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Venus in Indien

CHARLES DEVEREUX

Das Titelbild steht in keinem Zusammenhang mit dem Inhalt des Buches.

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ISBN 9783798604049
0190748 0000

VORWORT

Das Erotikon »Venus in Indien« gilt ohne Einschränkung als ein Meisterwerk der englischen erotischen Literatur aus der Viktorianischen Zeit. Aus der Vielzahl ähnlicher Werke, die in England und auf dem Kontinent (Frankreich, Belgien, Holland) erschienen sind, hebt es sich durch literarisches Niveau und Delikatesse hervor.

Held und Erzähler ist Captain Charles Devereux. Er dient im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts als Offizier der britischen Krone in Indien. Als Hauptmann nimmt er an den Gefechten des dritten Afghanischen Krieges teil. Die Verfasserangabe »Charles Devereux« ist ein Pseudonym. Es gab zwar eine Familie Devereux, die in der Indienpolitik ihres Landes eine wichtige Rolle spielte, aber es hat den Anschein, dass der Name Devereux von dem Autor frei gewählt wurde. Keines der von ihm erwähnten Regimenter gab es im dritten Afghanischen Krieg. Mit Sicherheit kann man nur sagen, dass der Verfasser ein sehr talentierter Schriftsteller gewesen sein muss.

Die Viktorianische erotische Literatur war eine Untergrundliteratur, die die Grundanschauungen der Gesellschaft in Bezug auf Ehe und Sexualmoral radikal in Frage stellte. Wegen der scharfen Zensurmaßnahmen und der hohen Strafen konnte sie nur auf dem Kontinent hergestellt und musste auf Schleichwegen nach England gebracht werden.

»Venus in Indien« unterscheidet sich aber in wesentlichen Punkten von den bekannten Werken der viktorianischen Untergrundliteratur. Trotz seiner üppigen erotischen Szenen ist es doch ein moralisches Buch. So lesen wir beispielweise nach einer Liebesnacht: »Wären wir verheiratet gewesen, hätten die Leute gesagt: ›Oh, wie sie sich lieben!‹ Da wir es jedoch nicht waren, würden biedere Bürger, die dies lesen, sagen: ›Wie die Tiere!‹«

Die männlichen Hauptpersonen huldigen nicht bedenkenlos der sexuellen Libertinage und versuchen sich ihren Ehealltag durch Seitensprünge zu verschönern. Sie lassen sich keine Gelegenheit entgehen, aber die eheliche Treue und der Unterschied zwischen Liebe und sexueller Befriedigung wird problematisiert.

Diese Doppeldeutigkeit beziehungsweise Zwiespältigkeit, die so typisch für die viktorianische Gesellschaft ist, macht »Venus in Indien« zu einem Meisterwerk der erotischen Literatur.

Helmut Werner

– BUCH 1 –

Der Krieg in Afghanistan schien seinem Ende entgegenzugehen, als ich den Befehl erhielt, mich sofort auf den Kriegsschauplatz zu begeben und zu dem ersten Bataillon meines Regiments zu stoßen, das dort im Felde stand. Erst vor Kurzem war ich zum Hauptmann befördert worden.

Es bereitete mir einen unsagbaren Schmerz, England, meine Frau – die ich erst vor eineinhalb Jahren geheiratet hatte – und mein kleines Mädchen verlassen zu müssen. Wir vereinbarten, dass die beiden später nach Indien kommen sollten, wo mein Regiment stehen würde, wenn es vom öden, felsigen Afghanistan in die furchtbaren Ebenen Hindustans zurückgekehrt war.

Ich will die Einzelheiten des traurigen Abschieds von meinem Weibe übergehen. Ich leistete keine Treueschwüre, denn weder ihr noch mir kam auch nur der entfernteste Gedanke an deren Notwendigkeit. Wohl bin ich eine leidenschaftliche Natur, und vor meiner Ehe hatte ich mich reichlich ausgetobt; doch nun glaubte ich ein zuverlässiger Ehemann zu sein, dessen Verlangen nicht über die Grenzen des Ehebettes hinausreicht. War doch mein liebesvolles, leidenschaftliches Weib immer bereit, meine glühenden Zärtlichkeiten zu erwidern, und ihre frische, jugendlich-prachtvolle Schönheit übte nicht nur einen stets gleichbleibenden Reiz auf mich aus, sondern zog mich umso machtvoller an, je mehr ich in ihrem Besitz schwelgte. Ja, guter Leser, meine süße Louise war eitel Liebe und Leidenschaft. Sie gehörte nicht zu jenen, die pflichtgemäß und kühl die Zärtlichkeiten des Gatten über sich ergehen lassen, als wäre ihnen der Geschlechtsverkehr zur Buße auferlegt worden. Bei uns hieß es immer nur: Noch einmal, mein Lieb! Nur noch ein einziges Mal! Sicherlich wird dir’s guttun! Auch ich sehne mich so sehr danach! Und es wäre mit unrechten Dingen zugegangen, wenn sich mein Glied, das ihre liebende Hand umfasst hielt, sich nicht wieder gereckt und nicht noch einmal wahnsinniges Entzücken ins tiefste Innere jener geheimnisvollen dunklen Grotte getragen hätte, die der Tempel der Liebe ist.

Ach! Geliebte Louise! Wie wenig dachte ich beim letzten Mal, als ich mich aus deiner Umarmung löste, daran, was mich im feuchtheißen Indien erwartete. Es ist auch gut, dass du nie davon erfahren wirst; denn wer wurde jemals wieder erlöst von den Qualen der grünäugigen Eifersucht? Der huldreichen Venus sei Dank dafür, dass sie undurchdringliche Wolkenschleier über meine Liebesfreuden gebreitet hat, wie in vergangenen Zeiten dem Anblick der Götter und Menschen entrückt war, als er sich auf der grünen Kuppe des Ida mit Hera vereinigte.

Doch es ist Zeit, wieder auf die Erde herabzusteigen und meine Geschichte zu erzählen. Nur eines, lieber Leser, muss ich mir ausbitten: dass ich von meiner Feder freien Gebrauch machen darf, sonst fiele mir’s schwer, die Genüsse völlig zu beschreiben, in denen ich während der fünf Jahre meines Aufenthalts in Hindustan schwelgte. Wer nicht das Wort »Schamteil« lesen kann – wenn auch seine Augen nicht zu keusch sind für den Anblick –, der schließe dieses Buch. Und ihr, meine schönen, empfindsamen Mädchen, die ihr zufällig einen Blick in dieses garstige Buch tun könntet, schließt es gleichfalls, wenn ihr das gedruckte Wort nicht vertragen könnt, das der Ausdruck ist für das kraftvolle und (ich glaube nicht fehlzugehen) heiß ersehnte männliche Werkzeug, das stolze, mächtige »Glied« mit seinem wichtigen Anhang, den »Hoden«; oder stellt euch einfach vor, dass eure Blicke auf dem Gegenstand selbst und nicht auf dem Wort ruhen, das mir zur Beschreibung notwendig erscheint.

Mitte August kam ich in Bombay, der »Königin« Ostindiens, an. Und nun, nachsichtiger Leser, möchtest du sicherlich gern wissen, wer mich zur Lust entflammte und ob ich ihren herrischen Befehlen jenen Widerstand geleistet habe, den man mit Recht vom Gatten einer Frau wie meiner Louise erwarten kann.

Nachdem mir vom Ersten Stabsoffizier mitgeteilt worden war, dass Cherat mein Bestimmungsort sei, eine kleine Lagerstätte auf dem Gipfel eines Gebirgszuges, der das Peshawartal im Süden abschließt –, und nachdem ich die Eisenbahnfahrkarte – die Route ging über Allahabad zu einer provisorischen Stadion westlich von Ihelum – und Fahrscheine für die Strecke von jenen Orten nach Cherat erhalten hatte, traf ich meine Vorbereitungen für die lange Reise, die mir bevorstand. Als geistige Wegzehrung erstand ich einige französische Romane, darunter jenes Meisterwerk der Salonerotik »Mademoiselle de Maupin« von Théophile Gautier. Wären nicht die glühenden Bilder dieses wundervollen Prosagedichts gewesen – ich wäre vielleicht den Maschen des Netzes entschlüpft.

Ich las das Buch, als ich allein im Eisenbahncoupé saß. Der Weg nach Bombay über Allahabad nach Peshawar führte fast nur durch Gegenden, die so eben sind wie ein Tisch. Zu dieser Jahreszeit, im August, war das anhaltend ausdörrende Wetter noch nicht von den Regengüssen gemildert worden, die zwischen Juni und September niederzugehen pflegen. Hie und da ragten wogende Ähren empor, doch es gab nur wenige Landstriche, die den Blick auf sich zogen und den Geist vom Zauber der herrlichen »Mademoiselle de Maupin« ablenkten, umso weniger, als ich gerade bei jenem aufregenden Kapitel angelangt war, wo Gautier sie in all ihrer prangenden Schönheit, nackt und brennend vor Verlangen, ihrem Liebhaber erscheinen lässt.

Doch nur einmal auf dieser Reise näherte sich mir der Versucher in leibhafter Gestalt; das tat er jedoch in solch plumper Weise, dass seine Absichten zunichte wurden.

In Allahabad hatte ich einige Stunden Aufenthalt. Um sie angenehm zu verbringen, besichtigte ich die Grabmäler der Könige und Fürsten, die in früheren Zeiten über die Gebiete an den Ufern des Ganges und des Dschamna geherrscht hatten, und andere Sehenswürdigkeiten. Auf dem Rückweg zum Hotel sprach mich ein Eingeborener in fließendem Englisch an: »Wollen Sie eine Frau haben, Sahib (Herr)? Ich habe eine sehr schöne kleine halfcaste (Mischling) bei mir zu Hause. Wollen Sie mitkommen und sie ansehen?«

Ich hatte nicht das geringste Verlangen, die Kleine aufzusuchen; in meiner Ahnungslosigkeit lachte ich bei dem Gedanken, dass es in Indien eine Frau geben könnte, die auch nur einen Funken Lust in mir erregte.

Die Station jenseits von Ihelum ist erreicht und ich habe nur noch einen großen Fluss zu überqueren, dann bin ich über die Grenze des eigentlichen Indien hinaus und betrete im Tale von Peshawar Zentralasien. Zwei bis drei Tage und Nächte ununterbrochener Fahrt im DakGharry (ein bequemer Reisewagen, der von Ochsen oder Ponys gezogen wird) vergingen aber noch, bevor ich Attock erreichte. Die Überfahrt auf dem Indus in einem Ruderboot war ziemlich aufregend bei der schrecklichen Strömung und dem Brausen des Wassers, das sich an dem Felsen brach, umso mehr als die Dunkelheit der Nacht dem Rauschen und der Gefahr eine erhabene Wirkung beifügte.

Beim Himmel! Welch reizendes Geschöpf! Wer mag das sein? Wahrscheinlich die Tochter des Platzkommandanten auf ihrem Morgenspaziergang. Dem offen-erwartungsvollen Blick nach, den sie durch die halb geöffnete Schiebetür des Gharry auf mich warf, schien sie jemanden zu erwarten, vielleicht ihren Bräutigam.

Ach, lieber Leser! Gerade als ich die Augen öffnete, erblickte ich durch die vorerwähnte Tür ein Bild vollendeter weiblicher Schönheit! Ein Mädchen in einem eng anliegenden grauen Kleide und mit einem Teraihute, der keck auf dem reizenden Köpfchen saß. Welch wunderhübsches Gesicht! Welch ein vollkommendes Oval! Welche herrlichen, ein wenig ernst blickenden Augen! Welch zierliche Nase! Welche Rosenknospe von einem Mund!

O Götter! Welche Gestalt! Seht doch nur diese herrlich gerundeten Schultern, diese vollen Arme! Seht, wie stolz die schwellenden Brüste sich an die schlichte und dennoch aufreizende Bluse drängen! Ach, und diese kleinen Muschelohren! Wie hübsch sie am Kopfe sitzen! Wie gern hätte ich das Vorrecht, ihre winzigen Läppchen leise zu drücken! Welch liebliches, liebenswertes Geschöpf! Wie vornehm! Wie engelrein! Wie jungfräulich!

Ach, meine Louise, wie du ist auch dieses Mädchen nicht verführbar! Lang und wild müsste die Jagd sein, die sie dazu brächte, ihren Leib den Händen und Lippen des keuchenden Verfolgers auszuliefern! Nein! Von allen Mädchen, die ich je gesehen habe, scheint mir dieses am allerwenigsten je vom Pfade der Tugend und Ehre abzubringen!

Alle diese Eindrücke durchjagten mein Gehirn nach dem einen flüchtigen Blick, den ich auf sie hatte werfen können: denn schon im nächsten Moment hatte der Gharrykutscher die abgehetzten Gäule zu forschem Galopp angetrieben, damit der Sahib in großem Stile in Nowshera einfahre.

Die Erscheinung schien dennoch nur einen flüchtigen Eindruck in mir zu hinterlassen. Es ist wahr: ich hatte das Mädchen bewundert, ebenso hätte ich aber eine Venus aus Marmor bewundern können. Sie schien so völlig allem Irdischen entrückt, dass es mir auch nicht im Traume eingefallen wäre, ich könnte sie je wiedersehen. Ich wollte ja in Nowshera nur die Pferde wechseln und gleich nach Cherat weiterfahren.

Als ich aber von der Poststation anlangte, sagte mir der Postmeister, ein Babu (gebildeter Hindu), dass er mir nur nach Pubbi, einem Dorfe auf dem halben Wege von Nowshera nach Peshawar, Pferde geben könne. Dort müsse ich zusehen, wie ich nach Cherat komme, denn die Straße sei für DakGharrys nicht befahrbar. Der gute Mann fügte noch hinzu, dass die Strecke zwischen Pubbi und Cherat wegen der Wegelagerer, die sich dort herumtrieben, für den Reisenden gefahrvoll sei. Die Entfernung betrage gut 15 Meilen. Er riet mir, im Public Bungalow (dem Stationshaus) in Nowshera Quartier zu nehmen, bis mir der Brigademajor zur Fortsetzung meiner Reise verhülfe. Was blieb mir anderes übrig? Das Stationshaus stand inmitten einer eigenen Anlage, ein wenig abseits von der Landstraße. Um dahin zu gelangen, musste ich wieder ein Stück der Straße zurückfahren. Ich stieg aus, entließ den Kutscher mit einem Trinkgeld und rief den Chanssamann (oberster Diener des indischen Haushaltes) herbei. Dieser teilte mir mit, dass der Bungalow ganz besetzt sei und er mich nicht unterbringen könne. Doch während ich noch mit dem Chanssamann sprach, schob ein netter junger Offizier die Bambusstabjalousie beiseite, die vor dem Eingang seines Zimmers hing, und trat auf die Veranda heraus. Er sagte, er habe gehört, was ich wolle, und warte nur auf einen Gharry, um seine Reise an die Küste fortzusetzen. Meine Ankunft komme ihm ebenso gelegen wie mir sein Aufbruch: er habe nämlich sofort aufs Postamt geschickt, um sich meinen DakGharry zu sichern, und wenn er ihn bekomme, werde er mir sein Zimmer überlassen. Auch im anderen Falle könne ich es mit ihm teilen, da es zwei Betten habe. Ich brauche wohl nicht erst zu sagen, dass ich das liebenswürdige Angebot freudig annahm, meine Siebensachen bald ins Zimmer befördert hatte und das Wichtigste und Erfrischendste tat, was es in Indien gibt: ein schönes »kaltes Bad« nehmen. Mein neuer Freund hatte sich vorbehalten, das Frühstück für mich zu bestellen, und wir setzten uns zu Tisch, nachdem ich gebadet und mich angekleidet hatte. Wenn Offiziere einander unter solchen Umständen begegnen wie hier, befreunden sie sich sehr rasch und intim. Naturgemäß bildete zunächst der Krieg das Hauptthema unseres Gespräches. Nachdem wir intimer geworden waren, kamen wir, wie es bei jungen, aber auch noch bei alten Männern selbstverständlich ist, auf die Liebe und die Frauen zu sprechen, und mein junger Freund erzählte mir, dass in den Bordellen von Peshawar die ganze britische Armee im »Einsatz« sei.

»Bei Gott!«, rief er lachend aus. »Die Freudenmädchen von Peshawar heimsen eine reiche Ernte ein! Kaum dass ein Regiment aus dem unwirtlichen Afghanistan ankommt, rennt die ganze hungrige Meute in den ›Bazar‹, und die armen Kommissbrüder, die draußen warten müssen, halten schon den Schwanz in der Hand und brüllen denen ›drinnen‹ zu, sie mögen sich doch beeilen!«

Das war natürlich übertrieben, aber nicht so stark, wie man geneigt wäre zu glauben.

Wir hatten nach dem Frühstück die Cheroots (eine Zigarre in Manilafasson, an beiden Enden abgestumpft) gerade zu Ende geraucht, als der Bursche des jungen Offiziers auf demselben DakGharry angefahren kam, der mich von Attock hergebracht hatte. Wenige Minuten danach verabschiedete sich mein fröhlicher Zimmergenosse.

»Dort drin ist jemand«, sagte er, auf das Nebenzimmer deutend, »dem ich ›Adieu‹ sagen muss, bevor ich abreise.« Er blieb nicht lange aus, schüttelte mir noch einmal die Hand, und bald darauf hatte ihn schon eine Staubwolke meinen Blicken entzogen.

Ich kam mir nun ganz einsam und verlassen vor. Der Bungalow steckte allerdings voller Leute, aber ich wohnte in einem kleinen Anbau, sodass ich keine Seele zu Gesicht bekam, wenngleich ich ab und zu jemanden reden hörte. Mich quälte der Gedanke, wie ich nach Cherat käme. Es ging schon auf zehn Uhr und die Sonne sandte volle Bündel brennender Strahlen auf die ausgedörrte Ebene von Nowshera nieder; ein glühender Wind setzte ein, der einen förmlich austrocknete und Lippen und Augen schmerzen machte. Die Hitze ließ mich bald den Gedanken aufgeben, zum Brigademajor zu gehen. Ich holte Cheroots und die »Mademoiselle de Maupin« hervor, setzte mich hinter einen Pfeiler der Veranda, um mich gegen den Sturmwind zu schützen, und versuchte zu lesen.

Aber selbst diese reizende Dame konnte mich heute nicht fesseln. Ich fiel in den Sessel zurück und paffte teilnahmslos vor mich hin, während meine Blicke über die hohe Gebirgskette wanderte, deren Umrisse zitternd durch die heiße, gelblichschwere Luft herüberschienen.

Lieber Leser, hast du je das Gefühl gehabt, dass jemand dich beobachtet, ohne dass du ihn siehst? Ich bin in dieser Beziehung sehr empfindsam. Während ich so lässig ausgestreckt dasaß und meine Blicke in die Ferne schweiften, regte sich in mir das Gefühl, es müsse jemand ganz in der Nähe sein und mich unausgesetzt anstarren. Schließlich konnte ich meine Unruhe nicht länger bezähmen und wandte den Kopf zur Seite.

Mein Erstaunen war grenzenlos, als ich dasselbe süße Gesicht, das ich morgens flüchtig gesehen hatte, aus dem halb gelüfteten Bambusvorhang schauen sah, der in der Türöffnung des Nebenzimmers hing.

Ich war derart verblüfft, dass ich sofort wieder zu den Bergen aufblickte, anstatt mir die Dame ordentlich anzusehen. Und es wäre doch gar keine Verletzung des guten Tones gewesen! Dabei fühlte ich, dass sie mich noch immer fixierte, und ich war baff, dass die schöne Unbekannte, von der ich fest überzeugt war, dass sie eine wirkliche Dame sei, und von der ich mir einbildete, sie müsse des Kommandanten Tochter sein, solche schlechten Manieren habe und einen völlig fremden Mann in dieser Weise anglotzte. Ich wandte wieder den Kopf, und diesmal sah ich das seltsame Mädchen ein wenig fester an. Die Blicke ihrer großen, strahlenden Augen senkten sich tief in meine; sie sah mich so durchdringend an, als wolle sie meine Gedanken erraten. Einen Augenblick lang hatte ich die Vorstellung, dass es mit ihr nicht recht geheuer sei; da ließ die Schöne den Vorhang fallen. Von diesem Moment an war meine Neugierde entfacht. Ich sprang auf, ging in mein Zimmer und rief den Chanssamann.

»Chanssamann! Wer ist die Dame in dem Zimmer da?«, ich zeigte auf die geschlossene Verbindungstür.

»Eine Mem Sahib, Herr!«

Eine Mem Sahib? Ich war früher schon einmal in Indien gewesen und wusste, dass Mem Sahib die Bezeichnung für eine verheiratete Frau ist. Ich war überrascht! Mein erster Eindruck war so ganz anders gewesen.

»Ist der Sahib bei ihr?«

»Nein, Herr!«

»Wo ist er?«

»Ich weiß nicht, Herr.«

»Seit wann ist die Mem Sahib hier, Chanssamann?«

»Acht bis zehn Tage, Herr.«

»Reist sie bald wieder ab?«

»Ich weiß nicht, Herr.«

Es war klar, dass ich nicht mehr viel aus diesem Kerl herausbringen würde. Nur noch eine Frage musste ich stellen.

»Lebt die Mem Sahib ganz allein, Chanssamann?«

»Ja, Herr. Sie hat niemanden bei sich, nicht einmal eine Ayah (Gesellschafterin).«

Das war ja wunderbar! Woher kannte sie übrigens mein junger Freund vom Vormittag? Warum hatte er mir nichts von ihr gesagt? In dir, erfahrener Leser, hat sich gewiss schon der Verdacht geregt, dass hier nicht alles mit rechten Dingen zugehe, aber ich konnte nicht die fixe Idee loswerden, dass diese Frau nicht nur eine Dame, sondern eine ausnehmend tugendhafte Dame aus vornehmer Familie sei.

Ich nahm wieder meinen Platz auf der Veranda ein und es dauerte nicht lange, so hörte ich ein Rascheln. Ich wandte mich um und sah diesmal mehr von dem reizenden Ding. Ihr Blick war noch immer neugierig starrend, doch ihr Mund verzog sich nicht im Geringsten zu einem Lächeln. Sie schien nur in Unterkleidung zu sein, Beine und Füße – liebliche, winzige Füße mit herrlich geformten Knöcheln – waren nackt; sie trug nicht einmal Pantoffeln. Ein leuchtender Schal bedeckte Schultern und Busen, ohne aber die vollen, wohlgeformten weißen Arme, die schlanke Taille und die prachtvoll ausladenden Hüften zu verbergen. Die nackten Beine erfüllten mich ebenso sehr mit heißer Lust, wie das reizende Gesicht und der wunderbar ruhige, ziemlich ernste Gesichtsausdruck mir alle unkeuschen Gedanken ausgetrieben hatten.

Casanova, in solchen Fragen doch wohl eine anerkannte Autorität, sagt, dass in der Neugierde der Ursprung der geschlechtlichen Zügellosigkeit liege; dass, wenn jene nicht wäre, der Mann sich mit einer Frau begnügen würde, da alle Frauen in der Hauptsache gleich sind. Nur die Neugierde triebe den Mann immer wieder ins Abenteuer. Auch mich ergriff eine verzehrende Neugierde. Dieses seltsamen Mädchens Gesicht erregte in mir den Wunsch zu erfahren, wie es komme, dass sie sich in Nowshera im Public Bungalow ganz allein aufhalte, und ihre nackten Beine ließen mich die stille Frage stellen, ob die Knie und Schenkel ihrer fehlerlosen Schönheit gleichkämen. Meine erhitzte Fantasie malte sich den wollüstigen Venusberg und den köstlichen Mittelpunkt aller Genüsse aus, den Locken überschatteten, die von dunkelbrauner Farbe sein mochten, wie die herrlichen Brauen, die sich über den ausdrucksvollen Augen wölbten.

Ich erhob mich und ging auf sie zu. Sofort zog sie sich zurück, aber schon im nächsten Augenblick schob sie wieder die Jalousie zur Seite. Zum ersten Mal bemerkte ich ein Lächeln auf ihren Lippen. Welch ganz anderen, wundervollen Ausdruck es ihrem Gesichte gab! Zwei süße Grübchen traten dadurch in den wohlgerundeten Wangen auf; die rosigen Lippen teilten sich und ließen zwei Reihen wahrer Perlenzähne sehen, und die Augen, die bisher so ernst und nahezu abweisend geblickt hatten, waren nun voller Zärtlichkeit und Sanftmut.

»Es muss Ihnen doch sehr heiß sein da draußen auf der Veranda«, sagte sie. Ihre Stimme war leise und melodisch, hatte jedoch einen ziemlich ordinären Akzent, der zunächst mein Ohr beleidigte. »Ich weiß, dass Sie ganz allein sind. Wollen Sie sich nicht zu mir ins Zimmer setzen und ein wenig plaudern? Wenn Sie lieb sind, werden Sie es tun!«

»Danke«, sagte ich lächelnd unter einer Verbeugung.

Ich warf die Zigarre fort und trat ein. Sie hielt die Jalousie hoch, um mir Raum zum Vorbeigehen zu lassen. Ich ergriff die Jalousie, die sie mit ausgestrecktem Arme noch immer hielt. Der Schal war dadurch ein wenig herabgerutscht und ließ fast den ganzen Busen frei; so sah ich nicht nur zwei wunderbar runde, volle, glatte Elfenbeinkugeln, sondern sogar den korallroten Marmor, der die Schneespitze der einen zierte. Ich bemerkte, dass ihr Auge meinen Blick auffing; sie beeilte sich jedoch gar nicht, den Arm zu senken, und ich kam zu der Auffassung, dass diese freigebige Entfaltung ihrer Reize durchaus nicht unbeabsichtigt sei.

»Ich habe nur einen Sessel hier«, sagte sie und ließ dabei ein reizendes kurzes Lachen erklingen, »wir können jedoch zu zweit auf meinem Bette sitzen, wenn es Ihnen nichts ausmacht.«

»Mit größtem Vergnügen, wenn Sie das Sitzen ohne Rückenlehne nicht ermüdet.«

»Aber!«, erwiderte sie im unschuldigsten Tone der Welt. »Legen Sie einfach den Arm um mich, dann werde ich nicht ermüden.«

Wäre nicht dieser unschuldige Ton gewesen, womit sie das sagte, ich hätte sie wohl gleich auf den Rücken und mich auf sie gelegt. Mir kam wieder der Zweifel, ob sie ganz bei Verstand sei. Wäre dann mein Vorgehen nicht schwärzeste Schurkerei gewesen?