Going for the Goal

Die Autorin

Sara Rider – Foto © privat
Als sie jünger war, träumte Sara Rider davon Profi-Fußballerin zu werden. Als dieser Traum durch ihre Abneigung fürs Laufen ein jähes Ende fand, entschloss sie sich stattdessen lieber über Profi-Sportler zu schreiben. Tagsüber arbeitet sie im Bereich ethischer Forschung und träumt von Plotlinien und Figurenentwicklung. Sie verbringt viel zu viel Zeit in der Bücherei und verlässt das Haus niemals ohne Taschenbuch oder ihren E-Reader.

Das Buch

Ein sexy Eishockeyspieler, eine toughe Sportagentin und eine heiß-kalte Lovestory

Sportagentin Jillian Nichols arbeitet nach drei Grundsätzen:
Erstens: Arbeite niemals mit arroganten Mistkerlen. Zweitens: Arbeite niemals mit jemandem, dem du nicht vertraust. Und drittens: Arbeite niemals mit jemandem, den du dir schon mal nackt vorgestellt hast.
Seitdem sie Nick „The Punisher“ Salinger vor fast zehn Jahren zufällig kennen gelernt hat, hat Jillian ihn sich häufiger nackt vorgestellt, als sie zugeben möchte. Damals war sie Praktikantin und er ein vielversprechender Rookie in der NHL. Jetzt sitzt der Eishockeystar in ihrer kleinen Agentur und will, dass sie seinen Ruf und seine Karriere rettet. Denn Nick Salinger ist ein Bad Boy, bekannt für seine Hitzigkeit auf und neben dem Eis. Grund genug, um sich nicht auf ihn einzulassen, weder privat noch beruflich. Aber die Luft zwischen den beiden knistert auch nach all der Zeit immer noch gewaltig…

Sara Rider

Going for the Goal

Roman

Forever by Ullstein
forever.ullstein.de

Deutsche Erstausgabe bei Forever
Forever ist ein Digitalverlag der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin
April 2018 (1)

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2018
German Translation copyright © 2018 by Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin
Original English language edition © Copyright 2017 by Sara O'Shaughnessy
Alle rights reserved including the right of reproduction in whole or in part in any form. This edition published by arrangement with the original Publisher, Pocket Books, a division of Simon & Schuster, Inc., New York.
Umschlaggestaltung: zero-media.net, München
Titelabbildung: © FinePic®
Autorenfoto: © privat
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ISBN 978-3-95818-217-2

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1


Neun Jahre zuvor

Jillian Nichols hatte schon mit vielen Widrigkeiten zu kämpfen gehabt, seit sie professionelle Sportagentin werden wollte. Doch es war das erste Mal, dass ihr eigener BH sie aktiv sabotierte. Sie war gerade mitten in einer leidenschaftlichen Rede gewesen, bei der sie versucht hatte, einen betrunkenen College-Basketballspieler dazu zu überreden, einen Vertrag mit dem Pantheon Sports Management zu unterschreiben, als der Bügel ihres BHs herausgepoppt war und ihre empfindliche Haut aufgespießt hatte. Sie hatte sich durch die Massen der Partygänger geschoben, die sich in der kleinen Wohnung drängten, um den nächsten Ausgang zu finden, und war schließlich in einem kalten, dunklen Treppenhaus gelandet. Frei von neugierigen Blicken wartete sie nicht länger und schob ihre Hand vorne in ihr schwarzes Etuikleid, um den rebellischen Draht gerade zu biegen.

Der Betonboden unter ihren Strumpfhosenfüßen war eiskalt. Sie hätte die Stiefel mitnehmen sollen, bevor sie herausgekommen war, doch sie hatte es zu eilig gehabt, sich von dem tödlichen Push-up zu befreien, um noch vernünftig zu denken. In der Sekunde, als ihr linker Fuß in eine nasse Pfütze tauchte, bedauerte sie ihre hastige Entscheidung. Lieber Gott, bitte lass das Wasser sein!

Sie fauchte verärgert, als sich der dünne Metallstreifen erneut aus dem Stoff drückte und sie wieder in die Brust stach.

Und gerade als sie annahm, dass es nicht noch schlimmer werden könnte, erklang der »Imperiale Marsch« aus Star Wars in ihrer Handtasche – der Klingelton für ihren Boss. Sie kramte unbeholfen nach dem Handy und antwortete: »Hi, Mr Parsons!«

Sie zuckte zusammen, als seine laute Stimme aus dem Handy dröhnte und er wissen wollte, wie denn die »Networking Session«, wie er es euphemistisch nannte, liefe. Für Jillian sah das Ganze eher so aus: »Liefern wir dem widerlichen, hormongesteuerten Jungathleten die junge Praktikantin und bekommen dafür seine Aufmerksamkeit«. Das war Teil des Plans, um Matt Turner aggressiv zu umwerben, ein Basketballspieler der University of Minnesota, der zwar noch ein weiteres Jahr auf dem College hatte, an dem aber bereits mehr als eine NBA-Mannschaft interessiert war, um ihn frühzeitig für sich zu rekrutieren. Er hatte wohl Gefallen an ihr gefunden, als sie sich vor ein paar Monaten im Büro begegnet waren, und Parsons hatte keine Sekunde gezögert, ihre Jugend und ihr Geschlecht zu nutzen und die NCAA-Regeln bezüglich Rekrutierungsmethoden ein wenig zu beugen.

Ein Praktikum bei einer angesehenen Agentur war die einzige Möglichkeit, um in diesem mörderischen Business vorwärtszukommen, und Pantheon war die größte Agentur im Land. Doch das hier war nicht unbedingt die Art von Arbeit, für die sie sich beworben hatte. Es war schlimm genug, dass sie für die vergangenen paar Monate in die Wildnis von Minnesota geschickt worden war, anstatt wie erwartet in den Büros in New York oder L.A. zu arbeiten. Und selbst wenn es ihr gelingen sollte, irgendwelche jungen Spitzensportler davon zu überzeugen, dass Pantheon die beste Agentur war, bekäme sie dafür niemals die verdiente Anerkennung von Parsons. Nach vier Monaten hatte sie die Nase voll.

Eines Tages würde sie ihre eigene Agentur eröffnen und die Dinge auf ihre Weise machen. Keine betrügerischen Rekrutierungstaktiken, keine Missachtung der Vorschriften – sie würde sich ihren Erfolg durch harte Arbeit und Ehrlichkeit verdienen.

Doch das würde niemals geschehen, wenn sie kein überzeugendes Empfehlungsschreiben von Parsons und eine ausreichende Note für dieses Praktikum bekommen würde.

»Es läuft gut. Großartig. Ich glaube, Turner ist interessiert«, sagte sie. Es war nicht nötig, ihm zu sagen, dass sein Interesse mehr darauf abzielte, sie ins Bett zu bekommen, als bei Pantheon zu unterschreiben.

Sie klemmte sich das Telefon zwischen Ohr und Schulter, um schnell ihre feuchte Strumpfhose auszuziehen und den störrischen Bügel zu bearbeiten, während Parsons weiterplapperte und sich seiner eigenen Ignoranz nicht im Geringsten bewusst war. Während des Vorstellungsgesprächs hatte er behauptet, von ihren Noten beeindruckt zu sein – sie war Jahrgangsbeste –, doch sie war sich ziemlich sicher, dass er sie auch eingestellt hätte, wenn sie ihm anstelle ihrer Zeugniskopie den Playboy vorgelegt hätte. Er interessierte sich nicht für ihren Verstand oder ihr Talent, sondern nur dafür, dass sie jung und attraktiv genug war, um die Aufmerksamkeit männlicher Sportler auf sich zu ziehen.

»Gute Arbeit, Nichols! Jetzt gehen Sie wieder rein und verzaubern ihn noch ein bisschen. Wir haben wenig Zeit. Ich will, dass Sie Turner um jeden Preis an Land ziehen. Verstehen Sie, was ich meine?«

»Ich bin mir nicht sicher, ob ich das tue«, sagte sie langsam.

»Ich habe Sie aus einem einzigen Grund angestellt, Nichols. Typen wie Turner denken mit ihrem Schwanz, nicht mit ihrem Gehirn. Jeder kann ihm versprechen, Millionen Dollar zu machen, doch Sie haben Vorzüge, die keiner meiner männlichen Praktikanten hat. Vorzüge, die Turner leicht beeinflussen können. Nutzen Sie sie, wenn es nötig ist.«

Sie spürte die Übelkeit in sich aufsteigen. Parsons hatte bereits während der letzten paar Monate einige anzügliche Bemerkungen fallen gelassen, doch das war das erste Mal, dass er unumwunden vorschlug, sie solle sich den Weg zum Erfolg erschlafen. Vor Wut bebte sie am ganzen Körper. »Ehrlich gesagt, Mr Parsons, möchte ich kü…«

Das Telefon rutschte weg. Sie konnte es gerade noch auffangen, bevor es auf den Betonboden fiel, und hielt es wieder an ihr Ohr.

»Was haben Sie gesagt, Nichols?«

Sie neigte den Kopf zurück und seufzte, während sie sich fühlte, als hätte man ihr alle Luft aus den Lungen gezogen. Das Praktikum bei Pantheon war die erniedrigendste Erfahrung ihres Lebens, doch jetzt zu kündigen würde bedeuten, ihren Traum völlig aufzugeben. Ein Uhr morgens war nicht der richtige Zeitpunkt, um überstürzte Lebensentscheidungen zu treffen. »Ja, Sir.«

Sie legte auf und lehnte sich an die kalte graue Wand, um Luft zu holen. Was würde sie nicht alles darum geben, um diese letzten paar Stunden zurückzudrehen.

Sie sah sich schnell um, ob es irgendwelche Kameras im Flur gab, dann nutzte sie die Abgeschiedenheit, um den Reißverschluss ihres Kleides zu öffnen, die Vorderseite bis zur Taille herunterzuziehen und schließlich den verdammten Bügel aus dem BH zu reißen.

»Brauchst du vielleicht Hilfe?«

Sie schrie auf und sprang zurück, stolperte und ließ ihr Telefon wieder fallen, während ein Typ mit einem Sechserpack Bier in der linken Hand die Treppe heraufkam. Er blieb auf halbem Weg stehen und fing das Telefon auf, das ihm entgegengeflogen kam.

»Nein, danke«, sagte sie mit vor Verlegenheit trockener Kehle, während sie schnell ihr Kleid wieder nach oben zog, um ihre spitzenbedeckten Brüste zu verbergen.

Sie verschränkte die Arme, während sie ihn die restlichen Stufen heraufkommen sah. Wie konnte sich jemand von dieser Größe so leise bewegen? Er war ein gutes Stück über eins achtzig groß und hatte so breite Schultern, dass er fast die ganze Treppe ausfüllte. Wegen seines Körpers nahm sie an, dass er ein Sportler war, doch mit seinen Bartstoppeln, der verwaschenen Jeans und der zweckmäßigen braunen Jacke wirkte er eher wie ein sexy Holzfäller.

Da lag etwas seltsam Vertrautes in seinem kantigen Gesicht. Er hatte mitternachtsblaue Augen, ein markantes Kinn und eine leicht schiefe Nase, die aber nur zu seiner Attraktivität beitrug. Ein Gesicht, das sie am liebsten mit beiden Händen halten und zu ihrem heranziehen wollte, bis jede Erinnerung an diesen schrecklichen Abend aus ihrem Gehirn gebrannt wäre – wenn sie sich nicht so geschämt hätte.

»Mein Telefon?« Zum Glück hatte ihre Stimme den Ton ihrer üblichen Beherrschung zurückgewonnen. Sie hielt den einen Arm fest über dem Oberkörper, um die Tatsache zu verbergen, dass ihre Brüste jetzt schief hingen, und streckte ihm die andere erwartungsvoll entgegen.

Anstatt es ihr zurückzugeben, tat er, als würde er das Telefon untersuchen. »Es sieht so aus, als hätte ich es erwischt, bevor das Display zerbrochen ist.«

»Erwartest du jetzt eine Belohnung, oder was?«, fuhr sie ihn an und ließ sich von ihrem Frust mitreißen. Sie wollte einfach zurück in ihre winzige Mietwohnung, sich das sorgfältig aufgetragene Make-up abwischen und so lange schlafen, bis die ganze Nacht nur noch eine ferne Erinnerung wäre.

Er warf ihr ein freches Lächeln zu, bei dem ihr die Knie weich wurden. »Ich denke, ich habe bereits eine bekommen.«

Sie musste schlucken. Alles an diesem Kerl, angefangen von seinem großspurigen Benehmen bis hin zu seiner enormen Größe, schrie »Bad Boy«. Was war nur mit ihr los, dass sie seine große, dunkle Holzfällerart so attraktiv fand? Vielleicht war er so erfrischend für ihre Sinne, weil er wie ein echter Mann aussah und nicht wie all die verwöhnten, unreifen Bubis auf der Party. Oder vielleicht lag es daran, dass dieser Typ so heiß war, dass er eine Frau in der Antarktis zum Schmelzen bringen würde.

Doch all das spielte keine Rolle. Sie war hier, um Matt Turner zur Unterschrift zu bringen, und nicht, um von irgendeinem zufällig vorbeikommenden Typen abgelenkt zu werden, der gerade jedes ihrer »Ja, bitte«-Kästchen abgehakt hatte.

Er schmunzelte und streckte ihr das Telefon entgegen. Sie riss es ihm sofort aus der Hand, dann machte sie auf dem Absatz kehrt, um die Tür zum Hausflur aufzudrücken.

Die schwere Metalltür rührte sich nicht.

»Man braucht eine Schlüsselkarte«, sagte der Typ und zeigte auf das schwarze Kästchen an der Wand.

»Ich nehme an, du hast keine, oder?« Sie hatte die Security im Gebäude vergessen. Jemand war von der Party heruntergekommen, um sie nach oben zu geleiten, denn auch der Fahrstuhl funktionierte nur mit der Schlüsselkarte. Sie hätte sich denken können, dass auch das Treppenhaus verschlossen war.

»Nö, aber ich werde meinen Kumpel anrufen, um uns reinzulassen.« Er zog sein Handy heraus und wählte. Nach ein paar Sekunden legte er auf und zuckte mit den Schultern. »Keine Antwort.«

»Das macht nichts. Wir können runtergehen und uns mit jemandem in den Fahrstuhl schleichen, der hier wohnt.« Obwohl sie barfuß war, würden ihr die sieben Etagen zur Lobby im Grunde nichts ausmachen, doch da es mitten im Winter war, wollte sie ihre Boots und ihren geliebten marineblauen Peacoat nicht im Apartment zurücklassen.

»Der Fahrstuhl ist defekt. Darum habe ich die Treppe genommen.«

Sie blickte ihn mit so weit aufgerissenen Augen an, dass es sich anfühlte, als würden sie ihr aus dem Kopf fallen. Sie suchte nach einem Hinweis darauf, dass er einen Scherz machte, doch es gab keinen. Diese nächste Niederlage schlug ihr auf den Magen, ließ die letzten Reste Adrenalin verebben, und sie spürte, wie müde sie eigentlich war. Sie ließ den Kopf hängen und stöhnte.

»Hey, mach dir keine Sorgen. Mein Kumpel weiß, dass ich komme. Er wird irgendwann nach mir sehen.« Er zog seine Jacke aus und legte sie auf den Boden. »Hier, wir machen unsere eigene Party, bis er kommt.«

»Dreh dich zuerst um«, befahl sie mit so viel Autorität in der Stimme wie möglich.

»Warum?«, fragte er unschuldig, doch sein Blick richtete sich auf ihre verschränkten Arme.

»Mach es einfach!«

»Na gut, aber versprich mir, dass du nicht vorhast, mich die Treppe hinunterzuwerfen.«

Der Gedanke, dass sie diesen Riesen von einem Mann dazu bringen könnte, sich auch nur einen Millimeter zu rühren, war so absurd, dass sie unwillkürlich lachen musste. Er drehte sich ohne weitere Einwände um, und gab ihr so Gelegenheit, den Bügel an der anderen Seite ihres BHs ebenfalls herauszuziehen.

»Fertig«, sagte sie mit einem erleichterten Seufzer. Ihre Brüste sahen jetzt vielleicht nicht mehr so keck und rund aus, doch wenigstens waren sie gleichmäßig. Sie ließ sich auf den Boden herunter und sah zu, wie er zwei Bier aus dem Sechserpack nahm, den er bei sich trug.

Er rutschte an der Wand herunter und setzte sich ein Stück von ihr entfernt auf den Boden. Der schwache Duft seines Eau de Cologne drang durch den feuchten Mief des Treppenhauses und gab ihr das Gefühl, endlich wieder atmen zu können. Sie wollte die würzigen, maskulinen Duftnoten einatmen, bis sie alle ihre Sinne erfüllten.

»Bier?«, fragte er.

Als er ihr die dunkelbraune Flasche reichte, zögerte sie. Auch wenn sie wie eine Brauerei stank, seit ein Typ aus Versehen sein Bier über sie gegossen hatte, hatte sie die ganze Nacht noch keinen Drink gehabt. Sie nahm ihre Arbeit ernst, was bedeutete, dass sie niemals trank, wenn sie im Dienst war. Doch sie hatte es satt, immerzu das brave Mädchen zu sein. Sie war einundzwanzig Jahre alt, eine Studentin mit sehr guten Noten und die am schwersten arbeitende Praktikantin, die Pantheon jemals gesehen hatte. Ausnahmsweise einmal wollte sie sich entspannen. »Nach dem Tag, den ich hatte, warum nicht?«

Er drehte den Flaschendeckel mit der Hand ab und warf ihn in die Ecke des Treppenabsatzes, dann nahm er einen großen Schluck.

Sie ahmte seine Bewegung nach, legte die Hand um die Oberseite der Flasche und drehte. »Autsch!« Die metallischen Kanten des Kronkorkens gruben sich in ihre Handfläche und hinterließen einen starken roten Abdruck.

»Lass mich mal.« Er beugte sich vor, bedeckte ihre Hand, mit der sie die Flasche hielt, mit seiner, und öffnete den Kronkorken, als wäre es nichts.

»Danke«, murmelte sie, ihre Wangen wurden heiß, während seine Hand auf ihrer verweilte. Die gegensätzlichen Gefühle durch das kalte Glas und seine warme Haut brachten ihren ganzen Körper zum Kribbeln.

Mit einem verschmitzten Lächeln nahm er die Hand weg, wobei er sich offenbar der Wirkung vollkommen bewusst war, die er auf sie hatte. »Wenn du dich dabei besser fühlst, ich bin total klaustrophobisch.«

»Wirklich? Oder ist das nur ein schwacher Versuch, um mit mir zu kuscheln?«

Er zwinkerte, und sie verdrehte die Augen. »Was denn? Ich bin ein Mann, der gern eine gute Gelegenheit nutzt. Und so, wie du dir die ganze Zeit auf die Lippe beißt, merke ich, dass du auch daran denkst.«

Sie schlug die Hand vor den Mund.

Er knuffte ihr leicht gegen die Schulter, als wäre sie einer seiner Sportkumpel. »Ich scherze doch bloß mit dir. Bist du nun in einer schlechten Stimmung, weil die Party so mies ist, oder liegst es an meiner Gesellschaft?«

»Ich kann nicht sagen, dass ich glücklich darüber bin, mit dem Kerl festzustecken, der gesehen hat, wie ich meinen BH richte, doch dafür kann ich dir wirklich keine Schuld geben. Schlechtes Timing.«

»Nur fürs Protokoll: Da muss ich widersprechen. Es war wunderbares Timing.«

Zum Glück war die Beleuchtung schwach, denn sie konnte spüren, wie ihr die Röte den Hals hinaufkroch. »Wie dem auch sei. Ich bin mir sicher, dass die Party super ist, wenn man tatsächlich zum Feiern hier bist.«

»Welchen anderen Grund gibt es wohl sonst, um auf einer Party zu sein?«

Sie nahm einen Schluck Bier. Sie hasste IPA-Bier, doch der hopfige, malzige Geschmack war weniger bitter auf der Zunge als alles andere, mit dem sie sich heute Abend herumschlagen musste. »Arbeit.«

Er hob schockiert die Brauen. »Ähm, ich will dich nicht beleidigen, aber du wirkst nicht offenherzig genug, um eine Prostituierte zu sein.«

Es gelang ihr nicht, das schrille Lachen zurückzuhalten, das ihr aus der Kehle drang. »Ich bin keine Prostituierte. Ich bin Sportagentin. Oder zumindest werde ich das sein. Momentan bin ich nur eine Praktikantin.«

Sein Grinsen kehrte zurück. »Das ergibt mehr Sinn. Aber ich hätte dich nicht als Agentin eingeordnet.«

»Warum das?«

»Du bist eine Frau.«

»Wirklich, habe ich noch gar nicht bemerkt«, sagte sie sarkastisch.

»Nun, du könntest ja noch einmal dein Kleid aufmachen, wenn wir weitere Beweise brauchen«, erwiderte er mit gespielter Ernsthaftigkeit.

Die halbe Flasche, die sie getrunken hatte, musste ihr bereits zu Kopf gestiegen sein, denn sie fand dieses unablässige Flirten und sein dreistes Verhalten eher charmant als nervig. Dabei hatte auch die Anspannung in ihren Schultern nachgelassen, und die Millionen dröhnender Gedanken in ihrem Kopf waren zu einem dumpfen Flüstern geworden. »Da passe ich.«

»Ich bin übrigens Nick.« Sein Lächeln war aufrichtig, und ließ ihn nur noch besser aussehen.

»Jillian Nichols, gegenwärtig bei Pantheon Sports Management«, erwiderte sie trocken.

»Also Jillian, warum willst du ein blutsaugender Egel werden, wenn du groß bist?«

Sie ahmte ihn nach und schlug ihm ebenfalls gegen die Schulter.

»Autsch, du hast ja Muskeln, Nichols.«

»Nein, habe ich nicht. Siehst du?« Sie spannte ihren jämmerlich dünnen Bizeps an. »Ich habe dich buchstäblich so fest geschlagen, wie ich konnte. Es spielt keine Rolle, wie viele Gewichte ich hebe oder ob ich eine Kiste voller Steroide esse. Ich setze nicht ein Gramm Muskeln an, wie sehr ich es auch versuche. Ich kann auch keinen Ball irgendeiner Form oder Größe werfen, ohne dass ich über meine eigenen Füße stolpere, und ich wurde aus jeder Mannschaft rausgeworfen, bei der ich es versucht habe. Oh, und ich bin total verletzungsanfällig. Ich schwöre bei Gott, dass ich mir einmal das Schlüsselbein gebrochen habe, nur weil ich einen Baseballschläger angeguckt habe.«

Er lachte. »Auf eine so seltsame Weise habe ich noch nie eine Frau prahlen hören.«

»Ich prahle überhaupt nicht. Ich erkläre nur, warum ich eine Agentin sein will. Ich bin schlecht im Sport, aber ich liebe ihn und möchte daran teilhaben. Ich bin auch clever und weiß, wie ich bekomme, was ich will. Ablenkungen können für einen Elitesportler tödlich sein. Wie kann sich jemand zu hundertzehn Prozent auf sein Training konzentrieren, wenn er wegen einer Vertragsstreitigkeit besorgt ist oder sich fragt, ob er im nächsten Jahr transferiert wird? Sportler brauchen jemanden, der sich um sie kümmert, der sicherstellt, dass sie nicht von den echten Blutsaugern da draußen ausgenommen werden. Agentin zu sein bedeutet, dass ich teil habe an den Sportarten, die ich liebe, und für solche Athleten da sein kann, die jemanden an ihrer Seite brauchen.«

Sie trank schnell das restliche Bier, um ihre Verlegenheit zu überspielen. Sie hatte herumgefaselt wie die Kandidatin bei einer Misswahl. Wo war das überhaupt hergekommen? Sie war eigentlich kein Mensch, der seine Lebensgeschichte mit Fremden teilte.

»Du willst also Leuten helfen. Das ist cool«, sagte er mit anscheinend aufrichtiger Ehrlichkeit. Im Allgemeinen hatte sie ein gutes Gespür für Bullshit, doch sie kannte Nick noch keine zehn Minuten. Sie konnte nicht anders, als misstrauisch zu sein bei einem Kerl, der sich so schnell vom Idioten zum Prince Charming verwandelt hatte.

Sie zuckte mit den Schultern.

»In Ordnung, dann erzähl mir, wie du Dean Sanderson helfen würdest.«

»Dem Rechtsaußen von Toronto? Der hat sein Potenzial noch überhaupt nicht ausgeschöpft.« Jede Faser ihres Körpers schien von seiner Frage elektrisiert. Er hatte sie herausgefordert, doch sie war dafür mehr als bereit.

»Na ja, aber er hat noch ein paar Saisons vor sich.«

»Und deshalb würde ich versuchen, ihn an das in der Tabelle am niedrigsten stehenden Team zu vermitteln, das ihn nehmen wird. Er braucht einen Neuanfang. Irgendwo, wo er wirklich spürt, dass er seinen Beitrag leistet und nicht nur einen Platz auf der Bank besetzt.«

Er drehte sich, um sie anzusehen, und kniff die Augen zusammen. »Interessante Strategie. Und was ist mit Joe Symonds?«

»Einundvierzig und will sich nicht zur Ruhe setzen? Er wird sicher zum Jahresende in eine untere Liga geschickt werden, weshalb ich auf einen Transfer mit Dallas drängen würde. Wie ich ihn einschätze, interessiert es ihn nur, aufs Eis zu kommen. Es spielt keine Rolle, für wen er spielt oder in welcher Liga. Das Farmteam von Dallas ist in der Nähe, sodass er in einer großen Stadt bleiben könnte, was seine Frau und seine Töchter glücklich macht, während er weiterspielen kann, bis sein Körper auseinanderfällt.«

»Beeindruckend. Du kennst dich mit Eishockey aus.« Er warf ihr weitere Fragen zu und diskutierte freundschaftlich über manche ihrer Behauptungen, bis sie jedes Gefühl für Zeit verloren hatte.

Schließlich gähnte sie zu sehr, um noch zusammenhängend zu antworten.

»Langweile ich dich?« Er warf ihr ein übermütiges Lächeln zu, das den Eindruck vermittelte, dass er sich nicht allzu große Sorgen über die Möglichkeit machte, dass sie seine Gesellschaft nicht genoss.

»Nein, nur müde.« Sie lächelte und merkte, dass sie alles andere als gelangweilt war. Ehrlich gesagt, war es ihr sogar gelungen, etwas Spaß zu haben, trotz der späten Stunde und dem kalten Beton unter ihrem Hintern. Nick war ein besserer Gesprächspartner, als sie erwartet hatte. Und süßer auch. Sie hatte schon seit Langem nicht mehr eine solche Verbindung zu jemandem gespürt. Doch sie war zum Arbeiten hier und nicht zum Vergnügen. Wenn sie nicht wollte, dass Parsons sie morgen feuerte, sollte sie sich besser wieder daran machen.

Er rutschte näher, lehnte sein Knie gegen ihres. »Möchtest du noch ein Bier?«

Sie schüttelte den Kopf und versuchte, die Hitzewelle zu ignorieren, die brennend von der Stelle ausströmte, wo sich ihre Körper berührten. »Wir sollten es versuchen und noch einmal anklopfen. Vielleicht hört uns jemand.« Sie stand auf und schlug gegen die Tür.

In weniger als einer Sekunde stand er hinter ihr. Sie hatte gar nicht gehört, wie er aufgestanden war, doch sie konnte die Hitze, die sein Körper ausstrahlte, hinter sich spüren, als wären ihre Nerven dafür programmiert, ihn zu finden.

»Dein Reißverschluss«, sagte er mit rauer Stimme. Er legte ihr eine Hand um die Hüfte, sodass sie die Luft anhielt, während er mit der anderen langsam den Metallschlitten des Reißverschlusses zu ihrem Nacken hochzog.

»Danke«, hauchte sie.

Anstatt sie loszulassen, verstärkte er den Griff an ihrer Seite. Es war besitzergreifend. Aufregend. »Du hast überall auf den Schultern Sommersprossen.« Mit dem Finger der anderen Hand fuhr er über ihre Haut, als würde er eine Verbindungslinie zwischen den kleinen braunen Punkten ziehen.

»Meine Mom sagt, das sind Teufelsküsse. Einer für jede meiner Sünden.«

»Da liegt sie falsch. Ich finde sie schön.« Seine geflüsterten Worte streichelten die empfindliche Haut in ihrem Nacken wie ein Kuss.

Sie erschauerte und stützte sich mit den Händen an der Metalltür ab. Wie würde es sich wohl anfühlen, nur einmal ihre Verpflichtungen abzustreifen und sich wie eine normale Einundzwanzigjährige zu benehmen? Eine, die sich daran erinnerte, dass Partys Spaß machen sollten und keine Geschäftsmeetings mit hohen Einsätzen waren. Eine, die gefährlich stark von dem Mann angezogen wurde, der gerade ihre Haut in Brand setzte.

Seine Hand glitt nach vorn zu ihrem Bauch und zog sie näher zu sich heran, sodass sich ihr Innerstes wie ein Vulkan vor der Explosion anfühlte.

Ihre Entschlossenheit zerbrach unter dem Gewicht ihres Verlangens. Sie drehte sich zu ihm um und fuhr mit ihren Händen über seine Brust, ermutigt von dem hungrigen Ausdruck in seinen Augen. Er senkte den Kopf, und ihr Herz machte einen Satz. Sie wollte ihn küssen. Sich in ihm verlieren. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, um den Abstand zu überwinden, und die Erwartung wuchs in ihrem Bauch mit jedem Millimeter, den sie näher kam.

Die Tür hinter ihnen schwang auf und schlug ihr direkt gegen den Hintern.

»Salinger! Du hast es geschafft!«

Sie sprang aus Nicks Armen und rieb sich die wunde Pobacke, während er eine Art geheimen Handschlag mit dem Typen machte. Im Licht ihrer wachsenden Verlegenheit fühlte sich das Treppenhaus immer kleiner an, als würden sich die Wände auf sie zu bewegen. Sie wollte sich zwischen den zwei kräftigen Jungen durchschlängeln, ihre Sachen holen und verschwinden. Doch damit würde sie Nick an ihre Anwesenheit erinnern. Gerade jetzt fand sie es ganz praktisch, dass ihr Fast-Knutschpartner ihre Existenz offenbar bereits vergessen hatte.

Doch ihre Erschöpfung gewann gegenüber der Peinlichkeit die Oberhand. »Entschuldigt mich«, murmelte sie, glitt zwischen der Tür und dem Arm des anderen Typen hindurch und ging direkt ins Zentrum des pulsierenden Basses, um Turner zu finden.

Er lag ohnmächtig auf dem Boden und hatte eine leere Wodkaflasche in der Hand. Ein Gefühl der Enttäuschung mischte sich mit Erleichterung. Parsons würde verärgert sein, doch sie konnte jetzt nichts daran ändern. Es war an der Zeit, nach Hause zu gehen.

Sie entdeckte ihren Mantel unter dem Hintern eines anderen Mädchens auf dem Sofa. Für die Stiefel, die unter einem Riesenhaufen Schuhe neben der Vordertür begraben waren, brauchte sie ein wenig länger. Nick kam ins Apartment geschneit, als sie gerade den linken gefunden hatte.

»Der Punisher ist da!«, rief eine Stimme.

Oh mein Gott. Der Mann, über den sie im Treppenhaus fast hergefallen wäre, war nicht einfach nur irgendein Collegesportler. Er war Nick »The Punisher« Salinger – Star-Verteidiger der Minneapolis Warriors und der größte Rowdy der NHL. Sie hatte gerade den Großteil einer Stunde eingesperrt mit einem der Toprookies verbracht, und anstatt sich wie ein Profi zu benehmen, hatte sie sich in ein Eishockey-Häschen verwandelt. Ihr dringendes Verlangen zu gehen wurde hundertfach verstärkt. Sie musste dringend hier weg.

»Hey Jillian, warte doch! Ich habe deine Telefonnummer gar nicht bekommen.«

Sie erstarrte. »Ich glaube auch nicht, dass das eine gute Idee ist.«

Ein anderer Typ stellte sich vor sie und blockierte den Ausgang. »Vielleicht solltest du lieber mir deine Nummer geben«, lallte er. Sie versuchte, sich an ihm vorbeizudrängen, doch der Typ bewegte sich nicht. Er ergriff ihren Oberarm und drückte so fest, dass sie aufschrie.

»Lass sie los!«, knurrte Nick.

»Vielleicht will ich das nicht.«

Sie sah nur noch, wie Nicks Faust in das Gesicht des Typen flog, dann brach die Hölle los.

2


Gegenwart

»Es tut mir leid, Mr Salinger, aber ich arbeite nicht mit Verlierern.«

Jillian Nichols hielt ihr Gesicht und ihren Körper so reglos wie eine Eisprinzessin im Winter, und gab keinen Hinweis darauf, dass sie den Großteil der vergangenen zehn Minuten damit verbracht hatte, sich zu fragen, ob er sich an sie erinnerte und an die Stunde, die sie zusammen eingesperrt in einem dunklen Treppenhaus verbracht hatten. Fraglich. Das Einzige, woran er sich wahrscheinlich aus jener Nacht erinnerte, war die riesige Schlägerei, die landesweit Schlagzeilen gemacht und ihn fast die Karriere gekostet hatte. Außerdem hatte er wahrscheinlich über die Jahre Millionen Begegnungen zu jungen weiblichen Eishockeyfans gehabt, wogegen sich ihr die Erinnerung seit fast einem Jahrzehnt ins Gehirn gebrannt hatte.

Nick Salinger wirkte nicht wütend. Auch schien er nicht überrascht darüber, dass es jemand gewagt hatte, seine Großartigkeit zu beleidigen. Stattdessen reagierte er wie jeder normale Mann, der zu viele Schläge auf den Kopf bekommen hatte.

Mit einem arroganten Feixen.

»Ich habe viermal den James Norris-Pokal gewonnen. Ich habe zwei olympische Goldmedaillen, eine in Bronze, und als ich siebzehn war, wurde ich im Jahrbuch meiner Highschool zu dem Absolventen gewählt, bei dem es am unwahrscheinlichsten wäre, dass er Karriere machen würde. Und am wahrscheinlichsten, dass man ihn verhaften würde.«

»Das ist eine interessante Reihe von Auszeichnungen.« Sie hielt ihre Stimme ruhig.

»Ich bin nicht nur der erfolgreichste Einwohner von Blades, Minnesota, ich bin auch einer der erfolgreichsten Sportler des Landes. Und ich bin niemals verhaftet worden.« Er beugte sich vor und zeigte ihr ein teuflisches Grinsen. »Zumindest nicht für etwas, das in mein Führungszeugnis gekommen ist.«

Nichts davon änderte etwas an der Tatsache, dass er nur Ärger machte. Sie hatte seine Karriere intensiver verfolgt, als sie je zugeben würde, und war zu dem Ergebnis gekommen, dass die süße Seite, die sie in jener Nacht von ihm gesehen hatte, nichts als eine Fassade gewesen war. Obwohl er einer der meistfotografierten Spieler der NHL war, war er auf – und neben – dem Eis ein Grobian. Jener berüchtigte Kampf war der letzte Tropfen gewesen, bevor Minneapolis ihn wegen seines schlechten Verhaltens fallen gelassen hatte. Die New York Vipers hatten ihn kurz danach angenommen, und obwohl er seit fast einem Jahrzehnt für sie spielte, war sein Verhalten kein bisschen weniger explosiv geworden. »Soll ich etwa beeindruckt sein?«

»Der Punkt ist doch der, Süße: Sie können mich alles Mögliche nennen, doch ›Verlierer‹ gehört nicht dazu.« Salinger lehnte sich auf seinem Lederstuhl zurück und legte einen schweren braunen Stiefel auf die Kante ihres Schreibtischs, danach den anderen. Der billige Furnierschreibtisch von Ikea ächzte unheilvoll und neigte sich leicht nach rechts.

Er hob eine Augenbraue, als wäre der miserable Zustand ihres Büros eine Art heimlicher Scherz zwischen ihnen beiden. Sie erledigte den Großteil ihrer Arbeit per Telefon oder bei einem Latte und Grünkohlsalat in feinen Bistros. Doch da diese Arbeit sie noch nicht zur Millionärin gemacht hatte, sparte sie Geld, indem sie ein auseinanderfallendes Einzimmerbüro in einem denkmalgeschützten Gebäude in New Yorks Lower East Side gemietet, und ihr geringes Einkommen stattdessen in eine Garderobe schicker, doch seriöser Businesskostüme und Leg-dich-nicht-mit-mir-an-Stilettos investiert hatte. Es war nicht sehr glamourös, doch Nichols Sports Management gehörte ihr allein. Ihre Vision, ihre Methoden, ihre Träume. Nur nicht ihre Inneneinrichtung.

Was aber in Ordnung war, denn es kam eigentlich nie jemand in ihr Büro. Zumindest nicht bis vor zehn Minuten, als Nick Salinger hereingestürmt war und verlangt hatte, von ihr als Klient angenommen zu werden.

Und jetzt grinste er, als gäbe es für ihn keinen Zweifel daran, dass sie Ja sagen würde.

»Sie vertreten ein paar gute Eishockeyspieler in den unteren Ligen, aber niemanden in der NHL. Begreifen Sie es doch, Sie brauchen mich.«

Jillians Blutdruck schoss so hoch, dass sie ihren Puls in den Adern pochen fühlen konnte. Sie griff nach ihrem Lieblings-Eiffelturm-Briefbeschwerer aus Kristall und rammte ihm die Spitze in die linke Wade.

»Au!«

Sie ließ ihre Mundwinkel für ein kurzes Lächeln nach oben zucken, während seine Füße mit einem Rumsen zurück auf den Boden fielen. »Ich arbeite auch nicht mit Arschlöchern.« Sie hob den Vertrag auf, an dem sie zuletzt hektisch gearbeitet hatte und legte ihn auf ihren Schreibtisch, verwandelte dann das Durcheinander der Papiere in einen geordneten Haufen.

»Temperamentvoll«, sagte er und rieb sich die Stelle am Bein.

»Nein. Ich habe nur keine sehr hohe Toleranz für Überheblichkeit und Unfreundlichkeit.«

Er beugte sich vor, legte die Arme auf seinen Beinen ab, sodass sich sein graues Henley-Shirt eng um seine breiten Schultern straffte. »Sind Sie sicher, dass Sie im richtigen Geschäft sind?«

»Sie wären nicht hier, wenn Sie das nicht glauben würden«, antwortete sie kühl.

Er zuckte mit den Schultern. »Da haben Sie recht.«

Sie nickte und kümmerte sich nicht darum, ob er überhaupt gemerkt hatte, dass er ihr gerade ein Kompliment gemacht hatte. Tatsache war, dass weibliche Sportagenten nicht sehr viel Komplimente oder Anerkennung bekamen. Sie nahm sich jedes Lob, was sie bekommen konnte, ob beabsichtigt oder nicht. Selbst wenn es von einem Alpha-Arschloch von Eishockeystar kam.

»Ich gebe ja zu, dass ich ein Blödmann bin, doch Sie müssen mich ja nicht mögen. Sie arbeiten mit Underdogs, Außenseitern und den Sportlern, für die anderen Agenten die Eier fehlen. Ihr Geschäft floriert durch Chaos. Ich bin Ihr perfekter Kunde.« Er warf ihr ein Lächeln zu, das seinen gemeißelten Kiefer perfekt zur Geltung brachte.

Guter Gott, er war ein gut aussehender Mann, der mit den Jahren nur noch attraktiver geworden war. Sie lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und nahm seinen Anblick ganz in sich auf. Nick Salinger hatte die Art von rauer Sexyness, bei der ihr heiß zwischen den Beinen wurde und die sie daran erinnerte, dass ihr Sexmotor durchaus noch auf Touren gebracht werden konnte. Im Unterschied zu ihrem jüngeren Selbst schämte sie sich nicht, ihn ausgiebig zu beäugen. Sie war zu dem Ergebnis gekommen, dass es Teil ihrer Fähigkeiten als Agentin war. In Gedanken listete sie bereits eine Reihe von Designern auf, die für eine Modekampagne an seinem Look interessiert sein könnten. Sie bemerkte auch, dass er trotz des Cuts an seiner linken Wange und der leicht schiefen Nase Gesichtszüge hatte, die ihn zu einem großartigen Kandidaten für einen Werbevertrag mit einer Sonnenbrillenmarke machten. Natürlich würde er sich den Bart abrasieren müssen.

Das wäre schade, flüsterte ihre Libido wie ein Teufelchen auf ihrer Schulter.

Das Wichtigste war, dass sie wusste, wie sie die Instinkte unterdrücken konnte, die in ihr danach schrien, ihn endlich zum Schweigen zu bringen, auf seinen Schoß zu kriechen, ihm das Shirt runterzureißen und ihn wie einen Preishengst zu reiten. Wie bei allem anderen in ihrem Leben ließ sie sich von ihrem Verstand leiten. Salinger war ein Raufbold auf dem Eis und abseits davon, und es war unmöglich, sich auf jemanden wie ihn einzulassen – persönlich oder beruflich.

Sie räusperte sich und beugte sich vor. »Ich kann nicht mit Sportlern arbeiten, die ich nicht mag.«

»Sie könnten mich mögen lernen.«

Sie wurde höhnisch. »Sie sind ein zweiunddreißigjähriger brutaler Verteidiger im letzten Jahr seines Vertrags, und trotz all Ihrer Auszeichnungen haben Sie noch nie den Stanley Cup gewonnen. Vor fünf Tagen haben Sie Ihren Werbevertrag mit Bauer verloren, und Ihr Agent hat sie fallen gelassen, weil Sie während des Trainings einen Faustkampf mit einem Teamkollegen hatten. Aber nicht einfach mit irgendeinem Teamkollegen – mit Sebastian Liakos, der zufällig ein hochtalentierter Rookie ist und sich kürzlich mit Alexa Whittaker verlobt hat, der Tochter des Besitzers der Vipers. Liakos hat außerdem die Presse und die Fans um den Finger gewickelt. Oder hatte es, bis Sie ihm diesen Finger gebrochen haben, indem Sie mit Ihrem Schläger auf ihn eingeschlagen haben in einem der billigsten Spielzüge, den man je auf Video gebannt hat. Und selbst wenn das Team Sie nicht suspendiert hat, so weiß doch jeder, dass Sie derjenige waren, der den ersten Schlag getan hat.«

»Er hat es verdient.«

»Wirklich? Die Medienberichte über Ihren Streit mit Alexa am nächsten Morgen lassen es für mich ziemlich deutlich wie einen Fall von Eifersucht aussehen.«

»Gott, ich habe nur versucht, sie vor Liakos zu warnen. Alexa ist noch ein Kind.«

Zumindest hatte er den Anstand, bei dieser Anklage entsetzt zu wirken. »Genau wie Sebastian Liakos. Und die Öffentlichkeit glaubt, dass Sie einen Einundzwanzigjährigen aus keinem anderen Grund verprügelt haben, als weil Ihr Ego mal wieder außer Kontrolle geraten ist.«

Er rutschte auf seinem Sitz herum, und sein hübsches Gesicht verzog sich zu einem düsteren Ausdruck. »Und deshalb bin ich hier.«

»Es steht außer Frage, dass Sie ein großartiger Spieler sind. Wahrscheinlich einer der besten. Doch Sie sind wie ein Auto im letzten Jahr seiner Garantielaufzeit, und wenn es dann darum geht, über Transferdeals zu reden, wird Ihr armseliger Hintern an irgendein neues Team verschickt werden. Eines, das Sie vielleicht sogar großzügig bezahlt, doch keine Hoffnung darauf hat, jemals den Cup zu gewinnen. Jeder beliebige Agent kann für Sie einen Transferdeal aushandeln. Sie brauchen mich nicht.«

»Sie kennen sich aus mit Ihrem Stoff, das muss ich zugeben. Aber da ist eine Sache, bei der Sie falschliegen.«

»Nämlich?«

»Mein Agent hat mich nicht fallen gelassen. Ich habe ihn gefeuert, weil er genau dasselbe gesagt hat, wie Sie gerade eben. Ich weiß, dass ich nur noch ein, vielleicht zwei Jahre übrig habe, um den Cup zu gewinnen. Doch das wird nicht passieren, wenn ich in irgendeine drittklassige Mannschaft komme, die nicht einmal Fans begeistern kann, geschweige denn Tore schießen. Ich brauche einen Agenten, der versteht, dass es mir nicht nur ums Geld geht. Es interessiert mich nicht, selbst wenn man mir keinen einzigen Cent mehr bezahlt. Es geht um meine Liebe zum Spiel. Ich dachte, dafür wären Sie die Richtige, doch ich weiß jetzt, dass ich mich vertan habe. Ich nehme an, dass Sie doch nicht mehr dasselbe Mädchen wie das in dem Treppenhaus sind.« Er erhob sich und stützte die Hände auf ihren knarrenden Schreibtisch, dann blickte er sie mit durchdringenden dunkelblauen Augen an, als würde er erwarten, dass sie zurückweicht.

Doch das tat sie nicht. Zumindest nicht körperlich. Ihr Innerstes fühlte sich an, als hätte sie einen Schlag in die Magengrube erhalten. Sie hatte nicht erwartet, dass er sich daran erinnerte.

Doch die Tatsache, dass er noch immer mit einem einzigen Blick jeden Nerv in ihrem Körper elektrisieren konnte, war nicht der einzige Grund, der sie innerlich schwanken ließ. Es war der erste Moment, in dem er mit Leidenschaft gesprochen oder ihr einen Grund dafür gegeben hatte, anzunehmen, dass sie für ihn etwas anderes war als ein allerletzter Versuch, um seine Karriere zu retten. Und obwohl sie geschworen hatte, sich in ihren Entscheidungen niemals von Geld beeinflussen zu lassen, konnte sie nicht leugnen, dass ein bekannter Eishockeyspieler wie Salinger zehnmal mehr in einem Jahr brachte als alle ihre gegenwärtigen Kunden zusammen.

Vor ihrem inneren Auge eröffnete sich ein Panorama der Möglichkeiten, die ihr ein Klient wie er bieten könnte. Wenn es ihr gelingen würde, seine Karriere herumzureißen, hätte Nichols Sports Management gewaltig an Glaubwürdigkeit gewonnen. Die großen Jungs in der Liga würden gezwungen sein, endlich ihr Geschlecht zu ignorieren und sie ernst zu nehmen. Am wichtigsten war, dass ihr ein Klient wie Salinger die Art von Bestätigung geben würde, die sie brauchte, um bei der kommenden Wahl einen Sitz im Vorstand der New York Association of Professional Sport Agents zu gewinnen.

Doch ihr bestehender Erfolg basierte auf drei Grundsätzen. Erstens: Arbeite niemals mit arroganten Arschlöchern. Zweitens: Arbeite niemals mit jemandem, dem du nicht vertraust. Und drittens: Arbeite niemals mit jemandem, den du dir nackt vorstellst.

Angesichts ihres andauernden Singlestatus und ihrer ungesunden Wertschätzung von Bad Boys, hatte sie ihn sich während des vergangenen Jahrzehnts sehr oft sehr nackt vorgestellt.

Trotz ihrer zugeschnürten Kehle zwang sie sich dazu, ihm eine weitere Frage zu stellen. »Warum haben Sie Liakos verprügelt?«

Er sah sie lange Zeit an, während ein leichtes Zucken an seinem Kiefer seine einzige Bewegung war.

»Das ist keine schwierige Frage. Vertrauen ist lebensnotwendig in diesem Geschäft. Wenn wir zusammenarbeiten – und ich sage nicht, dass ich meine Meinung geändert habe –, dann muss ich wissen, warum Sie es getan haben.«

»Nein.«

Und aus. »Dann ist damit unser Gespräch am Ende.« Sie musste ihn nicht bitten, zu gehen. Er hatte bereits die Tür hinter sich zugeschlagen, bevor sie den Satz beendet hatte.