Buchinfo

Gibt es eine größere Macht als die Liebe?

Er ist da! Der Tag, an dem Iason und Mia ihre Verbindung mit der loduunischen Zeremonie öffentlich bekannt geben wollen. Doch das Fest wird zum Ziel eines hinterhältigen Angriffs, für den nur Lokondra verantwortlich sein kann. Und er wird nicht eher ruhen, bis Mia sich ihm ausliefert. Aber was verbindet Iasons große Liebe mit dem Tyrannen, der sein Volk vernichten will? Um sich Lokondra ein für alle Mal zu stellen, fliegt Iason nach Loduun und steht plötzlich vor einer Aufgabe, die ihm gerade als Wächter unmöglich erscheint: Er darf Mia nicht beschützen …

Autorenvita

Autor

 

© Claudia Geipel

 

Kim Winter, geboren 1973 in Wiesbaden, lebt mit ihrer Familie im Taunus. Nach einer Ausbildung zur Sozialarbeiterin, arbeitete sie im Pflegekinderdienst und in einem Waldkindergarten. Dann widmete sie sich voll und ganz ihrer Leidenschaft, die sie selbst als »Schreibsucht« bezeichnet. Dem Wald ist Kim Winter übrigens noch immer sehr verbunden, weil sie dort neben einem Café in Wiesbaden am liebsten schreibt, und das immer mit Musik im Ohr. Außerdem spielt sie Theater, engagiert sich umweltpolitisch und kann es nicht lassen, Dinge zu hinterfragen. »Bei Ungerechtigkeiten weggucken, geht gar nicht.«

LE

 

 

 

 

Für meine LeserInnen,
weil eure Begeisterung mir Flügel verleiht.

Vig

 

Das ist keine Geschichte, das ist der eigentliche Kern der Wahrheit.
Meiner Wahrheit.

Vig

Prolog

 

 

In der Nähe einer zerstörten und verlassenen Siedlung in den Bergen tauchte Demian mit Tony wieder auf. Die Einschusslöcher in den halb verfallenen Mauern lieferten ein Zeugnis der Barbarei, die auch hier einst geherrscht haben musste. Der Clan der Wahrheit, der hier einmal gelebt hatte, war von Lokondras Truppen schon ganz zu Beginn des Krieges erbarmungslos ausgelöscht worden.

Unter Schmerzen lockerte Demian seinen Griff und stellte den Jungen vor sich auf den Boden. Tony bemerkte, dass Demian große Mühe hatte, sich wieder gerade aufzurichten. Ängstlich und mit tränenverschmierten Wangen blinzelte Tony den großen Wächter an.

Schwer atmend stützte Demian sich auf ein Knie. »Bist du verletzt, Kleiner?«

Tony schüttelte schniefend den Kopf. »Aber du, oder?«

Demian tastete sich an die Schulter, wo Blut durch seine Jacke sickerte. »Nicht schlimm«, sagte er mit einem müden Lächeln.

Aus Tonys Augenwinkel lief eine Träne.

Beim Anblick des Jungen spürte Demian, wie sich seine Sinne entspannten und tiefe Erleichterung ihn ergriff. Der Kleine lebte. Vorerst jedenfalls, besann er sich schnell wieder. Es war noch zu früh, um sich in Sicherheit zu wiegen. Das Fort war nicht weit entfernt und der Feind damit noch viel zu nah. Demian unterdrückte den Schmerz in seiner Schulter und sah sich um.

»Wir müssen nach Süden.« Er wies mit dem Kinn zum Bergkamm, wo weiter oben hinter einem Plateau ein schmaler Weg entlangführte. »Der Kampf hat mich viel Energie gekostet, deshalb kann ich mit dir erst mal nicht weitersleiten.« Er neigte den Kopf und schob Tony auffordernd zum ersten Felsabsatz. »Kannst du gut klettern?«

Unschlüssig kratzte Tony sich an der Nase.

»Meinst du, du schaffst es da rauf?«

Tony blickte erst zu dem hohen Felsen und dann zu Demian. »Wenn du dafür versprichst, dass du wieder gesund wirst?«

Demian lächelte erschöpft. »Na, das nenn ich doch einen Deal, Kumpel.« Er hielt Tony die Faust hin und nach einer Weile des Zögerns stieß Tony schließlich mit seiner dagegen.

Gerade wollte Demian sich in Bewegung setzen, als Tony die Hand in seine schob. Der Wächter schenkte dem Jungen einen erstaunten Blick.

Tony legte den Kopf in den Nacken und schaute zu ihm hoch. »Du bist mein Beschützer, stimmt’s?«

Die beiden sahen sich an und Demians loderndes Strahlen verwandelte sich beim Anblick des Kleinen in sanftes Schimmern. Er nickte.

Tony brauchte ein paar Sekunden, bis er Demians Sinn so richtig begriff. Aber dann ging ein Ruck durch seinen feingliedrigen Körper und er blinzelte wie eine Eule.

Lächelnd wies Demian den Jungen an, voranzuklettern. Falls Tony den Halt verlieren sollte, könnte er ihn so schnell genug auffangen. Er unterdrückte den Schmerz in seiner Schulter und folgte ihm.

Oben angekommen, stützte Tony schnaufend die Hände auf seine Knie. Demian presste die Zähne zusammen und verbiss sich den Schmerz in seiner Schulter, als hinter ihnen ein Klicken, wie das Laden eines Gewehrs, ertönte. Demian erstarrte.

Langsam, ganz langsam drehte er sich um. Und sah zwei Ostloduuner mit angelegten Gewehren. Seine Miene wurde steinern. Ihr Shanjas verriet, dass sie Wächterjäger waren. Eine von Taria eigens initiierte und zu Spürhunden ausgebildete Sondereinheit. Mit flirrendem Strahlen kamen die beiden näher. Ein Schreck durchzuckte Tony. Demian schob ihn hinter sich.

Als die beiden kurz vor ihnen stehen blieben, hoben sich die Mundwinkel des einen zu einem kalten unechten Lächeln.

»Taro.« Demian begrüßte ihn mit steifem Nicken.

Taro flimmerte mit den Augen. »Wir kennen uns?«

Ich kenne dich nur zu gut, ging es Demian durch den Kopf. Deine ausdruckslose Stimme, deine Augen, tot wie zwei ausgetrocknete Brunnen.

Tony klammerte sich an Demians Jacke.

»Ah, stimmt, du bist einer der Wächter«, sagte Taro. »Welch ein Glückstag, damit bist du heute schon der zweite.«

Der zweite? Demian kämpfte um die Stärke seiner bohrenden Strahlen, mit denen er Taro standhielt.

»Gib uns den Jungen!« Es kam wie ein Schlag.

Keine Antwort.

Taro packte seinen Hintermann und stieß ihn samt seinem Gewehr nach vorn.

»Zur Seite, Rebell! Oder Jok durchlöchert dich wie ein Sieb.«

Jok zielte auf Demians Kopf.

Demian beachtete ihn nicht. Durchdringend sah er Taro an. »Was du willst, ist mein Tod.«

Taro legte den Kopf in den Nacken und lachte eisig. »Aber zusätzlich freut Lokondra sich über jedes kleine Präsent.«

»Vorsicht!«

Da war etwas in Demians Stimme, etwas, das Tony wie ein Schauder den Rücken hinaufkroch. Tony wagte einen leichten Schritt zur Seite, als Demian ihn auch schon wieder hinter sich stieß. Aber was Tony gesehen hatte, ließ ihn frösteln und erstarren.

Aus Demians Augen stieg dunkler Rauch.

Taros Miene veränderte sich schlagartig, wurde eiskalt. Seine Worte waren schneidend. »Glaub nicht, du wärst im Ernstfall schneller als ich.«

Ein Knurren, wie eine Warnung, drang aus Demians Kehle und da hob auch Taro den Lauf seine Waffe leicht an. Diese Drohung ließ den Rauch aus Demians Augen jedoch nur noch dunkler werden. Jok wurde weiß und sein Grinsen verschwand, aber Taro schnalzte mit der Zunge. »Bedenke, dass die Schlacht noch nicht zu Ende ist. Skyto braucht dich noch.«

»Dieser Junge ist alles, wofür ich lebe.«

Da fiel ein Schuss.

Demian zuckte getroffen, aber er ließ weiter diesen schwarzen Nebel um sich herum aufsteigen, der das Licht verschluckte. Ein letztes Unheil verkündendes Knurren. Und es wurde finster.

Tony sah nichts mehr. Er sah nichts mehr und er verstand es nicht.

»Lauf«, keuchte Demian.

Dann hörte Tony einen zweiten Schuss, der dumpf an den Berghängen widerhallte und kurz darauf drang tief aus Demians Brust ein Stöhnen. Da begann Tony zu schreien. Er schrie und schrie und schrie und konnte gar nicht mehr aufhören.

»Lauf! Tony! Lauf! Du musst überleben!«

Erster Teil

 

 

 

Wärst du an meiner Stelle, du würdest anders denken.

 

Terenz

Andria, 2, 1

Kap

Vig

1
Drei Monate vorher …

 

 

Der Garten war wie ein Meer aus Farben. Rubinrot. Citringelb. Schneeweiß. Smaragdgrün. Rings um den Tulpenweg öffneten sich Knospen, die Blätter an den Rosenstöcken rollten sich grüppchenweise auseinander und schenkten uns Frühling. Nach dem harten Training eben hieß ich ihn erleichtert willkommen. Ich legte den Kopf in den Nacken, breitete die Arme aus und genoss den lauen Wind, der so weich über meine Wangen strich, als wäre er aus Watte. Die frische Luft tat gut. Blinzelnd reckte ich das Gesicht der Sonne entgegen, während sich die beiden Kuppelhälften über mir auseinanderschoben. Flugschiffe zogen am stahlblauen Himmel entlang. Keine Wolken.

»Mia«, erklang es hinter mir.

Ich ließ die Hände sinken. Skyto.

»Genug Pause. Wir machen weiter.« Sein harter außerirdischer Akzent war unverkennbar. Nur er konnte mit seiner dunklen Stimme jede Silbe so geschliffen scharf betonen. Wenn er so sprach, stellten sich mir noch heute die Nackenhaare auf, obwohl wir uns ausgesöhnt hatten. Ausgesöhnt – war das mit Skyto im herkömmlichen Sinne überhaupt möglich?

Nichtsdestotrotz war ich gerade mächtig genervt von seinem schonungslosen Ehrgeiz, mir unbedingt von der Pike auf beibringen zu wollen, wie ich mentale Angriffe vonseiten – wie soll ich es ausdrücken? – seiner Spezies, abwehren konnte. Heute hatte ich einfach nicht den Kopf dafür. In weniger als zwei Stunden würde ich meinen Dad sehen. Ich war schon ganz kribbelig. Seit er meine Mum und mich vor Jahren verlassen hatte und erst letzte Woche vollkommen unerwartet wieder aufgetaucht war, hatte er keine Zeit mehr gefunden, sich mit mir zu treffen. In der Wagenburg, in der er lebte, gab es existenzielle Probleme, derer er sich annehmen musste. Das war seine Entschuldigung gewesen. Worum auch immer es ging, mein Vater schien eine gewisse Verantwortung für die anderen Wagenburgler zu empfinden und war wohl für sie da, wenn sie ihn brauchten. Doch dazu später mehr.

Wenn ich so daran dachte, merkte ich, wie leiser Stolz auf ihn in meiner Brust hochstieg, auch wenn ich mir wünschte, er hätte für mich etwas mehr Zeit. Diesen bedrückenden Gedanken schob ich schnell fort, denn heute war es ja so weit. Heute stand unser großer gemeinsamer Tag bevor. Hoffentlich schraubte ich meine Erwartungen nicht zu hoch. Jetzt, nachdem er endlich wieder da war, hatten wir so viele Jahre miteinander nachzuholen.

»Können wir das Training für heute nicht beenden?«

»Nos IoR!« Das außerirdische Strahlen aus Skytos Augen bohrte sich in mein Gesicht. Mit einer geschmeidigen Bewegung schob er sich eine vorgefallene schwarze Haarsträhne aus der Stirn, wobei der flache eingefasste Stein an seinem Ring rot aufblitzte. Es war der Ring seiner Mutter, die vor seinen Augen von Lokondras Lakaien umgebracht worden war. Schlimmer noch, sie hatten ihn festgehalten und gezwungen, das Massaker an seinem Clan mitanzusehen.

»Mia, du musst es mehr wollen«, knurrte er. »Wenn du es nicht fertigbringst, deinen Geist vor Der Stimme zu verschließen, hat Lokondra leichtes Spiel mit dir.«

»Ich weiß«, seufzte ich, denn schließlich war ich nicht nur Iasons Sinn, sondern unglücklicherweise auch noch Lokondras. Gerade er, der Befehlshaber der ostloduunischen Armee, die Iason, meinen Iason, und Skyto, wie auch alle anderen südloduunischen Wächter bekämpfte. Mit dem Nachklang des Horrors im Gedächtnis erinnerte ich mich an Iasons Erzählungen darüber, wie Lokondra Hope, Ariel und viele andere loduunische Kinder in eigens für sie errichteten Lagern gequält hatte, und das, während man ihre Eltern abschlachtete, als wären sie Vieh.

Tja, und meine Wenigkeit war die große Unbekannte in dem ganzen Spiel, wie Iason einmal gesagt hatte. Blöd nur, dass ich selbst nicht wusste, wie und auf welche Weise. Eines aber war sicher: Lokondras Handlanger beziehungsweise seine Handlangerin hatte bestimmt nicht ihren letzten Versuch unternommen, mich zu steuern und mit mentaler Gewalt auf ihre Seite zu ziehen. Sie nannte sich Die Stimme, auch wenn sie sich lange Zeit als meine vermeintliche Freundin mit dem Namen Taria ausgegeben hatte – Hilfe, sie hatte sogar im Tulpenweg mit uns zusammengewohnt! – Und ja, ich glaubte zu wissen, dass Skyto es nur gut mit mir meinte. Inzwischen jedenfalls, auch wenn sich seine gnadenlose Strenge, mit der er mir dieses ganze mentale Zeugs beibrachte, alles andere als gut anfühlte.

»Aber es hat doch diesmal geklappt und du bist noch ein viel besserer Initiator als Taria, ähm, ich meine Die Stimme.«

Skyto zog eine Braue hoch. »Dass du mich abwehren konntest, lag wohl eher an deiner Sturheit als an deiner Konzentration oder gar irgendeinem Ansatz von Disziplin. Außerdem«, die eisige Ruhe, die ihn als Wächter ausmachte, kehrte in seine Stimme zurück, »war das hier noch ein Kinderspiel. Du lernst sehr langsam.«

Kinderspiel!? Also, ich ließ mir ja echt viel von ihm sagen, aber das nicht. Wir trainierten jetzt schon seit zwei Wochen, und ich hatte mich kein einziges Mal davor gedrückt, was nebenbei bemerkt dazu führte, dass ich jeden Abend, direkt nachdem ich den Kindern im Tulpenweg ihre Gutenachtgeschichte erzählt hatte, schlagskaputt selbst ins Bett fiel. Privatleben oder Feierabend waren für Skyto scheinbar Fremdwörter. Warum zur Hölle wollte dieses verbohrte Superhirn von einem Außerirdischen nicht begreifen, dass ich mich als Irdin unmöglich Stunde um Stunde konzentrieren konnte, bis meine Synapsen fast durchglühten? Ja, und außerdem war da noch die Verabredung mit meinem Dad, das wusste Skyto doch.

»Ist doch egal, warum und wie. Ich habe es geschafft, dich aus meinem Kopf zu halten. Und darum geht es, oder?«

»Dombuere! Verdammt!« Zu unvermittelt für mein Fassungsvermögen schnellte Skytos Hand nach vorn und packte mich an der Jacke. Er zog mich zu sich heran, bis sein Gesicht meinem fast so nah war, dass sich unsere Nasenspitzen berührten. »Bist du etwa so naiv zu glauben, dass Lokondra keine Mittel besitzt, um spielend leicht deinen Willen zu brechen?« Da war diese Warnung in seiner Stimme. Die Gewissheit in seinem Blick. »In so einer Lage hilft dir nur noch und zwar nur noch die Technik.«

Mit einem Ruck versuchte ich, mich aus dem stählernen Griff um mein Handgelenk zu befreien. Keine Chance. Regte sich da ein überhebliches Funkeln in seinen Augen?

»Ich kann das aber nicht!« Wütend sah ich ihn an. »Ich bin Irdin, schon vergessen?«

Mühelos übertrumpfte Skyto meinen Zorn mit seinem silbernen Flackern. »Das interessiert mich nicht. Du musst es können.«

Na super!

Skyto ließ mich los und seine ungehaltene Bewegung fand ruckzuck zu einer überirdisch kontrollierten Haltung zurück. Aber dann bemerkte ich, wie sich seine Oberarme anspannten, dort wo sein Armreif aus Krahja saß, das Zusammengehörigkeitssymbol der Wächter, das jeder von ihnen trug.

Gut, er hatte ja recht, aber was sollte ich denn, bitte schön, machen? Ich widerstand dem Drang, die Arme zu verschränken und zu streiken. Erstens, weil ich keine zwei mehr war, sondern achtzehn, und zweitens, weil ich mir dem Boss der Wächter gegenüber niemals eine solche Blöße geben würde. Und wenn er auch manchmal sauer auf mich war, die Zeiten, in denen er keine Achtung vor mir hatte, waren vorbei und das sollte auch gefälligst so bleiben. Ja, ich war Mia, Irdin, körperlich diesem finsteren Typen weit unterlegen, etwas schusselig und oft impulsiv, aber ich war ein für alle Mal nicht mehr Skytos Punchingball. Damit war endgültig Schluss!

In diesem Moment spürte ich mein Herz anders schlagen, ein angenehmes Wummern … es wurde lauter. Ich wusste, was es bedeutete … eigentlich war es gar nicht mein Herz … Es war Iasons, und das konnte nur heißen … dass er sich mir gerade von hinten näherte. Ich konnte ihn fühlen, ehe ich ihn sah. Fühlen, wie er direkt auf mich zukam.

Das Wummern wurde intensiver.

Wa Bum.

Wa Bum.

Und lauter.

Weil unsere Herzen miteinander verbunden waren.

Noch intensiver.

Denn was Iason fühlte, fühlte auch ich … und umgekehrt.

Ich spürte seinen Blick auf mir liegen, sein entwaffnendes Lächeln … er hatte diese geschmeidige Art zu gehen, während er sich, da war ich sicher, gerade beim Laufen auf seine ganz eigene charakteristische Weise durchs Haar fuhr. Stolz, aber nicht arrogant, eben überirdisch Iason.

Mann, Mann, daran würde ich mich nie gewöhnen. Ich wusste, er spürte mein inneres Kribbeln, und ich fühlte, wie sich in diesem Augenblick die ganze Kraft seines außerirdischen Blicks entfesselte. Ein blaues Strahlen, in dem ich mich sofort verlieren würde, sobald ich mich umdrehte. Mein Herz schlug jetzt in Lichtgeschwindigkeit. Er war fast bei mir. Überwältigt von dem Gefühl rührte ich mich nicht, merkte nur, wie sich durch seine Nähe ein wohliger Schauer über meinen Rücken zog. Jetzt stand er hinter mir.

Seine Hände legten sich an meine Hüften, während sein Atem mich an der empfindlichen Stelle unter meinem Ohr streifte und seine Fingerkuppen ganz leicht unter den Rand meines Tank Tops wanderten, zärtlich, aber auch selbstbewusst genug, um sich von Skytos glühendem Blick nicht einschüchtern zu lassen.

Nie hätte ich geglaubt, dass er so, ich meine so für mich empfinden könnte. Unsere Verbindung hatte uns tatsächlich noch weiter zusammenwachsen lassen. Ich spürte sein Herz gegen meinen Rücken schlagen, während er mich auf den Hals küsste. Seine Wange schmiegte sich an meine. Und da war es fast, als würden sich auch unsere Herzen aneinanderschmiegen.

»Lujko«, sagte er, was auf loduunisch einer Begrüßung wohl am nächsten kam, ich hörte diesen verführerischen Nachhall in seiner Stimme.

Ich drehte leicht den Kopf, sodass ich seine im gleißenden Sonnenlicht schimmernde Haut erkennen konnte, ein blauer Schimmer, der von seinem Shanjas über dem Schlüsselbein ausging. »Hi.«

Er schlug die Augen auf und sah mich an. Der Zauber, der von ihm ausging, würde für mich wahrscheinlich nie normal werden …

»Müsstest du nicht gerade an der Uni sein? Deswegen ist Skyto doch hier.«

»Eigentlich schon. Aber da meine irdischen Kommilitonen ein wenig hinterherhinken, ist mir etwas Besseres eingefallen, was sich mit diesem Tag anfangen ließe, als die dritte Stunde infolge diese lahme Relativitätstheorie durchzukauen.«

»Angeber.« Ich knuffte ihn in die Seite.

Iason grinste breit und etwas überheblich, wie ich fand. Aber wenigstens ging er im Gegensatz zu seinem besten Freund Finn überhaupt noch an die Uni. Der vergnügte sich nämlich lieber mit Lyra auf dem gegenüberliegenden Basketballplatz, wie auch heute Morgen. »Also, was steht denn heute auf deiner Planung, Galaxisman?«

»Ich wollte dich abholen und zur Wagenburg begleiten. Ich würde dann dort Hell besuchen, während du bei deinem Vater bist.« Er wusste also, wie aufgeregt ich wegen des Treffens mit David, meinem Dad, war. So, wie er all meine Gefühle erspüren konnte, seit wir unsere Emotionen mit dem loduunischen Kuss geteilt hatten. »Außerdem«, sagte er mit Blick zu Skyto, »wollte ich sicherstellen, dass unser Big Boss dich auch pünktlich gehen lässt.«

Wieder so ein Volltreffer.

»Tja«, sagte ich mit einer gehörigen Portion Oberwasser in der Stimme. Und genauso selbstsicher sah ich Skyto jetzt auch an, wobei ich mich mit den Daumen in Iasons Hände einhakte, die inzwischen verschränkt auf meinem Bauch lagen.

Skyto verengte die Augen, verkniff sich aber jeglichen Kommentar.

Auch Iason sah zu seinem Anführer hin. »Hat sie Fortschritte gemacht?«, erkundigte er sich ruhig und zuversichtlich. Nur ich, die ja seine Emotionen fühlen konnte, wusste: Iason war wirklich interessiert, aber aus naheliegenden Gründen auch amüsiert.

»Wie man es nimmt«, meinte Skyto.

»Sie macht es eben auf ihre Weise.«

»Dann bring deinen Sinn besser zur Vernunft.«

Kann man ein Schmunzeln spüren? »Da verlangst du Unmögliches, Skyto.«

Ich drehte mich zu Iason um und gab ihm demonstrativ einen Kuss, den er auf eine Weise erwiderte, die mein Herz fast ins All katapultierte. Irgendwo im Hintergrund hörte ich Skyto schnauben. Irdische Küsse mussten für ihn ebenso befremdlich sein wie meine ganze Art. Aber gerade machte es irgendwie Spaß, ihn damit zu necken und da es Iason scheinbar ebenso ging, hielt mich nichts zurück.

»Können wir?«, drang es durch die Zaunlatten.

Ich blickte an Iason vorbei. Was war da denn los? Um die Ecke des Torpfostens schaute … War das ein Pferdekopf!?

Iasons Miene nach zu schließen, ließ er mich nur ungern los, zeigte aber schließlich mit dem Daumen über seine Schulter. »Sie wollen dich auch zur Haltestelle begleiten.«

»Auf sie mit Gebrüll!«, erklang es da wie ein Schlachtruf. Und in der nächsten Sekunde stürmten sie auch schon um die Ecke. Was für ein Tohuwabohu. Eine kleine sechsjährige Prinzessin namens Hope, die mit großen Augen und einem rosa Blütenkranz auf dem Kopf beim Laufen immer wieder über ihr viel zu langes weißes Kleid stolperte. Luna im Feengewand, in der Hand wedelte sie einen selbst gebastelten Zauberstab. Und Silas, der, sein Plastikschwert schwingend, tatsächlich auf einem Pferd saß, das aus einem Pappkopf, mehreren Laken und vier Menschenfüßen bestand. Das Pferd aber hatte gravierende motorische Schwierigkeiten. Oder einfacher ausgedrückt: Der Kopf wollte etwas anderes als das Hinterteil, woraufhin der Hintern fluchte, weil er nicht folgen konnte. Und was war mit Tony, unserem fünfjährigen Glückskind? Gerade überhaupt nicht glücklich zockelte er dem ganzen Pulk mit einem viel zu großen Federhut hinterher, wobei er sich immer wieder das dicke Kissen vor seinem Bauch zurechtzupfte, weil es ihn beim Gehen zu stören schien. So, wie er guckte, lag die Vermutung nahe, dass jemand es gegen sein Einverständnis unter sein Wams gestopft hatte.

»Wer sind die denn?«, fragte ich bass erstaunt.

»Dornröschen und ihr Hofstaat«, weihte Iason mich ein. Seine Lippen näherten sich meiner Ohrmuschel, sodass nur ich seine nächsten Worte hören konnte. »Wenn sie dir peinlich sind, tun wir einfach so, als gehörten sie nicht zu uns.«

Ich musste lachen. Peinlich, ihm vielleicht, nein, diese Bande waren definitiv meine – aus den verschiedensten Winkeln des Universums zusammengewürfelten – Lieblinge dieser Welt.

Finn und Lyra kamen vom Sportplatz nebenan, um das Spektakel mit eigenen Augen zu sehen. Hinter ihnen beschwerte sich der irdische Teil der Mannschaft lauthals, weil sie sie mitten im Spiel im Stich ließen. Aber die beiden schenkten dem Team keine Beachtung mehr. Lyras Augen wurden ziemlich groß, als sie neben mir stehen blieb. »Wie haben deine Freunde unsere Kinder beeinflusst, Mia!« Lyra schielte unsicher zu ihrem Anführer oder Leader, wie sie ihn nannten. »Skyto, flipp jetzt bitte nicht aus. Bleib ruhig. Atme tief ein. Das lässt sich bestimmt wieder hinbiegen.«

Mist! Skyto hatte ich in dem ganzen Trubel ja total vergessen. Ich warf dem Oberhaupt der Wächter einen vorsichtigen Blick zu.

Das Pferd wurde unterdessen immer länger, bis eine Hand aus dem Bauch langte, um den Po nachzuholen. »Du bist zu langsam, Greta«, zischte der Kopf. Silas drohte einzubrechen und schaffte es in letzter Sekunde, gerade noch abzuspringen. Der Hintern geriet daraufhin ins Stolpern und ließ einen unterdrückten Schrei los.

Finn verschränkte interessiert die Arme vor der Brust. »Ich wusste gar nicht, dass irdische Pferde aus dem Hintern wiehern.«

Da schoss Gretas Kopf unter dem Laken hervor. »Du da! Baltzgockel!« Ihr pauswangiges Gesicht zitterte vor Anstrengung und Wut. »Schnauze oder ich spiel Sandsack mit dir!«

Brüderlich und furchtlos legte Iason den Arm um sie. Er drückte ihre Schulter. »Ach Gretchen, reg dich doch nicht immer gleich so auf. Jetzt erzähl doch mal, war das eben Kuh-Yoga oder was?«

Greta stieß ihn rüde von sich. »Wer will dich überhaupt hier, Chauvi?«

Iason setzte ein breites Grinsen auf und deutete seitlich zu mir. »Ich kann es selbst nicht fassen, aber sie.«

»Kann mir vielleicht mal jemand helfen?« Das war Lena, die vergeblich versuchte, den Pferdekopf von ihrem Oberkörper zu hieven. »Puh, ist das stickig da drunter.«

Barbara war sofort zur Stelle.

Ich entschied mich, die drei links liegen zu lassen, und wandte mich Tony zu. »Hey, du Erbse!« Prüfend strich ich ihm über die Wange. »Warum sind denn da so rote Striemen draufgeschminkt?« Ich zerrieb die Farbe zwischen meinen Fingern.

Etwas unschlüssig kratzte sich der Kleine an der Nase. Er wollte wohl nicht petzen. Aber dann senkte er sichtlich gekränkt die Hand. »Silas hat gesagt, dass ich den Küchenjungen spielen soll. Du weißt schon, den, der die Ohrfeige kriegt.« Er holte Schwung mit dem Arm und stampfte kräftig mit dem Fuß auf. »Stell dir mal vor, er hatte vor, mir richtig eine zu kleben! Aber das wollte ich nicht!«

Silas lachte. »War doch nur ein Spaß.«

»Blöder Spaß«, schmollte Tony.

»Du darfst mir nicht immer alles glauben.« Silas hielt die Hand hoch, um Tony zur Give me five-Geste einzuladen. Tony überlegte einen Moment, dann aber hellte sich seine Miene schlagartig wieder auf und er schlug ein. »Na gut«, kicherte er.

Tja, so war unser Tony. Im wahrsten Sinne – und ich meine das wörtlich – ein Glückskind, das niemandem lange böse sein konnte.

»Und du bist der Prinz?«, fragte ich Silas.

Er warf sich in die Brust und hob das Schwert. »Yep.«

Tony legte den Kopf weit in den Nacken, um halbwegs unter der Hutkrempe hervorlinsen zu können. »Wir möchten dir Glück schenken, weil du doch so einen aufregenden Tag vor dir hast.«

Ich schmolz nur so dahin und ging vor dem Kleinen in die Hocke. »Das ist aber lieb von euch«, sagte ich und kniff ihm zärtlich in die Wange.

Okay, es mag vielleicht nicht jedem nachvollziehbar erscheinen, dass meine Freunde und meine Schützlinge aus dem Tulpenweg im wahrsten Sinne des Wortes so ein Theater veranstalteten, nur weil ich heute mal meinen Dad traf, aber in der letzten Woche hatte jeder von ihnen, ich betone jeder, ertragen müssen, wie sehr ich neben der Spur war. Noch schusseliger als sonst. Die Hälfte des Tages hatte ich Löcher in die Wand gestarrt und so ziemlich die andere Hälfte kämpfte ich gegen den steinharten Klumpen in meiner Magengegend, weil mein Vater nach so langer Abwesenheit die ganze letzte Woche keine Zeit für mich gefunden hatte. Egal was da in der Wagenburg los war, ich müsste lügen, wenn ich behaupten würde, dass mir seine Prioritätensetzung nichts ausmachte. Aber ich wollte unserer ersten richtigen Verabredung nicht mit diesem bitteren Beigeschmack begegnen und zwang mich daher, meinen Frust herunterzuschlucken.

»Mia?«, fragte Silas, wie immer darum bemüht, die logischen Zusammenhänge des Lebens zu ergründen. Er war auf jeden Fall das loduunischste Kind im Tulpenweg, wenn sich das überhaupt so sagen lässt. »Wie ist es eigentlich, wenn man seinen Papa nicht kennt?«

Um ehrlich zu sein, wusste ich nicht genau, was ich darauf antworten sollte. Zum Glück sprang Lena für mich ein. »Mia kennt ihren Papa doch, sie hat ihn nur sehr lange nicht gesehen. Und jetzt treffen sie sich wieder.«

Hope zupfte mich am Jeansbein. »Du hast großes Glück, weißt du? Ich würde meine Mama auch gern wiedertreffen.«

Aber das ging leider nicht. Hopes Mutter war kurz nach ihrer Geburt gestorben. Genau wie es auch dem kleinen Mädchen vorausgesagt wurde, war der Sinn ihrer Mutter gewesen, eine bestimmte Anzahl Kinder zur Welt zu bringen. Und wenn sich der Sinn im Leben eines Loduuners erfüllt hat, stirbt er.

Was mir als Irdin senkrecht die Fußnägel nach oben steigen ließ, war für meine Loduuner der ganz normale Weg, mehr noch, sie wollten es gar nicht anders. – Bis auf Iason vielleicht, der sich durch sein Leben mit mir hier auf der Erde irgendwie verändert hatte. Und auch wenn unsere Liebe ihn in den letzten Monaten stark verwirrt hatte, schwor er, sich kurz vor seiner Geburt mich als seinen Sinn ausgesucht zu haben, sei die beste Idee gewesen, die ihm jemals gekommen sei. Bizarr irgendwie, wenn ich unsere Beziehung bisher betrachtete. Na ja, zumindest erweiterten wir gegenseitig unseren Horizont und meine gesamte Geschichte würde mich auch Lügen strafen, wenn ich behaupten wollte, dass ich keine tiefe Verbundenheit mit den Loduunern aus dem Tulpenweg empfand, egal, wie anders sie waren.

»Wenn ich meinen Papa sehe, gebe ich ihm erst mal einen dicken Kuss«, holte Tonys Stimme mich aus den Gedanken zurück. Die anderen Kinder nickten. Hope presste die Lippen aufeinander.

Hoffentlich könnten die Kleinen bald wieder nach Hause auf ihren Planeten zurück. Dort würde Hope wenigstens ihren Vater wiedersehen. Vorausgesetzt, dass er den Krieg überlebte. Von dem ständigen Hoffen und Bangen um ihre Angehörigen konnte sie keiner erlösen, weder Bert, ihr irdischer Hauspapa, noch Frank oder ich, die nach der Schule im Tulpenweg aushalfen. Egal wie fürsorglich Bert sich bemühte, ihnen in der alten, gelb getünchten Villa mit den weißen Klappläden ein gemütliches Zuhause auf der Erde zu schaffen.

»Ach, Hopi.« Tony wollte sie tröstend in die Arme schließen, aber das Kissen vor seinem Bauch gestaltete die Umsetzung seines Vorhabens äußerst kompliziert. Als er ihr dann auch noch mit seiner Hutkrempe ins Gesicht stieß, blieb Hope nichts anderes übrig als zurückzuweichen. Iason streichelte seiner Schwester über den Kopf. Auch die Gesichter der anderen wurden jetzt mit einem Schlag ernst.

»Was haltet ihr davon, wenn wir morgen nach der Schule und der Uni alle Ariel besuchen?«, schlug ich vor. Wenn es im Tulpenweg Probleme gab, rückten wir immer zusammen. Und Ariel war ein Teil von uns, auch wenn er momentan nicht bei uns wohnte.

»Kann nicht«, entschuldigte sich Luna. »Finn und ich wollen gleich in die Eissporthalle, wenn er wiederkommt.«

Und Silas, der gerade elf geworden war, wollte zusehen.

»Ich möchte zu Ariel«, schniefte Hope.

Zärtlich stupste ich sie auf die Nase. »Iason und ich gehen mit dir hin.«

»Aber du denkst schon daran, dass wir uns morgen um fünf treffen wollen?«, schaltete sich Lena dazwischen.

Treffen?

Das Kleid für die Verbindungsfeier, schoss es mir dann wieder in den Kopf. Oh Mann, das hatte ich ja total verdrängt. Nicht dass Iasons und meine endlich bevorstehende Verbindung kein Grund zum Feiern war, das ganz bestimmt, und es ging auch nicht um das Fest, das wünschte ich mir mehr als jeder andere, es war eher das Drumherum. Wäre es nach mir gegangen, hätten wir ruhig im Tulpenweg eine schöne Grillparty machen können – meinetwegen auch mit viel Gemüse und so, aber dieses Ambiente fanden weder meine Mum oder meine Freundinnen, noch Lyra und auch Luna adäquat oder schmuck genug. Schmuck, wenn ich dieses Wort schon höre. Ehrlich gesagt, fand ich diesen ganzen Aufwand völlig übertrieben. Wir hätten im Garten einfach ein kleines Festzelt aufgebaut und alles wäre gut gewesen. Aber nein, der weibliche Kreis um mich herum war so besessen von der Idee, das Fest in gebührendem Rahmen stattfinden zu lassen, dass er meinen bescheidenen Vorschlag in regelrechtes Buchstabenkonfetti zerfetzte. Bis auf Greta, versteht sich. Und als Iason dann auch noch in das gleiche Horn blies, konnte ich dem nichts mehr entgegensetzen. Also wurde beschlossen, die Party auf einer sublimierten Burgruine stattfinden zu lassen, die inzwischen zu einer Oper umgebaut worden war.

Na von mir aus, wenn den anderen so viel daran lag. Die Oper befand sich in der Nähe des Hooberstanks, einem alten Frachtschiff, das zu Demonstrationszwecken sowie als Ausflugs- und Touristenziel diente. Es lag in Schräglage im Meer – so als hätte es einen Tankunfall gehabt – und war ein Mahnmal für die Unvernunft der Menschen früher. Dass sie solche Teile damals überhaupt auf unseren wertvollen Meeren fahren ließen! Unvorstellbar! Na ja, jedenfalls sollte in dieser besagten Oper dahinter das Fest für Iasons und meine Verbindung stattfinden, wie es die loduunische Tradition verlangt.

Lena verengte die Augen. »Hab ich’s mir doch gedacht. Du hast es verdrängt.«

»Nein, nein, natürlich nicht.« Ich lachte meine Verlegenheit fort. »Treffen wir uns morgen um fünf.«

Sie grinste. »Übrigens haben wir dem Kind einen neuen Namen gegeben.«

»Warum?«

»Weil das voll steif klingt.« Sie malte Anführungszeichen in die Luft. »Verbindungsfeier«, versuchte sie mir die Sache schmackhaft zu machen. »Irdin trifft Loduuner. Genial, oder? Wir feiern einfach ein Halb-halb-Fest, vorausgesetzt du und Iason seid einverstanden, natürlich.«

Ich lachte. »Mädels, ihr seid verrückt! Aber cool!«

Auch Iason nickte und die Mädchen um uns herum wirkten sehr zufrieden, sogar Hope kicherte jetzt wieder.

Lyra stieß mit der Hüfte in meine Seite. »Und freust du dich schon? Wir beraten dich dann beim Kleid.«

Ich schluckte bei der Erinnerung an den letzten Einkaufsbummel mit ihr. In Geschmacksfragen waren wir wirklich um Planeten voneinander entfernt.

»Keep cool«, wiegelte Greta ab. »Ich bin ja dabei.«

»Sei du mal lieber still«, lachte Finn. »Du kriegst nämlich auch eins verpasst.«

»Von dir?«, fuhr Greta ihn sofort an.

Finn, vom Clan der Besonnenen, hob beschwichtigend die Hände und trat einen Schritt zurück.

»Ein Kleid?«, wisperte Greta und ihre Miene machte eine extreme Wandlung durch, von brummig zu erschrocken, so sah es aus. Sie schluckte. »Wer will das?«

»Du hast ja wohl nicht vor, im Blaumann hinzugehen?«, outete sich Lyra empört.

Greta schielte hinab zu ihrer Hosenlatztasche. »Nee«, stammelte sie, »aber ich dachte an so was wie Jeans und Bluse – oder so«, schob sie noch hinterher, als Barbara und Lena sie streng ansahen.

Die Arme hatte mein ganzes Mitgefühl. Aber so wie die anderen guckten, konnte wohl nur ich sie verstehen.

Lyra nahm es gelassen. »Wir suchen einfach morgen für euch beide was Schickes aus.«

So einfach würde das bestimmt nicht werden.

»Bitte probier wenigstens mal einen Rock an. Tu es für mich«, bettelte Barbara, sie wusste genau, wenn Greta einem diesen Gefallen tat, dann ihr. Und genau so war es auch.

Greta schluckte und meinte mit dünner Stimme: »Wenn wir uns jetzt nicht auf den Weg machen, verpasst Mia das Flugschiff.«

Also verabschiedeten wir uns von Skyto, Finn und Lyra, und machten uns auf den Weg zur Haltestelle. Die Pferdeteile krabbelten wieder in Kopf und Hintern, und weil Hope noch immer alle Mühe mit ihrem viel zu langen Kleid hatte, setzte Iason sie mit der Erklärung auf den falschen Klepper, ein Prinz müsse in so einem Fall immer laufen. Silas nahm Iasons Entscheidung murrend und damit sehr unritterlich, wie Iason ihn tadelte, hin. Richtig empört aber war er, als auch noch der Küchenjunge hinter Prinzessin Hope aufsitzen durfte.

Vig

2

 

 

Die Wagenburg, oder der Ort der Aussteiger, wie sie von uns Stadtbewohnern auch genannt wurde, lag etwas abseits der Kuppel am Meer zwischen den Dünen. Da sie ungeschützt vor Wind und Wetter in der prallen Sonne stand, beschatteten die Bewohner ihre Caravans mit ausgebleichten und teilweise äußerst zerschlissenen Leinen oder Kunststoffsegeln.

Eine Weile noch verharrte ich auf der Düne und blickte auf die Bauwagen hinab. Iason stand neben mir.

Eigentlich wollte ich ihn dieser Situation nur ungern aussetzen. »Magst du vielleicht außenrum zu Hell gehen?«

Iason sah mich eine Weile lang an. »Es geht hier nicht um mich, es geht um dich.« Sein Strahlen hüllte mich in schimmerndes Blau. »Außerdem hat dein Dad recht, wenn er sich einen anderen Umgang für seine Tochter wünscht.«

»Hallo! Da habe ich ja wohl auch noch ein Wörtchen mitzureden. Außerdem sollte er lieber den Mund halten, er hat sich schließlich jahrelang verdünnisiert. Du bist geblieben, egal wie schwer es für uns war.«

Statt einer Antwort spiegelten sich die unterschiedlichsten Gefühle in seinem Gesicht wider. Ich wusste, er würde sich nie verzeihen, dass ich letzten Winter um ein Haar seinen außerirdischen Kräften zum Opfer gefallen wäre. Und wäre da nicht sein Sinn, mich zu beschützen, hätte er aus Angst, er könnte mir noch einmal derart gefährlich werden, jetzt garantiert nicht hier an meiner Seite gestanden.

»Das warst nicht du!« Ich legte meine Hand an seine Wange. »Du hättest niemals deinen Schattenblick auf mich gerichtet.«

»Aber er hätte dich um ein Haar umgebracht, nur das zählt«, sagte er, während in seinen traurigen Augen seine ganze Liebe aufschien. »Ich werde mir das nie verzeihen. Wenn Finn nicht dazwischengegangen wäre, dann …«

»Er ist aber dazwischengegangen«, stoppte ich ihn, »hörst du, er war da. Und das ist, was uns stärker macht als Lokondras Armee. Unser Zusammenhalt. Iason, du konntest nicht wissen, dass Die Stimme dich auf so schäbige Art missbraucht.«

Die Fäuste in den Hosentaschen vergraben, bohrte er mit der Schuhspitze im Sand.

Ich legte meine Hand an seine Wange. »Du bist das Beste, was mir in meinem ganzen Leben passiert ist, okay?«

Mit einem Flimmern in den Augen hob er den Kopf. »Können wir jetzt los?«

Ich guckte streng. »Du lenkst ab.«

Er schob sich dicht vor mich, so nah, dass sich unsere Nasen beinahe berührten, und verneinte mit einer langsamen Kopfbewegung. »Nein, du lenkst gerade ganz schön ab. Und zwar, weil du Angst vor dem Treffen mit deinem Dad hast. Noch mal, das hier ist nicht mein, sondern dein Moment. Könntest du das jetzt bitte mal in deinen sturen Schädel kriegen, Miss Ich-kümmere-mich-um-alle-nur-nicht-um-mich-selbst. Oder muss ich dich erst an den Füßen nehmen und mit dem Kopf ins Wasser stecken, damit du ein Mal tust, was ich dir sage?«

Ich wich einen Schritt zurück. Eine reine Vorsichtsmaßnahme. Bei Iason wusste man nie so genau. »Das wagst du nicht«, sagte ich und drohte mit allem, was ich an Gestik und Mimik zu bieten hatte.

Er legte auf höchst außerirdische Weise den Kopf schief. »Andere Sterne, andere Sitten, oder?«

Und im nächsten Moment hatte er mich auch schon wie einen Sack über seine Schultern geworfen.

»Iason Santo! Lass mich sofort runter!«

Lachend drehte er sich im Kreis. Ich trommelte auf seinem Rücken herum. Und dann lief er mit mir im Gepäck aufs Meer zu. Er würde doch nicht etwa … Nein, Hilfe! Iason wurde schneller. Ich hatte keine Chance.

»Sag, dass du heute nur an dich denkst«, rief er mir durch den Wind zu.

»Sag ich nicht!«

»Störrisches Irdenweib!«

Die Brandung wurde lauter. Ich trommelte noch wilder. Und dann sah ich das Weißwasser unter mir.

»Hmmm, wie angenehm frisch. Ich verstehe gar nicht, dass ihr Irden keine Kälte mögt.«

»Ich mach’s«, kreischte ich. »Ich mach’s und du bist mir heute total egal.«

Iason wurde langsamer, lief auf den Strand zurück und stellte mich sehr zufrieden wieder auf die Füße.

»Na siehst du, geht doch.«

»Das war miese fiese Erpressung.«

Mit einer anmutigen, selbstsicheren Bewegung kam er auf mich zu und führte meine Hand an seine Lippen. »Alles, was nötig ist.« Das schelmische Funkeln in seinen Augen sprach hierbei eine eigene Sprache.

Ich wollte ihm einen kräftigen Schubs versetzen, aber als ich erkannte, dass wir inzwischen keine dreißig Meter mehr von der Wagenburg entfernt waren, wurde es ganz still in mir. Ich versuchte, meine aufkommenden Empfindungen mit einem Lächeln wegzukämpfen, aber ich konnte Iason nichts mehr vormachen. Ermutigend drückte er meine Hand und wir setzten uns nahezu zeitgleich in Bewegung.

Wir erreichten die ersten beiden Wagen. Heruntergekommene Quader aus Blech, von deren Wandpaneelen graue Farbe abblätterte. Als wir uns ihnen näherten, tauchte ein Mädchen, ich schätzte sie auf etwa sechs, in zerschlissenem Trägerkleid dazwischen auf. Rufend und mit den Armen wedelnd, lief sie barfuß einem dreibeinigen weiß und braun gefleckten Hund hinterher, der mit hängender Zunge genau auf uns zuhechelte.

»Benno«, rief die Kleine im Eilschritt, blieb aber stehen, als sie uns sah. Überrascht ging ich vor dem Hund in die Hocke und kraulte ihn am Genick. Er streckte genüsslich den Hals.

»Oh Mann, ich kann es kaum glauben. Das ist der erste …« Ich stockte und eine ungewollte Erinnerung holte mich ein. Nein, es war nicht der erste Hund, dem ich begegnete. Damals im alten Bootsschuppen hatte Iason einem Hund mit seinem Schattenblick versehentlich das Leben genommen, versehentlich, weil der kleine Streuner sich hinter mir versteckt hatte. Eine erschütternde Erkenntnis, wie brandgefährlich Iasons Gabe in diesem Augenblick für mich gewesen war. Und eine noch viel bitterere Ermahnung, dass sich mit dem Schicksal, mit unserem Schicksal, nicht taktieren ließ.

Dieser Hund aber hüpfte quicklebendig um mich herum und drückte sich an meine Beine, damit ich ihn weiter kraulte. Dem Mädchen passte das augenscheinlich gar nicht. Als die Eifersucht sogar über ihr Misstrauen siegte, kam sie näher und zog den Hund an seinem Halstuch mit sich.

Ich ergriff die Gelegenheit. »Weißt du, wo David Wiedemann ist?«

»Keine Ahnung.« Sie musterte uns feindlich. »Seid ihr von der Regierung?«

»Nein«, ich versuchte es mit einem Lächeln. »Ich bin seine Tochter.«

Sofort hellte sich die Miene des Mädchens auf. »Ach sooo«, sagte sie gedehnt, was ihre gesamte Erleichterung preisgab.

Iason und ich wechselten Blicke. Was war hier los?

Die Kleine wischte sich schniefend unter ihrer dreckverschmierten Nase entlang, ehe sie eine ausladende Armbewegung machte. »Kommt mit, ich bringe euch ins Lager.«

Das Lager, wie die Bewohner der Wagenburg den Platz nannten, um den ihre Behausungen standen, wirkte etwas aufgeräumter und gepflegter, als ich es nach meinem anfänglichen Eindruck erwartet hätte. Sogar hier gab es also noch eine Hierarchie, dachte ich mir im Stillen, nur dass sie sich anders gestaltete, als wir es unter der Kuppel gewohnt waren. In der Mitte lebten die Bessersituierten, wenn man davon überhaupt sprechen konnte, und die noch Ärmeren am Rand, genau umgekehrt also. Aber dieser Gedanke kam mir nur flüchtig, vielmehr beschäftigte mich die Frage, wieso mein Vater dieses raue und spröde Dasein einem Leben mit meiner Mum und mir unter der Kuppel vorzog? Ich meine, hätten die beiden gravierende Eheprobleme oder dergleichen gehabt, wäre das wenigstens ein Anhaltspunkt. Aber immer, wenn ich meine Mum nach dem Warum fragte, beteuerte sie, dass sie sich nicht besser oder schlechter verstanden hätten als andere Paare. Und damit galt also bis heute die Erklärung, die mein Vater uns vor seinem Auszug geliefert hatte, nämlich dass er es einfach nicht mehr ausgehalten habe, unter der Kuppel eingesperrt zu sein. Er wollte unter freiem Himmel leben.

Hier? Ich schaute mich um.

In diesem Moment erschien er in Jeans und beigem Leinenhemd auf der oberen Stufe eines braunen Caravans. Das dunkle Haar hatte er im Nacken zusammengebunden. Die Jahre und sein Leben in der rauen Natur hatten Linien in seine früher so feinen Gesichtszüge gezeichnet, was ihn zwar deutlich ernster, aber auf angenehme Weise auch väterlicher wirken ließ.

»Mia!« Er kam die Stufen hinab. Sein Lächeln war mir aus meiner Kindheit so vertraut, dass es etwas in mir löste. Ich lief quer über den Platz zu ihm und fiel ihm in die Arme. Wir drückten uns.

»Schön, dass du hier bist«, wisperte er in mein Haar.

Iason, der inzwischen auch näher gekommen war, räusperte sich hinter vorgehaltener Hand.

»Es freut mich, Sie wiederzusehen, Herr Wiedemann.« Erst da hob mein Vater den Kopf. Iasons Tonfall war von ausgesuchter Höflichkeit. Mein Vater hingegen begrüßte ihn lediglich mit einem angedeuteten Nicken. Obwohl Iason keine Miene verzog, schickten mir seine Gefühle ein scharfes Brennen in die Brust, das verriet, wie viel ihm die Ablehnung meines Vaters ausmachte, gerade er legte doch so viel Wert auf Tradition und Familie. Und mir wurde wieder einmal bewusst, wie geschickt Iason es verstand, seine Gefühle zu verstecken. Denn auch, wenn er meinem Vater mit geradem Rücken gegenüberstand, wünschte er sich doch andere Voraussetzungen für diese Begegnung. Von wegen, Loduuner dachten ausnahmslos rational. Das glaubten sie vielleicht. Ich fühlte Iasons Hass auf sich selbst und hielt es kaum aus.

»Ich sollte dann mal gehen«, sagte er, bemüht um ein Lächeln. Und als er sich, ohne großes Aufsehen zu erregen, einfach so davonstehlen wollte, griff ich nach seiner Hand.

»Nicht so«, flüsterte ich und er drehte sich noch einmal zu mir um.

Iason betrachtete mich mit ungewohnt defensivem Blick. Sein Schmerz und seine Zuneigung glitzerten in seinen sturmgrauen Augen – wie ein Meer voller Diamanten – und er verabschiedete sich mit einem Kuss, nicht auf meinen Mund, sondern auf meine Wange. Er wollte wohl nicht noch Öl ins Feuer gießen. Mein Vater verfolgte unsere Berührung mit einem Stirnrunzeln.

Ich fühlte mich wie zerrissen, denn ich konnte sie irgendwie beide verstehen. Dann verschwand Iason zwischen den Caravans. Und mit ihm ging auch mein Gefühl von Sicherheit. Absurd, aber genau so war es.

Ich zog die Ärmel über meine Hände und schlug verlegen mit den Handballen gegeneinander, so wie ich es immer tat, wenn ich nicht genau wusste, wie es jetzt weiterging. Komisches Gefühl, wenn jemand, der dir eigentlich am vertrautesten sein sollte, dir irgendwie fremd vorkommt.

In diesem Moment erschien ein Mädchen, das vielleicht Anfang zwanzig war. Sie mühte sich mit einem Kinderwagen ab, dessen Räder blockierten, weil sie so tief in den Sand eingesunken waren. Im Wagen lag ein schreiender Säugling. Mein Dad – oder sollte ich ihn lieber David nennen? – kam ihr zu Hilfe.

Was sie redeten, hörte ich wegen der im Wind flatternden Sonnensegel nicht, aber das Mädchen nickte dankbar, streifte den heruntergerutschten Träger ihres pinken Tops zurück auf die Schulter und nahm das Baby aus dem Wagen, damit David diesen bis zum benachbarten Caravan tragen konnte, wo er ihn dann auch gleich die Stiegen hinaufhievte.

Er sagte mit erhobener Hand »Auf Wiedersehen«. Beim Vorbeigehen gab sie ihm einen flüchtigen Kuss auf die Wange, was mich doch ein bisschen wunderte. Dann schloss sich die Tür des Caravans und er kam zu mir zurück. Die Sonne blendete so sehr, dass ich meine Augen beschatten musste, um zu ihm hochzuschauen.

»Ähm, weiß ich da vielleicht was nicht?«

»Was sollst du nicht wissen?«

Irritation breitete sich zwischen uns aus – wie eine kleine Wolke an diesem sonnigen Frühlingstag. Dann begriff er und eine verlegene Lachsalve brach aus ihm heraus.

»Ach so, du dachtest …« Er deutete flüchtig über seine Schulter zu dem Wagen des Mädchens hin. »Nein, Maddi und ich sind kein Paar«, seine Stimme wurde eine Tonlage tiefer und bekam damit mehr Nachdruck, »und du hast auch keine Geschwister, falls du das denken solltest.«

Das wäre zumindest eine Erklärung gewesen, warum er sich gegen ein Leben mit uns unter der Kuppel entschieden hatte, dachte ich.

Wieder waren wir um Worte verlegen.

Verhalten blickte David sich um. »Ein Café gibt es hier nicht, wir können also entweder in meinen Caravan gehen oder einen Spaziergang am Strand machen. Du entscheidest.«

»Tja«, ich wusste nicht so recht, »ich glaube, ich möchte wissen, wie du wohnst und so.«

»Na, dann!« Da war es wieder, dieses vertraute Lächeln aus meiner Kindheit und mir wurde gleich leichter ums Herz. Mein Vater öffnete die Tür zu seinem Caravan und bedeutete mir mit einer höflichen Geste einzutreten.

Im Inneren des Wagens war es ziemlich heiß und stickig. Kein Wunder, die Sonne prallte schließlich ungeschützt auf das verchromte Blechdach, auf dem eine riesige Antenne thronte. Wofür die wohl war? Ich schaute mich um, während mein Dad einen Stapel Kleider von einer kleinen Sitzbank vorm Fenster nahm und sie in den Schrank daneben verstaute. Auch sonst war es hier nicht gerade gemütlich. Überall standen Geräte und Messinstrumente herum, die er als Geologe bestimmt für seine Arbeit benötigte.

»Setz dich doch.« Er deutete auf den freigeräumten Platz und machte sich daran, in einer kleinen Teeküche eine Kanne mit abgebrochener Tülle auszuspülen.

»Diese Instrumente«, startete ich den zaghaften Versuch einer Unterhaltung. »Woran arbeitest du im Moment eigentlich?«

Er setzte Wasser auf. »An einem Projekt zur Regenerierung der Ozonschicht.«

»Spannend.«

»Hmhm«, machte mein Vater.

Verdammt. Wir wollten einfach nicht ins Gespräch kommen.

Ich sank mit der Schulter gegen die Wand und zeichnete Kreise an das Fenster, das vom Wasserdampf beschlagen war. Es kam mir vor, als würde er einer Unterhaltung regelrecht aus dem Weg gehen.

»Dieser Iason«, setzte er schließlich an. »Weiß deine Mutter, wer er genau ist?«

Glücklicherweise wisst ihr das beide nicht genau, dachte ich im Stillen und richtete mich wieder gerade auf. »Er ist nicht so, wie du denkst. Ich habe dir doch letzte Woche schon erklärt, dass du ihn zu einem ziemlich ungünstigen Zeitpunkt kennengelernt hast. Er war da … eben einfach nicht er selbst.« Ich setzte kurz ab. Als David aber nichts sagte, schob ich nach: »Wir machen alle mal Fehler, oder nicht?«

Auch darauf bekam ich keine Antwort.

Der Tee war inzwischen aufgebrüht. Mein Vater holte zwei Tassen aus dem Schrank über der Spüle, schenkte uns ein und setzte sich damit zu mir an den Tisch. »Um ehrlich zu sein, mache ich mir da aber schon so meine Gedanken.«

Er saß neben mir und war trotzdem so weit weg.

»Sag mal, überspringst du da nicht einen Schritt?« Zu weit weg! Du bist mir noch immer zu weit weg!

»Wie meinst du das?«

»Na ja, sollten wir nicht erst mal über uns reden? Warum du dich die letzten zehn Jahre nicht gemeldet hast … und so? Stattdessen willst du mir gleich den Freund verbieten.«

Für einen kurzen Moment straffte er den Rücken und sog scharf Luft durch die Zähne ein. Er versuchte es damit zu überspielen, dass er mir den Zucker reichte, aber da ich gerade jede seiner Regungen wie ein Schwamm aufnahm, war mir nicht entgangen, wie er auf meine klaren Worte reagiert hatte.

»Ich möchte ihn dir nicht verbieten, Mia.« Er beugte sich zu mir vor. »Ob du es glaubst oder nicht, bevor Iason Hell verschleppt hat, habe ich auch seine andere Seite gesehen, bestimmt die Seite, die du so an ihm liebst.«

Fragend guckte ich ihn an.