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Nr. 2895

 

Botschaft vom Sternentod

 

Die Garde tritt auf den Plan – Rhodans Vorstoß in den Katoraum

 

Hubert Haensel

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1. Bayvtaud

2. Perry Rhodan

3. Bayvtaud

4. Perry Rhodan

5. Shydaurd

6. Perry Rhodan

7. Sichu Dorksteiger

8. Perry Rhodan

9. Perry Rhodan

10. Perry Rhodan

11. Die Steuerzentrale

12. RAS TSCHUBAI

13. Die Steuerzentrale

14. Bayvtaud

15. Katoraum

16. RAS TSCHUBAI

Leserkontaktseite

Glossar

Risszeichnung Brünne – Kriegsornat der Tiuphoren

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Im Jahr 1522 Neuer Galaktischer Zeitrechnung (NGZ) befindet sich Perry Rhodan fernab der heimatlichen Milchstraße in der Galaxis Orpleyd. Dort braut sich etwas zusammen, das den Unsterblichen zum Handeln zwingt: Die negative Superintelligenz KOSH verbirgt sich in der Sterneninsel vor allen Hohen Mächten und arbeitet dort an ihrer eigenständigen Entwicklung in eine Materiesenke.

KOSH will nicht zum Instrument der Chaotarchen werden – von denen insbesondere Cadabb sich sehr stark für KOSH interessiert. Zwei Völker Orpleyds arbeiten, teilweise ohne eigenes Wissen, für KOSHS Ziele: die Tiuphoren und die Gyanli, insgeheim gelenkt von den Pashukan, den Todesboten der Superintelligenz.

Perry Rhodan weiß, dass die Geburt einer Materiesenke das Ende für die betreffende Galaxis oder sogar Mächtigkeitsballung bedeutet – und den Tod aller Lebewesen. Um diese Entwicklung aufzuhalten, ist der Terraner bereit, alles zu wagen. Er verkündet seine BOTSCHAFT VOM STERNENTOD ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Perry Rhodan – Der Terraner sucht nach der Garde der Gerechten.

Sichu Dorksteiger – Die Chefwissenschaftlerin befasst sich mit einer Maschine des Todes.

Gholdorodyn – Der Kelosker benutzt seinen Kran.

Saggus – Der Gyanli misstraut den Terranern.

Gucky – Der Mausbiber durchlebt eine Phase der Schwäche.

Bayvtaud – Der Anführer des Verborgenen Clans verteidigt seine Macht.

1.

Bayvtaud

 

Die Bannwelt Goath war zur fahlen Sichel geschrumpft. Bayvtaud musste die Augen anstrengen, um den zweiten Planeten des Trallyomsystems in der Bildwand überhaupt zu entdecken. Angespannt starrte er in die Schwärze des Weltraums.

Endlich wieder im Nichts baden! Der Wunsch überkam ihn mit Wucht. Er hätte nicht zu sagen vermocht, wann er zuletzt »draußen« gewesen war. Bayvtaud entsann sich nur des unvergleichlichen Glücksgefühls, neben einem Raumschiff dahinzutreiben und das Vakuum zu genießen wie einen grundlos tiefen Ozean.

Welches Volk außer den Gyanli war dazu befähigt? Die Evolution hatte keine zwei derart perfekten Spezies in ganz Orpleyd entstehen lassen. Bayvtaud war überzeugt, dass in den Nachbargalaxien ebenfalls kein Volk dem der Gyanli gleichkam.

Seine VTAUD flog ein Ausweichmanöver. Bayvtaud erkannte es an der schnellen Bewegung, mit der das Abbild der Sonne die Position veränderte. Das schroffe Einschwenken auf einen neuen Kurs verriet ihm, dass sein Schiff angemessen worden war. Keine Bedrohung indes, sonst wäre längst Alarm erklungen.

Er spreizte amüsiert alle zwölf Finger. Die VTAUD, mit der er Goath verlassen hatte, erschien äußerlich wie ein heruntergekommenes ziviles Raumschiff. Unauffällig bleiben, keine Begehrlichkeiten wecken und schon gar keine Neugierde, das war die Devise des Verborgenen Clans.

Leicht zu erkennen, dass die Geschütze des Walzenraumschiffs der CINDAAR-Klasse abgebaut worden waren. Trotzdem barg die VTAUD weiterhin alle Waffensysteme, nur eben gut getarnt und in Bereichen, in denen kein Gyanli eine Bewaffnung vermutete. Zudem war die Rumpfstruktur verdichtet und verstärkt. Zusatztriebwerke machten das Schiff wendig und schnell – ein Feind, der im Ernstfall ruckartige Flugmanöver wie eben erwartete, würde zwar womöglich Zeit finden, seinen Irrtum zu erkennen, aber gewiss nicht mehr, um diese Information weiterzugeben.

Nachdenklich straffte Bayvtaud die Drifthäute an den Oberarmen. Sie filterten einen Hauch seiner eigenen Anspannung aus der Luft. Vor allem ließen sie ihn den Ärger und die Verwirrung riechen, die sich in ihm anstauten, seit sein Berater Nenevtaud die jahrelange Lüge offenbart hatte.

Nenevtaud war nicht Nenevtaud, sondern ein Pashukan. Ein Maschinist – und damit sehr viel mehr als ein Lebewesen oder eine Maschine: Er war ein manifester Teil von KOSH.

Mit ihm wird unsere Historie greifbar!

Bayvtaud spürte, wie seine Erregung wuchs. Die Drifthäute nahmen die eigene bioelektrische Anspannung wahr und reagierten mit stechendem Hinweisschmerz. Er wusste ebenso wie die Linearen Operatoren um die Pashukan und ihr Entstehen tief in der Vergangenheit.

»Nunadai ...« Er flüsterte den Namen des Maschinisten, der als Nenevtaud jahrelang unerkannt an seiner Seite agiert hatte.

Nunadai hatte die Bannwelt ebenfalls an Bord der VTAUD verlassen. Er war beschädigt. Nicht verletzt wie ein Lebewesen, sondern beschädigt, wie es einer Maschine zustand. Ob sein Zustand bedrohlich oder reparabel war, entzog sich Bayvtauds Kenntnis. Er wollte es einerseits wissen, und andererseits schreckte er davor zurück, weil er bislang nicht mit der Offenbarung umzugehen wusste: Sein langjähriger Berater war ein Pashukan, und er hatte nie etwas davon bemerkt.

Ihn erschütterte bereits der Verdacht, Nenevtaud als sein Vertrauter könnte ihn manipuliert und gelenkt haben. Welche Entscheidungen waren wirklich seine eigenen gewesen? Und wo hatte der Pashukan ihn benützt und geführt wie eine welke Puppe aus Seegras?

Er, Bayvtaud, hielt die Fäden in Orpleyd in Händen. Sollte diese Grundüberzeugung ein Irrtum gewesen sein? Konnte es sein, dass ein anderer ihn gelenkt hatte? Es war schwer zu ertragen, dass er selbst zum Werkzeug geworden sein mochte.

Ein Plätschern ließ ihn aufsehen. Schnell steigerte es sich zum Tosen eines Wasserfalls – ein Meldeton, der von Dringlichkeit zeugte. Nur wenige Gyanli konnten ihn direkt und ohne Umweg über die zentrale Funküberwachung erreichen, wie es soeben geschah.

»Ich höre!«, sagte Bayvtaud in die Weite seines Bordquartiers.

Das Bild des Weltraums wich einer anheimelnden Unterwasserwelt. Das lichtdurchflutete Blau kam Bayvtaud vor wie ein Affront nach der langen Zeit, die er auf der atmosphärelosen, öden Bannwelt zugebracht hatte. Die Tümpel, Seen und Fließgewässer in der Residenz des Verborgenen Clans hielten einem Vergleich mit dem Meer auf Gyan nicht einmal im Ansatz stand.

»Ich höre!«, wiederholte Bayvtaud. Er gab sich keine Mühe, das ungehaltene Vibrieren seiner Stimme zu verbergen. Wer immer mit ihm reden wollte, sollte dies ohne Umschweife tun oder schweigen.

Die Bildwand zeigte den Meeresboden in höchstens dreißig Metern Tiefe, doch jäh veränderte sich die Wiedergabe. Eine Flutwelle türmte sich auf. Sie schlug mit Wucht über Bayvtaud zusammen und riss ihn mit sich ...

Er schmeckte das aufgewirbelte Plankton. Und er roch die Ausdünstungen der Lichttentakel, obwohl das alles nur in der Projektion stattfand. Zu Tausenden wiegten sich die mächtigen Pflanzen im Sog der Strömung wie ein bizarrer Wald aus Licht und Schatten.

Leuchtfische stachen aus den hohlen Tentakeln hervor – ein unüberschaubarer Schwarm, der, wohin er auch kam, abgeweidete, aufgewühlte Sedimente ohne die geringste Spur von Leben hinter sich ließ.

Es gab diese großen Schwärme längst nicht mehr. Leuchtfische existierten gegenwärtig nur in größerer Tiefe und in Schulen von höchstens einigen Dutzend Exemplaren. Schon vor Jahrtausenden waren ihnen in den Gyanli Konkurrenten erwachsen, denen sie nicht widerstehen konnten. Umso erstaunlicher, dass sich ausgerechnet einer der Linearen Operatoren dieses Signets bediente.

Die Illusion war perfekt. Bayvtaud musste an sich halten, damit er nicht auf Kiemenatmung umstellte.

Wer wusste, dass er sich an Bord der VTAUD aufhielt? Allein derjenige, der ihn gebeten hatte, Goath zu verlassen.

»Was hast du mir zu sagen, Shydaurd?«, fragte er eine Nuance versöhnlicher als zuvor.

Der Erkenntnis-Operator Shydaurd hatte ihn um ein Treffen ersucht – nach den Vorfällen auf Goath die zwangsläufige Reaktion. Bayvtaud hätte sich eine Menge Fragen gestellt, wäre es anders gewesen.

Der Schwarm der Leuchtfische umringte ihn. Er verfolgte leicht belustigt die Bemühung des Erkenntnis-Operators, sich über die Funkverbindung eindrucksvoll in Szene zu setzen. Falls jemand genau das nicht nötig hatte, war es Shydaurd oder einer der beiden anderen Linearen Operatoren der Kohäsion, denn sie bildeten unangefochten die Regierung.

Bayvtaud lauerte auf jede Regung. Shydaurd ist verunsichert, erkannte er. Vermutlich weiß er mehr, als er zugibt. Ob er etwas von der Antenne Cadabbs ahnt?

Es schadete nie, jeden Wesenszug eines Gegners, Freundes oder Verbündeten zu kennen. Bessere Informationen zu haben als andere, war die Schwimmblase der Macht.

Bayvtauds Gedanken rotierten. Shydaurd hatte ihn zu sich gebeten, zum Sitz des Daur-Clans auf dem Poya-Mond Portechter »in der Weite«. Poya, ein aufgeblähter Gasriese, war der vierte Planet des Trallyomsystems, und genau dorthin flog die VTAUD, wenngleich nicht auf direktem Kurs.

Unser Treffen wurde offenbar verlagert. Bayvtaud presste die Lippen zusammen; er wollte nicht verraten, dass er den Erkenntnis-Operator durchschaute. Ein anfliegendes Raumschiff hatte den Kurswechsel ausgelöst, und kurz darauf meldete sich Shydaurd. Beides passte logisch zusammen.

»Was ich dir zu sagen habe?«, erklang die Antwort. »Wir müssen uns schneller sehen, an einem Ort, an dem ungebetene Beobachter sofort auffallen würden. Ich denke, das ist in unser beider Interesse. Deshalb erwarte ich dich an Bord der DAURD.«

 

*

 

Keiner der drei Linearen Operatoren hatte es nötig, ebenso geheim zu agieren wie der auf der Bannwelt angesiedelte Verborgene Clan Vtaud. Entsprechend eindrucksvoll wirkte das Flaggschiff des Erkenntnis-Operators Shydaurd.

Die DAURD war ein Schiff der GUULAR-Klasse, fast dreimal so groß wie Bayvtauds VTAUD. Ihre beiden 400-Meter-Türme standen wuchtig vom Schiffsrumpf ab wie die gespreizten Giftflossen eines Quastentauchers – überhaupt war die Ähnlichkeit mit diesem tückischsten aller Raubfische auf Gyan unübersehbar. Wohl kein halbwegs mit dem Meeresleben der Heimatwelt vertrauter Gyanli zweifelte daran, dass die Schiffskonstrukteure von einst den Quastentaucher als Vorbild genommen hatten.

Bayvtaud blickte auf die Beobachtungsschirme des eigenen kleinen Beiboots, das ihn zur DAURD übersetzte. Die Ortungen zeigten kein weiteres Schiff im Umkreis, auch keinen Hinweis auf die Terraner, die so überraschend auf der Bannwelt erschienen waren. Perry Rhodan und seine Leute hatten sich nicht zurückgezogen, davon war Bayvtaud überzeugt. Irgendwo in der Nähe des Trallyomsystems warteten sie, im schlimmsten Fall sogar im Ortungsschutz der Sonne. Die Angreifer aufzuspüren, durfte nicht dem Zufall überlassen bleiben. Es galt, sie schnell unschädlich zu machen.

Bayvtaud spreizte die Finger und spannte die Drifthäute zwischen ihnen, dann zog er die Finger wieder aneinander. Rein mechanisch wiederholte er die Bewegung, spannte die Drifthäute, ließ sie erschlaffen, spannte sie ... Eine Fülle feinster Empfindungen durchströmte ihn während dieser Bewegung. Ihm fiel auf, dass nur er selbst angespannt und nachdenklich wirkte, die beiden Piloten erledigten ihre Arbeit in ruhiger Gelassenheit.

Ein Peilton erklang aus den Lautsprecherfeldern. Die dumpfe unterbrochene Tonfolge wurde schnell zum hellen und konstanten Laut, der erst verstummte, als das Beiboot in die offene Hangarschleuse einschwebte.

Bayvtaud erhob sich aus der Nässeschale, die ihm die ohnehin nur kurze Flugzeit so angenehm wie möglich gemacht hatte. Er streifte die Kutane über und warf einen forschenden Blick auf die Außenbeobachtung.

Das Beiboot hatte in einem mittelgroßen Hangar aufgesetzt, in dem keine anderen Schiffe standen. Gyanli waren ebenfalls nicht zu sehen.

Das Summen der Antriebsaggregate erlosch, die Kontrolltafeln schalteten nacheinander ab. Sanftes Wellenrauschen erklang, von der Automatik eingespielt.

Einer der Schirme zeigte einen Quallenroboter, der in den Hangar schwebte. Die leicht pulsierende, faustgroße Maschine mit den vielen Tentakelfäden würde ihn zu Shydaurd führen.

Wortlos verließ Bayvtaud die Kommandokanzel. Er glaubte wahrzunehmen, dass die DAURD für ihre nächste Überlichtetappe beschleunigte. Der Erkenntnis-Operator tat jedenfalls gut daran, nicht zu lange in der Nähe des vermeintlich zivilen Raumschiffs zu verweilen.

Keine Rückschlüsse auf Aktionen des Verborgenen Clans zuzulassen war wie ein ungeschriebenes Gesetz.

2.

Perry Rhodan

 

Er stand neben Sichu Dorksteiger und betrachtete sie nachdenklich. Ihre große, schmale Statur; das bis zur Hüfte reichende silberne Haar, das sie mit einigen Ringen zusammengefasst hatte; die smaragdgrüne Haut mit den goldfarbenen Mustern, die ihm einmal mehr wie Fraktale erschienen, die ihn geradezu herausforderten, den Sinn in ihrer Anordnung zu erkennen.

Sichu lächelte stumm. Sie ließ seine Musterung schweigend über sich ergehen. Nur die smaragdgrünen Punkte in den bernsteingelben Augen schienen aufzublitzen.

»Wir haben zu wenig Zeit füreinander«, stellte Rhodan leise fest.

Sichus Augen verengten sich leicht. So vertraut sie beide einander waren, so fremd erschien sie ihm in dieser Sekunde. Abweisend kühl ihre unbewegte Miene – zugleich eine unausgesprochene Aufforderung.

»Ich habe dich vermisst, als mein Körper tot war und mein Bewusstsein von den Tiuphoren eingefangen. Und ich habe darüber nachgedacht, was wir beide ändern müssten. Die Zeit, die uns gemeinsam zur Verfügung steht, ist das Problem.« Rhodan lachte verhalten. »Ein potenziell Unsterblicher bezeichnet Zeit als Problem. Ich frage mich, was ich falsch gemacht habe, dass es so weit kommen konnte.«

»Nichts«, hauchte Sichu. »Du kannst einfach nicht aus deiner Haut.«

Er hob die Hand, fuhr sanft mit zwei Fingerspitzen über ihre Stirn, glitt an ihren Schläfen entlang über die Wangenknochen und zeichnete die goldschimmernden Muster nach. Zuletzt berührte er ihre Lippen.

»Mag sein, dass du recht hast«, gestand er ein. »Eine Zeitlang, in der Gefangenschaft, träumte ich von uns beiden auf einer paradiesischen Welt unter der Sternenfülle des galaktischen Zentrums. Irgendwann wird das hier vorbei sein ...«

Sichu griff blitzschnell zu. Er schaffte es nicht, die Finger von ihrem Mund zu lösen, vielleicht wollte er das auch gar nicht. Ihre Finger schlossen sich um sein Handgelenk, und sie drückte seinen Arm zur Seite. Er vergaß mitunter, dass Sichu eine ausgebildete Soldatin war und nicht »nur« die Chefwissenschaftlerin der Liga Freier Terraner.

»Du wirst nie zur Ruhe kommen, Perry, weil dich genau das krank machen würde«, behauptete sie. »Du träumst von einem fremden Sternenhimmel – und denkst an die Probleme, die dort zu lösen sein werden. Allethaggra, glaubst du, dass ich mir ein beschauliches Leben vorstelle? Wer sagt dir, dass ausgerechnet ich mir Ruhe und Nichtstun wünsche?«

Sichu neigte ihm den Kopf entgegen. Er roch den feinen Duft ihrer Haut, den er nach all der Zeit noch immer mit der fernen Galaxis Anthuresta verknüpfte, ihrer Heimat. Mit der freien linken Hand griff er ihr in den Nacken, wühlte die Finger in ihr Haar und zog sie an sich.

Ein dezentes Räuspern beendete ihren leidenschaftlichen Kuss. »Ich bedaure, die Zweisamkeit stören zu müssen«, sagte eine helle Mädchenstimme.

Rhodan löste sich von seiner Gefährtin und wandte sich um. »Ich sollte meine Kabine gegen jeglichen semitronischen Zugriff sperren.« Dort stand die wie aus bläulichem Glas gegossene Gestalt des jungen Mädchens, das ihn mit großen Augen anblickte. Hin und wieder machte ANANSI von der Möglichkeit Gebrauch, an bestimmten Stellen im Schiff ein Holo seines Avatars zu projizieren.

»Ich habe ANANSI angewiesen, mich umgehend zu informieren, falls Fernortung oder Sonden Besonderheiten erkennen lassen«, sagte Sichu. Leicht spöttisch fügte sie hinzu: »Egal, wo ich mich gerade befinde und womit ich beschäftigt sein mag.«

Rhodan verzichtete auf einen Kommentar. Er verzog nur einen Mundwinkel und rieb sich die kleine Narbe am Nasenflügel. »ANANSI, lass hören!«, forderte er den Avatar des Bordrechners auf.

»Der Kontakt zu zwei Sonden ist vor wenigen Minuten abgebrochen!«, meldete die gläserne Mädchengestalt. »In weiten Bereichen des Trallyomsystems sind die physikalischen Gegebenheiten erneut in Fluss geraten.«

»Was genau?«, drängte Sichu.

»Verschiebungen im Ortungsbereich: Phantombilder als Doppelung; räumliche Versetzung einzelner Raumschiffe; Verflüchtigung geringer Anteile von Protomaterie ...«

»Also grundsätzlich nichts Neues«, unterbrach Rhodan.

»Abgesehen vom Ausfall der beiden Sonden im Bereich des zweiten Planeten. Sie meldeten unabhängig voneinander eine Masseverschiebung auf Goath. Ich zeige die Auswertung.«

Neben ANANSIS Avatar erschien die verwaschene Wiedergabe der Bannwelt. Das war kein normaloptisches Bild, sondern eine rechnerisch interpolierte Darstellung. Die Schattierungen zeigten die Masseverteilung an der Oberfläche und im oberflächennahen Bereich des wenig mehr als marsgroßen Planeten. Die Wiedergabe hatte etwas von einem verwirrenden Flickenteppich.

»Detailvergrößerung!«, verlangte Sichu.

Das Holo wurde nicht deutlicher. Mehr Einzelheiten machten es trotzdem leichter, Strukturen zu erkennen.

»Das ist die Kraterregion, in der wir uns umgesehen haben«, erkannte Rhodan.

»Umgesehen nennst du das?« Sichu hielt plötzlich einen Holomarker in der Hand und heftete das kleine Gerät neben den Tränenkanal ihres rechten Auges. Die Rückkopplung über den winzigen Blicksensor hob einen Bereich des Holos farbig hervor.

»Da gab es einiges an Zerstörung«, bemerkte Rhodan. »Aber das ist bekannt. ANANSI, bitte eine Erläuterung! Was bezeichnest du als Masseverschiebung? Die Vernichtung der Antenne Cadabbs ging Hand in Hand mit der Auflösung eines großen Volumens an Protomaterie. Vermutlich einschließlich der subplanetaren Steuerzentrale des Schnitters.«

»Deine letzte Annahme ist rein spekulativ.«

»Zumindest deckt sie sich mit meinem Eindruck, dass die Zentrale zerstört wurde«, sprang Sichu ihm bei.

»Beide Einschätzungen bedürfen der Korrektur«, beharrte ANANSI.

»Klärungsbedarf besteht in Richtung elf Uhr, vom Explosionsherd ausgehend«, sagte Rhodan fast gleichzeitig.

»Der Bereich fällt mir ebenfalls auf«, pflichtete Sichu bei. »Die ausgedünnte Masse im Randgebiet der Explosion ist schwer zu übersehen.«

Die Farbmarkierung im Holo war ihrem leicht veränderten Blickwinkel gefolgt. Etwas, das entfernt wie ein dreizackiger Stern anmutete, schimmerte fahl in der Darstellung.

»Masseschwund in dem fixierten Abschnitt ist deutlich«, sagte ANANSI. »Der Vergleich mit den Aufzeichnungen der ersten Messungen zeigt einen signifikanten Fehlbetrag.«

Die holografische Wiedergabe veränderte sich erneut, ihre Qualität fiel in der Vergrößerung noch einmal ab. Erkennbar blieb eine vage geometrische Form, ein eher plump anmutendes dreizackiges Gebilde.

»Liegen Daten über die Untergrundverhältnisse vor?«, drängte Rhodan. »Gesteinsadern, Erzvorkommen, natürliche Höhlensysteme, die von Bebenwellen zum Einsturz gebracht worden sein könnten?«

»Nur pauschale Messungen«, antwortete ANANSI. »Das Interesse galt zunächst anderen Werten. Weitergehende Untersuchungen blieben dem mittlerweile angelaufenen zweiten Schritt vorbehalten.«

»Bedauerlich, aber nicht zu ändern.« Rhodan wandte sich an seine Gefährtin. »Du taxierst die Struktur ziemlich genau ...«

»Weil sie den Anschein erweckt, als wäre etwas aus dem Planetenboden herausgelöst worden. Und das offenbar erst einige Zeit nach unserem Eintreffen im System.«

Als müsste sie um Aufmerksamkeit heischen, hob die gläserne Mädchengestalt die Hände. »Die Auswertung der Datensätze beider Sonden wurde soeben abgeschlossen. Positionsdifferenz zum Beobachtungszeitpunkt über vierzigtausend Kilometer. Der unterschiedliche Erfassungswinkel begünstigt eine räumliche Hochrechnung. Unklare Sequenzen wurden unter dem Aspekt der Wahrscheinlichkeit rechnerisch ergänzt.«

Im Holo drehte sich ein wuchtig anmutendes Gebilde. Es verfügte nicht nur über drei Arme, sondern über vier. Sie wuchsen aus einem gemeinsamen Mittelpunkt heraus, waren vermutlich gleich lang, und jedes stand nahezu im selben Winkel zu den anderen.

»Ein Tetrapode!«, stellte Rhodan keineswegs überrascht fest. »Eine solche Figur kann nicht auf natürliche Weise entstanden sein. Das ist nichts anderes als die Steuerzentrale des Schnitters. Sie hat die Explosionen also überstanden.«

Sichu murmelte etwas, das Rhodan nicht verstand. Als er sie auffordernd ansah, erhielt er nur ein Kopfschütteln zur Antwort. Offenbar war es eine Verwünschung in ihrer eigenen Sprache gewesen.

»ANANSI, Auswertung auf dieses potenzielle Objekt konzentrieren!«, verlangte Sichu. »Es scheint flugfähig zu sein, wahrscheinlich weltraumtauglich. Möglicherweise befindet es sich nun im Orbit der Bannwelt.«

»Existieren die beiden Sonden noch?«, wollte Rhodan wissen.