The Beat of your Heart

Die Autorin

Maja Lorim  – Foto © privat

Maja Lorim lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern im Westerwald. Nach einem turbulenten Arbeitstag und dem üblichen Familientrubel liebt sie es, mit Tee und Schokolade gewappnet in spannende, dramatische und romantische Geschichten einzutauchen. Wenn sie gerade mal nicht liest oder schreibt, hört sie mit Begeisterung Musik, und zwar am liebsten laut. 

Das Buch

Der Klang des Herzens ist lauter als die Stimme der Vernunft

Eigentlich müsste Cat glücklich sein: Sie ist erfolgreiche Juniorpartnerin in der millionenschweren Hotelkette ihres Vaters und ihr langjähriger Freund macht ihr auf einer Firmenfeier vor aller Augen einen Antrag. Doch plötzlich hat sie das Gefühl, beim Gedanken an die Hochzeit zu ersticken und dann begegnet sie dem Klavierspieler Mo, der in ihr eine ungeahnte Sehnsucht nach Freiheit und Liebe entfacht. Cat muss ihre Gefühle nicht nur vor ihrer Familie, sondern auch vor der Presse verstecken. Und Mo hat neben Geldsorgen ein Familiengeheimnis, das er vor Cat verbirgt. Hat die Liebe der reichen Hotelerbin zu dem mittellosen Musiker eine Chance?

Maja Lorim

The Beat of your Heart

Cat & Mo

Roman

Forever by Ullstein
forever.ullstein.de

Originalausgabe bei Forever
Forever ist ein Digitalverlag
der Ullstein Buchverlage GmbH,
Berlin Juli 2018 (1)

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2018
Umschlaggestaltung: zero-media.net, München
Titelabbildung: © FinePic®
Autorenfoto: © privat
E-Book powered by pepyrus.com

ISBN 978-3-95818-274-5

Hinweis zu Urheberrechten
Sämtliche Inhalte dieses E-Books sind urheberrechtlich geschützt. Der Käufer erwirbt lediglich eine Lizenz für den persönlichen Gebrauch auf eigenen Endgeräten. Urheberrechtsverstöße schaden den Autoren und ihren Werken, deshalb ist die Weiterverbreitung, Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe ausdrücklich untersagt und kann zivil- und/oder strafrechtliche Folgen haben.
In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich die Ullstein Buchverlage GmbH die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.

Auf einigen Lesegeräten erzeugt das Öffnen dieses E-Books in der aktuellen Formatversion EPUB3 einen Warnhinweis, der auf ein nicht unterstütztes Dateiformat hinweist und vor Darstellungs- und Systemfehlern warnt. Das Öffnen dieses E-Books stellt demgegenüber auf sämtlichen Lesegeräten keine Gefahr dar und ist unbedenklich. Bitte ignorieren Sie etwaige Warnhinweise und wenden sich bei Fragen vertrauensvoll an unseren Verlag! Wir wünschen viel Lesevergnügen.

Kapitel 1


Cat

»Hi. Sind Sie für die Organisation zuständig?«

Jemand tippt mir auf die Schulter und ich drehe mich um. Vor mir steht ein großer, schlanker Mann im schwarzen Anzug. Er trägt keine Krawatte, der obere Knopf seines weißen Hemdes ist offen und sein dunkles, leicht zerzaustes Haar wirkt so, als hätte er es vergeblich zu bändigen versucht. Aus seinen hellgrauen Augen schaut er mich erwartungsvoll an. Wer ist das? Er sieht nicht aus wie einer der geladenen Gäste. Außerdem ist er eine Stunde zu früh …

Um acht Uhr beginnt die Gala zum dreißigjährigen Jubiläum der Falkner-Kette, die meine Assistentin und ich seit zehn Monaten vorbereiten. Zehn Monate, die wir mit Gästelisten, Programmflyern, Raumgestaltung und dem Auffinden der perfekten Lokalität verbracht haben. Meinem Vater, Henry Falkner, gehören 33 Luxus-Hotels, dementsprechend steht er heute Abend im Mittelpunkt des Interesses und ich bin dafür verantwortlich, dass alles glatt läuft. Doch im Augenblick starre ich dem verschmitzt lächelnden Mann mir gegenüber auf die Lippen.

»Ja, bin ich. Caitlin Falkner. Und wer sind Sie?«, antworte ich mit einer Gegenfrage.

Er streckt mir seine Hand entgegen. »Mo Benner. Ich mache heute Abend die Musik.«

Oh nein! Ich hätte Stefina nicht vertrauen dürfen. Bis eben hatte ich alles im Griff, der Abend war perfekt geplant, nur bei dem Gedanken an den Musiker wurde mir in regelmäßigen Abständen mulmig. Meine liebe Assistentin hat in ihrem Übereifer nicht lockergelassen, sie kenne da jemanden, der perfekt sei für den Abend, und irgendwann habe ich zugestimmt. Ich hatte mit einem erfahrenen Pianisten gerechnet und nun steht dieser junge Typ vor mir.

Leicht entsetzt greife ich nach seiner Hand, die er mir noch immer entgegenstreckt, und versuche dabei möglichst höflich, das Terrain zu sondieren. »Haben Sie schon einmal auf so einer Veranstaltung gespielt?«

Überrascht zieht der Musiker die Augenbrauen hoch.

»Das ist mein Job.«

»Ja, natürlich. Ich meine nur … wo … ähm … haben Sie denn Ihre Noten?«

Seine Überraschung weicht einem amüsierten Ausdruck, als er sich mit dem Finger an die Stirn tippt.

»Steckt alles da drin. Und in meinen Fingern, die Sie so kräftig durchschütteln.«

Ich schnappe nach Luft und lasse seine Hand los, aus Angst, sie zu zerquetschen und damit zum Ruin des heutigen Abends beizutragen.

»Entschuldigung. Dann … zeige ich Ihnen mal das Klavier.«

»Nicht nötig«, grinst er, wobei seine strahlend grauen Augen schelmisch blitzen. »Den Flügel habe ich bereits gefunden.«

Er neigt den Kopf nach rechts. Ich folge der Bewegung mit den Augen und laufe knallrot an, als ich drei Meter neben uns den beeindruckenden schwarzen Flügel entdecke.

»Oh … ja. Gut. Dann … brauchen Sie sonst noch etwas?«

»Nein, danke. Alles perfekt. Ist es in Ordnung, wenn ich mich einspiele? Mich mit dem Instrument vertraut mache?«

»Ja, selbstverständlich«, erwidere ich und streiche mir dabei eine Locke aus der Stirn.

»Super.« Er macht Anstalten, zum Flügel zu gehen, da fällt sein Blick auf die High Heels in meiner Hand. Diese hohen Schuhe machen mich wahnsinnig, weshalb ich sie abgestreift hatte, um mir bis zum Beginn der Gala in einer Stunde noch ein wenig Fußentspannung zu gönnen. Schon wieder grinst er.

»Was?«, frage ich gereizt, denn es ist mir peinlich, dass er mich in diesem halbfertigen Aufzug sieht.

»Warum haben Sie Ihr Kleid nicht einfach zehn Zentimeter kürzer gekauft und bequeme Schuhe angezogen?«

Demonstrativ zeigt er auf den Saum meines Kleides, der über den Boden schleift. Ich starre ihn verblüfft an.

»Weil ich dann statt Fußkrämpfen Nackenschmerzen hätte.«

Er lächelt noch breiter und enthüllt dabei eine Reihe perfekter Zähne. »Verstehe!«

Diesmal wendet er sich wirklich ab und steuert den Flügel an, der sich zwischen dem Aufgang zur Bühne und dem Büffet befindet. Ich beobachte ihn dabei, wie er den Hocker auf die richtige Höhe einstellt, den Tastenschutz hochklappt und mit Übungen startet, die seine Fingerfertigkeit eindrucksvoll belegen.

Ich widme mich wieder den Vorbereitungen und werfe einen letzten prüfenden Blick auf die Anordnung der Tische. Dezente Lichterketten sorgen für eine behagliche, nicht zu grelle Atmosphäre und auf den runden, für jeweils sechs bis acht Personen eingedeckten Tischen flackern Kerzen in hohen Gläsern. Es ist stimmungsvoll und angenehm schlicht.


Eine halbe Stunde später treffen die ersten der dreihundert geladenen Gäste ein. Um zehn vor acht werde ich nervös, weil Erik noch immer nicht da ist. Immerhin soll er die Gala mit mir zusammen eröffnen. Ich hätte mir gewünscht, dass er mir als mein Freund auch bei den Vorbereitungen beisteht, aber als vielbeschäftigter Hauptanwalt meines Vaters konnte er dafür keine Zeit opfern. Ich recke den Hals und lasse meinen Blick über die bereits anwesenden Gäste schweifen. Vielleicht ist er doch schon da und ich habe ihn noch nicht entdeckt? Am Flügel und diesem Mo Benner bleibt mein Blick einen Moment hängen. Die Fingerübungen sind vorbei, stattdessen spielt er nun dezente Unterhaltungsmusik und ich stelle begeistert fest, dass sie das Ambiente, das ich mit der Raumdeko erreichen wollte, perfekt untermalt. Vielleicht wird es ja doch ein gelungener Abend.

»Hey!« Ein Arm legt sich um meine Taille und im selben Moment spüre ich Lippen auf meiner Wange und nehme Eriks herbes Aftershave wahr. »Tut mir leid, dass ich so spät bin. Ich musste noch einen Fall zu Ende bearbeiten.«

Ich drehe mich zu ihm und lächle erleichtert. Er sieht gut aus, wie immer, das zurückgekämmte, blonde Haar bringt seine Sommerbräune gut zur Geltung.

»Kann es losgehen?«

Erik wirkt nicht die Spur aufgeregt und greift beherzt nach meiner Hand. Gemeinsam betreten wir die Bühne. Das Mikro fühlt sich rutschig an und meine Stimme zittert ein wenig vor Nervosität, als ich die Gäste herzlich willkommen heiße und einige der VIPs persönlich begrüße. Dabei lasse ich meinen Blick über die anwesenden Persönlichkeiten gleiten und achte besonders darauf, nicht zu schnell zu sprechen. Mein Vater lächelt mir aufmunternd zu, was mich augenblicklich ruhiger werden lässt.

Nach den obligatorischen Danksagungen führe ich in das Abendprogramm ein und starte mit ein paar persönlichen Anekdoten aus meiner Kindheit und Jugend, um meine Liebe und Wertschätzung für meinen Vater zum Ausdruck zu bringen. Schließlich übergebe ich wie geplant das Mikrofon an Erik. Er stellt den Mann des Abends vor, seinen Chef und Mentor Henry Falkner, der für ihn fast schon wie ein Vater sei. Bei diesen Worten zwinkert Erik mir zu, was mir ein leichtes Unwohlsein verursacht. Dann berichtet er, wie mein Vater vor dreißig Jahren die Idee hatte, den heruntergekommenen Gasthof seines Vaters zu renovieren und in ein Wellness-Hotel umzubauen, was den Beginn einer beeindruckenden Karriere markieren sollte.

»Liebe Gäste«, kommt er schließlich zum Ende, »Henry Falkners Ideenreichtum ist beispiellos, aber natürlich gab es auch in seiner Karriere Höhen und Tiefen. Wer könnte von diesen Ups and Downs besser berichten als Henrys langjähriger Freund und Berater? Ich bitte Sie um einen herzlichen Applaus für Lionel Ramsay.«

Ich umarme Lionel, als er zu uns auf die Bühne tritt. Für mich gehört er zur Familie, lange Zeit war ich sogar überzeugt, er sei mein Onkel.

Beim Verlassen der Bühne kommen Erik und ich nahe am Flügel vorbei, doch der Hocker ist leer. Intuitiv suche ich den Raum nach dem Klavierspieler ab und entdecke ihn an der Bar, von wo er aufmerksam das Geschehen auf der Bühne verfolgt. Irgendwie scheint er meinen Blick zu spüren, denn er sieht zu mir herüber, lächelt und zwinkert mir zu. Jedenfalls glaube ich das auf die Entfernung zu erkennen und werde auch noch rot.

Nach den ersten drei langweiligen und viel zu langen Reden wird das Büffet eröffnet. Ein Großteil der Gesellschaft begibt sich an die eingedeckten Tische, andere bleiben an Stehtischen oder der Bar hängen, vertieft in angeregte Gespräche. Zufrieden stelle ich fest, dass die Stimmung gut ist.

In dem Moment dringt mir eine allzu vertraute Stimme ans Ohr.

»… ein bisschen mehr Farbe hätte auch nicht geschadet. Und dann all die Kerzen und Lichterketten! Es ist doch kein Weihnachten! Kein Wunder, dass es so stickig hier drin ist. Aber Cat fällt das wahrscheinlich nicht auf, die ist ja chronisch unterkühlt.«

Erik, der sich mit meinem Vater unterhält, hat die Bemerkung offensichtlich nicht aufgeschnappt. Als ich mich umdrehe, versetzt es mir einen Schlag. Da steht sie, Laurie Falkner, meine Cousine. Atemberaubend, wunderschön und in einem cremefarbenen Hauch von Kleid, das nicht viel der Fantasie überlässt. Ich habe mehrfach versucht, Laurie von der Gästeliste zu streichen, kam damit aber nicht durch. Na dann bringe ich es lieber hinter mich, bevor sie noch weiter und noch lauter über meine Organisation herzieht.

»Hallo Laurie!«, unterbreche ich ihre Lästerattacke. Dann komme ich ins Stocken. Schön, dich zu sehen? Wohl kaum. Herzlich willkommen? Absolut falsch. »Lange nicht gesehen. Gefällt es dir hier?«

Trotz meines trockenen Tons breitet sich eine gespielte Begeisterung auf ihrem perfekt geschminkten Gesicht aus.

»Cat! Schön dich zu sehen!«

Was für eine Schlange! Sie fasst mich an den Schultern und haucht links und rechts neben meinem Gesicht schmatzende Küsschen in die Luft. »Ja, und ob es mir gefällt! Traumhafte Deko! Hast du das alles organisiert?«

Mir wird schlecht, aber ich zwinge mich zu einem Lächeln und zu ein paar weiteren Minuten gepflegten Smalltalks. Oder besser: Geheuchelten Sympathie- und Interessebekundungen. Dann ziehe ich mich unter dem Vorwand, mich um die anderen Gäste kümmern zu müssen, zurück. Tatsächlich sollte ich das tun, mich um die anderen Gäste kümmern, meine ich. Stattdessen gehe ich schnurstracks zur Theke und bestelle mir ein Glas Wasser, um mich wieder abzukühlen. Ich hasse diese Lügen. Deshalb ziehe ich es vor zu schweigen, wenn mir nichts Freundliches einfällt. Vielleicht hält mich die Presse deswegen für arrogant oder wie Laurie es formuliert hat: chronisch unterkühlt. Aber ich kann die ganze Heuchelei einfach nicht ertragen. Frustriert trinke ich die Hälfte des Wassers aus. Eigentlich müsste man es zischen hören, so sehr brodelt es in mir.

»Und Frau Falkner? Sind Sie zufrieden mit dem bisherigen Verlauf des Abends?«

Den Mann, der rechts von mir an der Theke lehnt, habe ich noch nie gesehen. Freundlicherweise zieht er das Revers seines Jacketts vor und zeigt mir den Clip. Aha. Presse. Mein Stichwort für ein aufgesetztes Lächeln.

»Ja, allerdings. Und Sie? Amüsieren Sie sich gut?«

»Prächtig. Man wird nicht jeden Tag bei der Arbeit so gut verköstigt. Gibt es Neuigkeiten, was Sie und Erik Seemann betrifft?«

Kategorie Klatschpresse. »Es freut mich, dass Ihnen das Essen schmeckt«, antworte ich ausweichend. »Ich muss jetzt leider weiter. Genießen Sie den Abend.« Höflich lächelnd verlasse ich die Theke.

Die Klavierklänge bündeln meine Aufmerksamkeit: Where is my mind in einer Piano-Version. Ich mag diesen Song, vielleicht weil ich mich auch oft genug frage, wo mir der Kopf steht. Wo ich überhaupt stehe als zukünftige Managerin einer millionenschweren Hotelkette.

Ich leere mein Glas und konzentriere mich auf die Musik. Dieser Benner spielt sehr gefühlvoll. Oder klingt es nur wegen der Akustik im Raum so schön? Oder weil ich einen Begrüßungschampagner getrunken habe?

Das nächste Stück ist ein Song, der derzeit im Radio rauf und runter läuft und den Benner auf dem Klavier ganz neu interpretiert. Wow! Ich hätte nicht gedacht, dass das funktioniert. Doch so wie er es spielt, passt es und gefällt mir richtig gut.

Um Präsenz zu zeigen, schlendere ich durch den Saal, begrüße hier und da einen Gast und bemühe mich um Smalltalk. Erfreut stelle ich fest, dass nicht nur mir dieser gekonnte Mix aus jazziger Unterhaltungsmusik und bekannten Hits gefällt, denn manch ein Gast wippt mit dem Fuß, ein anderer schnippt unauffällig mit dem Finger oder klopft sich im Takt gegen das Bein. Danke, Stefina! Mo Benner war ein Glücksgriff! Einen Moment lang beobachte ich ihn beim Spielen, wie sein Körper sich leicht vor und zurück wiegt. Offensichtlich liebt er das, was er tut, und scheint voll in der Musik aufzugehen.

»Der Kerl ist lecker. Was heißt lecker! Total heiß! Wo hast du ihn aufgetrieben?«

Lauries Stimme ist wie eine kalte Dusche. Sie kaut auf ihrer vom knallroten Lipgloss glänzenden Unterlippe und starrt wie gebannt auf den Pianisten.

»Meine Assistentin hat ihn engagiert. Wenn du etwas über ihn herausfinden willst, musst du sie fragen.«

»Danke, nicht nötig. Das kriege ich schon selber hin.«

Eine Sekunde später sehe ich nur noch ihren kaum bedeckten Rücken und ihr schwingendes Hinterteil, als sie direkt auf den Flügel zusteuert. Angewidert wende ich mich ab. Jetzt brauche ich frische Luft.

Für Ende September ist es noch ziemlich mild, fast sommerlich. Ich trete auf die von Lampions beleuchtete Terrasse, was ich jedoch schnell bereue. Am Ende der Terrasse entdecke ich Erik, in eine angeregte Unterhaltung mit einer kurvigen Brünetten vertieft. Die Art, wie er sich lachend zu ihr vorbeugt und seine Hand an ihre Hüfte legt, ärgert mich. Dabei weiß ich genau, wie offen Erik im Hinblick auf Körperkontakt ist. In dieser Hinsicht bin ich das krasse Gegenteil, chronisch unterkühlt eben. Ich mag es einfach nicht, Menschen körperlich nahe zu kommen, die ich nicht gut kenne.

Ob Erik diese Brünette kennt? Gut kennt?

Genervt drehe ich mich um und kehre in den Saal zurück. Kann er nicht ein bisschen diskreter sein? In Gedanken sehe ich schon das Foto und die morgige Schlagzeile: Braucht Erik Seemann eine heiße Ablenkung von seiner unterkühlten Blondine?


Das Abendprogramm geht in die zweite Runde: Lobesreden von Kollegen und Freunden und Filme, die meinen Vater privat oder bei der Arbeit zeigen. Die feierliche und sehr langatmige Rede meiner Tante wird durch das Klirren von zerbrechendem Glas unterbrochen. Dankbar für die Ablenkung drehe ich mich um, so wie ungefähr die Hälfte der anwesenden Personen. Offenbar hat Laurie ihr Champagnerglas umgeworfen, dessen Inhalt sich nun auf Mo Benners Anzug wiederfindet. Beide reiben hektisch über sein Jackett, was ihm sichtlich unangenehm ist, denn er schiebt Lauries Arm dezent zur Seite.

Meine Tante räuspert sich ins Mikrofon und fährt mit ihrer Rede fort.

Was war das schon wieder für eine Aktion von Laurie? Ein ziemlich billiger Flirtversuch! Der junge Mann wird sich kaum mitten im Saal ausziehen. Wahrscheinlich wollte sie erfühlen, wie er unter seinem Anzug gebaut ist.

Aber in einem Punkt muss ich ihr recht geben: Dieser Benner sieht wirklich gut aus. Auch der nun etwas vollgekleckerte Anzug ändert nichts an der Tatsache.

Bei der nächsten ausschweifenden Rede bestelle ich mir an der Bar einen Martini. Irgendwie muss ich die Bilder dieses Abends wegspülen: Erik mit der kurvigen Brünetten, Laurie, die sich an Mo Benner ranschmeißt …

»Ein Wasser bitte!«

Überrascht drehe ich mich um. Neben mir steht Mo Benner. Hat er die Flucht vor Laurie ergriffen und sich an die Theke gerettet? Schon wieder zwinkert er mir zu, was mich verwirrt, aber ich gebe mich unbeeindruckt, versuche nicht schon wieder rot anzulaufen und zeige auf seinen Anzug.

»Sie haben einen Fleck auf Ihrem Jackett.«

»Hmm …«, erwidert er, sieht an sich herunter und schürzt die Lippen, um sich ein Grinsen zu verkneifen. »Darauf sollten Sie mal die Lady in dem cremefarbenen Kleid ansprechen.«

»Lady …«, antworte ich gedehnt und lasse keinen Zweifel an meiner Meinung über die besagte Dame.

Der Barkeeper stellt das Glas Wasser auf den Tresen und Benner nimmt es dankend entgegen.

»Die Lady heißt übrigens Laurie«, fügt er wie beiläufig hinzu, wohl um mir zu verstehen zu geben, wie nahe die beiden sich bereits sind.

Aus irgendeinem Grund ärgert es mich. »Werden Sie eigentlich auch fürs Flirten bezahlt, Herr Benner?«

»Ups, pardon, Frau Falkner«, erwidert er mit hochgezogener Augenbraue und einem Blitzen in den Augen. »Mir war gar nicht bewusst, dass dies ein Flirtversuch sein soll.«

Ich bin sprachlos. Er nimmt sein Glas und führt es an die Lippen. Während er es leert, starre ich auf seinen Hals, die Bewegungen seines Adamsapfels und das kleine Stückchen Haut, das der geöffnete Hemdkragen freigibt. Als die Gäste klatschen, weil der Redner geendet hat, zucke ich zusammen und wende mich ab.

Benner stellt das Glas auf dem Tresen ab. »Ich gehe dann mal wieder arbeiten.«

Ein wenig konfus bleibe ich an der Bar zurück. Dieser Typ hat eine eigenartige Wirkung auf mich und jetzt, wo er fort ist und es nicht mehr sehen kann, muss ich sogar grinsen. Er ist dreist und unverschämt, aber irgendwie … interessant.

»Hey, hier bist du«, holt Erik mich aus meinen Gedanken. Als ob er mich vermisst hätte! Aber ich verkneife mir die giftige Bemerkung, die mir auf der Zunge liegt, weil dies nicht der passende Rahmen dafür ist. »Wir haben heute Abend noch gar nichts zusammen getrunken. Das sollten wir schleunigst ändern.« Er beugt sich über den Tresen und bestellt ohne mich zu fragen zwei Champagner.

»Ich möchte keinen Champagner mehr!« Nachdem ich ihn mit einer anderen Frau gesehen habe, verspüre ich keine große Lust, mit ihm Champagner zu trinken.

»Doch, einen letzten noch. Du wirst ihn gleich brauchen.«

Erik drückt mir eines der Gläser in die Hand, lässt mir aber keine Gelegenheit zu trinken, sondern packt mich am Handgelenk und zieht mich von der Bar fort. »Komm mit!«

Verwirrt folge ich ihm direkt auf die Bühne. Was zum Teufel hat er vor? Erik greift nach dem Mikrofon, grinst mich kurz an und wendet sich dann dem Saal zu.

»Sehr geehrte Damen und Herren, darf ich Sie noch einmal um Ihre Aufmerksamkeit bitten?«

Neugierig recken die Gäste die Hälse und die Gespräche verstummen.

»Ich habe eine gute Neuigkeit für Sie, die so aktuell ist, dass nicht einmal Henry darüber informiert ist.« Er sieht kurz zu mir. »Na ja, eigentlich habe ich sogar zwei Neuigkeiten, aber … eins nach dem anderen.«

Ich runzle die Stirn, weil ich nicht weiß, worauf er anspielt, und das bereitet mir ein unangenehmes Magendrücken. Ich mag es lieber, wenn ich weiß, was läuft.

»Einige von Ihnen wissen, dass wir in Verhandlungen bezüglich der Übernahme eines Hotels am Bodensee stehen. Diese Verhandlungen waren bislang sehr zäh und stockend, weshalb ich die letzten Tage vor Ort noch einmal ausgiebige Gespräche geführt habe. Es hat sich gelohnt! Heute Abend liegt uns endlich die Zusage vor. Henry, wir haben das 34. Falkner-Luxus-und-Wellness-Hotel am Start!«

Die Gäste klatschen und drehen sich zu meinem Vater um. Der steht sogar auf und zeigt Erik einen aufwärts gerichteten Daumen. Erik und ich stoßen auf der Bühne an und er leert sein Glas in einem Zug.

»So, das war der erste Punkt«, spricht er weiter ins Mikro. »Henry, nachdem ich dich mit meiner neuen Errungenschaft hoffentlich gnädig gestimmt habe, möchte ich dich um etwas bitten.« Erik dreht sich wieder zu mir. Mein Mund wird trocken, als mir dämmert, was das zu bedeuten hat. Er nimmt meine Hand in seine und sieht mir tief in die Augen. »Ich möchte dich um die Hand deiner Tochter Caitlin bitten.«

Ein begeistertes Raunen geht durch die Menge, während sich mir die Kehle zuschnürt. Erik hebt abwehrend die Hand in Richtung Publikum, lässt mich aber keine Sekunde aus den Augen. »Allerdings weiß sie noch nichts davon, deswegen sollte ich sie wohl erst mal selbst fragen.«

Die Gäste lachen, was mir eine Gänsehaut beschert. Das war nicht abgesprochen. Wir haben nie auch nur darüber geredet, diesen Schritt zu gehen! Im Raum ist es still, aber in meinen Ohren rauscht das Blut. Eriks Stimme dagegen ist schrecklich laut, als er nun über das Mikrofon diese verfluchten Worte an mich richtet: »Cat, wir sind jetzt seit drei Jahren zusammen und … was soll ich sagen? Ich finde, wir sind das perfekte Team. Deshalb meine Frage an dich, Caitlin Falkner …« Er macht eine Kunstpause und sieht mir tief in die Augen. »Willst du meine Frau werden?«

Mir ist schwindelig und der Saal verschwimmt zu einer undefinierbaren Masse aus Gesichtern und schicker Kleidung. Am liebsten würde ich einfach von der Bühne laufen, aber alle starren mich an und erwarten eine Antwort. Was kann ich denn schon sagen? Soll ich die Situation ruinieren? Das kann ich nicht bringen, also versuche ich, diesen furchtbaren Moment so schnell wie möglich zu beenden und antworte: »Ja.«

Das winzige Wort bleibt mir fast in der Kehle stecken.

Tosender Beifall, Pfiffe, begeisterte Rufe. Erik zieht mich an sich und küsst mich vor aller Augen auf den Mund, doch ich erwidere seinen Kuss nicht. Stattdessen möchte ich ihn treten oder ihm die Augen auskratzen, aber das ist nicht Teil der Show. Als er endlich von mir ablässt, kämpfe ich gegen den Würgereiz.

Ich stolpere hinter ihm her von der Bühne, wo wir augenblicklich von begeisterten Gratulanten belagert werden. Mein Vater kommt mit ausgebreiteten Armen auf mich zu. »Cat! Ich freue mich so für euch!«

Dass ich jetzt auch noch meinem Vater etwas vorspielen muss, gibt mir den Rest.

»Ich muss was trinken«, stammele ich und stelle frustriert fest, dass ich den Inhalt meines Champagner-Glases verschüttet habe.

»Das kann ich mir vorstellen!« Papa lacht und wendet sich dann Erik zu, um ihm auf die Schulter zu klopfen.

Ich kämpfe mich bis zur Bar vor und bestelle einen Schnaps. Nachdem ich ihn heruntergespült habe, drehe ich mich zur Seite, wobei mein Blick schon wieder auf den Flügel und Mo Benner fällt. Er schlägt ein ruhiges Stück an, das ich nicht kenne, aber es ist wunderschön. Benner sieht auf, unsere Blicke treffen sich und ich werde den Eindruck nicht los, dass er mir mit diesem Lied eine Nachricht übermitteln will. Was natürlich Quatsch ist, er kennt mich nicht, ich kenne ihn nicht, ich bilde mir nur etwas ein.

Erik kommt zu mir und nimmt mich in den Arm. Seine Lippen nähern sich meinen, doch ich drehe den Kopf zur Seite, sodass er meine Wange trifft.

Kapitel 2


Cat

Den Rest des Abends schalte ich meine Gefühle ab. Erik flirtet hinter meinem Rücken mit anderen Frauen und ich beantworte seinen Heiratsantrag mit »Ja«, obwohl ich mir überhaupt nicht sicher bin, dass ich ihn heiraten möchte. Was für ein missratener Abend.

Die Gäste brechen nach und nach auf und beglückwünschen mich für meine Zukunftspläne und die gelungene Gala, aber ich fühle seltsamerweise nichts außer Leere. So viel Arbeit habe ich in die Vorbereitung der Gala gesteckt. In einen Abend für reiche Menschen, die über ihre letzten Urlaube in der Karibik und die astronomisch hohe Quadratmeterzahl ihrer Ferienvilla in Südfrankreich sprechen und sich auch noch für unglaublich wichtig halten.

Was mache ich hier? Wie passe ich hierher? Warum gibt mir das alles nichts?

Erik verabschiedet sich mit der Begründung, die letzten Tage am Bodensee seien hart gewesen, und ich bin froh, als er endlich geht.

Drei Helfer aus meinem Orga-Team kümmern sich darum, die nicht mehr ganz nüchternen Gäste hinauszukomplimentieren und in Taxis zu verfrachten. Danach entlasse ich sie in ihre wohlverdiente Nachtruhe. Inzwischen ist es vier Uhr morgens. Nur zwei Männer halten gezwungener Maßen bis zum bitteren Ende mit mir durch: der Barkeeper und … Mo Benner. Jetzt, wo sowohl High Society als auch Presse verschwunden sind, streife ich diese unerträglichen High Heels wieder ab und löse meine elegante Hochsteckfrisur, sodass mein blondes Haar mir auf die Schultern fällt. Dann lehne ich mich an die Theke und beobachte Herrn Benner ungeniert, wie er seine letzten Stücke ausklingen lässt. Schließlich klappt er den Tastenschutz herunter und schlendert zu mir an die Theke. Im Gegensatz zu mir wirkt er kein bisschen müde, betrunken ist er auch nicht.

»Darf ich Ihnen einen Drink spendieren?«, biete ich ihm an.

»Gern«, antwortet er lächelnd und bestellt einen Gin-Tonic.

Wir stoßen an und trinken schweigend einen Schluck.

»Mo. Ein ziemlich ungewöhnlicher Name. Ihr Künstlername?«

»Ja und nein. Eigentlich heiße ich Timo, aber Mo ist mein Spitzname, seit ich denken kann. Und Caitlin?«

Es freut mich, dass er sich meinen Vornamen gemerkt hat. Obwohl … der steht auf jedem Programmheft aufgedruckt.

»Meine Mutter ist halb Schwedin, halb Irin. Ein deutscher Vorname erschien ihr für ihre Tochter zu banal, darum heiße ich Caitlin. Dabei wollte ich immer einen ganz normalen Namen haben.«

»Was ist denn ein normaler Name?«

»Keine Ahnung … Lena, Lara, Katja …«

»Hm … Lena Meyer-Landrut, Lara Croft, Katja … öh … Riemann, Caitlin …? Da fällt mir nichts ein.«

»Ist das gut oder schlecht?«

Er lacht. »Also ich finde es gut.«

Ich mag sein Lachen. Überhaupt mag ich es, ihn anzusehen. Seine schwarzen Haare haben sich im Laufe des Abends verselbständigt und sind welliger geworden. Ein paar Strähnen fallen ihm in die Stirn und ich würde am liebsten die Hand ausstrecken, um sie zurückzustreichen. Doch um einen Grund dafür zu haben, müsste ich ihm wohl in guter Laurie-Manier meinen Martini ins Gesicht schütten. Das ist nicht meine Art.

»Haben Sie ein Zimmer hier im Hotel?«, frage ich stattdessen.

Er zieht die Stirn kraus, wobei das schelmische Blitzen in seinen Augen bleibt. »Haben Sie eine Ahnung, was ein Zimmer in einem Fünf-Sterne-Falkner-Hotel kostet?«

Ertappt richte ich mich auf und starre in mein Glas. »Äh, ehrlich gesagt, nein. Ich übernachte ja umsonst.«

»Nun ja. Es ist ziemlich teuer. Aber Sie wissen schon, was Sie mir für meine Dienste heute Abend zahlen, oder?«

Nun werde ich rot. Eiskalt erwischt. Was seinen Vertrag betrifft, habe ich Stefina freie Hand gelassen. »Genug, um ein Zimmer in einem Fünf-Sterne-Falkner-Hotel zu finanzieren?«, frage ich vorsichtig.

Wieder lacht er. »Ich denke, das ist nicht Sinn der Sache.«

Erneut fällt mein Blick auf das kleine Dreieck Haut, das sein Hemdkragen freigibt. Wie wohl der Rest seines Körpers unter diesem Anzug aussieht? Erschrocken wende ich mich ab und fixiere das Glas in meinen Händen. Was sind denn das für Gedanken? Ja, Mo Benner ist attraktiv und hat diese gewisse Künstleraura. Aber ich bin mit Erik zusammen. Der ist auch attraktiv. Und erfolgreich. Und hat mir vor versammelter Gesellschaft ein Ja-Wort abgerungen, was mich noch immer unglaublich wütend macht.

»Also … ich habe ein Zimmer hier im Hotel«, erwähne ich, um irgendetwas zu sagen. Im selben Moment beiße ich mir auf die Zunge, weil das ziemlich arrogant klang.

Benner dreht sich zu mir um und räuspert sich, weil er sich an dem Gin verschluckt hat. Dann schüttelt er ungläubig den Kopf und runzelt die Stirn. »Ähm … machen Sie mir gerade ein unmoralisches Angebot?«

Ich bin so überrascht, dass meine Kinnlade es nicht einmal bis nach ganz unten schafft.

»Nein! Natürlich nicht!«, antworte ich entsetzt.

Konnte man meine dämliche Aussage tatsächlich auch so interpretieren? Wahrscheinlich hat Mo Benner Erfahrung mit derartigen Andeutungen. Trotzdem bin ich neugierig.

»Wären Sie denn darauf eingegangen?«

»Nein, …äh … natürlich nicht!«, stammelt er, ähnlich entsetzt wie ich zuvor. Allerdings brüskiert mich seine überdeutliche Ablehnung. Das muss ihm auch aufgefallen sein, denn er räuspert sich und schiebt nach: »Schließlich haben Sie vor ein paar Stunden den Heiratsantrag eines anderen Mannes angenommen.«

Das ist allerdings ein berechtigter Einwand.

Ich spüre Mos Blick auf mir, doch ich starre beharrlich auf die blank geputzte Theke und halte mich an meinem Glas fest.

»Was war das für ein Lied, das Sie nach dem … ähm … Antrag gespielt haben?«, frage ich, um das Thema zu wechseln und zu verhindern, dass er plötzlich aufsteht und geht, denn ich würde trotz dieses heiklen Missverständnisses gerne noch ein bisschen Zeit mit ihm verbringen.

»The Entertainer?«

»Nein, das danach.«

»Das ist ein französisches Lied. Déterre von ZAZ.«

»Es hat mir gefallen. Wovon handelt es?«

Eine ganze Weile mustert er mich schweigend, bevor er antwortet: »Es handelt vom Loslassen. Davon, dass man sich von überzogenen Erwartungen befreit, um wieder atmen zu können. Dass man aufhört, sich angepasst zu verhalten, dass man auf sich aufmerksam macht, damit die anderen endlich sehen, dass man existiert. Und damit man es auch selbst begreift.«

Ich muss schlucken, denn das bin ich. Ich bemühe mich sosehr, in meinem Job als Junior-Partnerin bei Falkner zu überzeugen und in die Fußstapfen meines Vaters zu treten, dass meine eigenen Wünsche und Träume stets zu kurz kommen. Außerdem bin ich mir nach heute Abend gar nicht mehr sicher, ob das wirklich meine Welt ist. All der Luxus zu schwindelerregenden Preisen!

»Es hat Sie berührt«, stellt Mo fest und legt den Kopf schief.

»Die Musik, ja, natürlich«, antworte ich ausweichend.

»Und der Inhalt?«

»Was glauben Sie denn?«, kontere ich mit einer Gegenfrage.

»Sie tragen High Heels, obwohl sie unbequem sind, und stecken Ihre Haare hoch, obwohl Sie sie lieber offen tragen. Auf der Bühne wirken Sie angespannt, so als wären Sie lieber nicht dort. Sie sind keine Rampensau, die es genießt, vor Publikum zu sprechen. Und dass ein Teil Ihres Privatlebens durch diesen Heiratsantrag öffentlich gemacht wurde, war Ihnen furchtbar unangenehm. Ich glaube, Sie verstellen sich und spielen eine Person, die Sie eigentlich nicht sein möchten. Deswegen geht Ihnen der Text auch so nah.«

Fassungslos starre ich ihn an. Das ist nicht einmal Erik aufgefallen!

»Wow«, raune ich sarkastisch. »Sie urteilen sehr schnell über Leute, die Sie nicht kennen.«

»Das war kein Urteil. Nur eine persönliche Vermutung.«

Die der Realität allerdings verdammt nahe kommt.

Kapitel 3


Cat

Dieses Lied und die Bemerkung von Mo Benner gehen mir auch am nächsten Tag nicht aus dem Kopf. Ich bin mürrisch und unzufrieden und weiß gar nicht so genau warum. Ich meine … eigentlich geht es mir doch gut in meinem Leben, oder?

Am späten Nachmittag kommt Erik vorbei, um mich zum Essen auszuführen und den Heiratsantrag mit mir zu feiern.

»Da gibt es nichts zu feiern«, fahre ich ihn an.

»Wie meinst du das?«, fragt er überrascht.

»Wie konntest du mich derart in die Enge treiben und vor vollendete Tatsachen stellen?«

»Komm schon, Cat. Welche Frau will nicht vor aller Augen einen romantischen Heiratsantrag bekommen? Ich dachte, du freust dich …«

Romantisch? »Stell dir vor, ich will das nicht. Weil ich möchte, dass wir so wichtige Entscheidungen gemeinsam treffen, bevor wir sie mit aller Welt teilen.«

»Cat, Süße, zwischen uns ist doch alles klar.«

Er stellt sich hinter mich, massiert meine Schultern und ich muss schlucken, weil ich mir nicht so sicher bin, dass zwischen uns alles klar ist. Sonst sollte ich doch irgendeine Art von Kribbeln verspüren, angesichts seiner Berührung.

Eine Weile zicke ich noch herum, während Erik mich charmant umgarnt und um Verzeihung bittet. Dabei belassen wir es. Die Frau auf der Terrasse spreche ich nicht an, denn ich habe auch keine Lust ihm beichten zu müssen, dass ich mit Mo Benner geflirtet habe. Dass ich ihn eigentlich nicht heiraten möchte, sage ich ihm nicht. Seltsamerweise habe ich ein schlechtes Gewissen diesem Benner gegenüber. Es ist, als hätte er mir einen Ratschlag gegeben, den ich einfach ignoriere. Ein weiteres Mal verhalte ich mich genauso, wie man es von mir erwartet.


Am Montag im Büro bin ich unkonzentriert und müde. Wahrscheinlich die Auswirkungen der Gala. Immer wieder driften meine Gedanken zum Samstagabend und somit auch zu Mo Benner. Unser Gespräch und dieses Lied haben etwas in mir ausgelöst. Ich beneide Mo um seine Freiheit und darum, dass er tut, was er will. Jedenfalls vermute ich, dass es so ist, eigentlich kenne ich ihn ja gar nicht.

Ich gebe seinen Namen in die Internetsuchmaschine ein und gelange zu seiner Homepage, auf der man ihn als Pianisten für feierliche Angelegenheiten buchen kann. Die Seite enthält ein Foto, das ich recht lange anstarre. Dieses spitzbübische Blitzen in seinen leuchtend grauen Augen scheint angeboren zu sein. Ich muss daran denken, wie er mir zugezwinkert hat, und lächle.

Da reißt mich das Klingeln des Telefons aus meinen Gedanken. Meine Mutter.

»Cat, Schatz, hast du einen Moment Zeit für mich?«

»Jep.« Ablehnen ist bei meiner Mutter nicht möglich.

»Das war eine wunderschöne Gala am Samstag. Na ja, das Essen war vielleicht etwas zu weich gekocht und das Programm zu lang, aber … Mein Gott! Eriks Heiratsantrag! Ich freue mich ja so für euch! Habt ihr schon einen Termin? Wo werdet ihr feiern? Wirst du einen Heiratsplaner engagieren? Und das Kleid!«

»Mama«, unterbreche ich sie, »so viel Zeit habe ich dann doch nicht. Wie wäre es, wenn ich am Wochenende …«

»Okay, das können wir alles später klären, aber es gibt eine wichtige Angelegenheit, die wir sofort besprechen müssen. Danach lasse ich dich wieder arbeiten. Sag mal, dieser Pianist, der auf der Gala gespielt hat. Wie bist du auf ihn gekommen?«

»Stefina hat ihn engagiert. Sie kennt ihn privat.«

Ich bin mir nicht sicher, ob meine Mutter aus Begeisterung nachfragt oder weil sie über Mo Benner herziehen will, denn sie liebt es, das Haar in der Suppe zu finden.

»Weißt du, ob er schon lange im Voraus ausgebucht ist? Sein Stil hat mir so gut gefallen, dass ich ihn gerne für meine Geburtstagsfeier engagieren würde.«

Meine Mutter wird in ein paar Wochen 50 und die nächste große Party steht an. Bei dem Gedanken, Mo Benner wieder zu sehen, nachdem ich ihn ausversehen in mein Zimmer eingeladen habe und er bei mir Seelenklempner gespielt hat, wird mir mulmig.

»Ähm … ich weiß nicht. Das ist ja schon in drei Wochen. Hast du denn noch keinen Musiker organisiert?«, frage ich und spiele nervös mit dem Kugelschreiber in meinen Händen. Klick – Klack – Klick – Klack.

»Doch, aber dieser Herr Benner gefällt mir besser. Außerdem hatte er Charakter genug, nicht auf die Avancen deiner schrecklichen Cousine einzugehen.«

Nun muss ich breit grinsen. Laurie hat bei ihm wirklich auf Granit gebissen und das gefällt mir. Allerdings hätte er mein Angebot, wenn es denn eines gewesen wäre, auch abgelehnt, was mein Grinsen in sich zusammenfallen lässt.

»Bitte, Schatz. Kann Stefina ihn nicht noch einmal fragen? Es wäre ein wunderbares Geburtstagsgeschenk, wenn wir ihn engagieren könnten«, drängelt meine Mutter wie ein kleines Kind.

»Ich … ähm … kann sie ja mal fragen.« Wenn Mama sich etwas in den Kopf gesetzt hat, kann man sie sowieso nicht umstimmen.

»Oh, Liebes, das wäre toll. Mach ihm ein Angebot, das ihn überzeugt, ja?«

Kaum habe ich aufgelegt, greife ich erneut nach dem Telefonhörer, um Steffi auf Mo anzusetzen. Da fällt mein Blick auf Mos Foto auf der noch immer geöffneten Homepage. Einen kurzen Moment lang zögere ich, dann klicke ich auf den Email-Button und nehme die Angelegenheit selbst in die Hand:

Hallo Mo,

Sie haben einen bleibenden Eindruck bei meiner Mutter hinterlassen. Daher lässt sie anfragen, ob Sie am 19. Oktober Zeit hätten, auf ihrer Geburtstagsparty zu spielen.
Zeitrahmen: ab 16 Uhr, Ende offen.
Gage: Verhandlungssache.
Über Ihre Zusage würden wir uns freuen.

Lieben Gruß
Caitlin Falkner

Den Rest des Tages checke ich alle zwei Minuten meine Mails, während ich mich eigentlich auf die nächsten anstehenden Projekte konzentrieren müsste: Unser Hotel in Köln möchte den Wellnessbereich erweitern und im Bayerischen Wald brauchen wir dringend eine neue Hoteldirektion.

Erst am späten Abend, als ich es mir mit einem Glas Rotwein auf dem Sofa gemütlich gemacht und Mo Benner schon fast wieder vergessen habe, trifft seine Antwort ein.

Hallo Caitlin,
am 19. Oktober habe ich noch eine Lücke in meinem überfüllten Terminplan. Daher nehme ich Ihr Angebot gerne an.
Liebe Grüße
Mo Benner
P.S.: Habe ich nur bei Ihrer Mutter einen bleibenden Eindruck hinterlassen?

Ich schnappe empört nach Luft. Was bildet er sich ein?

Doch dann drücke ich auf Antworten:

Hallo Mo,

es freut mich sehr, dass Sie den Termin einrichten können. Welche Gage schwebt Ihnen vor? Sie wissen ja, dass ich mich darin nicht so besonders auskenne. Wie wäre es mit dem Preis für zwei Übernachtungen in einem Fünf-Sterne-Falkner-Hotel? Den Betrag müsste ich allerdings erst mal googeln.

Liebe Grüße,
Caitlin
P.S.: Ich glaube, Sie haben auch bei meiner Cousine Laurie einen bleibenden Eindruck hinterlassen.

Die Antwort kommt prompt, was mich ganz kribbelig macht:

;-)
Dann würde ich mich erst mal schlau machen, welche Zimmer-Kategorien es in Ihren Hotels überhaupt gibt: Basic, Advance, Deluxe, Suite, … Penthouse?

P.S: Ihre Cousine Laurie zu beeindrucken war nicht besonders schwer.

Hm … Mich zu beeindrucken war auch nicht wirklich schwer. Ein bisschen Psychogeschwafel und ich war sprachlos.

Ein paar Minuten lang starre ich unentschlossen auf das Display. Ich bin mir zu unsicher, was Mo von mir denkt. Steckt er mich mit Laurie in eine Schublade? Kategorie: Verwöhnte Millionärstöchter? Ein leises Pling meldet eine weitere eingehende Nachricht.

Bin ich Ihnen mit der Bemerkung über Ihre Cousine zu nahe getreten?

Sofort antworte ich:

Nein, die war sehr passend. ;-)

Er schreibt direkt zurück:

Uff.
Was halten Sie übrigens davon, wenn wir die Gage bei einem Treffen aushandeln und dann die weiteren Formalitäten klären? Am Sonntag in einer Woche spiele ich mit meiner Band im Haze. Das ist zwar eine etwas andere Musikrichtung als das, was Ihnen für die Feier Ihrer Mutter wahrscheinlich vorschwebt, könnte Ihnen aber einen Einblick in das Spektrum meines Leistungsangebotes bieten. Und wer weiß, vielleicht dekorieren Sie ja noch um und machen eine Space-Party?

Himmel! Ist er total verrückt? Eine Space-Party mit all diesen reichen Schnöseln! Bei dem Gedanken muss ich laut lachen.

Aber … Moment mal! Er hat eine Band? Und … er hat mich gerade um ein Treffen gebeten. Verflixt nochmal, er flirtet mit mir. Oder nicht? Plötzlich klopft mein Herz ein paar Takte schneller. Zögerlich tippe ich eine Antwort und der Cursor schwebt geraume Zeit über dem »Send«-Button, bis ich sie endlich abschicke:

Okay, warum nicht? Sie machen mich neugierig.

Keine fünf Minuten später meldet mein Posteingang eine neue Nachricht.

Super. Dann sehen wir uns am Sonntag.
P.S.: Ich freue mich darauf, Sie wiederzusehen.

Ich erwidere mit hochrotem Kopf:

Ich mich auch.

Dann schließe ich hastig meinen Laptop, als hätte ich etwas Verbotenes gemacht.

Schon komisch. Als ich heute Morgen mit meiner Mutter telefoniert habe, wollte ich Mo lieber nicht für diese Feier engagieren. Und jetzt? Jetzt freue ich mich wie ein Teenager, weil ich weiß, dass ich ihn am Sonntag wiedersehen werde.