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Bernward Gesang

Wirtschaftsethik und Menschenrechte

Ein Kompass zur Orientierung im ökonomischen Denken und im unternehmerischen Handeln

Mohr Siebeck GmbH & Co. KG

Inhaltsverzeichnis

Copyright / Impressum

UTB Band 4562

ISBN print 978-3-8252-4562-7

e-ISBN EPUB 978-3-8385-4562-2

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Fußnoten

1

Hier zeigt sich, dass es wahrscheinlich noch feinere Gliederungen als die vorgeschlagene Dreiteilung gibt, je nachdem wie viele Gruppen zwischen dem egozentrischen und dem utilitaristischen Ideal gebildet werden. Aber das Prinzip „einer, einige, alle“, das hinter der Gliederung steht, ist jedenfalls sinnvoll.

2

Das ist ein rationaler Maximierer des Eigennutzens.

3

Der Begriff stammt von (Suchanek 2007).

4

Z.B. indem unmoralische Praktiken wettbewerbsneutral allen Unternehmen verboten werden.

5

Dies spielt in der ökonomischen Ethik nur eine Rolle, weil in einer Ordnung, die für alle vorteilhaft ist, kein Einzelner den Konsens verweigern kann (s.u.). Wo das Allgemeinwohl wächst, kann in der Regel auch jeder Einzelne ungestört durch soziale Verwerfungen seinen Geschäften nachgehen. Allgemeinwohl ist nur ein Mittel zum Zweck der Maximierung des Eigennutzens, in jedem anderen Fall wäre das Modell ja utilitaristisch ausgerichtet.

6

Neben dem Rahmen und den Spielzügen haben Homanns Schüler eine dritte Ebene der ökonomischen Ethik eingerichtet, das sogenannte Spielverständnis (vgl. Lin Hi und Suchanek 2011; Pies 2010, 257).

7

Dieser Test geht auf D. Hume zurück, der schon erwog, Institutionen mit der Annahme zu testen, dass jeder Mensch „ein Schurke sei, der (…) kein anderes Ziel außer seinen privaten Interessen befolge“ (Hume 1988, 36f.).

8

Kantianische Vertragstheorien (etwa die von J. Rawls) sind davon scharf zu unterscheiden und von der folgenden Kritik nicht betroffen.

9

Wie das mit dem oben festgestellten Primat des Wertes der Freiheit (Homann 2003, 125) zusammenpasst, wäre zu erläutern.

10

„Die Begründung dafür, bei der Verfolgung des eigenen Vorteils auf die Interessen der anderen zu achten, ergibt sich daraus, dass die Vernachlässigung der Interessen der anderen für einen selbst nachteilig ist.“ (Suchanek 2007, 174).

11

Zur grundlegenden Kritik solcher Konsensmodelle: (Gesang 2011, Kpt. 3.).

12

Suchanek macht es zum Hauptmotiv für moralisches Handeln von Unternehmen, dass sie nur erfolgreich wirtschaften können, wenn die Kunden ihnen vertrauen (Suchanek 2015). Allerdings ist diese Motivation höchst fragil: Man nehme das Beispiel Kik. Der Textil-Discounter war 2012 in die Rhana-Plaza Katastrophe in Bangladesch verwickelt. Der Umsatz des Unternehmens brach jedoch danach nicht ein (Die Welt, 2013). Die Gleichung: „Missverhalten gleich Gewinnverlust“ ging nicht auf. Ebenso z.B. bei Primark und Lidl nach Skandalen.

13

Einerseits geht die ökonomische Ethik vom moralischen Pluralismus aus, der einen Wertekonsens verneint (Homann und Blome-Drees 1992, 22). Andererseits werden „etablierte moralische Verhaltensstandards“ mit in den Rahmen übernommen (Homann und Blome-Drees 1992, 23), die es also offenbar doch gibt.

14

Dass sie konsensfähig sei, da „Kooperationsgewinne für alle“ anfallen, argumentieren: (Homann und Suchanek 2000, Kpt. 3.1.3.).

15

Häufig geht der Trend dahin, dass sich „Image“ nicht konkret in positiven Bilanzen nachrechnen lässt, sondern dass ein Wettbewerb um diese abstrakte Größe selbst einsetzt, sich ihr Wert also sozusagen verselbstständigt. Natürlich wird es auch diffuse Hoffnungen geben, dass sich dies letztlich monetär auszahlt, aber das ist eher ein hypothetisches Ziel. Aber Reputation motiviert nur begrenzt: Es gibt auch Beispiele wie Kik oder Lidl, die erfolgreich trotz Imageverlust waren.

16

Ich danke C. Haller für den Hinweis.

17

Als guter Einstieg in die vielfältige Literatur dazu: (Greiner 1998).

18

Allerdings sind gerade diese Befunde der Glücksforschung heftig umkämpft (Weimann et al. 2012), weshalb ich nicht genauer auf diese Thematik eingehe.

19

Zum Konflikt dieses Manifests wider die „Schlafmützenkonkurrenz“ mit der Standardtheorie der Wirtschaftswissenschaften: (Brause und Rath, 1994, 17).

20

An manchen Stellen räumen die ökonomischen Ethiker auch individuelle Handlungsspielräume gegen Anreize ein (Homann und Pies 1994b, 104). An anderen Stellen werden diese Spielräume geleugnet (Homann und Blome-Drees 1992, 34). Wenn die Autoren Spielräume eingestehen, ergänzen sie, dass sie auf solchen „Nischenphänomenen“ nicht ihre Theorie aufbauen wollen, da diese Modelle den Wohlstand in der Marktwirtschaft gefährdeten, wenn man sie verallgemeinere. Dieser Wohlstand basiere nämlich auf Profitmaximierung.

21

Zum engen Konzept als Standardkonzept: (Haller 2012, 3137). Mindestens bei Homann und Blome-Drees wird der HO so definiert, dass er dem engen Konzept entspricht (Homann und Blome-Drees 1992, 26). Das zeigt sich auch daran, dass ein Verhalten dann als vom HO dominiert bezeichnet wird, wenn es als „Gegenausbeutung in Dilemmastrukturen“ beschreibbar ist, also nicht altruistisch geprägt ist (Homann und Suchanek 2000, 420).

22

So spricht Kirchgässner davon, dass der HO den „Durchschnittsmenschen“ abbilde (Kirchgässner 1991, 2000, 62; Haller 2012, 36).

23

Dem weiten Konzept stimmen unsere Autoren z.B. an folgenden Stellen zu: (Suchanek 2005, 99; Homann 2002, 87).

24

Vgl. zudem zum Diktatorspiel: (Ben-Ner und Kramer 2010, 220). Und zu einer neuroökonomischen Bestätigung dieser Ergebnisse: (Sanfey et al. 2003).

25

Sofern sie nicht „selbstlos“ handeln, weil sie sich im Jenseits Kompensationen erwarten, wie Selbstmordattentäter, die um paradiesischer Jungfrauen willen in den Tod gehen. Protestantische Fanatiker während der Hugenotten Kriege (etwa Jean Vallière, der für seinen Glauben verbrannt wurde) sind von der im Text beschriebenen Sorte, da nach Calvin das Paradies auch durch einen Märtyrertod nicht verdient werden kann, sondern von der göttlichen Gnade abhängt.

26

Das Modell vereinfacht stärker, als die ökonomischen Ethiker annehmen. Es ist nur ein Modell des Normalbürgers in unserem Kulturkreis, weil es ein Modell für die häufigen Dilemmasituationen ist. Auch dort bildet es nicht die Wirklichkeit ab (so die These etwa bei Homann und Suchanek 2000, 421), sondern allenfalls einen statistischen Trend.

27

Homann vertritt die These, dass Normen nicht gelten, wenn ihre allgemeine Befolgung nicht gesichert ist (Homann 2002, 4).

28

Kardinale Messung: Absolute Größe und Abstände der Nutzenzuwächse voneinander können angegeben werden (z.B. analog zur Angabe der Entfernung in km); Ordinale Messung: nur „besser“ und „schlechter“ können angegeben werden, aber keine konkreten Abstände.

29

Und in dem, verglichen mit der Anfangsausstattung, niemand schlechtergestellt wird. Der Zusatz ist nötig, um die scheinbar absurde Konsequenz zu vermeiden, dass auch in den pareto-nonkomparablen sozialen Zuständen Optima liegen können. Diesen Hinweis verdanke ich Elias Strehle.

30

H. Varian gebraucht das Wort „gut“ für Pareto-Optimalität: (Varian 2009, 14).

31

Zum allgemeinen Problem interdependenter Präferenzen, zu seinen empirischen Belegen und zu Bedingungen, die das Pareto-Prinzip dann doch noch anwendbar machen sollen: (Kooreman und Schoonbeek 2004).

32

Ich vertrete wie die klassischen Utilitaristen eine hedonistische Theorie des Wohlergehens (Gesang 2010a). Aber Präferenzen geben im Regelfall guten Aufschluss über mentale Befriedigungszustände, einige Abweichungen thematisiere ich noch.

33

Einen Versuch, diese Gesetze für Personentypen zu differenzieren, entwickeln (Ortuño-Ortin und Roemer 1991). So wird die Grundidee von Harsanyi empirisch plausibler gemacht.

34

Eingeführt wurden die Konzepte im Zuge des Behaviorismus, um es mit objektiven Verhaltensweisen statt mit mentalen Zuständen zu tun zu haben. Zur psychologischen Kritik daran (vgl. Kahneman und Varey 1991, 128).

35

Kahneman zeigt, dass Menschen schlechte Erwartungsnutzenmaximierer sind: (Kahneman und Krueger 2006).

36

„Ich will ein glücklicher Mensch sein und gebe daher vor mir selbst nicht zu, mich unglücklich zu fühlen“.

37

Zu einer sinnvollen Kritik und Weiterentwicklung (vgl. Hinsch 1996).

38

Natürlich wissen wir, dass man im Extremfall nahezu jede Position trotz Falsifikation nicht völlig verwerfen muss, wenn man entsprechende Hilfshypothesen opfert und Modifikationen am theoretischen System vornimmt. (Quine 1953, 43) Aber wie G. Andersson zeigt, macht dies das Falsifikationskriterium nicht unanwendbar, auf dessen Basis Vaubel argumentiert (Andersson 1988, 189f.).

39

Wieso ich Fragen der sozialen Gerechtigkeit nicht als gleichgewichtig ansehe: (vgl. Kpt. 5VI.).

40

Über diese geben zahlreiche Experten und Nobelpreisträger einen guten Überblick: (Rockström et al. 2009).

41

Wie Tremmel zu Recht bemerkt, sollte man von nachrückenden und zukünftigen Generationen reden, um die schon geborenen Generationen von den zukünftigen zu unterscheiden. Ich werde nur der Einfachheit halber am gängigen Sprachgebrauch festhalten (vgl. Tremmel, ohne Jahr, 17).

42

Ott weist auf ein mögliches Oszillieren des BIP um leicht positive oder leicht negative Wachstumswerte hin (Ott 2012, 573).

43

Zwar gibt es eine Computersimulation mit mehreren Szenarios, wie Kanada sich innerhalb der Kontraktions- und Konvergenz-Strategie auf einen Low-Growth oder sogar Postwachstumspfad umstellen kann. Insbesondere soll dies über eine Verringerung der Arbeitszeit, eine Emissionssteuer und staatliche Programme für Bildung, Armutsbekämpfung und Gesundheit erzielt werden. Wie Stabilität mit einer Postwachstumsökonomie erreicht werden kann, wird jedoch kaum erläutert, da das Postwachstumsszenario nicht genau ausgeführt wird (vgl. Victor 2008).

44

Der Gedanke wird oft mit den Forderungen nach einem bedingungslosen Grundeinkommen oder einer job guaranty kombiniert, aber deren Finanzierbarkeit wird nicht demonstriert (Mann 2009, 92104; Lawn 2011, 4ff.).

45

Es bleibt offen, wie Jackson bei dieser Ursachenanalyse meint, den Kapitalismus umbauen zu können. Auch Lawn widerspricht Jackson (Lawn 2011,3,9). Klar dürfte sein: Profite macht man nur mit Produkten und die sind nicht ohne irgendeinen Durchsatz an Energie und Material zu haben. Insofern heizen Profite immer das Wachstum an. Aber das kann ein viel effizienteres Wachstum sein, als wir es derzeit erleben und es könnte eines sein, dass wir dauerhaft durchhalten können. Mindestens solange Effizienzgewinne auch Profite bedeuten (Lawn 2011,9ff.), bleibt Hoffnung, Kapitalismus und Ökologie wenigstens theoretisch zu versöhnen. Wenn weitere Effizienzgewinne einmal nicht mehr möglich sind (Lawn 2011, 3, 11), könnte bereits eine Solarwirtschaft installiert sein, die eine Quelle hat, die nicht mehr versiegt.

46

S. Mann ergänzt dass „nur noch ein verschwindend geringer Anteil der Bevölkerung benötigt wird, um die Güter in unserer Volkswirtschaft zu produzieren“ (Mann 2009, 80). Zudem führe Arbeitslosigkeit nur zu Unglück, weil die soziale Stigmatisierung dieses Zustands so groß sei. Wenn man diese bekämpfe, könne man sich mehr Arbeitslosigkeit gekoppelt mit einem bedingungslosen Grundeinkommen leisten. Wer allerdings für Konsum und Stabilität sorgt, wenn die Einkommen auf diese Weise sinken, bleibt offen.

47

Arbeit, die nicht über Einkommen entlohnt wird, etwa Nachbarschaftshilfe.

48

Gemäß dem Report des UK Energy Research Centre liegt der Gesamtrebound zwischen 10 und mehr als 50 Prozent des durch die Technik Eingesparten (UKERC2007, VIf.) Das ist viel, macht aber einen Green New Deal auch nicht unmöglich.

49

Ein weiterer kritischer Aspekt ist die Innovationsrate in der Postwachstumsökonomie. Zwar stellen Paech und U. Schneidewind Profitmöglichkeiten in den Vordergrund, die Innovationen motivieren können. P. Lawn betont, dass auch in einer Postwachstumsökonomie ein gewisser Bestand an Konsumgütern und Infrastruktur ständig erneuert bzw. optimiert werden müsse. Allerdings dürfte klar sein, dass die Profite in einer nicht vorrangig industriell strukturierten Ökonomie, die ihre innovativen Geschäftsmodelle in Verleihringen etc. sieht, viel geringer ausfallen werden als heute. Folglich wird auch die Zahl der Innovationen abnehmen und zwar drastisch. Fraglich ist nur, ob das ein anderer Effekt kompensieren kann: Die heutigen Profitmargen könnten durch die ökologischen Folgekosten auf Dauer aufgefressen werden, so dass in einer Postwachstumsökonomie weniger, das aber verlässlicher erwirtschaftet wird (Lawn 2011, 12). Jedenfalls müsste die Innovationsrate genauer thematisiert werden.

50

Das zeigt auch, dass der von Jackson und Mann angedachte Weg, Wirtschaftsleistung zu verringern, indem man die Zeit der Erwerbsarbeit reduziert und ggfs. eine Grundsicherung einführt (Mann 2009, 92104), nur im Norden diskutabel ist. Und auch da fragt sich, wie das dann geringere Einkommen der Arbeitnehmer hinsichtlich der Nachfrage ersetzt werden könnte, um eine Instabilität des Systems zu vermeiden. Zudem bleibt offen: Wie die Grundsicherung finanzieren, wenn die Erträge aus der Einkommenssteuer sinken?

51

Wie wir sehen werden, ist dies im Rahmen einer AB-Economy nicht der Fall. Ein entkoppeltes Wachstum ohne Cap and Trade wird dort für schwierig gehalten. Daher muss dort auch der Süden die Caps für kritische Größen beim Wachstum beachten, wenngleich er dafür finanziell entschädigt wird (vgl. Kpt. 3.VIII.).

52

D. i. ein Textildiscounter, der im Rana Plaza Gebäude unter verheerenden Bedingungen produzieren ließ, sich nun um ein besseres Image bemüht, aber trotzdem Billigware anbietet, die kaum human produziert werden kann.

53

Damit soll nicht gesagt sein, dass ein anderer Maßstab der Wirtschaftsleistung und insbesondere des Wohlergehens nicht sinnvoller wäre. Die Aussagekraft des BIPs ist äußerst begrenzt. Gleichwohl muss man festhalten, dass sich das BIP seit Jahrzehnten trotz fundierter Kritiken behauptet, was es legitimieren kann, von ihm als Indikator hier erst einmal auszugehen. Kein anderer Maßstab ist so etabliert.

54

Fücks liest gern Zeitung, aber er wollte ja auch kein wissenschaftliches Buch schreiben.

55

Damit Schwellenländer nicht zu schnell zu Netto-Zahlern beim Emissionshandel werden, was ihn undurchsetzbar machen würde, hatte ich das Prinzip vorgeschlagen, dass Bürger aus Entwicklungs- und Schwellenländern bei der Auszahlung der Zertifikaterlöse doppelt zählen. Das würde sowohl dem Prinzip vom abnehmenden Grenznutzen wie auch dem Gerechtigkeitsprinzip genügen, die Verursacher und Nutznießer der Schäden besonders heranzuziehen (Gesang 2011, 186193).

56

Man kann auch einen ähnlichen Effekt durch ein internationales Steuersystem erreichen, das an Cap-Vorgaben ausgerichtet ist. In einigen Bereichen (Beispiel: Ressourcen im Privatbesitz) bietet sich sowieso nur eine Steueroption an. Ansonsten hat das Cap und Trade-System den Vorteil, dass die Zertifikatkosten von uns direkt den Verkäufern in der „dritten Welt“ geschuldet werden. Das hat die psychologische Wirkung, dass dieses Geld nicht nur aus Wohltätigkeit an die Verkäufer fließt. Eine international erhobene Globalsteuer, deren Einnahmen an die Armen ausgezahlt werden, hätte natürlich ähnlichen Nutzen, müsste aber auch die beiden gerade benannten Eigenschaft aufweisen, um als Bestandteil einer AB-Economy zu gelten (vgl. auch zur Diskussion: Gesang 2011, 166ff.): Sie müsste also neben der globalen Ausschüttung auch an einem Cap ausgerichtet sein, d.h. sie müsste so hoch ausfallen, dass über das Cap hinaus kein weiterer Konsum stattfindet.

57

Eine Kantianische Ethik könnte zum Beispiel auf den Wert der Sittlichkeit in der Welt hinweisen. Dann könnten ihre Verteidiger anführen, dass ein „Selbstmord“ von Teilen der Menschheit diesen Wert zerstöre. Die Argumente Kants gegen den individuellen Selbstmord sind hier übertragbar: „Das Subjekt der Sittlichkeit in seiner eigenen Person zernichten, ist ebensoviel als die Sittlichkeit selbst ihrer Existenz nach, soviel an ihm ist, aus der Welt vertilgen, welche doch Zweck an sich selber ist“ (Kant, MdS A 73). Zudem ist die Kantische Ethik natürlich nicht nur an der Verhinderung kollektiven Selbstmords interessiert. Sie ist durchaus sensibel für das Wohlergehen der Menschen, nur dass dieses bei der Begründung der Moral keine Rolle spielt, sehr wohl aber bei der Anwendung sittlicher Maximen. Es gibt bei Kant eine unvollkommene Tugendpflicht zur Wohltätigkeit, deren Reichweite jedoch unbestimmt bleibt (Kant MdS A 24–A30).

58

Präziser: Man kann nicht jedes tierische Leid, das von Menschen verursacht wird, unterbinden (vgl. Leid durch ärztliche Behandlungen usw.). Ein Präzisierungsversuch findet sich in (Kpt. 5, Abschnitt VIII.) 3. Zusatzregel.

59

Aber ich tendiere im Rahmen eines total view-Utilitarismus zu einer positiven Antwort (vgl. Gesang 2011, 3. Kpt., widersprechend: Višak 2013).

60

Ein Klimagas-Cap wird also die Produktion tierischer Produkte jedenfalls verteuern, und es muss befürchtet werden, dass dies ohne ordnungspolitische Schranken durch noch brutalere Produktionsmethoden kompensiert werden würde.

61

Das ist auch der Fall, wenn man bedenkt, dass die Produktion von Bio-Fleisch manchmal höhere Klimagasausstöße hervorruft als die von konventionellem Fleisch (foodwatch,2008). Über den höheren Preis von Bio-Fleisch würde die Nachfrage verringert und die absoluten Emissionen von Klimagasen würden so sinken.

62

Ein Punkt ist besonders zu erwähnen: Ein Green New Deal ist jedenfalls angesichts der Probleme atomarer Endlagerung unzureichend. Wir können nicht ernsthaft hoffen, Techniken zu entwickeln, die eine Kontaminierung von Lebensraum unvorstellbare Zeiträume lang verhindern. Hier ist Vermeidung die einzige Option. Die Weltgemeinschaft muss also wenigstens an diesem einen Punkt eine AB-Economy durchsetzen.

63

Die Wurzeln des Arguments gehen zurück auf Platons Politeia (Platon 1986).

64

In der Demokratietheorie wird ein Streit um das sogenannte all affected principle ausgetragen. Dieses besagt, dass alle von einem Gesetz Betroffenen auch an seinem Zustandekommen beteiligt sein müssen (Saward 1999). Aber das Prinzip wird auch kritisiert: „Public decisions (…) are made (when they are made democratically) not by those affected, but rather by all the eligible voters or citizens (or their representatives) in the previously delimited political unit.“ (Whelan 1983, 18) Demgemäß fordert auch L. Beckmann eine Einschränkung des Prinzips auf „anyone subject to government and its laws.“ (Beckmann 2008, 349).

65

Dafür spricht auch, dass in vielen Verfassungen Rechte zukünftiger Generationen explizit verbrieft sind (vgl. Göpel 2014, 92).

66

Zwar kann man monieren, dass ausgerechnet ein Utilitarist Zuflucht zu diesen Verfassungswerten nimmt, die im Wertekanon des Utilitarismus erst einmal nicht vorkommen. Aber eine sorgfältige Analyse wird zeigen, dass diese Werte erheblich zur sozialen Stabilität moderner Gesellschaften beigetragen und daher insgesamt eine glücksmehrende Wirkung haben (vgl. Kpt. 5.V.).

67

Zu einem durchdachten und juristisch ausgefeilten kompletten Entwurf für eine diesbezügliche Änderung des Grundgesetzes (vgl. J. Rux 2003).

68

Damit wird eine andere Struktur als bei der bisherigen auch vom Einfluss der aktuellen Politik befreiten Position des Chefs der Europäischen Zentralbank gewählt. So wird Kritik der Art geschwächt, dass eine solche Position nicht sinnvoll sei, da dieser Chef trotz seiner Sonderstellung in der Finanzkrise alle Fehler mitgetragen habe. Aber natürlich ist kein institutionelles Design unfehlbar, so etwas kann leider immer geschehen.

69

Rux führt hier aus, dass auch das Bundesverfassungsgericht mit Bezug auf die Errichtung der Europäischen Zentralbank „Modifikationen des demokratischen Legitimationsprinzips“ zulässt (ähnlich: Kielmansegg 2013b, 648).

70

Nominell existiert der 2008 eingesetzte Ombudsmann in Ungarn noch, nur dass seine Kompetenzen vom Orban-Regime 2012 radikal beschnitten wurden. In Israel gab es von 20012006 einen Kommissar für zukünftige Generationen, der als „zu teuer“ befunden wurde.

71

Würde sich diese Institution nur für einen Green New Deal einsetzen, wäre sie keine Lösung für die Probleme der globalen Armut. Aber dass eine Institution nicht alle Probleme löst, macht sie noch nicht uninteressant.

72

Man kann Zukunftsräte auch ablehnen, da man meint, Politik müsse dort entschieden werden, wo die Bürger auch überzeugt und „mitgenommen“ werden. Einsame Entscheide jenseits des Politikbetriebs würden nicht akzeptiert werden. Das ist sicher richtig, aber so, dass sie in diese Grube fällt, müsste eine neue Institution auch nicht gestaltet werden. Sie könnte öffentliche Debatten anstoßen und aktiv versuchen, die Bürger „mitzunehmen“.

73

Vgl. dazu (Pollmann und Lohmann 2012 Teil III.), wo die einzelnen an den Staat adressierten Menschenrechte vorgestellt und problematisiert werden.

74

Utilitaristen werden erst Mal stirnrunzeln: Menschenrechte sind kein Konzept, mit dem der Utilitarist traditionell viel anfangen kann. Dazu werde ich in Abschnitt 5.V. Stellung nehmen.

75

Vgl. für ein anspruchsvolles Modell einer allerdings nicht utilitaristisch geprägten Moralbilanz, die extern erstellt und überprüft wird und die auch die Aspekte Finanzierung und Zulieferer bzw. Partner thematisiert: (Gemeinwohlökonomie, ohne Jahr).

76

Bei Hare klingt es so, als sei diese Ebene rational durch kritisches Denken installiert worden (Hare 1992, 94). Mill ist realistischer, wenn er diese Ebene als eine durch tradierte „Klugheit und Lebensweisheit“ geprägte beschreibt (Mill 1976/ 1985, 40).

77

Einige könnten meinen, dies sei erst die eigentlich „kritische“ Ebene, aber gleichwohl bewegt sich die zweite Ebene gegenüber der ersten auf einem kritischen Niveau, weshalb ich bei Hares Nomenklatur für diese Ebene bleibe, aber einige Aufgaben der kritischen auf die justifikatorische Ebene übertrage.

78

Zudem müssten Unternehmen nicht alle Details einer problematischen Transaktion offen legen, sondern könnten sich auf das ethische brisante Grundsatzproblem dabei (etwa: wie soll man mit Kinderarbeit verfahren?) beschränken. Das setzt allerdings voraus, dass wenigstens die Identifikation der ethischen Probleme im Unternehmen stattfinden kann.

79

Die Auswahl eines speziellen Ethik-Komitees scheint ein grobes Wissen um die unterschiedlichen normativen Ansätze vorauszusetzen. Solches Wissen ist in Unternehmen mit einer CSR-Kultur auch zu erwarten. Aber eine konkrete Einzelfallbewertung durchzuführen, erfordert weit mehr Kompetenzen. Deshalb kann das besagte, generelle Wissen ein Ethik-Komitee nicht ersetzen. Wenn dieses Ausgangswissen in kleineren Unternehmen nicht vorhanden ist, können diese auch anhand der Selbstdarstellung der Komitees wählen. D. i. immer noch besser, als gängige Entscheidungsmuster, bei denen ethischer Rat von Stakeholdern eingeholt und dann einfach der Rat der größten Autorität übernommen wird. Alternativ zur Auswahl eines Komitees könnte einem Unternehmen auch einfach ein Komitee von einem Verband (s.o.) zugeordnet werden.

80

Wenn ein Unternehmen im Alltag schon die MR achtet, wird man es in besonders moralisch anspruchsvollen Situationen nicht mit dem Rat überzeugen können, man dürfe alle Rechte missachten und müsse sich nur an der billigsten Lösung orientieren.

81

Solche jenseits der Ethik gelagerten Synergien kommen immer wieder zustande, das lehren meine Erfahrungen als Mitglied der Ethikkommission der Universität Mannheim.

82

Versuche, sie in der Wirtschaftsethik zur Grundlage zu machen, finden sich viele. Benannt sei etwa jüngst: (Göbel 2013, 138142).

83

Genauer könnte man sagen, um bestimmte MR. Da wir uns in der Wirtschaftsethik vorrangig um die sozialen MR kümmern, ist die Konsensmasse vielleicht sogar noch größer als bei den politischen MR.

84

Alle Ethiken unter einen Hut zu bringen, wird nicht gelingen. Insbesondere Hobbessche Vertragstheoretiker und libertäre Ethiker werden – neben den oben erwähnten Partikularisten und Kommunitaristen – viele der angestrebten Konsensregeln nicht teilen. Aber die Vertragstheorie wurde bereits „vom Platz gestellt“. Deontologen, Mitleidsethiker, „Kantische Kontraktualisten“ etc. sollten sich jedoch weitgehend mit einem reflektierten Utilitaristen einigen können (Gesang 2003). So wird der Dissens nicht völlig aufgelöst, aber entscheidend verringert.

85

Damals wurde besonders moniert: Wieso zählen nur Präferenzen und wieso zählen intensivere mehr als schwächere?

86

Auf der dritten Ebene befinden sich also die Moralphilosophen, die ein kritisches Überlegungsgleichgewicht aufstellen und meinen, in diesem den Utilitarismus bestätigen zu können. Sodann buchstabieren sie aus, was dies für die anderen Ebenen bedeutet.

87

Der Gedanke geht auf Walter Pfannkuche zurück.

88

Bezugspunkt ist eine Fußnote, die bei späteren Ausgaben weggefallen ist (vgl. dazu Hamlin 1993, Abschnitt 2; Talbott 2010, 336).

89

Exemplarisch dargestellt in (Pollmann und Lohmann 2012). Ein Versuch die staatlichen Pflichten zu fassen, findet sich in (DGCN et al. 2012).

90

Viele Unternehmen haben sich im Rahmen des UN-Global Compact schon verpflichtet, Verantwortung zu übernehmen und ein Beispiel, dass dies in der Praxis funktioniert, geben: (Mena et al. 2009, 179182).

91

Ruggie hat vor allem seine Position zu leverage als Grundlage für Menschenrechtsverantwortung aufgeweicht. In den Guiding Principles spricht er sich teils für sie aus (HRC2011, Commentary to Article 19), teils zieht er sie nicht in Erwägung (Article 13; 17a).

92

Das ist das Produkt aus Nutzengröße und Eintrittswahrscheinlichkeit des Nutzens.

93

Die sind wenigstens in den Industriegesellschaften noch gegeben.

94

Dass dieser nötig ist, dass es einige Probleme dabei gibt und wie man diese angehen kann zeigen: (Mena et al. 2009, 166ff.)

95

Noch konkretere Normen kann man sicher für Unternehmen ableiten, wenn man die Branche beachtet, in der sie tätig sind. Das wäre im Einzelnen durchzuführen. Zahlreiches Material findet sich bei: (Business Human Rights, ohne Jahr)

96

Die EU-Staaten haben sich verpflichtet, 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für Entwicklungshilfe auszugeben, auch wenn sie dies derzeit nicht einhalten (EurActiv2013).

97

Bzw. man kann auf die Homepage von Giving What We Can zurückgreifen.

98

Zudem halte ich an meiner Forderung einer privaten Engagement- und Spendenpflicht (Gesang 2003, 125131) fest und die spezielle Unternehmenspflicht kommt für den einzelnen Unternehmenseigner zu dieser noch hinzu. Auch um Doppelbelastungen einzugrenzen, fällt die Spendenpflicht für Unternehmen sehr moderat aus. Zudem ist die Wirtschaft ein Sektor, in dem soziales Engagement nur sehr schwer zu vermitteln ist, weil viele Unternehmen noch M. Friedmans Zweckdefinition für Unternehmen folgen werden. Deshalb dürfte die Spendenbereitschaft demgemäß derzeit niedrig ausfallen und zu hohe Forderungen werden in einem solchen Klima einfach ignoriert.

|V|Für Irene

|1|Einleitung: Warum machen wir uns überhaupt die Mühe zu arbeiten?

Jede wirtschaftsethische Betrachtung tut gut daran, zu Beginn die Frage zu stellen, wozu wir überhaupt Wirtschaft betreiben. Was ist der Zweck hinter unseren täglichen Mühen? Die Antwort mag einfach erscheinen: Wir wollen genug Güter zum Leben haben. Darüber hinausgehende Antworten haben dann mit Lebensqualität und Wohlergehen zu tun. So schreibt der Wirtschaftsethiker P. Ulrich: „Der grundlegende lebensdienliche Sinn des Wirtschaftens besteht also in der Versorgung aller Menschen mit den notwendigen ‚Lebensmitteln‘.“ (Ulrich 1997/2008, 224) Man kann das so erweitern, dass es bei der Wirtschaft darum geht, primär das materielle Wohlergehen der Menschen sicherzustellen.

Mit Ulrichs Zitat ist allerdings auch schon heiß umkämpfter Boden betreten, denn Ulrich spricht von „allen“ Menschen. Ist das Wohl aller notwendig der Zweck des Wirtschaftens? Will ich durch meine wirtschaftliche Tätigkeit das Wohl aller fördern? A. Smith meinte eher „nein“. Ich wolle mein eigenes Auskommen sicherstellen, wodurch ich „indirekt“ das Wohl aller bewerkstelligen würde. Diese Verbindung von Individual- und Allgemeinwohl übernimmt bei Smith einer gängigen (wenngleich umstrittenen, vgl. Sen und Rothschild 1994, 369) Interpretation zufolge die „unsichtbare Hand“ (Smith 1989/1990 Buch 4. Kpt. 2.). L. Erhard, Verfechter unserer heutigen sozialen Marktwirtschaft, bringt eine weitere Variante ins Spiel:

Da der Zweck des Wirtschaftens – Mittel für den Verbrauch zur Verfügung zu stellen und damit der sozialen Wohlfahrt des Volkes zu dienen – unabhängig von Zeiterscheinungen und Systemvorstellungen unverrückbar gegeben ist, sollte der Streit der Meinungen eigentlich nur noch um Fragen der Zweckmäßigkeit der dabei anzuwendenden Verfahren gehen können. (Erhard 1947)

Damit haben wir nun drei Parteien identifiziert, deren Wohl durch das Wirtschaften sichergestellt werden kann: Das Individuum, „das Volk“ und alle Menschen. Das Zweitgenannte legt auch der Begriff „Volkswirtschaft“ nahe, da in der Volkswirtschaftslehre untersucht wird, wie das Wohl eines Volkes als Wirtschaftseinheit vergrößert werden kann. Somit hat das Wirtschaften also mindestens drei potenziell Begünstigte und scheint einen Mechanismus zu bezeichnen, der das (primär |2|materielle) Wohlergehen seines jeweiligen Begünstigten angesichts knapper Güter optimiert.

Alle drei Begünstigten spielen in der Wirtschaft, und damit auch in der Wirtschaftsethik, eine Rolle. So geht die in Deutschland dominierende Wirtschaftsethik, die Ökonomische Ethik von K. Homann, davon aus: „Ökonomik befasst sich mit den Möglichkeiten und Problemen der gesellschaftlichen Zusammenarbeit zum gegenseitigen Vorteil.“ (Homann und Suchanek 2000, 5) Dabei wird betont, dass diese Wissenschaft (und eben auch der Untersuchungsgegenstand, die Wirtschaft selbst) „auf das Vorteilsstreben der einzelnen Akteure“ (Homann und Suchanek 2000, 5) aufbaut.

Schon J. Locke und viele andere Autoren der Philosophiegeschichte bringen dieses Motiv zum Vorschein, das die wirtschaftliche Tätigkeit etwa mit dem Erwerb von Privateigentum verknüpft: „So viel, als ein jeder zu irgendwelchem Vorteil für sein Leben nutzen kann, bevor es verdirbt, darf er sich zu seinem Eigentum machen.“ (Locke 1974/1999, 25) Arbeit wird dabei so verstanden, dass das Individuum seine Güter durch Arbeit vom Gemeingut abgrenzt (Locke 1974/1999, 25). Nennen wir dieses Wirtschaftsmotiv und die damit verbundene Zweckzuweisung den egozentrischen Wirtschaftszweck. Dieser wird variiert, wenn als Ziel des Wirtschaftens eines Unternehmens die Maximierung der Rendite des eingesetzten Eigenkapitals gesehen wird, was einem Shareholder Value-Ansatz entspricht. Dann wird die egozentrische Perspektive auf eine Gruppe ausgedehnt: „All powers granted to a corporation or to the management of a corporation, or to any group within the corporation are at all times exercisable only for the ratable benefit of all the shareholders as their interest appears.“ (Berle 1931, 1049)[1]

Eine andere, durch weniger egozentrische Sympathien geprägte Gruppe wird de facto in den Wirtschaftswissenschaften erfasst, wenn das Wirtschaften den Wohlstand eines Volkes mehren soll. Hier werden andere Volkswirtschaften als Konkurrenten gesehen und man beabsichtigt, die eigene Volkswirtschaft gegenüber den Konkurrenten besser zu stellen, nennen wir das den nationalen Wirtschaftszweck.

Als dritte Möglichkeit kann der Zweck des Wirtschaftens in der Steigerung des Wohles aller Menschen gesehen werden. Das ist eine Bedingung für einen utilitaristischen Wirtschaftszweck, der jüngst noch |3|von T. Jones und W. Felps hervorgehoben wurde: „Indeed, the classic justification for the economic system we call market capitalism is fundamentally utilitarian.“ (Jones und Felps 2013, 212) G. Gysi bringt es auf den Punkt: „Der Zweck von Wirtschaft ist die Wohlfahrt des Menschen.“ (Gysi 2005, 83) Und auch moderne Ökonomen wie R. Vaubel äußern sich annähernd poetisch: „Ökonomen sind verhinderte Utilitaristen.“ (Vaubel 2007, 109; vgl. Kleinewefers 2008, 35f.)

Zum utilitaristischen Wirtschaftszweck gehört aber auch ein spezielles Verständnis von „optimieren“ als maximieren. Man kann Wohlergehen optimieren, indem man Nutzen maximiert, Gleichheit zwischen den Menschen herstellt, die Schlechtestgestellten bevorzugt etc. Bei manchen Ökonomen gibt es ein besonderes Verständnis von Optimierung: das sogenannte Pareto-Prinzip. Es ist die nach Vaubel dem „verhinderten Utilitaristen“ übrig gebliebene „Ersatzposition“. Ein Utilitarismus erscheint vielen Ökonomen unmöglich, weil er erfordert, meinen Nutzen mit deinem Nutzen aus einem Gut x zu vergleichen. Nutzenvergleiche zwischen Personen sind seit L. Robbins (Robbins 1932/2005) in der Volkswirtschaftslehre ein Problem. Daher befürworten manche eine andere Position, die solche Vergleiche nicht benötigt: Das Wohl wird bei einer gegebenen Ausgangsverteilung der Güter optimiert, wenn ein Zustand erzeugt wird, in dem das Wohl eines Subjekts S nicht mehr weiter verbessert werden kann, ohne das eines anderen Subjekts S’ zu verschlechtern (vgl. dazu Kpt. 2).

Zwischen den Zwecksetzungen zu entscheiden, ist einer der wichtigsten Ausgangspunkte der Wirtschaftsethik. Dazu kann man sich verschiedener Quellen der normativen Ethik bedienen. Man kann argumentieren, dass dem egozentrischen und dem nationalen Wirtschaftsbild oft eine Vertragstheorie der Moral zugrunde liegt, die ein Mensch, der moralisch sein will, nicht akzeptieren kann (vgl. Kpt. 1). Ebenso kann man gegen das egozentrische und das nationale Wirtschaftsbild vorbringen: Es nicht rational begründbar, wieso die eigene Person bzw. die eigene Gemeinschaft oder der eigene Staat Vorrang gegenüber anderen Personen, Gemeinschaften oder Staaten haben sollte, nur weil es sich gerade um die eigene Person oder Gruppe handelt (vgl. Gesang 2000a, 6290; Hare 1992, Kpt. 6). Das ist genauso, als würde man den Begriff „Fernsehstar“ nicht auf alle in relevanter Hinsicht ähnlichen, also durch das Fernsehen bekannten, eitlen und egomanen, sicher aber reichen und stylisch gekleideten Personen anwenden. Unterlässt man dies, handelt man willkürlich und begeht einen Bruch des logisch zwingenden Prinzips, Gleiches |4|gleich zu behandeln. Ein solcher Bruch verlangt nach Begründung.

In diesem Buch soll der utilitaristische Wirtschaftszweck verteidigt werden und es soll analysiert werden, welche Forderungen mit ihm verbunden sind.

Der Plan des Buches:

Das ökonomische Denken ist in einigen fixen Vorstellungen gefangen: Diese Vorstellungen müssen ergänzt oder ausgetauscht werden. Ökonomische Rationalität rechtfertigt häufig egozentrische und nationale Zwecksetzungen. Das ist insbesondere so, seit J. Buchanan Vertragstheorien von der Art verteidigte, wie sie T. Hobbes hinterlassen hat (Buchanan 1975/1984). Viele Wirtschaftswissenschaftler haben sich seit V. Pareto auf Wege beschränkt, die es erlauben, pareto-optimale Zustände zu erzeugen und bauen ihre Methodik wesentlich auf den Homo Oeconomicus[2] auf. Inhaltlich vertreten sie die Marktwirtschaft und das hinter dieser stehende Wachstumsparadigma: Wirtschaft muss wachsen oder zugrunde gehen. Auf Ebene der Unternehmen wird das mit M. Friedmans „The business of business is business.“ übersetzt (Friedman 1970, 32f.).

Diese Paradigmen ökonomischen Denkens sind zu überwinden: Die Vertragstheorie und die auf ihr beruhenden Zwecksetzungen sind unmoralisch, das Pareto-Prinzip sollte durch einen humanen Utilitarismus (Gesang 2003) ergänzt werden. Das Prognoseinstrument des Homo Oeconomicus (HO) stellt ein Verhalten als unumgänglich dar, das man verändern kann und muss. Wachstum muss nachhaltig werden oder es gefährdet zahllose Leben in Gegenwart und Zukunft. Auf Ebene der Unternehmen brauchen wir ein moralisches Leitbild, und das sollte sich an den Menschenrechten orientieren. Diese Ideen will ich durch eine bestimmte Variante des Utilitarismus begründen. Damit ist das Programm des Buches kurz beschrieben.

Eine Standardposition der heutigen Ökonomie will ich aber hier nicht herausfordern. Auch ich glaube, dass eine marktwirtschaftliche Ordnung angesichts der Aufgabe, die Bedürfnisse in Massengesellschaften zu koordinieren, derzeit als alternativlos gelten kann, denn wo wären Konzepte für eine völlig neue Organisation des Wirtschaftens?

|5|Selbst moderne Varianten des Ökosozialismus legen sich häufig auf eine mixed economy oder einen market socialism fest, welche Schlüsselindustrien vergesellschaften wollen, staatliche Kontrolle und Mitarbeiter-Mitbestimmung groß schreiben oder ein bedingungsloses Grundeinkommen fordern, aber den Markt als Koordinationsinstanz beibehalten (z.B. Arndt und Rogall 1983/1984, 496f.; oder als Beispiel für eine anarchistische Form des Anti-Kapitalismus: Chartier und Johnson 2011). Jedenfalls scheint es derzeit kaum ein Wirtschaftssystem zu geben, das völlig auf den Markt verzichtet und ich werde alle Systeme als „Marktwirtschaften“ bezeichnen, welche den Markt beibehalten, aber unterschiedlich stark eingrenzen. Wie stark ich selbst meine, den Markt politisch eingrenzen zu müssen, zeigen die Kapitel drei und fünf. Allerdings versuche ich soweit wie möglich in den Grenzen des Durchsetzbaren zu bleiben. Wenn im Sozialismus also Enteignungen von Unternehmen und Branchen gefordert werden, kann dies z.B. in Bezug auf Banken ein richtiger Gedanke sein, der aber so weit von den derzeit realisierbaren Optionen entfernt ist, dass ich meine Konzeption nicht darauf aufbauen möchte.

Die Kritik des egozentrischen und des nationalen Wirtschaftszwecks soll in diesem Buch nicht im Vordergrund stehen, gleichwohl werden beide Zwecke im ersten Kapitel kritisiert. Die dominierende Wirtschaftsethik in Deutschland, die sogenannte Ökonomische Ethik, macht sich den egozentrischen Ansatz zunutze. Obgleich ihr schon häufig widersprochen wurde, soll ihr hier mit neuen Argumenten widersprochen werden. Im zweiten Kapitel wird der Utilitarismus vorgestellt und das von vielen Ökonomen verfochtene Verständnis von Optimierung als Pareto-Optimalität kritisch beleuchtet, denn es stellt die Möglichkeit eines Utilitarismus in Frage. Beide Kapitel sind hilfreich, um den in diesem Buch vorgestellten Entwurf hinreichend gegen andere Konzepte abzuheben. Im weiteren Verlauf des Buches soll dann Neuland beschritten und geklärt werden, welche Wirtschafts- und Unternehmensethik sich ergibt, wenn man eine utilitaristische Perspektive einnimmt. Diese Perspektive fehlt im Konzert der wirtschafts- und unternehmensethischen Positionen derzeit häufig, wie Jones und Felps (Jones und Felps 2013) feststellen. Das ist ein guter Grund, sie zu ergänzen.

Allerdings hätte man damit zwar die ethischen Stimmen in der Partitur des Musikdramas „Wirtschafts- und Unternehmensethik“ vervollständigt, aber dieses klänge deshalb nicht besser, sondern immer noch nach Donaueschingen im Jahr 1970. Was nützt es dem Politiker, |6|Unternehmer oder Manager, wenn er liest, dass er als Kantianer a, als Utilitarist b und als Vertragstheoretiker c tun soll? Wie ordnet man einen völlig dissonanten Orchesterklang, so dass Harmonie entsteht? Sollen Politiker und Unternehmer selbst normative Ethik betreiben, sich also die Vor- und Nachteile der Modelle klar machen, um einen eigenen Standpunkt zu beziehen? Im Idealfall wäre das gefordert, aber de facto führt es häufig dazu, dass Praktiker sich überfordert von der Ethik abwenden.

Das eigentlich gute Vorhaben, sich für Ethik zu interessieren, fällt dann zusammen wie ein Kartenhaus. Daher wird im fünften Kapitel dieses Buches eine Konsensposition formuliert, der Kantianer, Utilitaristen, Mitleidsethiker und andere Moralphilosophen weitestgehend zustimmen können. Diese Position ist aber utilitaristisch begründet und zeigt, dass der Utilitarismus imstande ist, viele Forderungen aus anderen Positionen zu übernehmen, weil sie seinem Ziel der Glücksmaximierung zuträglich sind. Daher ist er ein besonders guter Ausgangspunkt, um eine Konsenslösung zu entwerfen. Ein Baustein für diese Lösung sind die Menschenrechte, da sie von vielen Theoretikern, Menschen in der Praxis und westlichen Unternehmen anerkannt werden, die nach wie vor tonangebend auf der Welt sind. Das heißt, das Buch soll im letzten Kapitel einen Kanon von Pflichten für Unternehmen und Staaten ausformulieren, der auf den Menschenrechten fußt, und der lediglich um einige weitere Forderungen ergänzt wird, die zwischen den am Konsens beteiligten Ethiken weitgehend unstrittig sind.

Im dritten Kapitel wird der Frage nachgegangen, wie man die aus der Perspektive des Utilitarismus größten ethischen Probleme unseres vorherrschenden Wirtschaftssystems bekämpfen kann: globale Armut und Raubbau an zukünftigen Generationen. Dabei werden Postwachstumsökonomie, Green New Deal sowie Kontraktions- und Konvergenzansätze kritisch beleuchtet. Es zeigt sich, dass die utilitaristische Perspektive erneut zu Schlussfolgerungen führt, die von vielen anderen ethischen Konzepten geteilt werden:

Wenn wir uns mit fehlenden Ressourcen und Kapazitäten des Planeten, Schadstoffe aufzunehmen (Senken), befassen, wird klar: Wir können nur eine Wirtschaft verantworten, die den Naturverbrauch nach naturwissenschaftlichen und ethischen Vorgaben beschränkt (Cap). Für verbleibende Restmengen, die verbraucht werden dürfen, bietet sich ein Handelssystem (Trade) an. Dieses Handelssystem muss nicht auf einen Emissionshandel beschränkt gedacht werden, sondern kann viele knappe Größen einbeziehen. Die armen Menschen dieser Welt |7|müssen als Verkäufer von Zertifikaten, die zum Verbrauch knapper Größen ermächtigen, von dem System profitieren. Wenn eine solche Wirtschaft wächst, wächst sie in den durch das Cap fest definierten absoluten Grenzen, daher nenne ich sie Absolute Border Economy (AB-Economy). Damit löst man sich von der vorherrschenden Fixierung auf die Frage, ob die Wirtschaft der Zukunft noch wachsen darf. Innerhalb absoluter Grenzen ist ein Wachstum harmlos und der Markt, nicht die Politik entscheidet, ob es stattfindet.

Die Durchsetzung, nicht die normative Begründung einer AB-Economy, ist das eigentliche Problem. Das wird uns im vierten Kapitel zu Fragen wie der führen, ob die heutige demokratische Ordnung noch „Zukunft kann“ und nicht verändert werden müsste, um dies zu leisten. Hier wird der Ruf nach einer demokratisch legitimierten Reform unserer Institutionen laut, die gerade dann unausweichlich ist, wenn man Ökodiktaturen eine Absage erteilen will.

Die fünf Kapitel leisten eine Kritik des ökonomischen Denkens und sie gehen darüber hinaus, indem sie neue Wege bahnen und auch einen Kanon praxistauglicher Prinzipien für Unternehmen formulieren.

Danksagung: Für interessante Diskussionen und Anmerkungen zu diesem Buch muss ich mich bei vielen Menschen und Auditorien bedanken. Besonders hervorheben möchte ich: Vuko Andric, Gerhard Bronner, Karl Homann, Peter Graf Kielmansegg, Stefan Mann, Matthias Neumann, Mathew Rendall, Julius Schälike, Bryan Scheler, Jonathan Schmitt, Max Schormair, Bill Shaw, Elias Strehle, Roland Vaubel und Florian Wettstein.