diesen sinnlichen Angriff, der in ihren Nervenbahnen ein Feuerwerk entzündete, war Shaira kurz abgelenkt und schon hatte er eine Tür in ihrem Rücken geöffnet und schob sie in den Raum dahinter, ohne seine Lippen von ihren zu lösen. Erst als sie mit ihrem Po gegen eine harte Kante stieß und ihren Rücken nach hinten bog, ließ er von ihrem Mund ab und glitt mit der Zunge ihren Hals hinab. Das Kribbeln bei seinen Berührungen spürte Shaira bis in die Zehenspitzen und ihre Knie wurden weich. Sie musste sich am Tisch – oder was auch immer hinter ihr stand – abstützen. Das gehörte nicht zum Plan.

Ein Stöhnen entwich ihrem Mund. Mit einer schnellen Bewegung drehte er sie herum und verwirrt blickte sie in ihr eigenes Spiegelbild. Ihre Wangen waren gerötet und ihre Augen glitzerten leidenschaftlich. Ihr Brustkorb hob und senkte sich heftig bei jedem Atemzug. Ihre Brustwarzen waren hart und deutlich durch den hellen Stoff zu erkennen. Hände legten sich auf ihre Brüste und kneteten sie. Der schwarzhaarige Fremde stand direkt hinter ihr und überragte sie um einen halben Kopf. Sein kalter Blick suchte ihren. Er verriet nichts. Keine Leidenschaft, kein Begehren oder Freude. Nur sein harter Schwanz, der sich dicht an ihren Po drängte, zeigte ihr, dass dem Mann in ihrem Rücken dieses Spiel gefiel. Genau wie ihr. Sie lächelte ihm zu und ließ ihre Zunge lasziv über ihre dunkelroten Lippen gleiten.

Er unterbrach den Augenkontakt nicht, als er seinen Kopf senkte und seinen Mund abermals auf ihren Hals presste. Mit der Zunge zeichnete er Linien, die sich in ihre Haut brannten. Wie gebannt beobachtete sie das Schauspiel. Beobachtete sich. Ihn. Sie genoss das elektrisierende Gefühl seiner Lippen auf ihrer Haut; seine Hand, die ihre Brust knetete. Die andere begann eine langsame Wanderschaft an ihrem Körper entlang. Tiefer und tiefer. Ihre innere Anspannung und Erwartung stiegen mit jedem Zentimeter.

Für einige quälende Sekunden verharrten die sehnigen Finger am Saum ihres Kleides. Berührten flüchtig ihren Oberschenkel. Ihr Atem stockte und sie sah ihn im Spiegel an. Seine eisigen Augen taxierten sie, schienen auf irgendetwas zu warten. Erst als ein zustimmendes Stöhnen ihre Kehle verließ und sie ihre Hüften an seinen rieb, begann der Fremde ihr das Kleid hoch zu schieben. Quälend langsam. Die Hand, die eben noch ihren Nippel durch den Stoff gereizt hatte, wanderte nun ebenfalls nach unten und traf bereits auf Höhe des Bauchnabels auf nackte Haut. Ein herrliches Prickeln durchlief ihren Körper und sammelte sich brennend in ihrem Unterleib.

Der Atem des Fremden war heiß, ließ sie erschauern. Mit den Zähnen kratzte er über ihren Hals, während er zugleich seine Hand in ihr Höschen schob. Langsam strich er an den Falten ihres Geschlechts entlang und wie von selbst öffnete sie ihre Beine ein Stück. Seine Finger teilten ihre Schamlippen. »So feucht. Du kannst es wohl kaum erwarten?«, murmelte er.

Shaira war unfähig diese Frage zu beantworten. Ihr Körper summte vor Erregung. Das hatte eindeutig nicht mit zum Plan gehört. Das Ganze ging ihr zu schnell und doch wartete sie ungeduldig darauf, was als nächstes passieren würde. Sie konnte sich keinen Millimeter bewegen. Es war als würde sein Blick sie an Ort und Stelle festnageln. Sie sah die Bewegung seines Armes und der Fingerknöchel durch den Spitzenstoff ihres Slips. Dieser Kerl war überraschend fingerfertig. Innerhalb von Sekunden hatte er ihren empfindlichsten Punkt gefunden und rieb in einem schnellen Rhythmus über die kleine Perle, sodass sie fast vergaß, wo und in welcher Gefahr sie sich befand.

Einen Moment lang dachte sie an die kleine Nadel, die ein Nervengift enthielt und in dem ledernen Strumpfband steckte, das um ihren Schenkel geschnallt war. Ursprünglich hatte sie den Kerl schnell in das Reich der Träume schicken wollen. Sie wäre nur noch ein Schemen in seinen Erinnerungen gewesen, sobald er im Bett ihres Gastgebers erwacht wäre.

Schwere Stiefel waren auf dem Gang zu hören und erinnerten sie an ihren Auftrag. Gerade hatte sich der Plan geändert. Sie stieß einen Lustschrei aus und wartete darauf, dass jeden Moment einer von der Security die Tür aufreißen und sie unterbrechen würde.

Sie beugte sich vor, erwiderte den Blick des Fremden herausfordernd und rieb ihren Po an seiner Vorderseite. Ein leises Knurren war die Antwort und seine Hand kniff in ihr heißes Fleisch, während er sie dichter an sich zog. Danach spielten seine Finger einen schnelleren Rhythmus. Ihr Körper schmolz. Sie glitt tiefer an seinem Leib hinab, ließ sich von ihm halten und öffnete sich ihm mehr. Er dankte ihr dieses Vertrauen, indem er einen Finger in sie stieß. Seine Augen glitzerten wie Eis und ließen sie innerlich frösteln. Sein Atem auf ihrem Hals war wie Feuer, das sie verbrannte. Mit den Zähnen kratzte der Fremde über ihre Haut. Für den Augenblick vergaß sie, warum sie hier war, warum sie ihn reizte und warum sie bei klarem Verstand bleiben sollte.

Sie stand kurz davor. So kurz. Für einen Moment hoffte sie sogar, noch nicht von der Security erwischt zu werden. Ein Stöhnen drang über ihre Lippen, gefolgt von einem Keuchen und sie ließ den Kopf in den Nacken fallen und unterbrach den Augenkontakt mit dem Fremden. Ihre Kapitulation. Das Einzige, was sie jetzt noch wollte, war Erlösung; war, dass er statt mit seinem Finger mit der harten Erektion, die sich heiß gegen ihren Po drückte, in sie stieß. Plötzlich spürte sie einen kurzen Stich an ihrem Hals und die Wellen der Ekstase schlugen über ihr zusammen.

Vampir, war der letzte klare Gedanke, den sie hatte, bevor sie einen hemmungslosen Schrei ausstieß und die Tür mit Schwung aufgerissen wurde.