Buchinfo

Auf der Insel Bonesdale herrscht eine angespannte Stimmung. Seit die Menschen auf Lilith Parker und ihr Nachtvolk aufmerksam geworden sind, strömen aus der ganzen Welt Nocturi herbei, um bei ihrer Anführerin Schutz zu suchen. Doch es scheint nur eine Frage der Zeit zu sein, bis sie entdeckt werden – sei es von den Menschen, den Dämonenjägern oder den Vampiren. Aber auch Strychnins Gesundheitszustand und die drei Amulette, die sich nun in Bonesdale befinden, bereiten Lilith große Sorgen. Wenigstens steht ihr Freund Matt ihr hilfreich zur Seite. Doch wie schön wäre es, wenn sie ihm ihren ersten Kuss schenken könnte …

Autorenvita

© Terzo Algeri

Janine Wilk wurde am 07.07.1977 als Kind eines Musikers und einer Malerin in Mühlacker geboren. Schon von Kindesbeinen an war die Literatur sehr wichtig für sie, mit elf Jahren schrieb sie ihre ersten Geschichten. Mit Anfang zwanzig begann sie mit der Arbeit an ihrem ersten Buch und schon bald folgten die ersten Veröffentlichungen im Bereich Lyrik und Kurzprosa. Janine Wilk lebt mit ihrem Mann und ihren zwei Kindern in der Nähe von Heilbronn.

http://www.janine-wilk.de

Janine Wilk

Planet Girl

Für meine Lektorin Franziska, ohne die es dieses Buch nicht geben würde. Lieben Dank für die wundervolle Zusammenarbeit während dieser fünf Bände, für deine Ermutigungen, deinen Rückhalt und dein Vertrauen!

»Die Sterblichen nannten uns einst wertlose Kreaturen des Bösen, heute ist selbst ihre Erinnerung an uns verblasst. Nur in manch finsterer Stunde entsinnt sich ein uralter Teil ihrer Seele, die sie Angst nennen, an unsere Existenz.«

Geheimer Auszug aus »Grimoire der Untoten«, Neuauflage von 2010

Das diesjährige Halloweenspektakel könnte auch unser letztes sein, deswegen erwarte ich von euch, dass ihr für diese Theateraufführung euer Bestes gebt!«, verlangte Miss Chester.

Lilith kämpfte gegen einen quälenden Hustenreiz an, während einige ihrer Mitschüler gelangweilt den Rauchschwaden hinterhersahen, die sich kreiselnd zur Decke erhoben.

Obwohl das Rauchen im Schulgebäude verboten war, saß ihre neue Lehrerin Miss Chester vor ihnen im Licht des Regietisches und hielt im Mundwinkel eine brennende Sumpfgras-Zigarette, während sie gleichzeitig ihre Ansprache hielt. Ihrer Meinung nach sollten jedem Lehrer, der sich nach dem offiziellen Schulschluss noch mit Schülern abgeben musste, gewisse Privilegien erlaubt sein und Miss Chester schreckte nicht davor zurück, sich dafür auch mit der Rektorin Mrs. Tinkelton anzulegen. Miss Chester war jung, rebellisch und außerdem eine Moorhexe, die generell nicht nur für ihr eigenwilliges Auftreten bekannt waren, sondern auch für ihre Abneigung gegen alle Regeln, die sie nicht selbst aufgestellt hatten.

»Wie ihr wisst, mussten wir aufgrund der Seuche und der fehlenden magischen Schutzvorkehrungen im Laufe des Jahres die Insel oft für Touristen schließen«, fuhr Miss Chester fort und strich sich durch ihre dunklen Haare, die immer seltsam feucht aussahen, »weshalb das anstehende Halloweenspektakel unbedingt ein Erfolg werden muss! Will heißen: Wir brauchen Geld und jeder in Bonesdale sollte etwas dazu beitragen, dass sich das ändert. Auch ihr, meine Herrschaften!«

Matt beugte sich zu Lilith hinunter. Mittlerweile war er einen halben Kopf größer als sie und durch das Training mit Louis hatte er beeindruckend breite Schultern bekommen. »Ich frage mich ernsthaft, ob sie diese eklige Kräuterzigarette an ihrer Unterlippe festgeklebt hat«, raunte er ihr zu.

Wie immer, wenn er ihr so nahe war, setzte Liliths Herzschlag für einen Moment aus und ihre Wangen begannen zu glühen.

»Dem Gesetz der Schwerkraft scheint das Ding jedenfalls nicht unterworfen zu sein«, gab sie grinsend zurück.

»Für einige von euch ist es das letzte Schuljahr auf der St.-Nephelius-Schule und denjenigen kann ich versichern, dass ihr Engagement auf der Bühne lobend im Abschlusszeugnis erwähnt werden wird«, verkündete Miss Chester mit verheißungsvoller Miene.

»Was haben wir für ein Glück, Leute!«, flüsterte Emma neben Lilith und hob gespielt begeistert ihren Daumen in die Höhe. »Mit so einem Vermerk wird uns die ganze Welt offenstehen.«

Die drei Freunde besuchten nun die 11. Klasse, und während Emma und Matt sich schon entschieden hatten, in Greynock, dem nahe gelegenen Küstenort, zwei weitere Schuljahre zu absolvieren, um später studieren zu können, war Lilith sich über ihre Zukunft noch im Unklaren. Als Trägerin des Bernstein-Amuletts konnte sie sich nicht einfach aus dem Staub machen, Bonesdale verlassen und in einer weit entfernten Stadt studieren. Nach wie vor teilten Rebekka und Lilith zur Zufriedenheit aller das Amt des Nocturi-Führers – und damit auch das Ansehen, die Pflichten, die Verantwortung und die Last. Sie waren ein Team und es wäre nicht fair, Rebekka damit im Stich zu lassen – ausgerechnet jetzt, wo das Nachtvolk diese schwere Zeit durchleben musste. Immerhin herrschte auf der St.-Nephelius-Insel das reinste Chaos und das würde sich in naher Zukunft wohl auch nicht ändern.

Abgesehen davon hegte Lilith, im Gegensatz zu Emma und Matt, noch nicht einmal einen konkreten Berufswunsch. Es war Lilith ein absolutes Rätsel, wie man sich in ihrem Alter schon sicher sein konnte, womit man sich den Rest seines Lebens beschäftigen wollte.

»Dann wollen wir mal loslegen!« Mit einem Stapel Manuskripte im Arm erhob sich Miss Chester und der Regiestuhl dankte es ihr mit einem erleichterten Ächzen. Durch die viel zu enge Lederhose, die klobigen Stiefel und die schwarzen Fingernägel wirkte sie wie eine mollige Rockerbraut.

»Hier sind eure Drehbücher für das Stück ›Massaker im Morgengrauen‹. Leider musste ich den Text umschreiben, da Mrs. Tinkelton meinte, das Stück sei zu brutal.« Miss Chester kratzte sich missmutig an ihrer behaarten Kinnwarze, während die Schüler die Drehbücher unter sich verteilten. »All die schönen Spezialeffekte mit dem spritzenden Blut können wir jetzt vergessen.« Sie wandte sich an Lilith. »Dein zahmer Werwolf, dieser Oleander …«

»Leandor«, verbesserte Lilith sie. »Er ist der Sohn des Rudelführers, kein Blumenbusch.«

»Wie auch immer.« Miss Chester winkte ungeduldig ab. »Der darf auch nicht die Rolle des Bösen übernehmen. Wenn wir lebensechtere Monster als Hollywood auf der Bühne haben, könnte das zu unerwünschten Spekulationen führen.«

Das konnte Lilith ihr nicht verübeln, denn der perfide Plan der Dämonen war tatsächlich aufgegangen. Seit Jahrhunderten lebten die Nocturi im Untergrund und waren bestrebt, ihre Existenz vor den Menschen geheim zu halten. Lilith konnte sich noch gut daran erinnern, wie sie als Angeklagte vor den Rat der Vier zitiert worden war, weil sie Matt vom Reich der Untoten erzählt hatte, um mit seiner Hilfe das Leben ihres Vaters zu retten. Doch dank der Dämonen drohte dieses gut gehütete Geheimnis nun endgültig aufgedeckt zu werden. Durch die von besessenen Nocturi hervorgerufenen Katastrophen und wissenschaftlich nicht erklärbaren Phänomene waren selbst die rationalsten Menschen stutzig geworden, und Prof. Dr. Knüttelsiel, der schon auf die achtzig zuging, war mittlerweile der Kopf einer Vereinigung, die sich »BEW« nannte: Bund zur Erforschung des Widernatürlichen. Der BEW hatte zum Ziel, die Nocturi ausfindig zu machen und gefangen zu nehmen, um alle übernatürlichen Spezies zu klassifizieren und auf ihre Gefährlichkeit zu überprüfen. War der Professor anfangs noch als verrückter Spinner abgetan worden, so scharte er nun eine stetig steigende Zahl von Anhängern um sich. Natürlich gab es noch immer viele Menschen, die von magisch begabten Wesen nichts wissen wollten, doch bei den meisten sickerte nach und nach die Erkenntnis durch, dass es auf dieser Welt mehr gab, als sie bisher für möglich gehalten hatten. Und sobald sie diesen Gedanken einmal zuließen, fanden sich immer neue Anhaltspunkte, die diese Theorie bestätigten. Plötzlich tauchten jahrhundertealte Schriftstücke auf, in denen von Dämonen und Vampirwesen die Rede war, Bibelstellen wurden neu interpretiert und Berichte über Hexenverfolgungen schienen nicht allein eine grausame Dokumentation eines kollektiven Massenwahns zu sein. Alles, was früher als Aberglaube abgetan worden war, ergab nun plötzlich einen Sinn. Die Erinnerung der Menschheit erwachte wieder.

Kein Wunder, dass Miss Chester wegen einer belanglosen Halloweenaufführung nicht das Risiko eingehen wollte, die Aufdeckung ihrer Existenz voranzutreiben.

Die Lehrerin stieß einen frustrierten Seufzer aus. »Wie bei all diesen kreativen Beschneidungen unser Stück ein Erfolg werden soll, ist mir jedoch ein Rätsel. Wir sollten die Aufführung gleich umbenennen in ›Gruppenumarmung im Morgengrauen‹!« Miss Chester ließ ihre Sumpfgras-Zigarette zu Boden fallen, trat sie aus und stieß einen saftigen Fluch aus.

Emma zog pikiert ihre Augenbrauen in die Höhe und drehte sich zu Lilith um. »Hat sie gerade ›So ein blöder Kack!‹ gesagt?«

»Echt? Das, was ich verstanden habe, war noch viel schlimmer.«

In diesem Augenblick öffnete sich die Tür der Aula und Mrs. Tinkelton betrat den Raum. Bei ihrem Anblick nahmen alle Schüler sofort Haltung an, allein Miss Chester zündete sich mit einem herausfordernden Lächeln erneut eine Sumpfgras-Zigarette an. Lilith hätte wetten können, dass diese aufsässigen Moorhexen zu den Ersten gehört hatten, die bei der Inquisition im Mittelalter auf dem Scheiterhaufen gelandet waren.

Mit steifem Rücken blieb die Rektorin vor Miss Chester stehen. »Philomena«, grüßte sie in eisigem Tonfall.

»Tach, Mrs. T«, gab Miss Chester locker zurück. »Gibt’s was Neues? Sollen wir vielleicht auch das schlecht inszenierte Massaker weglassen? Die Kids könnten einfach auf die Bühne gehen und eine halbe Stunde lang Ringelreihen spielen. Ein bisschen öde, aber garantiert unverdächtig.«

»Sie können Ihr Stück aufführen, wie wir es abgesprochen haben, Philomena. Schließlich geht es um Halloween und wir erwarten schon voller Spannung Ihre Inszenierung.« Der Sarkasmus in Mrs. Tinkeltons Stimme war unüberhörbar. »Und falls uns die Nebelmaschine im Stich lassen sollte, wären Sie sicher bereit, ihre Sumpfgras-Qualmwolken auf die Bühne zu pusten, nicht wahr?« Ohne eine Antwort abzuwarten, wandte sich Mrs. Tinkelton ab und ihre blutunterlaufenen Augen glitten suchend über die Schüler auf dem Podium. »Lilith Parker?«

»Hier!« Lilith trat vor.

Die Rektorin nickte ihr zu. »Es gibt einen unerfreulichen Zwischenfall am Kai und ich soll dich holen. Die Angelegenheit duldet keinen Aufschub.«

Das war ungewöhnlich, denn normalerweise übernahm Rebekka die Regierungsgeschäfte während Liliths Schulzeit. Wenn es sich um einen Zwischenfall am Kai handelte, hing es wahrscheinlich mit den Nocturi aus der Bretagne zusammen, deren Ankunft für heute angekündigt worden war. Fast täglich trafen aus allen Teilen der Welt Nocturi ein, die aus Angst vor der drohenden Verfolgung ihre Verstecke verließen, um auf der Insel Schutz zu suchen. Sie schienen sich in der Nähe der Trägerin des Bernstein-Amuletts sicherer zu fühlen und nur Lilith und Matt wussten, dass das Gegenteil der Fall war. Nicht einmal Mildred ahnte etwas davon, dass ihre Nichte mittlerweile schon drei der vier mächtigen Amulette besaß und die Insel dadurch zu einer Zielscheibe für ihre Feinde wurde. Doch der Strom der Flüchtlinge nahm kein Ende und jedes Mal wenn die Fähre eintraf, gab es am Kai dichtes Gedränge, denn jeder Einzelne musste von einer Glyocula-Schnecke auf dämonische Besessenheit überprüft werden.

»Was ist denn mit Rebekka?«, fragte Lilith. »Kann sie das nicht machen?«

»Sie ist schon dort, aber wir benötigen deine speziellen Fähigkeiten.«

Sicherlich meinte Mrs. Tinkelton damit nicht Liliths Bansheekräfte, denn dann hätte Rebekka die Angelegenheit auch selbst regeln können.

Sie fuhr sich nervös über die Lippen. »Handelt es sich etwa um einen …« Sie stockte.

»Einen Fall von dämonischer Besessenheit, exakt«, bestätigte Mrs. Tinkelton Liliths schlimmste Befürchtungen. Dabei hatten sich die Dämonen in den letzten Monaten erstaunlich ruhig verhalten und Übergriffe auf die Nocturi fanden kaum noch statt.

Sofort tuschelten alle Schüler aufgeregt miteinander und selbst Miss Chester sah einigermaßen beeindruckt aus. Hilfe suchend blickte Lilith zu Matt, der neben Mildred als Einziger von ihren dämonischen Fähigkeiten wusste. Lilith hatte zwar bei einem Kampf im ungarischen Dorf Sarkeszi Mildreds Ehemann Louis von einem Ätherion befreit, doch damals hatte sie kurzerhand behauptet, dass sie dies mit einer seltenen, kaum bekannten Bansheekraft bewerkstelligt hatte. Obwohl Rebekka sofort misstrauisch geworden war, bohrte zu Liliths Überraschung niemand weiter nach – wahrscheinlich, weil sie wegen der todbringenden Seuche in Bonesdale und dem Vampirangriff auf Fayolas Volk alle genug zu tun hatten. Außerdem war die Wahrheit über Liliths außergewöhnliche Fähigkeit so abwegig, dass sie wohl selbst von Rebekka und Imogen nicht in Betracht gezogen wurde.

Doch sie durfte auf keinen Fall noch einmal einen Nocturi in aller Öffentlichkeit von einem Ätherion befreien!

»Professor Gubler und Alberta Frost haben bereits ihr Bestes versucht«, erzählte Mrs. Tinkelton. »Aber ihre Zauberkräfte sind leider schon zu sehr geschwächt. Gehen wir?« Sie nickte Lilith auffordernd zu.

Jeder Muskel in Liliths Körper verkrampfte sich und sie suchte fieberhaft nach einer Ausrede. Wenn die Einwohner Bonesdales Liliths dunkles Geheimnis aufdeckten, würde sie alles verlieren …

Sie spürte die irritierten Blicke der anderen und Lilith wurde bewusst, dass sie auf eine Reaktion warteten. Ihr blieb anscheinend keine andere Wahl – sie musste mitgehen.

»Ich komme.« Sie drückte Matt ihr Drehbuch in die Hand.

Er beugte sich vor, sodass ihm seine dunklen Haarsträhnen ins Gesicht fielen. »Tu das nicht!«, raunte er ihr kaum hörbar zu.

»Ich krieg das schon hin«, gab sie optimistischer zurück, als sie sich fühlte. Lilith stieg vom Podium und folgte Mrs. Tinkelton aus dem Schulgebäude.

Lilith wurde das Gefühl nicht los, auf dem Weg zu ihrer eigenen Hinrichtung zu sein. Obwohl die Bansheekräfte nicht an die Verbindung mit einem Dämon gekoppelt waren wie bei den Hexen und Magiern, hing die Stärke einer Todesfee vom Mondzyklus ab und erreichte in Vollmondnächten ihren Höhepunkt. Womöglich konnte Lilith eine Schwächung ihrer »außergewöhnlichen Fähigkeit« vortäuschen und die Austreibung abbrechen?

Schon überquerten sie den Marktplatz und schritten an den alten Fachwerkhäusern mit ihren windschiefen Dächern vorbei, die sich wie zu alt gewordene Menschen tief über die Straße beugten. Die Hausecken und Erker waren mit geschnitzten Holzfiguren verziert, die ihnen ihre bösartigen Fratzen und spitzen Klauen entgegenstreckten. Trotz des Sonnenscheins und der spätsommerlichen Temperaturen fröstelte es Lilith. Einige Dorfbewohner kamen ihnen mit ängstlichem Gesichtsausdruck entgegen und schienen so schnell wie möglich nach Hause kommen zu wollen. Seit sie keine magischen Schutzvorrichtungen mehr besaßen, reagierten sie auf jegliche Gefahr übersensibel und gerieten schnell in Panik.

Am Kai hatte sich schon eine Menschenmenge versammelt und im Vorübergehen entdeckte Lilith kaum ein bekanntes Gesicht. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass derart viele Nocturi aus der Bretagne kommen würden, und innerlich seufzte Lilith auf. Wo sollten sie all diese Leute nur unterbringen? Jeder Einwohner Bonesdales hatte schon Fremde bei sich aufgenommen und die übrigen Flüchtlinge hatten sich im Schattenwald mit Zelten ein provisorisches Heim eingerichtet. Am Abend stand Lilith oft an einem der Fenster von Nightfallcastle und beobachtete die vielen kleinen Lagerfeuer, die zwischen den Bäumen aufblitzten – jede Nacht wurden es mehr. Dank der Dämonen hielten die Menschen das Nachtvolk für böse und so war es kein Wunder, dass die Nocturi in Strömen nach Bonesdale flüchteten. Doch sobald die Menschen ihre Spur aufnehmen und hier auf St. Nephelius den Unterschlupf des Nachtvolkes entdecken würden, wäre ihr Schicksal besiegelt.

»Tretet beiseite!« Mrs. Tinkeltons natürliche Autorität sorgte dafür, dass sich umgehend eine Gasse bildete und sie ungehindert bis zum Steg der Fähre gelangen konnten, wo sie schon von Rebekka, Mildred, Arthur und Thomas Gasper erwartet wurden. Alberta Frost und Professor Gubler hatten beide höchst unterschiedliche Mienen aufgesetzt: Während die Anführerin des Bonesdaler Hexenzirkels recht grimmig dreinblickte, wirkte Professor Gubler völlig unbeteiligt und war in seine höchst wissenschaftlichen Gedanken versunken. Lilith entdeckte direkt am Steg ein etwa achtjähriges Mädchen mit roten Locken, die ihr in feuchten Strähnen ins Gesicht hingen. Louis und Emmas Vater Frank schienen alle Mühe damit zu haben, die Kleine festzuhalten. Sie zappelte ununterbrochen, spuckte, biss und trat um sich. Die französischen Verwünschungen, die sie dabei ausstieß, verstand Lilith zwar nicht, aber nach den geschockten Reaktionen der Umherstehenden zu urteilen, schienen sie es in sich zu haben.

»Oh, mon dieu!«, schluchzte eine Frau. »Michelle, ma petite enfant …« Der Mann neben ihr drückte sie tröstend an sich. Das mussten die Eltern der Kleinen sein.

Lilith presste gequält die Augen zusammen. Wut wallte in ihr auf, weil sich der Ätherion ausgerechnet ein Kind als Opfer ausgesucht hatte. Konnten der Erzdämon und ihr »Quasi-Bruder« Belial so etwas nicht verhindern? Die Dämonen mussten doch wissen, wie traumatisch solch ein Erlebnis für eine junge, noch nicht gewandelte Nocturi war!

»Entschuldigt bitte, dass es so lange gedauert hat«, sagte Mrs. Tinkelton in die Runde.

Als Mildred ihre Nichte erblickte, vertieften sich die Sorgenfalten auf ihrer Stirn. In den vergangenen Monaten hatte sie Lilith fast täglich daran erinnert, dass sie ihre Dämonenkräfte niemals wieder vor anderen Nocturi benutzen durfte.

»Es muss einen anderen Weg geben, Michelle zu helfen!«, sagte sie. »Als Lilith in Sarkeszi Louis von dem Ätherion befreit hat, war sie so geschwächt, dass sie zusammengebrochen ist. Ich verbiete euch, dass ihr sie noch einmal zu so etwas drängt!« Offenbar suchte auch Mildred verzweifelt nach einer Ausrede, weshalb Lilith ihre Kräfte unmöglich einsetzen konnte.

Leider meldete sich nun mit einem unangenehmen Ziehen in der Magengrube Liliths schlechtes Gewissen. Wenn die Hexen und Magier nichts ausrichten konnten und Lilith dem Mädchen ihre Hilfe verweigerte, gab es nur noch zwei höchst unerfreuliche Optionen: Entweder sie »erlösten« Michelle von dem Ätherion, indem sie das Mädchen schnell und schmerzlos töteten. Diese Lösung kam für Lilith natürlich keine Sekunde lang infrage. Eher würde sie den Ätherion an Ort und Stelle austreiben und sich damit als »dreckige Dämonenbrut« offenbaren. Die andere Möglichkeit war, dass sie das Mädchen einsperrten, und zwar so lange, bis der Ätherion von allein Michelles Körper verließ. Das würde frühestens in vierundzwanzig Stunden der Fall sein, wahrscheinlicher war jedoch, dass er es sich in seinem neuen Zuhause erst einmal gemütlich machte. Wie Lilith von Strychnin erfahren hatte, waren Ätherionen auch in der Schattenwelt körperlose Dämonenwesen und begierig darauf, eine Hülle zu finden, die sie ihrem Willen unterwerfen konnten. Auf Dauer schien es nicht zufriedenstellend zu sein, wenn man mit der Welt nicht interagieren konnte. Deshalb hatten sich die Ätherionen wohl einst auch auf den Pakt mit den Hexen und Magiern eingelassen: Dadurch konnten sie sich in der Menschenwelt aufhalten, und wenn ihr Wirt schwach war, hatten sie mit etwas Glück sogar die Chance, den Körper der Hexe oder des Magiers zu übernehmen.

Ehe der Ätherion die Lust verlor und die kleine Michelle wieder freigab, konnten somit Monate oder sogar Jahre vergehen. Lilith wollte sich gar nicht vorstellen, was dies für die Seele und den Geist des Mädchens bedeuten würde.

»Du willst, dass wir eine andere Lösung finden?« Rebekka funkelte Mildred wütend an. »Dann mach uns bitte einen Vorschlag! Liliths mysteriöse Bansheekraft ist Michelles einzige Chance. Und dafür willst du nicht einmal das Risiko eingehen, dass deine Nichte für fünf Minuten ohnmächtig wird?«

Mildred erwiderte nichts und biss stattdessen verärgert die Zähne zusammen. Mit ihrer schonungslos offenen Art hatte es Rebekka voll und ganz auf den Punkt gebracht.

Sie wandte sich an Lilith und machte eine auffordernde Handbewegung in Michelles Richtung. »Dann fang mal an! Ich bin schon unglaublich gespannt auf deine Vorstellung.«

Lilith fragte sich, ob Rebekka gerade wieder einen Rückfall in ihr früheres böswilliges Verhalten hatte, doch tatsächlich musterte sie Lilith mit ehrlicher Neugier. Anscheinend hatten Mildred und Lilith sich getäuscht: Nur weil Imogen und Rebekka kein Wort mehr über den Vorfall in Sarkeszi verloren hatten, hieß das noch lange nicht, dass sich die beiden keine Gedanken darüber machten.

Noch immer wehrte sich Michelle aus Leibeskräften und Schaum sammelte sich in ihren Mundwinkeln. Sie musste gerade die Hölle durchmachen!

»Steh doch nicht rum wie eine Salzsäule!«, verlangte Rebekka. »Oder willst du sie unnötig quälen? Wenn es hilft, schließen wir unsere Kräfte zusammen und rufen gemeinsam die vier Symphorien auf!«

Das war zwar eine nette Geste, doch die vier magischen Runenzeichen, die jede Banshee in ihrem Bewusstsein trug und die den Kreislauf des Lebens symbolisierten, würden Lilith jetzt überhaupt nichts nützen.

Der hoffnungsvolle Blick von Michelles Eltern ruhte auf Lilith und auch die Umherstehenden hatten eine erwartungsvolle Miene aufgesetzt. Verzweifelt sah Lilith zu Mildred, deren Gesicht so fahl war, als müsste sie sich jeden Moment übergeben.

»Juhu?« Rebekka schnippte vor ihrem Gesicht herum. »Bist du etwa eingeschlafen?«

»Hat dir schon mal jemand gesagt, wie nervig du bist?«, zischte Lilith.

Rebekka nickte eifrig. »Ja, du. Mehrmals täglich. Deswegen gehe ich davon aus, dass es liebevoll gemeint ist. Könntest du jetzt bitte deine Wunderkraft vorführen? Ich will hier nicht den ganzen Tag herumstehen, gleich habe ich nämlich einen Termin im ›Nagelstudio Zombiekralle‹.«

Eine kühle Windböe verwirbelte Liliths Haare und brachte den frischen Hauch des kommenden Herbstes mit sich. Wie konnte sich Lilith unter diesen Umständen noch weigern? Ihre Schultern sackten herab, als hätte sich ein schweres Gewicht auf sie gesenkt. Sie musste dem Mädchen helfen und darauf hoffen, dass Rebekka und die anderen nicht spürten, welche Art von magischen Kräften sie dabei abrief.

»Na schön, ich mache es«, sagte sie leise.

»Juche!«, jubelte Rebekka und verkündete laut: »Achtung, Nocturi, passt gut auf: Lilith Parker bewirkt gleich ein Bansheewunder!«

In diesem Moment ging ein Zucken durch Michelles Körper. Sie hörte auf, sich zu wehren, und richtete sich so abrupt auf, als hätte ein unsichtbarer Marionettenspieler gerade an ihren Fäden gezogen. Ihr Kopf wandte sich ruckartig zu Lilith um.

»LILITH … LILITH PARKER?«

Michelle sprach mit einer Stimme, die für ein Mädchen dieses Alters viel zu tief war und ein unangenehmes Kratzen besaß. Nicht einmal die Spur eines französischen Akzentes war herauszuhören.

Lilith lief es eiskalt den Rücken hinunter.

»BIST DU LILITH PARKER?«

Lilith musste gegen den Impuls ankämpfen, einfach den Kopf zu schütteln und auf Rebekka zu zeigen. »Ja, das bin ich.«

»DANN HÖRE MEINE BOTSCHAFT, LILITH PARKER: ÖFFNE DAS PORTAL!«

»Och, nicht schon wieder die alte Leier!«, stöhnte Rebekka.

Wahrscheinlich würde es sie nicht einmal mit Respekt erfüllen, wenn sich neben ihr die Erde auftun und sich der Teufel höchstpersönlich daraus erheben würde.

In Michelles Augen lag ein warnendes rotes Glühen und ihr bösartiger Dämonenblick schien Rebekka regelrecht in den Boden brennen zu wollen. Es hätte Lilith jedenfalls nicht verwundert, wenn Rebekkas »Abermufti & Flunsch«-Kleid plötzlich Feuer gefangen hätte.

»LILITH PARKER, BELIAL SCHICKT DIR DIES ALS LETZTE WARNUNG: ÖFFNE DAS PORTAL ODER DU WIRST ES BEREUEN! HABT IHR DIES VERNOMMEN, NOCTURI?«

»Ja, ja, wir sind doch nicht taub«, gab Rebekka an Liliths Stelle zurück.

»Wir haben es vernommen, Dämon«, meldete sich Lilithschnell zu Wort. Sie brauchte Rebekka schließlich noch und wollte nicht das Risiko eingehen, sie als Aschehäufchen vom Pier zu fegen. »Richte Belial bitte unseren Dank aus für … für diese nette Warnung!«

»DAS WERDE ICH TUN.«

Erneut ging ein Ruck durch Michelles Körper und ihre Augen verdrehten sich gen Himmel, sodass nur noch das Weiß zu sehen war. Es schüttelte sie am ganzen Leib und die beiden Männer hatten alle Mühe, die Kleine aufrecht zu halten. Michelle schrie wie unter schlimmen Schmerzen, nun jedoch mit ihrer kindlichen Mädchenstimme. In diesem Moment streifte etwas Liliths Bewusstsein, eine Art vielstimmiges Flüstern, das ihr nur allzu bekannt war.

Alle am Kai hielten erschrocken die Luft an, als Michelle den Mund weit aufriss und der schwarze Nebelkörper des Ätherions herauszüngelte. Lilith verzog angeekelt das Gesicht. Es sah aus, als würde Michelle gerade einen nebulösen Riesenbandwurm hervorwürgen.

Der Ätherion erhob sich in die Luft und war so schnell verschwunden, dass Lilith kaum hätte sagen können, in welche Richtung er davongeflogen war. In der gleichen Sekunde sackte Michelle in sich zusammen und verlor das Bewusstsein. Sowohl ihre Eltern als auch Alberta Frost eilten sofort zu ihr, um sich um sie zu kümmern.

Lilith atmete befreit auf und wechselte einen erleichterten Blick mit Mildred. Der Ätherion hatte Michelle verlassen, ohne dass Lilith ihre Dämonenkräfte hatte einsetzen müssen.

»Hast du gesehen, wie sich dieser fette Dämon aus ihrem Mund geschlängelt hat?«, fragte Rebekka voll morbider Faszination. »Das war echt supereklig!« Sie richtete sich an die Umherstehenden. »Hat das zufällig jemand mit dem Handy gefilmt?« Niemand meldete sich, was Rebekka sichtlich enttäuschte.

»Ist das etwa alles, was dich an diesem Vorfall interessiert?«, schnauzte Lilith sie an. »Was ist mit der Warnung Belials? Dieser Ätherion hat sich dafür extra zu uns nach Bonesdale gewagt und ein Kind in Besitz genommen. Glaubst du, das war ein Witz?«

Ertappt zuckte Rebekka zusammen. »Du hast recht!« Sie hob entschuldigend die Hände. »Tut mir leid, das war nur die erste Austreibung, die ich mit eigenen Augen beobachten durfte, aber jetzt bin ich wieder ganz Profi.«

»Das war keine Austreibung«, mischte sich Professor Gubler ein. »Lilith hat überhaupt nichts gemacht und eine Austreibung dauert viel länger, da der Dämon sich dagegen zur Wehr setzt. Der Ätherion hat den Körper des Mädchens freiwillig verlassen, was unseres Wissens nach eigentlich erst nach vierundzwanzig Stunden möglich gewesen wäre.«

Sie warteten darauf, dass er fortfuhr, doch der Professor starrte versonnen auf einen Punkt vor seiner Nase.

»Und was schließen Sie daraus?«, hakte Lilith nach.

»Das ist höchst bemerkenswert. Wirklich höchst bemerkenswert«, murmelte er anstatt einer Antwort.

Nun traten auch Mildred und Arthur zu ihnen. »Dieser Angriff kam äußerst überraschend. Obwohl die Dämonen eigentlich kurz vor dem Ziel stehen und viele Menschen von unserer Existenz überzeugt sind, haben sie schon seit Monaten keinen Nocturi mehr in Besitz genommen.« Arthur strich sich nachdenklich über seinen weißen Bart. »Ich wüsste zu gerne, was sie für einen Plan verfolgen.«

Mildred nickte zustimmend. »Eigentlich müssten sie gerade jetzt den Druck auf uns noch einmal erhöhen.« Sie war immer noch blass um die Nase. Hatte sie sich etwa so sehr um Lilith gesorgt?

»Durch das heutige Ereignis müssen wir unsere bisherige Theorie womöglich verwerfen«, sagte Professor Gubler. »Wegen Liliths krankem Dämon Strychnin dachten wir, dass die Dämonen sich nach der Versiegelung des Portals schon zu lange in der Menschenwelt aufhalten und geschwächt sind, doch das passt nicht zum Verhalten des Ätherions. Dass er die Kraft aufbringen konnte, den Körper sofort wieder zu verlassen, bedeutet, dass die Dämonen sogar über mehr Macht verfügen als bisher!«

Lilith rechnete ihm hoch an, dass er Belials Forderung mit keinem Wort erwähnte. Die Hexen und Magier sehnten die Öffnung des Schattenportals herbei, auch wenn sie sich offiziell mit der Versiegelung abgefunden hatten. Ohne die Unterstützung der Dämonen hatten sie ihre früheren Zauberkräfte mittlerweile fast vollständig eingebüßt und mussten sich mit ihren angeborenen magischen Fähigkeiten zufriedengeben. Während sich die Magier nun intensiver dem theoretischen Aspekt ihrer wissenschaftlichen Arbeit widmeten, frischten die Hexen ihr altes Wissen über Heilpflanzen auf und hatten mit neuen Züchtungen schon außergewöhnliche Erfolge erzielt. Allein für die Unken-Hexen blieb alles wie gehabt.

Rebekkas Miene spiegelte Sorge wider. »Wenn die Dämonen tatsächlich ihre Kräfte steigern konnten, hecken sie womöglich einen noch perfideren Plan aus, um uns in die Knie zu zwingen.«

Während die anderen begannen, über diese Möglichkeit zu diskutieren, schüttelte Lilith kaum merklich den Kopf. Ihr Instinkt sagte ihr, dass sie auf der falschen Fährte waren. Die Wahrheit schien jedoch so unverfroren und frech zu sein, dass sie nicht auf die naheliegende Lösung kamen. Es gab nur einen, der eine Austreibung so mühelos und in dieser Geschwindigkeit bewältigen konnte: Allein Belial konnte dafür gesorgt haben, dass der Ätherion das Mädchen sofort wieder freigab, was bedeutete, dass der Erzdämon sich hier in Bonesdale aufhielt. Deshalb hatte Lilith auch den Chor der Dämonen wahrgenommen, als Belial dem Ätherion den Befehl erteilt hatte. Sicherlich verfolgte er dabei die Absicht, den Nocturi vorzugaukeln, die Dämonen seien sogar noch stärker als zuvor, um seiner Drohung mehr Gewicht zu verleihen. Es musste ihm in der Tat viel daran liegen, dass das Portal geöffnet wurde.

Lilith ließ ihren Blick über die Menschenmenge schweifen, aber sie konnte den Erzdämon in dem Gewusel und unter all den fremden Gesichtern nirgends entdecken. Dank des Onyx-Amuletts musste Belial jedoch nicht einmal in direkter Sichtweite gewesen sein, um den Ätherion zu steuern.

Er wusste bestimmt, dass Lilith es spüren konnte, wenn er sich der Macht des Dämonenchors bediente. Zählte er etwa darauf, dass sie mitspielte und ihn deckte? Nur weil er bei ihrem Gespräch in Sarkeszi Liliths Zweifel an der Schuld der Dämonen geweckt hatte, bedeutete das noch lange nicht, dass sie auf seine Seite wechselte.

Zu ihrem Ärger zögerte sie jedoch tatsächlich, Belial an die Nocturi zu verraten. Natürlich konnte sie ihr Schweigen damit rechtfertigen, dass sie niemanden in Panik versetzen wollte. Wenn Lilith den anderen von ihrer Vermutung berichtete, wäre auf der Insel umgehend die Hölle los, und die vielen Nocturi, die ihre Heimat verlassen hatten, würden sich selbst in Bonesdale bedroht fühlen. Erst einmal wollte Lilith die Sache persönlich mit Belial klären. Sie hatte das eigentümliche Gefühl, es ihm schuldig zu sein, auch wenn sie in erster Linie an die Sicherheit ihres Volkes denken musste.

»Belials Warnung sollten wir auf alle Fälle ernst nehmen und unsere Patrouillen verstärken!«, schaltete sich Lilith wieder in die Unterhaltung ein.

Rebekka nickte ihr zu. »Egal was es mit diesem ominösen Auftritt des Ätherions auch auf sich hat, wir müssen handeln! Da sich ein Großteil unseres Volkes hier auf der Insel aufhält, würden wir das perfekte Ziel für einen Angriff abgeben.« Sie richtete sich an die Menge, die sich nun – da die unmittelbare Gefahr vorüber war – wieder vergrößert hatte. »Lasst euch von dem Auftritt dieses Ätherions nicht beeindrucken! Die Dämonen wollen uns Angst einjagen, aber damit werden sie kein Glück haben.« Rebekka ballte entschlossen die Faust. »Wir haben die Macht über das Schattenportal, und so wird es auch bleiben! Weil wir es geschlossen halten, befinden sich momentan nur wenige Dämonen in unserer Welt, und damit sind wir ihnen zahlenmäßig weit überlegen. Gemeinsam werden wir dem Treiben der Dämonen ein Ende bereiten und für uns wird es nur noch ein einziges Ziel geben: Wir werden die Dämonen vernichten!«

Die Furcht und Beklommenheit in den Gesichtern der Nocturi verblasste, dennoch klang der aufkommende Jubel wenig überzeugt. Niemand von ihnen glaubte daran, dass das Nachtvolk ohne die magischen Kräfte der Hexen und Magier die Dämonen besiegen konnte. Die Nocturi waren so schwach und verwundbar wie noch nie zuvor.

Bei Lilith hinterließen Rebekkas Worte einen bitteren Nachgeschmack. Etwas in ihrem Innern erinnerte sie ständig an Belials Worte: »Während ihr dank unserer Gutmütigkeit in Frieden und Wohlstand lebtet, mussten wir im Elend des Schattenreichs schmoren.« … »Die Nocturi haben uns belogen und verraten!« … »Ich würde dir gerne zeigen, dass wir nicht so sind, wie es dir die Nocturi vermittelt haben.« … »Ich will, dass du deine eigene Entscheidung triffst, Lilith.«

Nun, da die Show vorüber war, begannen sich die Leute in alle Richtungen zu zerstreuen.

»Ich stelle für die Stadtwache einen strengeren Überwachungsplan auf«, verkündete Thomas Gasper, der seit Zachary Scropes Tod alles Organisatorische in Bonesdale regelte. »Wenn sich Bonesdale eine Gefahr nähert, sollten wir rechtzeitig informiert sein und ›Mission Red‹ starten können.«

»Mission Red« war der schlimmstmögliche Verteidigungsfall, bei dem sich alle auf der Insel an der Abwehr beteiligen mussten. Erst kürzlich hatten sie einen Übungslauf durchgeführt, bei dem Thomas Gasper fast einen Nervenzusammenbruch erlitten hatte. Der Gorgone, dessen Kopfhaar sich nach Sonnenuntergang in die Leiber unzähliger Schlangen verwandelte, mochte gut Tabellen entwerfen und rechnen können, aber wenn es ums Kämpfen ging, war er völlig unwissend. Beim Übungslauf herrschte das reinste Chaos: Niemand war dort, wo er eigentlich hätte sein sollen, so gut wie jeder hatte die falsche Waffe in der Hand und nicht einmal die Kinder waren wie geplant nach Nightfallcastle in Sicherheit gebracht worden. Der einzige Lichtblick bestand aus Louis, der mittlerweile die neu gegründete Stadtwache anführte, die aus dem von ihm ausgebildeten Sicherheitsteam und einigen Freiwilligen bestand. Obwohl er mit deren Ausbildung schon genug zu tun hatte, konnte Mildred ihn dazu überreden, Thomas Gasper bei der Verbesserung von »Mission Red« unter die Arme zu greifen. So blieb zu hoffen, dass die nächste Übung erfolgreicher verlaufen würde.

»Ich kann die Werwölfe informieren, dass sie das Schattenportal nicht aus den Augen lassen sollen«, schlug Lilith vor. Insgeheim vermutete sie, dass Belial auf die Insel gekommen war, um zu versuchen, die Versiegelung eigenhändig zu entfernen. Das wäre jedenfalls ein plausibler Grund dafür, weshalb er dieses Risiko eingegangen war.

»Vorsichtig, meine Herren!«, schallte Alberta Frosts Stimme über den Kai. Louis und Frank transportierten Michelle auf einer Trage in Richtung Krankenstation, die sich in Alberta Frosts Haus befand. Das Mädchen war wieder bei Bewusstsein, wirkte aber immer noch etwas benommen. Lilith zweifelte nicht daran, dass sie unter der Fürsorge der Hexen bald wieder genesen würde.

Mildred, Arthur und Professor Gubler machten sich ebenfalls auf den Weg. Die übrigen Neuankömmlinge aus der Bretagne waren inzwischen im Rathaus verschwunden, um sich offiziell als Bewohner der Insel registrieren zu lassen. Das war notwendig geworden, damit das Bonesdaler Gremium nicht den Überblick über die Asylsuchenden verlor, deren Unterbringung koordinieren konnte und über die magischen Fähigkeiten der Nocturi informiert war, die bei einem Angriff hilfreich sein konnten. Nicht nur der knappe Wohnraum, sondern auch die Versorgung mit Nahrungsmitteln wurden langsam zu einem echten Problem.

Lilith entdeckte in ihrer Nähe einen betagten Mann mit schütterem Haar und zwei Frauen mittleren Alters, die mit offenkundigem Interesse in ihre Richtung starrten.

»Die gehören zu mir«, sagte Rebekka, die Liliths Blick gefolgt war. »Der Mann ist Emmett Norwich, der Bruder meiner Mutter, und die beiden Frauen sind Melisande und Davina, seine Töchter. Sie sind zeitgleich mit den Gästen aus der Bretagne angereist.«

Rebekkas Tonfall war deutlich anzuhören, dass sie den dreien nicht allzu viel Sympathie entgegenbrachte. Lilith erinnerte sich dunkel daran, dass Imogens Eltern ihre Tochter als Dreizehnjährige verstoßen und in ein Heim gesteckt hatten, da sie sich nicht zur Banshee gewandelt hatte. Nur dank dem beharrlichen Drängen von Liliths Mutter Cathy hatte sich Baron Nephelius dazu erweichen lassen, Imogen aus dem Heim zu holen und bei sich aufzunehmen. Kein Wunder, dass Rebekka diesem Teil ihrer Familie mit Abneigung begegnete.

Die drei kamen näher und Lilith spürte, wie Rebekka sich versteifte.

»Ihr seid noch nicht auf Nightfallcastle?«, fragte sie kühl, nachdem sie alle einander vorgestellt hatte.

Ach du lieber Himmel, sie sollten bei ihnen auf der Burg leben? Liliths höfliches Lächeln sackte ein wenig nach unten. Dabei waren ohnehin schon alle Räume, die nicht für politische Versammlungen benötigt wurden, an die Alten und Kranken vergeben.

Die kantigen Züge des Mannes verzogen sich zu einer abfälligen Miene. »Deine Mutter hat uns noch nicht in Empfang genommen, obwohl wir sie über unser Kommen informiert haben. Es ist sehr bedauerlich, wie wenig Anstand diese Socor ihrer Familie entgegenbringt.«

»Sei nicht ärgerlich, Vater«, versuchte ihn seine Tochter Davina in näselndem Tonfall zu beruhigen. Sie trug ein altmodisches Bansheefesttagskleid und war genauso blass und hager wie ihr Vater. »Du kannst die Moral und die Manieren von denen, die nicht auserwählt wurden, nicht mit unseren hohen Maßstäben messen.« Sie machte eine Handbewegung, als würde sie ein lästiges Insekt verjagen. »Imogen ist schließlich kaum besser als ein niederer Mensch.«

Emmett tätschelte Davinas Hand. »Du hast natürlich wie immer recht, mein Schatz! Wir müssen Nachsicht walten lassen.«

Rebekka ballte neben ihr die Hände zu Fäusten. Auch Lilith hatte genug gehört, um zu wissen, dass sie diese Familie nicht ausstehen konnte. Durch die Gesetze zur Gleichstellung der Socor hatte sie eigentlich gehofft, ein Umdenken bewirkt zu haben, aber Emmett und Davina waren der Beweis dafür, dass die alten Vorurteile weiterlebten.

Lilith richtete ihre Aufmerksamkeit auf Melisande, die noch kein Wort gesagt hatte. Ihr Haar war von dem gleichen flammenden Rot wie das ihrer Schwester und ihrer Tante Imogen, doch ihr Gesicht war nicht von Davinas arroganten Zügen geprägt. In Melisandes Blick lag eine unendliche Traurigkeit und sie schien nichts um sich herum wahrzunehmen.

»Ist sie krank?«, entfuhr es Lilith stirnrunzelnd.

Emmett Norwich schwieg einen Augenblick, ehe er sich räusperte und antwortete: »Nein, dieser Zustand ist bei ihr normal.«

Rebekka dagegen zeigte sich weitaus auskunftsfreudiger. »Melisande ist ein Seelenvampir! Mein Großonkel Emmett war so sehr mit seinen Studien über die Welt der Untoten beschäftigt, dass er leider nicht bemerkte, wie Melisande kurz nach ihrer Wandlung die Kontrolle über ihre Fähigkeiten entglitten ist.«

Ein kalter Schauer lief Lilith über den Rücken und sie betrachtete die geistesabwesende Melisande mitfühlend. Sie konnte sich noch gut daran erinnern, wie sie selbst die ersten Male von den Todesvisionen heimgesucht worden war. Es war grauenvoll gewesen und fast wäre sie aufgrund einer Todesvision sogar in einem Weiher ertrunken. Dieses Schicksal hätte Lilith also erwartet, wenn sie es nicht geschafft hätte, damit umzugehen?

»Aber warum hat sie sich niemandem anvertraut?«

»Weil meine Familie keine Schwäche duldet«, antwortete Rebekka mit einem bitteren Lächeln. »Melisande hat sich so sehr geschämt, dass sie lieber geschwiegen hat, als ihre Eltern zu enttäuschen. Doch die Visionen trieben sie in den Wahnsinn, sodass sie ihrer Mutter den Todeskuss gegeben hat, als diese gerade schlief. Seither ist Melisande jedoch so harmlos wie ein Bettpfosten.«

Deshalb hatte Rebekka ihre Cousine einen Seelenvampir genannt: Wenn eine Banshee die Kontrolle über sich verlor, saugten sie ihren Opfern mit dem Todeskuss die Seele aus.

»Rebekka!«, zischte Emmett verärgert. Offenbar schätzte er es nicht, dass sie so bereitwillig ihre Familiengeheimnisse ausplauderte. Er wandte sich an Lilith und wechselte hastig das Thema: »Wir haben sehr gespannt auf den Einsatz Ihrer außergewöhnlichen Bansheekraft gewartet, Miss Parker. Ich fand es fast schon bedauerlich, dass sich die Angelegenheit von allein geregelt hat.«

Lilith setzte ein gezwungenes Lächeln auf und gab ein unbestimmtes »Mhm« von sich.

»Ich habe Emmett davon erzählt«, erklärte Rebekka, »da er sich der Geschichte der Untotenwelt und der Erfassung aller Spezies mit ihren diversen Fähigkeiten verschrieben hat. Auch ihm war es vollkommen neu, dass eine Banshee einen Dämon austreiben kann.«

Lilith schluckte schwer. Da hatte sie gerade erst eine brenzlige Situation mit Glück überstanden und nun bahnte sich schon die nächste an. Heute schien nicht ihr allerbester Tag zu sein.

»Ich muss unbedingt mehr darüber erfahren!« Emmetts Wissensdurst verlieh seinen wässrigen Augen fast etwas Lebendiges. »Benutzen Sie dafür eine der Symphorien? Oder hilft Ihnen ein bestimmter Duft dabei, diese Bewusstseinsebene zu erreichen, in der Sie Dämonen austreiben können?«

»Das würde mich auch interessieren«, mischte sich Davina ein. »Es ist mir nämlich ein Rätsel, was die Nähe einer Banshee zum Tod und der unsterblichen Seele mit einem Dämon zu tun haben könnte.«

»Ich … ähm …«, stammelte Lilith, während ihr Herz bis zum Hals klopfte. Wenn Emmett Norwich tatsächlich ein Fachmann in solchen Dingen war, würde er auch eine noch so fantasievoll zusammengereimte Lüge sofort durchschauen. »Es tut mir leid, aber ich habe jetzt leider keine Zeit für ein solches Gespräch, weil …«

In diesem Augenblick sah sie am anderen Ende des Marktplatzes Matt aus dem Schultor treten.

»Weil ich verabredet bin«, beendete Lilith schnell ihren Satz und winkte Matt zu. »Ich muss mich jetzt verabschieden. Noch einmal herzlich willkommen in Bonesdale!«

Davina warf einen Blick über die Schulter und musterte Matt mit zusammengekniffenen Augen. »Ist das etwa ein Mensch?«, stieß sie fassungslos aus.

Lilith verkniff sich die patzige Antwort, die ihr auf der Zunge lag, und eilte stattdessen wortlos davon. Leider hörte sie noch, wie Emmett Norwich in deutlich abfälligem Tonfall fragte: »Die Trägerin des Bernstein-Amuletts ist mit einem Menschen befreundet?«

Doch Lilith war schon zu weit weg, um Rebekkas Entgegnung mitzubekommen. Sie wollte gar nicht wissen, was Rebekka von ihrer Beziehung zu Matt hielt.

Als sie atemlos vor ihm stand, sah sie ihm seine Erleichterung an.

»Ich dachte schon, du wirst von einem wütenden Mob über die Devilstreet gejagt!« Matt zog sie in seine Arme. »Ich habe mich aus der Aula geschlichen, weil ich dachte, ich müsste dir zu Hilfe eilen und in letzter Sekunde unsere Flucht organisieren.«

Lilith spürte, wie die Anspannung in ihrem Körper einer angenehmen Wärme wich. Seit einem halben Jahr waren Matt und sie nun zusammen und noch nie hatte sich etwas in ihrem Leben so richtig angefühlt. Sie lehnte ihren Kopf an seine Schulter und sog seinen vertrauten Duft ein. »Wohin wären wir denn geflohen?«

Er überlegte einen Moment und in seinen dunkelbraunen Augen funkelte es. »Ich schätze, Hawaii wäre mein erstes Ziel gewesen. Das Wetter ist dort eindeutig besser.«

Sie blickte grinsend zu ihm auf. »Hawaii? Und von was würden wir dort leben?«

»Aber das liegt doch auf der Hand: Du würdest den Leuten ihre Todesdaten voraussagen, während ich es mir am Strand gut gehen lasse.«

»Das hättest du wohl gern!« Lilith machte sich von ihm los und blickte ihn angriffslustig an. »Abgesehen davon, dass ich keine Todesdaten voraussagen kann, sehe ich absolut nicht ein, weshalb ich arbeiten soll, während du faul in der Sonne herumliegst.«

»Ich habe es geahnt«, entgegnete er gespielt zerknirscht. »Du hast auch so eine scheußlich emanzipierte Einstellung wie meine Mutter. Nun gut, alternativ könnten wir überlegen, gemeinsam ein Sterbe- und Beerdigungsinstitut mit dem Namen ›Beschwingtes Ableben‹ zu eröffnen.«

Lilith zog fragend ihre Augenbrauen in die Höhe.

»Du hilfst den Leuten beim Sterben und nimmst den Angehörigen ihren Trauerschmerz, während ich die Beerdigungen organisiere und auf Wunsch optimistische Grabreden halte.«

»Das ist zwar keine besonders tolle Idee, aber wenigstens stimmt der Ansatz«, lenkte sie schmunzelnd ein.

Matt grinste und strich ihr die Haare aus dem Gesicht. Noch immer wehte vom Meer eine kühle Herbstbrise herüber. »Danke für diese große Ehre, Fürstin der Finsternis!«

»Baronin wäre die korrekte Bezeichnung«, murmelte Lilith. Plötzlich fiel ihr auf, wie nahe sie beieinanderstanden. »Nur Strychnin ist es erlaubt, mich mit blödsinnigen Titeln zu benamsen.«

Matt blickte ihr tief in die Augen und Liliths Herzschlag beschleunigte sich sofort, während sie gleichzeitig den Atem anhielt. Er beugte sich über sie, doch kurz vor ihrem Mund schwenkte er zur Seite und seine Lippen berührten lediglich ihre Wange, denn ein richtiger Kuss würde ihnen immer verwehrt bleiben. Lilith war so frustriert, dass sie am liebsten mit dem Fuß auf den Boden gestampft hätte. Tief in ihrem Inneren rechnete sie damit, dass Matt jeden Moment mit ihr Schluss machte, weil ihn dieser Kuss der ewigen Liebe zu sehr nervte. Welcher sechzehnjährige Junge wollte schon eine Freundin, die er nicht einmal küssen durfte?

»Benamsen?«, flüsterte Matt ihr ins Ohr. Sie spürte den Atem seines Lachens auf ihrem Nacken, sodass es sie unwillkürlich schauderte, was Matt durchaus zu bemerken schien. »Mache ich dich etwa so nervös, dass du schon Sprachschwierigkeiten bekommst?«

Nervös? Hielt er Lilith etwa für eines dieser kichernden Mädchen aus seinem »Matt O’Conner«-Fanklub an der Schule?

»Pah!« Sie versetzte ihm einen leichten Stoß und straffte ihren Rücken. »Nur damit du es weißt: Deine Nähe lässt mich völlig kalt und ›benamsen‹ ist sehr wohl ein richtiges Wort! Strychnin hat es im Duden entdeckt, das ist nämlich seine neueste Bettlektüre.«

Wie Fayola vorhergesagt hatte, ging es Strychnin mit jedem Tag schlechter. Als Belial vor knapp drei Jahren ihren Dämonendiener aus dem Schattenreich verbannt hatte, ahnte Lilith nicht, dass dies so schwerwiegende Folgen für ihn haben würde. In letzter Zeit spielte sie manchmal mit dem Gedanken, Belial einfach darum zu bitten, die Verbannung wieder zurückzunehmen, doch zugleich war ihr klar, dass diese Gefälligkeit nicht umsonst sein würde.

»Hast du noch Zeit für einen Besuch im ›Eiscafé Leichenstarre‹?«, riss Matt sie aus ihren Gedanken.

»Lass mich kurz überlegen …« Lilith ging im Kopf ihre heutigen Termine durch. Soweit sie sich erinnern konnte, stand neben ihrem Besuch bei den Werwölfen nur noch ein Meeting mit Rebekka und den Botschaftern der jeweiligen Nocturi-Stämme an.

»Okay, ich bin dabei. Aber du zahlst!«

»Weißt du, da ist eine Sache, die ich an der Emanzipation nicht ganz verstehe«, erwiderte Matt, während er wie selbstverständlich nach ihrer Hand griff und sie gemeinsam in Richtung »Eiscafé Leichenstarre« schlenderten. »Immer wenn es euch in den Kram passt, findet ihr es völlig okay, auf die altmodischen Rollenverteilungen zurückzugreifen.«

»Du hast recht«, gab Lilith unumwunden zu. »Allerdings musst du nur deswegen zahlen, weil ich kein Geld dabeihabe. Aber wenn es dich glücklicher macht, halte ich dir dafür gleich die Tür auf und helfe dir aus deiner Jacke, Honigbärchen.«

Bis auf das Tabuthema »Kuss der ewigen Liebe« klappte zwischen ihnen alles ganz wunderbar und das Thema »Kosenamen« hatten sie elegant umgangen, indem sie sich mit selbst ausgedachten und maximal kitschigen Spitznamen anredeten, was die anderen meist höchst irritierend fanden.

Matt warf sich eine imaginäre Haarsträhne über die Schulter. »Dass du mir die Tür aufhältst, ist ja wohl das Mindeste, Darling.«

»Hey, wartet auf mich!« Emma schloss keuchend zu ihnen auf. Anscheinend war die Probe nun offiziell zu Ende, denn Lilith entdeckte auch andere Schüler aus dem Theaterkurs auf der Devilstreet.

»Hast du Miss Chesters Schauspielübungen gut überstanden?«, fragte Matt grinsend.