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Über den Autor

Richard Lorber ist seit 1988 Musikredakteur beim WDR und vertritt als Produzent, Autor und Moderator die Gebiete Oper und Alte Musik im Kulturradio WDR 3. 2016 ist er Dramaturg bei den Bayreuther Festspielen für die Neuinszenierung von Wagners »Parsifal«. Darüber hinaus ist er in der aktuellen Berichterstattung für verschiedene Medien tätig. Er wurde 1990 mit einer Arbeit über die Musikgeschichte am Dresdner Hof in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts promoviert.

Richard Lorber

Oper – aber wie!?

Gespräche mit Sängern, Dirigenten,
Regisseuren, Komponisten

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

eBook-Version 2017

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© WDR, Köln; lizenziert durch die WDR mediagroup GmbH
2016 Bärenreiter-Verlag Karl Vötterle GmbH & Co. KG, Kassel
Gemeinschaftsausgabe der Verlage Bärenreiter, Kassel und
J. B. Metzler, Stuttgart und Weimar
Umschlaggestaltung: +CHRISTOWZIK SCHEUCH DESIGN
Lektorat: Jutta Schmoll-Barthel
Korrektur: Daniel Lettgen, Köln
ISBN 978-3-7618-7073-0
DBV 140-07
www.baerenreiter.com «» www.metzlerverlag.de
eBook-Produktion: Open Publishing GmbH, München

Inhalt

Einleitung

Cecilia Bartoli
Was ist ein Mezzosopran?

Andrea Breth
Merkwürdige Geschichten erzählen in merkwürdigen Räumen

Achim Freyer
Eine Parallelwelt ist in jeder Oper unbedingt wichtig

Christian Gerhaher
In Papageno steckt sehr viel Melancholie

Michael Gielen
Szene oder Musik?

Thomas Hampson
Bariton oder tiefer Tenor?

Nikolaus Harnoncourt
Meisterwerke entdecken und neu sehen

Jonas Kaufmann
Kontrollierte Ekstase

Peter Konwitschny
Das Werk ist klüger als sein Autor

Christof Loy
Die wesentlichen Dinge spreche ich manchmal gar nicht aus

Hans Neuenfels
Provokation oder Aufklärung?

Aribert Reimann
Die Musik führt einen, nicht ich führe die Musik

Wolfgang Rihm
Die Singstimme ist kein digitales Medium

Christine Schäfer
Gegen den Betrieb

Christian Thielemann
Ich mache nie Einzeichnungen in Partituren

Manfred Trojahn
Stücke schreiben, an denen das Publikum Spaß haben könnte

Register

Abbildungsnachweis

Einleitung

Muss man über Oper reden? »Ich finde, dass man das alles sieht. Man hat eine Geschichte erzählt, sie ist übergeben an das Publikum. Deswegen fällt es mir schwer, im Nachhinein meine Arbeit zu erklären.« Das sagt in diesem Buch die Regisseurin Andrea Breth, die nicht dafür bekannt ist, sich dem Diskurs über ihre Arbeit zu verweigern. Andrea Breth hat natürlich recht, wenn sie meint, das Gelingen einer Theateraufführung hänge nicht davon ab, dass sie in ein Stützkorsett dramaturgischer Erklärungen gezwängt wird.

In den hier versammelten 16 Operngesprächen, die auf Sendungen im Kulturradio WDR 3 zurückgehen, wird ein anderer Ton angeschlagen. Man darf es Neugier nennen. Es ist allemal interessant, den Menschen, die Oper machen – Sängern, Dirigenten, Regisseuren und Komponisten –, zuzuhören, etwas zu erfahren über ihre künstlerischen Anschauungen, musikalischen Vorlieben, Arbeitsweisen und persönlichen Erlebnisse. Wir schauen ihnen aber nicht aus der Schlüssellochperspektive zu, um allzu Privates zu erhaschen, und lauschen auch keinen Anekdoten. Allen Opernkünstlern ist der hohe Grad an Nachdenklichkeit gemeinsam, mit dem sie Rechenschaft über ihr individuelles künstlerisches Tun ablegen. Nachdenklichkeit heißt aber nicht, dass in dieser Kunstform alles durchkalkuliert ist. Das könnte man glauben, wenn man die elaborierten Programmbücher in der Hand hält, auf die kein Opernhaus heute verzichten mag (übrigens im Gegensatz zum Sprechtheater, wo man sich häufig mit Faltblättern begnügt). Vielmehr gilt manchmal fast sogar das Gegenteil. Andrea Breth bekennt: »Es geht darum, sich auf der Probe das Kindliche zu bewahren. Wie spielen ja, wir dürfen doch alles.« Und ihr Kollege Christof Loy erklärt, auf der Probe müsse der Sänger größten Mut haben, Fehler zu machen oder ungeschickt zu wirken. Hans Neuenfels, angesprochen auf die Rattenkostüme, in die er den Chor in seiner »Lohengrin«-Inszenierung bei den Bayreuther Festspielen gesteckt hatte, bekennt, es habe sich einfach eingeschlichen, dass immer so viele Tiere auf seinen Bühnen zu sehen sind, das sei kein Kalkül. Thomas Hampson schildert, wie in der Inszenierung von »La traviata« 2005 bei den Salzburger Festspiele die Szene, in der er als Germont seinen Sohn Alfredo (Rolando Villazón) ohrfeigt, entstanden ist: als Ergebnis einer Diskussion mit dem Regisseur Willy Decker auf der Probe, der eigentlich die Cabaletta »No, non udrai rimproveri« an dieser Stelle streichen wollte. Solche Begebenheiten zeigen, dass das, was dem Publikum und dem Kritiker als Plan und Absicht erscheint, oft mehr mit der Theaterpraxis zu tun hat und die Kunst darin besteht, die Spontaneität der Probe in den gestalteten Kosmos einer Aufführung zu überführen. Spontaneität oder Unmittelbarkeit nehmen manchmal auch die Komponisten für sich in Anspruch, die eigentlich alles aufschreiben müssen. Zum Beispiel Wolfgang Rihm, wenn er von der Arbeit an seiner Oper »Dionysos« berichtet, deren Textursprung auf die »Dionysos-Dithyramben« von Nietzsche zurückgeht: »Ich hatte das praktisch als Substanz in mir und konnte so immer weiter in mir unbekannte Bereiche vorstoßen. Womit ich arbeite, das war mir klar, aber was dabei herauskam, das konnte ich immer wieder neu beobachten, und es war auch immer wieder neu.«

Die hier versammelten Operngespräche präsentieren eine Auswahl unterschiedlichster Sichtweisen auf die Oper und das Handwerk des Oper-Machens. So ist zum Beispiel Andrea Breth eine Regisseurin, die die Welt auf die Bühne holt, Christof Loy dagegen arbeitet eher introspektiv. Die Beerenpflückerinnen in »Eugen Onegin« erscheinen bei Breth als chinesische Näherinnen. Die Beerenpflückerinnen auf den realen russischen Gutshöfen mussten singen, damit sie die Früchte nicht essen. Diese Zwangssituation wird übersetzt in das Bild der Näherinnen, die von vornherein in Fabrik und Schlafstätte eingesperrt sind. Durch ein neues, der heutigen Wirklichkeit entnommenes Bild versteht man die Szene in Tschaikowskys Oper besser. Bei Loy gab es eine Zeit lang nur reduzierte Bühnenbilder fast ohne Requisiten. Der dritte Akt von »Arabella« spielt bei ihm in einem kahlen, leeren Raum. »Ich wollte wissen, wie die Figuren reagieren, wenn sie auf engem Raum zusammengeschlossen sind wie in einem Gefängnis, das sie sich selbst gebaut haben.« Achim Freyer wiederum kommt von ganz woanders her: »Auf die eine oder andere Weise sind alle Aspekte in einem Werk neu zu erschaffen, parallel zu erdichten«, sagt er, der auch und vor allem ein bildender Künstler ist.

Unterschiedliche Vorgehensweisen auch bei den Dirigenten: Christian Thielemann macht in seine Partituren keine Einzeichnungen. Er kalkuliert bewusst damit, was sich im Moment der Aufführung ergibt. Nikolaus Harnoncourt dagegen, der auf seine Weise nicht weniger impulsiv war, hatte zum Beispiel bei Mozarts »Le nozze di Figaro« durch das Studium der Quellen und durch musikalische Analyse im Voraus ein ganz neues Geflecht der Temporelationen entworfen.

Es gibt natürlich auch Gemeinsamkeiten. Nicht selten treten die Akteure des heutigen Musiktheaters in diesem Buch in eine Art imaginären Dialog miteinander: Christian Gerhaher mit Christof Loy, Christine Schäfer mit Nikolaus Harnoncourt und Aribert Reimann, Andrea Breth mit Wolfgang Rihm oder Michael Gielen mit Hans Neuenfels. Gemeinsam ist ihnen das Interesse an den Opern von Richard Wagner. In der einen oder anderen Weise scheint Wagner so etwas wie ein Referenzpunkt für die Opernschaffenden zu sein, für die Belcanto-Sängerin Cecilia Bartoli genauso wie für den Komponisten Manfred Trojahn, für Christian Thielemann sowieso und für den Regisseur Hans Neuenfels auch. Einhellig interessieren sich die Sänger für historische Aufnahmen, am ausgeprägtesten Thomas Hampson: »Ich habe nie verstanden, warum Gesangslehrer ihren jungen Schülern sagen, sie sollen diese Aufnahmen nicht anhören, aus Angst, sie könnten sie imitieren. Zu imitieren, das ist ein ganz anderes Problem, als die Ohren zu öffnen und die Phantasie zu erwecken.«

Gemeinsam schließlich ist den Opernkomponisten von heute das Bekenntnis zum Gesang, was zunächst nicht verwunderlich erscheint. Hätte man aber mit Komponisten vor 30 oder 40 Jahren gesprochen, hätte man womöglich anderes gehört. Manfred Trojahn erinnert sich, dass Komponisten in den Siebzigerjahren wenig Ehrgeiz hatten, Opern zu komponieren (gemeint sind Stücke, in denen es um Bühnengesang geht). Bei Aribert Reimann war das immer anders. Er trat viele Jahre als Liedbegleiter auf und hatte eine Professur nicht etwa für Komposition, sondern für Zeitgenössisches Lied inne. Das heißt bei ihm aber nicht, dass er die Opernpartien darauf anlegt, dass sie einfach zu singen sind. Als ihn Marlis Petersen, die in der Uraufführung seiner Oper »Medea« die Titelpartie übernommen hatte, darum bat, eine gewisse Stelle zu vereinfachen, musste er einwenden: »Was du da singst, ist aus diesen Akkorden entstanden, und die sind jetzt nicht mehr vertikal, sondern horizontal. Da kann ich keinen Ton ändern.« Wolfgang Rihm komponiert – zumal in seinem Musiktheater »Die Eroberung von Mexico« – scheinbar ohne Rücksicht auf einen Sängerdarsteller, der eine bestimmte Figur zu verkörpern hat, aber eben nur scheinbar. Er beharrt darauf: »Selbstverständlich sind sowohl Montezuma als auch Cortez psychologisch interpretierbare Protagonisten. Das sind nicht nur Klangskulpturen, nein, um Himmels willen. Das sind handelnde Menschen mit ihren kulturellen Kontexten, aus denen sie stammen.« Handelnde Menschen sind in der Oper immer singende Menschen.

Wie selbstverständlich äußern sich die Opernschaffenden, vor allem natürlich die Regisseure, zum Thema des Politischen auf der Opernbühne. Den Typus des Opernregisseurs aber, der historische Opern mit tagespolitischen Aktualisierungen garniert, trifft man – zumindest in diesem Buch – nicht an. Für Peter Konwitschny ist Oper unterhaltend und politisch zugleich. »Oper muss klüger machen« und zugleich »amüsant« sein. Aribert Reimanns Oper »Melusine«, 1971 uraufgeführt, hat man als Öko-Oper bezeichnet, knapp zehn Jahre vor der Gründung der »Grünen«. Reimann wählt seine Stoffe und setzt seine Themen aber nicht aus politisch motiviertem Kalkül. »Wenn ich mit einem Stoff umgehe, fasziniert mich, was morgen ist, und nicht, was gestern war«, ist seine Erklärung dafür, dass »Medea« aus dem Jahr 2010 mit dem Thema Migration zu tun hat und die Brutalität in der 1978 uraufgeführten Oper »Lear« zu Zeiten des RAF-Terrorismus einen Nerv traf, aber eben nicht als platte Politisierung und Aktualisierung.

Ein anderer Aspekt betrifft die Kulturpolitik und die Herausforderungen und Zwänge des Opernbetriebs. Andrea Breth ist zum Beispiel skeptisch, was das künstlerische Gelingen von Wiederaufnahmen anbelangt, die ein funktionierendes Repertoire- und Ensembletheater zur Voraussetzung haben. Manfred Trojahn glaubt, dass kleine und mittlere Opernhäuser sich nicht nachhaltig um zeitgenössisches Musiktheater kümmern, sondern zu sehr auf den mit der Uraufführung eines neuen Werkes verbundenen Imagegewinn spekulieren. Für Nikolaus Harnoncourt war der Konzertbetrieb in den Fünfzigerjahren, den er als versteinert empfand, überhaupt der Anstoß, so etwas wie historische Aufführungspraxis zu wagen. Bei Achim Freyer betrafen die politischen Repressionen, denen er sich in der DDR ausgesetzt sah, ganz unmittelbar seine persönliche künstlerische Existenz.

Dass Politisierung der Oper überhaupt ein diskutiertes Thema ist, hat mit dem sogenannten Regietheater zu tun. Es steht im Gegensatz zum Ausstattungs- und Repräsentationstheater. Seine Merkmale sind Politisierung, Psychologisierung und Soziologisierung der Stoffe. Als Erfinder des Regietheaters in diesem Sinne gilt Hans Neuenfels. Spätestens mit seiner Inszenierung von Verdis »Aida« 1981 an der Frankfurter Oper hatte er einen neuen Theaterstil und neue Ansprüche an die Opernregie formuliert. Michael Gielen war in Frankfurt Neuenfels’ Intendant und Dirigent zugleich: »Inhaltstheater statt Repräsentationstheater« lautet seine Formel dafür. Seit dieser Zeit hat sich die Oper immer mehr zu einer modernen Theaterform entwickelt und wurde in ihrer gesellschaftlichen Relevanz dem Schauspiel ebenbürtig.

Weil das Regietheater immer die Aktualität eines Stoffes aufzuspüren versucht, müssen die Regisseure eine Haltung zur Frage der Werktreue entwickeln. Peter Konwitschny betont, Werktreue könne sich nur auf den Sinn eines Werkes beziehen, nicht auf die Konventionen, die sich in der Interpretationsgeschichte herausgebildet haben. Die Regisseure, die hier zu Wort kommen, getrauen sich, in die überlieferte Werkgestalt einzugreifen und dadurch das Stück neu zu befragen. Andrea Breth streicht in »Lulu« den Prolog und die erste Szene des dritten Akts, Christof Loy baut die »Fledermaus« komplett um, Peter Konwitschny unterbricht die »Meistersinger von Nürnberg« vor der Schlussansprache des Sachs und Hans Neuenfels kombiniert Mozarts »La finta giardiniera« mit neuen dramatischen Texten. Das Ziel solcher Umbauarbeiten besteht immer darin, unsichtbare Inhalte oder Aspekte eines Werkes freizulegen. Man muss bei diesen Regisseuren mit solchen Eingriffen rechnen, sie sind aber keineswegs ein fixes stilistisches Prinzip, allenfalls vielleicht bei Peter Konwitschny. Auch Achim Freyer geht es um die Vielfalt von Zugangsweisen zu einem Stück, die er aber nicht durch einen Eingriff in die Werkgestalt vollzieht, sondern mittels seiner Bilderwelten, die er »Theatermaschine« nennt bzw. »Theater aus allen Aspekten«.

Mittlerweile ist der Begriff »Regietheater« schon fast wieder verpönt: Christof Loy weist ihn ebenso zurück, wenn damit nur platte Aktualisierungen konnotiert sind, wie Andrea Breth, wenn Regisseure sich zu Koautoren der Komponisten erheben: »Regie führen ist eine Sekundärkunst.« Thomas Hampson ist sicher ein dem zeitgenössischen Theater sehr aufgeschlossener Künstler, wehrt sich aber dagegen, wenn die Regie sich in einen Gegensatz zur Musik begibt: »Alles, was in einem Opernabend vorkommt, auch in theatralischer Hinsicht, ist vom Komponisten in der Partitur bereits angelegt worden. Das zur Geltung zu bringen, hat eine viel größere Wirkung auf der Bühne als alle obergescheiten Zutaten der Dramaturgie und Regie, wie wir sie manchmal erleben.« Michael Gielen differenziert: »Ich sehe da einen großen Unterschied zu dem, was Leute wie Berghaus und Neuenfels in Frankfurt gemacht haben. Sie haben die Inhalte gesucht, gefunden und auf die Bühne gestellt und nicht etwas dem Stück Fremdes oder nur Peripheres zur Hauptsache erklärt.« Allerdings hat er später, als er nicht mehr Chef eines Opernhauses war, sondern Gastdirigent, eine Dominanz der Szene vor der Musik erlebt, die ihn dazu gebracht hat, überhaupt keine Opern mehr zu dirigieren.

Das heißt aber doch, dass die alte Debatte in der Oper »prima la musica, poi le parole« oder vice versa offenbar heute in anderer Form weitergeführt wird: Szene oder Musik – mal als Ansporn, mal als Konflikt.

*

Ich danke den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Opernredaktion von WDR 3 für ihre tatkräftigen Hilfen bei den Interviews und der Lektorin des Bärenreiter-Verlags, Dr. Jutta Schmoll-Barthel, die das Buch möglich gemacht und sein Entstehen mit Enthusiasmus und Geduld begleitet hat.

Richard Lorber, im März 2016

Was ist ein Mezzosopran?

Cecilia Bartoli ist Mezzosopranistin und von ihrer Ausstrahlung und ihrem Stimmvermögen her eine echte Primadonna. Dadurch und durch ihre stilistischen Erkundungsgänge in das Opernrepertoire des 18. und frühen 19. Jahrhunderts hat sie dem Stimmfach eine neue Geltung in unserer Zeit gegeben.

Vor mehr als 25 Jahren hat Cecilia Bartoli ihre Karriere mit Rossini und Mozart begonnen. Danach hat sie sich um das Barockrepertoire gekümmert und Werke von Gluck, Vivaldi, Caldara oder Alessandro Scarlatti aufgenommen. In ihren Programmen gibt es keinen Verdi, keinen Puccini und auch keinen Wagner. Das gängige romantische Repertoire spart sie aus.

Cecilia Bartoli ist eine historisch überaus interessierte Künstlerin. Ihre Programme sind philologisch genau erarbeitet. Damit steht sie an der Seite der Musiker aus der historisch informierten Aufführungspraxis, mit denen sie regelmäßig zusammenarbeitet.

Ihre CD-Alben mit sprechenden Titeln wie »Opera prohibita«, »Maria«, »Sacrificium«, »Mission«, das Salieri-, Gluck- und Vivaldi-Album haben fast Kultstatus und sind dazu dramaturgisch intelligent zusammengestellt. Mit ihrer enorm ausdrucksstarken Bühnenpersönlichkeit und ihrer charakteristischen Stimme ist es ihr gelungen, die Repertoire-Raritäten, die sich in diesen Programmen verbergen, weit aus dem Bereich eines philologischen Interesses herauszuführen.

Ihre ausgefeilten Programmdramaturgien verfolgt Cecilia Bartoli auch bei den Salzburger Pfingstfestspielen, deren künstlerische Leitung sie seit 2012 wahrnimmt.

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Sie singen seit einiger Zeit Rollen aus dem dramatischen Koloratursopran-Fach wie die Amina aus Bellinis »La sonnambula« oder die Titelpartie in Bellinis »Norma«. Eigentlich sind Sie doch eine Sängerin mit einer Mezzosopran-Stimme. Was genau ist denn ein Mezzosopran?

Ein Mezzosopran ist nichts anderes als eine Frauenstimme, weil eine Frau singt. Nein, das war ein Witz! Es ist eine Farbe, eine Farbe zwischen dem Stimmfach eines Soprans und dem eines Alts, so wie ja auch der Bariton eine Stimme zwischen Tenor und Bass ist. Und dann gibt es natürlich viele Arten eines Mezzosoprans: Koloratursopran, dramatischer Mezzo, lyrischer Mezzo. Den Mezzosopran gibt es noch nicht so lange. Im 18. Jahrhundert existierte dieses Stimmfach nicht. Und der Begriff »Mezzosopran« bürgerte sich noch viel später ein. In den Partituren und den Handschriften von Mozart, Haydn und anderen finden wir einfach nur die Bezeichnungen »Erster Sopran« und »Zweiter Sopran«.

Heutzutage bedeutet Mezzosopran ja eher eine Begrenzung. Man denkt an eine Stimme, die eben nicht die Sopranpartien singen kann. Der Mezzosopran ist nicht die Primadonna. Die Mezzosoprane früher, ich denke zum Beispiel an Maria Malibran, deren Rollen Sie ja auf einer CD aufgenommen haben, hatten einen großen Stimmumfang. Fühlen Sie sich eher mit den historischen Mezzosopranen des beginnenden 19. Jahrhunderts verwandt als mit dem Fach, wie man es heute versteht?

Auch schon zur Zeit der Malibran, Anfang des 19. Jahrhunderts, gab es Sängerinnen wie Giuditta Pasta, die Rollen sangen, die man heute als typische Mezzopartien betrachtet. Aber diese Sängerinnen sangen später auch Rollen des Sopranfachs. Wenn wir uns das Repertoire der Malibran genauer anschauen, entdecken wir, dass sie ihre Karriere als Rosina im »Barbiere di Siviglia« und als Cenerentola begann und dann erst zu den großen Rollen von Bellini wie in »La sonnambula« und »Norma« wechselte. Das Gleiche gilt für Giuditta Pasta: Die Amina sang sie zuerst mit dem Timbre eines Mezzosoprans. Für mich war die Reise in die Zeit dieser Sängerinnen sehr aufschlussreich.

Das heißt also, das Spektrum der möglichen Rollen eines Mezzosoprans im beginnenden 19. Jahrhundert war viel weiter. Man konnte sich gar nicht festlegen auf Mezzosopran oder Sopran. Ist das auch Ihr Selbstverständnis? Fühlen Sie sich sozusagen als eine Art universale Sängerin?

Wenn wir uns die Manuskripte von Komponisten wie Bellini anschauen, dann erkennen wir, dass zum Beispiel die Rolle der Amina in »La sonnambula« sich sehr an die Tessitur und den Stimmumfang eines Mezzosoprans anlehnt. Das Gleiche gilt für die Norma. Aber nur, wenn wir der Handschrift Bellinis getreu folgen, finden wir die wirklichen Farben des Mezzosoprans. Wenn man sich allerdings an der Gesangstradition der Vierziger- und Fünfzigerjahre des letzten Jahrhunderts orientiert, bekommt man ein falsches Bild.

Bei der Partie der Norma ist es also so, wenn ich Sie richtig verstehe, dass diese eigentlich im Mezzosopran-Register liegt und dass Sängerinnen wie Edita Gruberová oder Maria Callas sie für unsere Zeit auf eine andere Weise entdeckt haben. Gehen Sie zurück zu den Ursprüngen der Partien?

Die Callas war eine großartige Künstlerin, die viel getan hat, um dieses Repertoire wiederzuentdecken. Sie hat wirklich eine eigene Version der Norma gezeigt. Aber wir dürfen nicht vergessen: Die erste Norma war Giuditta Pasta. Bellini hat die Norma für sie geschrieben. Also schrieb er die Rolle für einen Mezzosopran. Und die großen Sopranistinnen wie die Callas oder auch die Gruberová haben diese Rollen, sei es die Norma oder die Amina, an ihre eigene Stimme angepasst.

Was haben Sie in den Autografen von Bellini entdeckt?

Zunächst einmal habe ich den großen Sängerinnen der Grammophon-Ära zugehört. Ich war und bin noch heute fasziniert von den Interpretationen der Diven von damals. Dann habe ich aber auch viele überraschende Dinge in der Partitur von Bellini entdeckt. Da wurden später viele Noten und geradezu ganze Passagen verändert. Dann entstand bei mir schon bald der Wunsch, zusammen mit einem Orchester auf historischen Instrumenten den Originalen von Bellini nachzuspüren in puncto Dynamik und in puncto Klangfarben. Mir war vorher nicht klar, dass die Amina einmal von einem Mezzosopran gesungen wurde. Das war für mich eine regelrechte Offenbarung. Und überhaupt ist das Studium der Manuskripte ungeheuer aufschlussreich.

Die berühmte Arie der Norma »Casta diva« haben Sie ganz anders interpretiert, als man es sonst hört. Was ist dabei neu?

Eigentlich gibt es da gar nichts Neues. Ich bin nur dem gefolgt, was der Komponist geschrieben hat. Das ist einfach Bellini.

Und was hat er geschrieben?

Bellini hat ein Gebet geschrieben – in Sottovoce. Es gibt ein paar Crescendi, aber vor allem sehr viele Diminuendi. Wir haben versucht, diese vielen, wirklich leisen Stellen zu beachten, die Bellini komponiert hat. Dank der Unterstützung durch die historischen Instrumente ging das auch sehr gut.

Kommen wir zu Mozart. Sie singen die Fiordiligi, die Dorabella und die Despina, völlig unterschiedliche Charaktere. Ich kenne eigentlich keine Sängerin, die alle drei Rollen gesungen hat. Was braucht es dafür?

Die Frauenrollen bei Mozart faszinieren mich schon seit meinem Studium. Ich habe bei Mozart mit der Dorabella angefangen. Das lag auf der Hand, weil die Dorabella ein echter Mezzosopran ist. Aber eigentlich habe ich immer mit der Despina geliebäugelt und alles darum gegeben, diese Rolle zu singen. Sie ist es ja, die die Fäden der Geschichte zusammen mit Don Alfonso in der Hand hält. Und den Schritt zur Fiordiligi bin ich in Zürich mit Nikolaus Harnoncourt gegangen. Er war es, der mich dazu gebracht hat, diese Rolle zu singen, weil Mozart sie für eine bestimmte Sängerin geschrieben hat, nämlich für Adriana Ferrarese del Bene. Sie sang die Susanna aus »Le nozze di Figaro« in einer zweiten Version. Mozart hat eigens für sie zwei Alternativarien geschrieben. Eine Sängerin, die die Fiordiligi und die Susanna sang, besaß offensichtlich eine bemerkenswerte Technik und vor allem eine große Persönlichkeit. Ich denke, dass eine solche Vielseitigkeit auch heute fundamental für einen Künstler ist.

Was ist die größere Herausforderung: die Bewältigung von so ganz unterschiedlichen stimmlichen Anforderungen bei diesen Partien, oder geht es für Sie mehr darum, diese Figuren aus dem Rollencharakter, aus dem Mozart’schen Theaterverständnis heraus zu interpretieren? Anders gefragt: War es für Sie als Mezzosopran mit einer großen Tessitur und großer stimmlicher Variabilität gar keine Frage der Technik, sich mit Dorabella, Despina und dann auch Fiordiligi zu befassen?

Klar ist jedenfalls, dass man, wenn man die Fiordiligi singen will, auch ihren Stimmumfang braucht, rein technisch gesehen. Für diese Rolle ist es aber auch ganz wichtig, den Geist der Figur zu erfassen. Für mich ist die Vielseitigkeit dieser Rolle ganz entscheidend: Anfangs ist es noch eine komische Rolle, oder sagen wir semikomisch, dann im Finale von »Così fan tutte« ist sie eine eher tragische Figur. Ähnlich ist das mit der Despina, die am Ende auch tragisch wird. Auch die Musik wandelt sich im selben Werk! Es ist sehr faszinierend, dieses Stück aus einer Art Dreidimensionalität heraus zu studieren, also das Rollenverständnis, die musikalische Struktur und die gesanglichen Anforderungen zusammen zu betrachten.

Sie haben Ihre Karriere mit Rossini begonnen. In einer Ihrer ersten Aufnahmen, 1989 war das, singen Sie zum Beispiel »Di tanti palpiti« aus »Tancredi« oder ein paar Jahre später »Non più mesta accanto al fuoco«, die Schlussnummer aus »La Cenerentola«. Man erlebt dort eine Sängerin, die ein Höchstmaß an Virtuosität zeigt. Sie singen ohne theatralische und sprachausdruckshafte Einfärbungen, schlackenlos und kultiviert. Würden Sie den Rossini auch heute noch so singen?

Natürlich habe ich zwischen meiner ersten Platte und heute eine Wegstrecke zurückgelegt. Was mir dabei am meisten geholfen hat, ist das Studium des Barockrepertoires und der Musik von Rossini. Ich habe mich also zunächst aus dem eher klassischen Repertoire zu der Musik früherer Epochen bewegt. Heute höre ich Rossini oder seine Zeitgenossen mit ganz anderen Ohren und schätze seine Musik noch mehr, aber auch die der leider unbekannten Komponisten wie Pacini oder Persiani, die alle im Schatten geblieben sind.

Sie haben das Stichwort »Barock« gegeben. Ich möchte ein Beispiel herausgreifen, und zwar die Arie »Anderò, volerò, griderò« aus »Orlando finto pazzo« von Vivaldi, ein kurzes Stück nur. Sie singen das mit großer Ausdruckskraft ganz eng an den Worten, im besten Sinn theatralisch, aber eigentlich nicht in einer Weise, die man im herkömmlichen Sinn als schönen Gesang bezeichnen würde. Es ist eigentlich nicht Belcanto, obwohl es wunderbar klingt. Wie passt denn das zusammen? Bei Vivaldi denkt man doch, das ist reine Gesangsvirtuosität. Aber Sie theatralisieren Vivaldi, fast als hätte man einen Verdi vor sich.

Ob man die Musik von Vivaldi oder von Verdi singt, man erzählt einfach Geschichten. Ob im Theater oder im Konzert, immer erzählt man Geschichten. Und der größte Teil dieser Geschichten erzählt von der Liebe, also von Leidenschaft, von Verlangen, Schmerz, Wut, Eroberung. Die Virtuosität darf dabei nie als Selbstzweck empfunden werden, sie muss immer einem Ausdruck dienen, den der Komponist oder der Dichter vom Stück verlangt. Deshalb gibt es eben auch eine heroische Virtuosität, eine melancholische, eine, die ausschließlich fröhlich ist, aber sie muss immer an einen Ausdruck gebunden sein.

Wenn man dagegen von Ihnen die Schlussnummer aus Rossinis »La Cenerentola« hört oder auch die Partie der Fiorilla in »Il turco in Italia«, da findet der Ausdruck als pure Virtuosität statt. Dasselbe bei Bellini mit der Amina, zum Beispiel in »Ah, non giunge«, dem belcantistischen Schlussstück aus »La sonnambula«. Wie gesagt, anders bei Vivaldi, wo Sie eine deklamatorische, fast realistisch-emotional eingefärbte Virtuosität zeigen.

In »La Cenerentola« bedeutet die Virtuosität bei diesem Rondo im Finale einen Moment der extremen Freude, nachdem Cenerentola drei Stunden lang leiden musste, bis sich endlich ihr Traum erfüllt. Aber eigentlich erträumt sich Cenerentola das noch nicht einmal, das alles erfährt sie wie ein göttliches Geschenk. Das Rondo am Ende ist also ein Stück voller großer Emotionen, voll von überquellender Freude. Die gleichen Momente des großen Glücks durchlebt Amina am Ende mit »Ah, non giunge«.

Was ist eigentlich Belcanto? Man versteht darunter ja auch bestimmte Gesangstechniken wie Messa di voce, Legatissimo, Koloraturenvirtuosität usw. Ist der Belcanto also vor allem ein Repertoire an Techniken?

Das Wort Belcanto sagt schon alles. Es bedeutet einfach, schön zu singen, der Stimme so viele Farben wie nur möglich zu verleihen und nicht nur der Stimme, auch dem Ausdruck. Belcanto bedeutet für mich auch Ausdruckskraft. Es ist die höchstmögliche Art, die Stimme zu beherrschen. Belcanto ist in der Tat zunächst eine sehr anspruchsvolle Technik. Sie erlaubt eine sehr große Dynamik von Pianissimo zu Fortissimo, von Crescendo zu Diminuendo, vom Tenuto zum Staccato, Triller, Koloraturen, Verzierungen, und sie fordert vor allem eine Kontrolle des Atems. Das ist übrigens das Wichtigste: den Atem zu kontrollieren. Das gilt für den Belcanto in der italienischen Oper des frühen 19. Jahrhunderts, aber das gilt auch für das Repertoire davor. Wir müssen uns bewusst machen, dass Maria Malibran zusammen mit dem letzten großen Kastraten aufgetreten ist, mit Giovanni Battista Velluti. Auch er hatte eine ausgezeichnete Technik. Meiner Meinung nach liegen die Ursprünge des Belcanto im 18. Jahrhundert und in der Zeit davor, als die Kastraten die Opernbühnen beherrschten.

Sie sind in Ihrem Repertoire in die Barockzeit zurückgegangen und haben auch ganz viele Kastratenrollen gesungen. Fühlen Sie sich als so etwas wie eine Fortsetzerin der Kastratengesangstradition in unserer Zeit?

Die Welt der Kastraten fasziniert mich. Die großen Kastraten des 18. Jahrhunderts hatten sehr kraftvolle Stimmen und eine unglaubliche Technik. Die konnten mit ihren tragfähigen Stimmen wirklich die großen Heroen darstellen. Sie besaßen eine beachtliche physische Kraft, weil sie eben Männer waren. Dieser Aspekt ist sehr wichtig. Countertenöre gab es auch schon im 18. Jahrhundert. Aber ihnen wurden nicht die großen Rollen gegeben, die die Kastraten sangen. Wir denken ja, die Countertenöre von heute könne man mit den Kastraten des 18. Jahrhunderts vergleichen. Dem ist aber nicht so. Natürlich waren die Countertenöre auch damals große Sänger. Aber die Kastraten hatten einfach eine andere Stimme als die Countertenöre, wie wir sie kennen, die vor allem sakrale Musik sangen. Die Kastraten waren dagegen in jeder Hinsicht wahre Stimmenmonster.

Aber verstehe ich das richtig: Sie fühlen sich in der Rolle, diese Gesangstradition fortzusetzen und für unsere Zeit zu übersetzen? Händel hat ja, wenn ein Kastrat ausfiel, Mezzosoprane eingesetzt, und es gibt auch heute Dirigenten – René Jacobs zum Beispiel, der selbst ein Countertenor ist –, die lieber einen Mezzosopran nehmen, wenn eine Kastratenrolle zu besetzen ist. Wollen Sie also auch dadurch, dass Sie Ihre Repertoireüberlegungen historisch fundieren, die Gesangstradition der Kastraten fortsetzen?

Ich glaube, wie heutzutage die Rollen besetzt werden, hängt in erster Linie von den persönlichen Vorlieben der Dirigenten oder der Produzenten ab. Es gibt gute Mezzosoprane, gute Altstimmen, aber auch gute Countertenöre. Entscheidend ist die Sensibilität eines Künstlers. Ich kenne viele Countertenöre mit einem großen musikalischen Einfühlungsvermögen und mit durchdachten stilistischen Ideen. Es ist also richtig, mit diesen guten Sängern zu arbeiten.

Wenn Sie Musik aus der Barockzeit interpretieren, dann tun Sie das mit einer großen Ausdruckskraft, mit einem geradezu realistischen Darstellungsimpetus. Das Ganze findet aber im Rahmen eines historischen stilistischen Diskurses statt. Welche Konsequenzen kann man daraus für die Interpretation der Musik der Romantik ziehen?

Ihre Fragen zum Belcanto führen mich auch zu Wagner. Wenn wir uns Platten von Wagner-Sängern anhören wie Franz Völker oder anderen, bemerken wir in der Art, wie sie Wagner interpretieren, eine viel weichere Ausführung, eine viel lyrischere Herangehensweise. Diese Sänger sangen einen Wagner ohne Einschränkung, aber eben nicht nur mit diesem kraftvollen Singen, wie man es heute kennt. Das geht ja auch gegen das Instrument, gegen die Stimme. In Wagners Bibliothek standen viele Partituren von Bellini. Man kann sicher davon ausgehen, dass er ein Bewunderer von Bellini war. Und wenn wir an das Bayreuther Festspielhaus – ein phantastisches Opernhaus! – denken, dann erscheint es uns im Vergleich zur Metropolitan Opera oder dem Teatro Colon in Buenos Aires eher klein. Es ist aber ideal für diese Musik. Hinzu kommt, dass es bei den Orchestern mit den modernen Instrumenten eine Tendenz gibt, viel lauter zu spielen als damals. Man kann fast sagen, dass es einen Kampf zwischen den Stimmen und dem Orchester gibt. Die früheren Orchester waren kleiner, und die alten Instrumente waren leiser. Und deswegen konnten die Stimmen viel natürlicher über dem Orchester stehen, ohne zu forcieren.

Wir haben in Köln einmal den Versuch gemacht, Wagner aus dem Geist der Oper des frühen 19. Jahrhunderts aufzuführen, aus dem Geist von Weber, Meyerbeer, durchaus auch Bellini. Das war 2004 der »Fliegende Holländer« mit der Cappella Coloniensis auf historischen Instrumenten. Und das hat gut funktioniert. Können Sie sich denn vorstellen, einmal die frühen Wagner-Opern aus dem Geist des Belcanto zu singen?

Nein, ich denke nicht. Wagner hat zwar schöne Kammermusik geschrieben, schöne Lieder auf Französisch, aber ich kann mir im Augenblick nicht vorstellen, Wagner zu singen.

Das Barockrepertoire hat mit den Jahren bei Ihnen einen immer größeren Stellenwert eingenommen. Sie kümmern sich dabei auch um Raritäten, Arien von Salieri, Gluck, Kastratenarien aus römischen Oratorien während der Zeit, als in Rom aufgrund eines päpstlichen Verbots keine Opern aufgeführt werden durften. Wie kommen Sie auf diese Repertoire-Ideen? Haben Sie Helfer? Gehen Sie selbst in die Bibliotheken?

Die Ideen kommen, wenn ich mich in ein Repertoire einarbeite. Dabei mache ich eine Entdeckung nach der anderen. Als ich die Persönlichkeit der Malibran studierte, lernte ich Komponisten kennen, von denen ich nie etwas gehört hatte, wie Pacini oder Halévy. Halévy war ein ausgezeichneter Komponist und hatte großen Erfolg. Ich konnte zum Beispiel den Intendanten der Zürcher Oper, Alexander Pereira, davon überzeugen, von Halévy die selten gespielte Oper »Clari« aufs Programm zu setzen anstelle des Repertoirestücks »La Juive«. Das hat sich gelohnt. Das Gleiche geschah mit Mendelssohn. Mendelssohn hat diese wunderschöne Konzertarie mit Solovioline »Infelice« für die Malibran und für den Geiger Charles-Auguste de Bériot geschrieben, der später die Malibran heiratete. Mendelssohn ist natürlich bekannt, aber dieses Stück war eine Entdeckung. Diese Ideen kommen ganz allmählich, wenn man liest, wenn man lernt, einfach so.

Wie muss man sich das vorstellen? Reisen Sie in die Bibliotheken, sehen die Kataloge durch, die Handschriften? Wenn Sie auf Reisen sind, quer durch Europa, gehört der Bibliotheksbesuch dazu?

Nein, ich gehe nicht immer in die Bibliothek. Musikwissenschaftler helfen mir, weil ich ja auch ins Theater muss und nicht immer Zeit in der Bibliothek verbringen kann. Wir sind ein Team aus Liebhabern. Ich bin keine Wissenschaftlerin, überhaupt nicht, ich bin Musikerin mit einer großen Leidenschaft für die Musik.

Sie sammeln historische Gegenstände, Handschriften, Manuskripte. Haben Sie eine Sammelleidenschaft?

Beim Projekt über die Sängerin Maria Malibran zum Beispiel habe ich schon Jahre vorher damit begonnen. Mein Produzent, Christopher Raeburn, hat mir ein Porträt der Malibran geschenkt, und ich war sehr berührt von ihrer Persönlichkeit, vor allem von ihrer Familie. Die gesamte Familie der Malibran bestand aus Musikern, die Schwester und der Vater Manuel García, der ein großer Tenor im 19. Jahrhundert war. Ich begann also schon vor langer Zeit, Noten und Briefe zu sammeln, und bis heute mache ich das. Das ist fast schon eine Krankheit.

Oder auch eine Methode, sich den historischen Gegenstand anzueignen?

Natürlich ist das auch eine Methode, viele schöne Dinge zu entdecken. Viele Umstände und wichtige Begebenheiten erfährt man nur durch die Briefe, Briefe von der Malibran, aber auch Briefe an die Malibran von Bellini, von Mendelssohn, von Rossini. Da taucht man in eine andere Welt ein.

Man sagt, dass Sie immer ein kleines Bild der Malibran mit sich tragen, wenn Sie reisen.

Ich trage das Porträt der Malibran nicht immer bei mir, nur ab und zu. Aber ich trage immer Meerwasser bei mir. Mal ganz davon abgesehen, dass ich das Meer liebe und ich deshalb so oft wie möglich ans Meer gehe. Das heißt aber nicht, dass ich das Wasser da am Strand in kleine Flaschen fülle. Nein, aber Meerwasser an sich ist sehr gesund und hilft der Stimme.

Zürich, Januar 2009

Merkwürdige Geschichten erzählen in merkwürdigen Räumen

Andrea Breth holt die Theaterstoffe in einen heutigen Erzählrahmen und zeigt drastische Bilder. Eine Irrenanstalt, ein Edelbordell, ein Schrottplatz, eine Designervilla sind Schauplätze, die sie genau auf die agierenden Menschen auf der Bühne bezieht. Als »psychologischer Realismus« ist ihr Stil bezeichnet worden.

Andrea Breth ist eine der bekanntesten Schauspielregisseurinnen unserer Zeit. Sie war auf den deutschsprachigen Bühnen eine der ersten Regisseurinnen überhaupt. Schon im Alter von 32 Jahren wurde sie 1985 Regisseurin des Jahres. 2015 ist sie mit dem Schillerpreis und mit dem Theaterpreis »Der Faust« ausgezeichnet worden.

Sie war künstlerische Leiterin der Berliner Schaubühne und inszeniert seit 1990 am Burgtheater Wien. In ihren weit über 50 Inszenierungen hat sich Andrea Breth vor allem als Regisseurin von Theaterklassikern einen Namen gemacht, von Stücken von Lessing, Kleist, Schiller oder Shakespeare und von russischen Autoren wie Tschechow und Gorki.

Seit 2000 arbeitet sie auch für die Oper und hat seitdem zwölf Produktionen betreut, darunter »Orpheus und Eurydike« von Gluck, »Eugen Onegin« von Tschaikowsky, »La traviata« und »Macbeth« von Verdi, »Jakob Lenz« von Rihm und zuletzt »Herzog Blaubarts Burg« von Bartók.

Andrea Breth sagt von sich, ihre Zugangsweise zur Musik und auch zu einem Theaterstück sei bildlich. Auf der anderen Seite ist sie für ihre überaus intensive Lektüre- und Recherchearbeit bekannt, wobei sie ihre Inszenierungen gerade nicht mit dramaturgischen Details überfrachtet, sondern auf der Probe entwickelt.

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Was verstehen Sie unter einem bildlichen Zugang?

Damit meine ich zunächst den Theaterraum. Ich bin sehr abhängig davon, in welchen Räumen etwas stattfindet. Theater ist immer ein Raum. Auch wenn der Raum völlig schwarz ist, ist es trotzdem ein Raum. In den Räumen beginne ich zu phantasieren. Ich bin niemand, der am Schreibtisch schon alles ganz klar hat. Manchmal ist es auch ein eigenwilliger Satz, der meine Beschäftigung mit einem Stück auslöst. Als ich vor vielen Jahren an der Schaubühne von Arthur Schnitzler »Der einsame Weg« inszenierte, fragte mich Botho Strauß, warum ich mich mit diesem Stück beschäftige. Mir war es ein bisschen peinlich, diese Frage zu beantworten. Ich sagte ihm, das war wegen des Satzes von Schnitzler: »Über allem liegt ein Schleier.« Solche auslösenden Dinge mögen für Außenstehende höchst merkwürdig sein. Aber für mich entstehen daraus Bilder, die sich konkretisieren können oder entschwinden, die psychologische Implikationen haben können oder auch gar nicht. Man könnte sagen, das ist bezogen auf die Oper die Phase des »Vor-sich-hin-Delirierens« beim Hören der Musik.

Bei Ihrer Inszenierung von »Herzog Blaubarts Burg« von Béla Bartók für die Wiener Festwochen 2015 ist Kent Nagano der Dirigent, dem man nachsagt, er würde die Partituren analytisch behandeln. Haben Sie auch einen analytischen Zugang zur Musik?

Nein, ich glaube nicht. Ich habe einen ziemlich sinnlichen Zugang und analysiere Musik überhaupt nicht. Wenn ich die Musik ertragen kann, löst sie in mir konkrete Empfindungen und starke Emotionen aus. Aber ich bin ja auch kein Dirigent.

Ich möchte über Ihre Inszenierungen der Opern von Alban Berg an der Staatsoper Berlin sprechen, 2011 »Wozzeck« und 2012 »Lulu«. Dirigent war jeweils Daniel Barenboim. Über »Wozzeck« sagten Sie, die Oper von Alban Berg sei Ihnen viel lieber als das Theaterstück von Georg Büchner.

Ich finde, dass Alban Berg die beste Fassung aus Büchners Fragment gemacht hat. Als ich die Oper zum ersten Mal hörte, konnte ich mir das Theaterstück überhaupt nicht mehr vorstellen. Ich habe übrigens noch nie eine gute »Woyzeck«-Aufführung im Schauspiel gesehen. Für mich ist die Musik von Alban Berg diesem Stoff kongenial.

»Wozzeck« von Berg ist von der Dramaturgie her ein sehr konzises Stück. Die Szenen sind klar gegliedert, Berg hat jede Szene sogar mit einem klassischen musikalischen Formmodell überschrieben, was man im Theater natürlich so nicht wahrnimmt. Es gibt aber klare dramatische Verläufe, ganz anders als in »Lulu«. Sie sagen auch, »Wozzeck« sei Ihnen leicht gefallen.

Mir war sehr schnell klar, dass ich die Zwischenspiele schwarz und uninszeniert sein lassen würde, damit deutlich wird, dass es sich um eine Abfolge von Stationen handelt. Diese Abfolge »Bild – schwarz – Bild – schwarz« verdeutlicht die entsetzliche Enge, in der sich Wozzeck befindet, ein geschundener Mensch, der aufgrund seiner Ernährung krank und impotent geworden ist. Er darf nicht bei seiner Frau schlafen, sondern muss nachts in die Kaserne. Wenn Marie sich von ihm abwendet, ist das nur Ausdruck ihrer ganz normalen Bedürfnisse. Sie ist also keine furchtbare Frau. Und dann ist da noch dieses uneheliche Kind. Also insgesamt eine sehr harte Geschichte. Um das zu verdeutlichen, haben Martin Zehetgruber, der Bühnenbildner, und ich uns entschieden, die Situationen möglichst hart und auf engem Raum darzustellen.

Sie sagten, Musik löse bei Ihnen konkrete Empfindungen aus. Was Sie gerade beschrieben haben – Wozzeck muss in der Kaserne schlafen, Marie hat ein ganz normales Begehren als Frau usw. –, das sind aber doch erst einmal literarisch-dramaturgische Gedanken.

Ja, aber ich trenne das überhaupt nicht. Ich arbeite zum Beispiel mehr mit der CD als mit dem Klavierauszug. Auch auf der Probe im Musiktheater schaue ich nicht in den Klavierauszug, sondern ständig auf die Bühne. Dabei kann es vorkommen, dass für mich die ganze Situation so intuitiv ist, dass ich im Moment gar nicht bemerke, dass auf Tschechisch oder in sonst welchen Sprachen, die kein Mensch lernen kann, gesungen wird. Aber ich weiß, was die Darsteller singen, und ich mache dann das, was ich auch im Schauspiel mache: Ich inszeniere Situationen und versuche, den Figuren einen Subtext zu geben, also zusammen mit den Darstellern herauszufinden, was das für ein Mensch ist. Mit großen dramaturgischen Überhöhungen kann ich nichts anfangen, das meine ich auch nicht, wenn ich von bildlichen Zugängen spreche.

Und wie war es bei »Lulu« an der Berliner Staatsoper mit dieser speziellen Fassung ohne die Paris-Szene im dritten Akt und ohne den Prolog im Zirkus?

Wenn Sie schon von »Lulu« reden, muss ich sagen, dass ich überhaupt kein Freund von »Lulu« bin. Ich mag die Oper nicht. Ich war sehr dankbar, dass Daniel Barenboim sich darauf eingelassen hat, diese Paris-Szene, die ich für unsäglich halte, rauszuschmeißen, und dass ich die Chance hatte, das Stück sozusagen rückwärts zu erzählen. Deswegen gibt es ja auch diesen hinzugefügten Text von Kierkegaard am Anfang über das Erinnern. Aber dass es überhaupt zu dieser Produktion kam, ging auf einen Deal mit Barenboim zurück. Nach »Eugen Onegin« bei den Salzburger Festspielen durfte ich mir was wünschen. Das war »Wozzeck«, wohl wissend, dass Barenboim das schon ganz häufig dirigiert hat. Er war einverstanden, und ich bin mit großer Freude nach Berlin gegangen. Es dauerte aber nicht lange, bis das Telefon klingelte und er sagte: »Du, ich habe dir was geschenkt. Jetzt schenkst du mir was.« – »Ja, was denn?« – »Lulu!« Da dachte ich: »Nee, um Gottes willen!« Also ich wäre nie selber auf die Idee gekommen, »Lulu« zu inszenieren, denn ich finde, es ist im Vergleich zu »Wozzeck« das schwächere Stück.

Verschiedentlich ist bemerkt worden, dass das Libretto von »Lulu« aus einer Ansammlung von surrealistischen, geradezu irrsinnigen Dialogen besteht. Es gibt eigentlich keine Handlung. Handlung findet nur in den Szenenbeschreibungen statt. Die Dialoge sind, platt gesagt, Nonsens. Ist dies auch ein Grund dafür, dass Sie das Stück nicht mögen?

Das weiß ich nicht, ob sie Nonsens sind. Für mich ist es so, dass ich an den Autor Wedekind nicht glaube. Ich beziehe mich da auch auf einen interessanten Satz von Alban Berg, der geäußert hat, er wisse nicht, ob Wedekind ein großer Dichter sei. Jetzt sagen mir andere Leute, ich hätte nicht mehr alle Tassen im Schrank, so über »Lulu« zu reden. Aber ich bleibe dabei, für mich hat das keinen literarischen Wert. Ich habe einfach ein Problem damit, wenn ich in einem Libretto von einer Dummbeutelei auf die nächste stoße: Ständig wird jemand umgebracht, dann diese verqueren, neurotischen Liebesbeziehungen oder die Losung, dass die Frau als Frau gesehen werden möchte und nicht, wie sagt man, als Projektion. Das ist doch alles bekannt und in zehn Minuten gesagt. Dafür muss ich nicht stundenlang in der Oper sitzen.

Und deswegen haben Sie für »Lulu« eine Art choreografisches Theater erfunden, etwas ganz Eigenes, haben Sie gesagt, etwas Bildliches, etwas, was auch eine neue Theaterqualität hat?

Deswegen, weil ich mir das realistische Erzählen mit diesem Text und mit dieser Musik überhaupt nicht vorstellen konnte. Wir haben die verschiedenen Erzählstränge ineinander verwoben. Die Geschwitz ist in dieser Aufführung sehr viel früher auf der Bühne, und es werden Sachen erzählt, die eigentlich viel später stattfinden. Dann gibt es eine Figur, die wie durch ein Museum geht und sich den ganzen Wahnsinn anschaut. Die Alwa-Figur verwandelt sich in einen Kameramann. Das bezieht sich auf den Film »Die Büchse der Pandora« von Georg Wilhelm Pabst, von dem Ausschnitte auf einer Autoscheibe zu sehen sind. Dieser Blick, wo die Augen immer auf- und zugehen, das ist direkt aus dem Film genommen. Dann gibt es verschiedene andere Dinge in dieser Aufführung, die alle mit dem zu tun haben, was in dieser Zeit um diese Lulu-Figur herumgegeistert ist – als eine Art Rätselraten oder Puzzlespiel.

Ist es nicht eine Art choreografisches Theater, eine Art Bewegungstheater, in dem man eigentlich einzelne Geschichten nicht mehr erkennt und auch keine Personen? Selbst die Lulu habe ich nicht mehr als Person wahrgenommen, sondern als eine leblose Madonna.

Das ist sie ja auch. Es gibt aber schon Geschichten, die wir erzählen, sie sind nur sehr formal. Es gibt ja auch Filme, die sehr formal sind. Ich denke zum Beispiel an typische Szenen aus dem Film-noir-Genre: Ein Mann steht unter einer Laterne, man sieht den Schatten, und es taucht von irgendwoher eine Frau auf. Da kann ich hineinlesen, was ich will. Unsere Bilder aber waren dagegen sehr konkret. Der Doktor Schön liest in der Zeitung die Börsenberichte usw. Man muss es nur entschlüsseln.

Wie sind Sie auf dieses Bühnenbild gekommen, auf diesen Raum? Auf der linken Seite sieht man übereinandergestapelte Schrottautos, auf der rechten Seite Stahlskelette. In einer Szene wird das Stahlskelett sogar zur Kreuzigungsstätte. Lulu wird wie eine Christus-Figur gekreuzigt.

Ich mag es eigentlich nicht, meine Inszenierungen selbst zu entschlüsseln. Aber am Anfang, wenn Lulu mit dem Maler zusammen ist, formt er sie in demselben Rahmen, der auch ein Bilderrahmen sein könnte, in dem sie später gekreuzigt und dann vernichtet wird durch ein Feuer. Was den Raum betrifft, dachten wir an kaputte Städte, in denen gar nichts mehr ist oder höchstens seltsame Sachen passieren. Wir haben uns Fabrikhallen angeschaut, wie sie in Detroit stehen. Detroit ist ja eine völlig tote Stadt. Für mich sind Lulu und die anderen Figuren auch tote oder künstliche Figuren. Sie verkörpern seltsame Klischees und laufen durch eine seltsame Welt.

Sie gelten als eine Regisseurin, die die Stücke unverändert lässt und mit dem vorgegebenen Text arbeitet. Das war bei »Lulu« nicht so. Sie haben im dritten Akt die Paris-Szene weggelassen, ebenso den Prolog mit der Zirkusszene. Bei »Lulu« war für Sie die überlieferte Werkgestalt also nicht integral und nicht unbedingt zu erhalten?

Ich bin schon der Meinung, dass ich viele Dinge erhalten habe, aber ich habe sie in andere Beziehungen gesetzt, zum Beispiel die Zirkusszene: Man sieht in unserer Inszenierung einen Athleten ganz weit entfernt bei einer Art von Hanteltraining und beim Balancieren auf einem Seil. Später kommt er in den Vordergrund, und dann erkennt man ihn als Athleten wieder. Ich habe mir die Freiheit genommen, solche Fragmente hineinzunehmen. Es gibt ja auch mehrere Lulus, unendlich viele Lulus, die im Schubkarren zu Tode gefahren werden von Jack the Ripper, der nicht nur eine Frau umgebracht hat, sondern eine ganze Sammlung an Opfern besaß. Aber Sie haben recht, ich habe »Lulu« nicht auf die Art und Weise erzählt, wie ich sonst Stücke erzähle.

Ich höre Ihren Unwillen gegenüber dem Stück, der zu einem bestimmten Umgang damit geführt hat. Das bringt mich zur Barockoper. Barockopern sind ja auch wie Versatzstücke aufgebaut, bieten aber viele Möglichkeiten für den Regisseur, Neues hinzuzudenken, zu arrangieren, auch zu choreografieren und zu inszenieren. Sie haben bisher keine Barockopern inszeniert. Ihr frühestes Stück war Glucks »Orpheus und Eurydike« für die Oper Leipzig.