Wirtschaftsgeographie

Harald Bathelt
Johannes Glückler

Wirtschaftsgeographie

Ökonomische Beziehungen in räumlicher Perspektive

4., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage

122 Abbildungen
 23 Tabellen

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Inhaltsverzeichnis

Cover

Haupttitel

Die UTB-Reihe

Inhaltsverzeichnis

Über den Autor

Impressum

Vorwort zur 4. Auflage

Teil 1: Einführung

1Zu einer Geographie der Wirtschaft

1.1Warum eine Geographie der Wirtschaft?

1.2Illustration: Wie funktioniert regionale Wirtschaftsentwicklung?

1.3Aufbau des Buchs

2Zu einer relationalen Wirtschaftsgeographie

2.1Geographie im Paradigmenwechsel

2.1.1Die Ursprünge wissenschaftlicher Geographie: Länder- und Landschaftskunde

2.1.2Die methodologische Revolution: Geographie als Raumwissenschaft

2.1.3Die (sozial-)theoretische Revolution: Geographie als Akteurswissenschaft

2.1.4Die Evolution der Paradigmen im Zeichen der Moderne

2.2Wirtschaftsgeographie im Paradigmenwechsel

2.2.1Wirtschaftsgeographie in der Länderkunde

2.2.2Raumwirtschaftslehre

2.2.3Ansatzpunkte einer new economic geography

2.3Das Argument der zweiten Transition in der Wirtschaftsgeographie

2.3.1Storpers Konzeption der holy trinity

2.3.2Neue relationale Positionen

2.3.3Forschungsprogrammatische Elemente der relationalen Wirtschafts­geographie

2.3.4Grundkonzepte einer relationalen Wirtschaftsgeographie

3Grundlagen ökonomischer ­Beziehungen

3.1Bedürfnisse

3.2Güter

3.3Wirtschaftliche Produktion und Produktionsfaktoren

3.3.1Produktionsfaktor Boden

3.3.2Produktionsfaktor Arbeit

3.3.3Produktionsfaktor Kapital

3.3.4Relationale Sichtweise von Ressourcen

3.4Neoklassischer Markttausch

3.5Leistungsmessung in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung

4Geographische Grundbegriffe

4.1Positionale Raumkonzepte: Raum, Region, Territorium und Standort

4.1.1Physikalischer Begriff des Raums

4.1.2Territorium

4.1.3Region

4.1.4Abgrenzung von Regionen

4.1.5Standort

4.2Relationale Raumkonzepte: Distanz und Nähe

4.2.1Messung von Distanz

4.2.2Konzepte der Nähe

4.2.3Zur Bedeutung temporärer Nähe in der globalen Ökonomie

4.3Räumliche Disparitäten: ­Verdichtungsräume und ­ländliche Räume

4.3.1Verdichtungsräume

4.3.2Ländliche Räume

4.4Möglichkeiten und Grenzen der Messung räumlicher Verteilungen

4.4.1Parameter der regionalen Strukturanalyse

4.4.2Methoden der regionalen Wachstumsanalyse

4.5Globale Verflechtungen

4.5.1Grundkonzeption der Globalisierung

4.5.2Wider die Hyperglobalisierung

4.5.3Regionalisiertes Wachstum ­internationalen Handels

4.5.4Internationalisierung von Kapitalverflechtungen durch Direktinvestitionen

4.5.5Internationalisierung des Austauschs von Technologien und Wissen

Teil 2: Ansätze und Grenzen der Raumwirtschaftslehre

5Im Denken räumlicher Ordnung und Hierarchie

5.1Lagerentenprinzip, Transportkostenprimat und landwirtschaftliche Landnutzung

5.1.1Bodenrente und Lagerente

5.1.2Prinzipien des isolierten Staats

5.1.3Von Thünen’sche Ringe verschiedener Maßstabsebenen

5.1.4Kritische Würdigung des isolierten Staats

5.2Übertragung des ­Lagerentenprinzips auf den städtischen Bodenmarkt

5.2.1Prinzipien der städtischen Landnutzungslehre

5.2.2Kritische Würdigung der städtischen Landnutzungslehre

5.2.3Stadtstruktur und Landnutzung

5.3Optimale Versorgung im System zentraler Orte

5.3.1Städtische Ballungen und zentrale Orte

5.3.2Umlandbildung aus Produzentenperspektive

5.3.3Umlandbildung aus Kundenperspektive

5.3.4Anordnung der Einzugsbereiche in einem Hexagonalmuster

5.3.5Hierarchisches System zentraler Güter und zentraler Orte

5.3.6Marktnetze nach Lösch

5.3.7Zentrale Orte in der Planungspraxis in Deutschland

5.3.8Kritische Würdigung des Zentrale-Orte-Systems

5.3.9Erweiterte Konzepte: Städtenetze versus Städteverbünde

5.3.10Zentrale Orte und zukünftige Stadtentwicklung

6Industrielle Standortwahl

6.1Raumabhängigkeit und Faktordominanz der industriellen Standortlehre

6.1.1Kostenminimale Standortwahl

6.1.2Konzept der Agglomerationsvorteile

6.1.3Interdependente Standortwahl

6.1.4Das Marginalprinzip

6.1.5Behavioristische Standortwahl

6.2Kritische Würdigung der traditionellen Standortlehre

6.2.1Gewinnmaximierung

6.2.2Kausalität

6.2.3Unternehmenskonzept

6.2.4Kostenorientierung

6.2.5Footloose-Industrien und ubiquitification

6.2.6Standortfaktorensicht

6.2.7Statik

6.3Vom Transportkostenprimat zu Standortfaktorenkatalogen

6.3.1Abnehmende Bedeutung von Transportkosten

6.3.2Agglomerationsvorteile im Wandel

6.3.3Arbeitsmarktaspekte

6.3.4Öffentlich-staatliche Einflüsse und Kapitalmarkt

6.3.5Scheinbare Bedeutung von Umwelt- und Lebensbedingungen

6.3.6Harte versus weiche Standortfaktoren

6.3.7Standortwahl als Suchprozess

Teil 3: Interaktion und Institution

7Interaktion: Wirtschaftliches Handeln in sozialen Beziehungen

7.1Wandel des Menschenbilds

7.1.1Unvollständige Informationen

7.1.2Grenzen der Rationalität

7.1.3Grenzen des Opportunismus: homo reciprocans

7.1.4Relationale Perspektive des Handelns

7.2Soziale Situationen der Interdependenz

7.2.1Soziale Situationen

7.2.2Interdependenz und Koordinationsproblem

7.2.3Interaktion und Transaktion

7.3Interaktionen in sozialen Beziehungen

7.3.1Vertrauen

7.3.2Reputation

7.3.3Soziales Kapital

7.3.4Einfluss neuer Informations- und Kommunikationstechnologien

8Institutionen

8.1Institutionen und ­ökonomisches Handeln

8.1.1Zur Regelmäßigkeit sozialen Handelns

8.1.2Begriff und Arten von Institutionen

8.1.3Institutionen zwischen Handeln und Struktur

8.1.4Institutionen aus räumlicher Perspektive

8.2Entstehung und Gestaltung von Märkten

8.2.1Vom Markt zu Märkten

8.2.2Konstitution von Märkten

8.2.3Performativität von Märkten

8.2.4Märkte in räumlicher Perspektive

8.3Institutioneller Wandel

8.3.1Inkrementelle Anpassung von Institutionen

8.3.2Persistenz von Institutionen und institutionelle Hysterese

8.3.3Institutional entrepreneurship

8.3.4Institutionen und Macht

8.3.5Zur Rolle von Institutionen in Innovationsprozessen

Teil 4: Organisation

9Organisation wirtschaftlichen ­Austauschs

9.1Transaktionskosten und räumliche Produktionsorganisation in der neuen Institutionenökonomie

9.1.1Unternehmensorganisation als Transaktionsproblem

9.1.2Transaktionskostenansatz

9.1.3Transaktionskosten in räumlicher Perspektive

9.2Embeddedness und Netzwerkbildung in der new economic sociology

9.2.1Der embeddedness-Ansatz

9.2.2Embeddedness in räumlicher Perspektive

9.2.3Unternehmensnetzwerke

9.2.4Paradoxon der embeddedness und lock-in

9.3Temporäre Kooperation in Projekten

9.3.1Projektorganisation

9.3.2Projekte in räumlicher Perspektive

9.3.3Grenzen der Projektorganisation

10Geographische Cluster

10.1Nationale Wettbewerbs­vorteile und industrielle Cluster

10.1.1Faktorbündel zur Erklärung industrieller Cluster

10.1.2Kritische Würdigung des Porter’schen Diamanten

10.2Industriedistrikte und innovative Milieus

10.2.1Dreigeteilte räumliche Wirtschaftsstruktur in Italien

10.2.2Konzeption der Industriedistrikte in Italien

10.2.3Probleme der Übertragbarkeit des Dritten Italiens

10.2.4Milieuansatz der GREMI-Schule

10.2.5Innovatives Milieu

10.2.6Konvergenz der Milieu- und Distriktansätze

10.3Theorie regionaler Cluster

10.3.1Clusterdimensionen und trade-offs

10.3.2Lokales Rauschen und globales Pfeifen: Zu einer wissensbasierten Clustertheorie

10.3.3Temporäre Cluster zur Herstellung globaler Vernetzungen

10.3.4Zum Verhältnis temporärer und permanenter Cluster

10.3.5Clusternetzwerke in räumlicher Perspektive

11Geographie des Unternehmens

11.1Strategie und geographische Organisation von Unternehmen

11.1.1Wechselwirkung von Strategie und Struktur

11.1.2Tripolare Unternehmenstypologie

11.1.3Entwicklungsstufen der Unternehmensorganisation

11.2Internationalisierung von Unternehmen

11.2.1Strategien der Internationalisierung

11.2.2Eklektisches Paradigma und Stufentheorien

11.2.3Netzwerkperspektive der Internationalisierung

11.3Globale Organisation der Wertschöpfung

11.3.1Typen international agierender Unternehmen

11.3.2Marktmacht und oligopolistischer Wettbewerb

11.3.3Aushandlungsprozesse zwischen Staat und Unternehmen

11.3.4Globale Waren- und Wertschöpfungsketten

11.3.5Globale Produktionsnetzwerke

Teil 5: Evolution

12Regionales Wachstum

12.1Neoklassische Theorie

12.1.1Grundmodell regionalen Wachstums

12.1.2Kritische Würdigung der neoklassischen Theorie

12.2Polarisationstheorie

12.2.1Sektorale Polarisation

12.2.2Regionale Polarisation

12.2.3Zirkuläre Verursachung kumulativer Prozesse

12.2.4Zentrum-Peripherie-Modelle

12.2.5Kritische Würdigung der Polarisationstheorie

12.3Exportbasis-Ansatz und regionale Wirtschaftspolitik

12.3.1Regionalwirtschaftliche Multiplikatoreffekte im Exportbasis-Ansatz

12.3.2Gemeinschaftsaufgabe zur ­Verbes­serung der regionalen Wirtschaftsstruktur

12.3.3Europäische Regionalpolitik und Wirtschaftsförderung

12.4Geographical economics

12.4.1Regionale Industrieballungen

12.4.2Kleinräumige Industriespezialisierungen

12.4.3Dynamik von Konzentrations- und Entleerungsprozessen

12.4.4Kritische Würdigung von Krugmans geographical economics

13Evolution von Unternehmen und Standorten

13.1Evolution in der Organisationsökologie

13.1.1Grundzüge evolutionärer Theorien

13.1.2Evolution und Organisations­ökologie

13.1.3Organisationsökologie in räumlicher Perspektive

13.1.4Kritische Würdigung der Organisationsökologie

13.2Unternehmensgründungen aus evolutionärer Sicht

13.2.1Gründungs-, Standort- und Wachstumsfaktoren

13.2.2Schumpeter’scher Unternehmerbegriff

13.2.3Saatbeet-Hypothese

13.2.4Inkubator-Hypothese

13.2.5Neugründungen als spin-offs

13.2.6Gründungsforschung und ­Förderpolitik

13.3Evolutionäres Modell geographischer Industrialisierung

13.3.1Lokalisation und windows of locational opportunity

13.3.2Selektive Clusterungsprozesse

13.3.3Dispersionsprozesse in growth peripheries

13.3.4Shifting centers

13.4Entstehung und Evolution von regionalen Unternehmensballungen

13.4.1Entstehung von Clustern und Clusterpolitik

13.4.2Evolution bestehender Cluster

13.4.3New industrial spaces und Super-Cluster

13.5Ansätze einer evolutionsökonomischen Wirtschafts­geographie

13.5.1Perspektiven und Grundkonzepte

13.5.2Variation durch Innovation und verwandte Vielfalt

13.5.3Räumlich differenzierte Selektion

13.5.4Reproduktion in Entwicklungspfaden

13.5.5Kritische Würdigung der evolutionsökonomischen Wirtschafts­geographie

Teil 6: Innovation

14Innovation und Unternehmen

14.1Innovation

14.1.1Innovation als Ergebnis

14.1.2Innovation als Prozess

14.1.3Invention versus Imitation

14.2Produktzyklustheorie

14.2.1Forschung und Entwicklung im linearen Modell

14.2.2Produktzyklustheorie in räumlicher Perspektive

14.2.3Unternehmens-, Industrie- und Regionalzyklen

14.2.4Kritische Würdigung der Produktzyklustheorie

14.3Evolutionäre Perspektive technologischen Wandels

14.3.1Evolutionäres Modell konkurrierender Technologien

14.3.2Wissensaustausch und Lernen im Innovationsprozess

14.3.3Institutionen des technologischen Wandels

15Technologischer und ­gesellschaftlicher Wandel

15.1Theorie der langen Wellen

15.1.1Schumpeters Theorie der langen Wellen

15.1.2Lange Wellen in räumlicher Perspektive

15.1.3Kritische Würdigung der Theorie der langen Wellen

15.1.4Technisch-ökonomische Paradigmen im neoschumpeterianischen ­Ansatz

15.2Regulationsansatz

15.2.1Akkumulationsregime und Regulationsweise

15.2.2Entwicklungsphase und -krise in räumlicher Perspektive

15.2.3Aus der Fordismuskrise zu einer neuen Entwicklungsphase?

15.2.4Nachfordistische Strukturen in räumlicher Perspektive

15.2.5Kritische Würdigung der Regulationstheorie

15.3Innovationssysteme

15.3.1Typen von Innovationssystemen

15.3.2Nationale Innovationssysteme

15.3.3Regionale Innovationssysteme

15.3.4Lernen und Innovation in räumlicher Perspektive

15.4Varieties of capitalism

15.4.1Institutionelle Ebenen und Komplementaritäten

15.4.2Liberale und koordinierte Marktwirtschaften in räumlicher Perspektive

15.4.3Kritische Würdigung des varieties-of-capitalism-Ansatzes

Literaturverzeichnis

Verzeichnis der Fallbeispiele

Über den Autor

Prof. Dr. Harald Bathelt ist Professor am Department of Political Science der University of Toronto, Kanada, wo er den Canada Research Chair für Innovation & Governance innehält. Er ist zudem Professor am Department of Geography and Planning der University of Toronto und seit 2011 Zijiang Visiting Professor am Institute of Urban Development an der East China Normal University in Shanghai. Zuvor war er als Professor an den Universitäten Frankfurt/Main und Marburg tätig. Seine Forschungsinteressen liegen im Bereich Wirtschafts- und Industriegeographie, Politische Ökonomie und Methodik. Harald Bathelts Forschungstätigkeit basiert auf einem relationalen Forschungsansatz in der Wirtschaftsgeographie, wissensbasierten Konzeptionen permanenter und temporärer Cluster, Prozessen der Wissensgenerierung und Innovation über Distanz sowie den sozioökonomischen Konsequenzen des regionalen, technologischen und institutionellen Wandels. Weitere Informationen über seine gegenwärtigen Forschungsaktivitäten und Publikationen unter www.harald-bathelt.com.

Prof. Dr. Johannes Glückler ist Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschafts- und Sozialgeographie und Direktor am Geographischen Institut der Universität Heidelberg. Er ist ferner Research Fellow am Marsilius Centre for Advanced Study in Heidelberg. Zuvor war er Professor für Wirtschaftsgeographie an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Seine Forschungsinteressen liegen in der Wirtschaftsgeographie, der Organisationsforschung, Theorien und Methoden sozialer Netzwerke sowie der Geographie der Dienstleistungsökonomie. Seine Forschung folgt einer relationalen Perspektive und widmet sich insbesondere der Analyse intra- und interorganisatorischer Wissens- und Kooperationsnetzwerke, kreativer und wissensintensiver Dienstleistungsmärkte sowie den institutionellen und organisatorischen Grundlagen wirtschaftlicher Beziehungen in regionaler und globaler Perspektive. Weitere Informationen über seine Forschungsinteressen und Publikationen unter www.wirtschaftsgeographie.uni-hd.de.

Impressum

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

© 2002/2018 Eugen Ulmer KG

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Produktion: primustype Hurler GmbH | v1

ISBN 978-3-8252-8728-3 (Print)

ISBN 978-3-8463-8728-3 (E-Book)

Vorwort zur 4. Auflage

In der ersten Auflage der Wirtschaftsgeographie vor über 15 Jahren war es uns ein Anliegen, die thematische Begrenzung, ein oftmals deterministisches Verständnis von Raum und die geringe Interdisziplinarität in konventionellen Lehrbüchern zu überwinden und neue Strömungen in der Geographie und den Sozialwissenschaften aufzugreifen. Wir argumentierten mit der zweiten Transition als paradigmatischem Übergang für den integrativen und sozialwissenschaftlich anschlussfähigen Rahmen einer relationalen Wirtschaftsgeographie. Angeregt durch vielfältige fachliche Entwicklungen, aber auch durch kritische Fragen, Kommentare und Hinweise seitens unserer Kollegen und Studierenden, haben wir die Struktur dieses Buchs seit der ersten Auflage fortwährend angepasst und umfangreich erweitert. Seit der dritten Auflage haben sich aktuelle Strömungen wie z.B. institutionelle, evolutionäre, netzwerk- oder clustertheoretische Ansätze weiterentwickelt, ebenso wie sich förderpolitische Rahmenbedingungen und Instrumente auf bundesdeutscher und europäischer Ebene gewandelt haben. Wir haben diese Entwicklungen genutzt, um das Buch vollständig zu überarbeiten, Fehler zu korrigieren, Textteile traditioneller Ansätze und Debatten zu straffen und neuere Ansätze um jüngste Forschungsbeiträge zu aktualisieren. Angesichts des mittlerweile bemerkenswerten Umfangs des Buchs und der großen fachhistorischen Reichweite von Ansätzen länderkundlicher Wirtschaftsgeographie über die klassische Standortlehre bis hin zur Vielfalt gegenwärtiger mikro- und makroanalytischer Innovations- und Entwicklungstheorien danken wir Katrin Janzen, Regina Lenz, Anna Mateja Schmidt, Laura Suarsana, Michael Handke, Robert Panitz, Christian Wuttke und Marius Zipf herzlichst für die kritische Durchsicht des Manuskripts und für viele inhaltliche und redaktionelle Hinweise und Anregungen.

Trotz all der fachlichen Weiterentwicklungen und des anhaltenden technologischen und wirtschaftlichen Wandels einer globalen Wissensökonomie bleibt es das Ziel des Buchs, eine breite und grundlegende Einführung in zentrale Fragen der Wirtschaftsgeographie anzubieten: Warum und wie sind ökonomische Prozesse an verschiedenen Orten und Regionen unterschiedlich organisiert? Wie kommt es deshalb zu beobachtbaren und messbaren sozioökonomischen Differenzierungen in räumlicher Perspektive? Wie sind Unternehmen auf unterschiedliche Weise in lokale, regionale, nationale oder supranationale Entwicklungszusammenhänge eingebunden und wie prägen diese ihr Handeln? Damit verbunden ergeben sich für die wirtschaftsgeographische Forschung vielfältige Aufgaben, insbesondere das Erklären und Verstehen lokalisierter Ballungs- und Spezialisierungsprozesse, der Entstehung und Dynamik räumlicher Disparitäten, der wirtschaftlichen Interaktion über geographische Entfernung sowie der Folgen des technologischen und institutionellen Wandels für die wirtschaftliche Entwicklung.

Die fachliche Entwicklung der letzten Jahre weist aufgrund neuer Ansätze und einer Wiederbelebung und Weiterentwicklung quantitativer Methoden nicht nur auf das angestiegene – bislang jedoch vielfach noch ungenutzte – Potenzial disziplinübergreifender Forschung und Zusammenarbeit hin. Stattdessen besteht die Gefahr, dass eine mitunter zunehmende Bildung von Schulen, wie z.B. der evolutionären Wirtschaftsgeographie oder globaler Produktionsnetzwerke, auch neue Spaltungen innerhalb der Wirtschaftsgeographie hervorruft. In diesem Spannungsfeld sehen wir die relationale Wirtschaftsgeographie nicht als eine weitere Theorie, die mit anderen Strömungen konkurriert, sondern als eine Perspektive, die vielfältige gegenstandsbezogene Konzepte und Theorien innerhalb und außerhalb des Fachs zu verbinden sucht. Das bereits in der dritten Auflage bemängelte Auseinanderdriften des Fachs und die gegenseitige Ausgrenzung unterschiedlicher Methoden und Gedankengebäude betrachten wir nach wie vor mit Sorge.

Stattdessen schlagen wir mit der relationalen Wirtschaftsgeographie eine explizit inklusive Perspektive vor, die anschlussfähig für viele sozialwissenschaftliche Ansätze und fachtheoretische Konzepte ist. Sie ist keine geschlossene Theorie, sondern eine analytische Forschungsperspektive, die vielfältige und heterogene Forschungsansätze umfasst, zugleich aber sechs grundlegende Kriterien in ihren Untersuchungsdesigns zusammen bindet (Bathelt und Glückler 2017):

Dieses Lehrbuch fördert neben der Vermittlung des aktuellen Forschungsstands vor allem kritisches Denken und konzeptionelle Zusammenhänge in der Wirtschaftsgeographie. Es unterscheidet sich von traditionellen Lehrbüchern dadurch, dass es über die scheinbar neutrale Darstellung etablierter Theorien hinausgeht. Es ist keine Enzyklopädie, die ein statisches Gesamtbild der Disziplin zeichnet. Im Gegenteil: Wir führen eine kritische Debatte wirtschaftsgeographischen Denkens mit dem Ziel, Studierende und Fachinteressierte aufgrund der Darlegung von Begriffen, Konzepten und deren Implikationen zu einem kompetenten Verständnis von Wirtschaftsgeographie anzuregen.

Natürlich ist es unmöglich, sämtliche Diskussionsstränge und Anwendungsbereiche gleichermaßen einzubeziehen. Die Auswahl der dargestellten Theorie- und Themenbereiche ist letztlich in besonderem Maß durch unsere eigenen und gemeinsamen Forschungsinteressen geprägt. Auch der Aufbau des Buchs folgt einem relationalen Ansatz und ist durch vielfältige Verweise und Rückkopplungen zwischen den einzelnen Textbausteinen und Kapiteln geprägt. Obwohl es möglich ist, das Buch von „A bis Z“ in linearer Form zu lesen, besteht der eigentliche Zweck darin, je nach Forschungsfrage, Problemlage oder Vorlesungsthema diejenigen Abschnitte des Buchs in der Lektüre zu verbinden, die einen konzeptionellen Zugang zu dem Forschungsgegenstand in einem spezifischen Kontext ermöglichen. Hierzu bietet das Buch durchgehend Verweise zu verwandten und angeschlossenen Themen in anderen Kapiteln.

Mit dem Ansatz der relationalen Wirtschaftsgeographie entwerfen wir eine offene Forschungsperspektive, die interdisziplinär angelegt ist und sich an ein breites wissenschaftliches Publikum aus dem Feld der Sozialwissenschaften richtet, darunter insbesondere an diejenigen Geographen, Ökonomen, Soziologien sowie Politik-, Planungs-, Management- und Organisationswissenschaftler, deren übergeordnetes Interesse es ist, wirtschaftliche Prozesse in räumlicher Perspektive zu verstehen. Zudem richten wir uns an alle Unternehmer, Planer, Politiker und sonstige Interessenten aus der Praxis, die sich bereits mit den räumlichen Auswirkungen wirtschaftlicher Prozesse beschäftigen und hierfür einen konzeptionellen Rahmen suchen. Die wichtigste Zielgruppe unseres Buches sind aber die Studierenden der verschiedenen Fachrichtungen, die einen breiten und disziplinübergreifenden Orientierungs- und Analyserahmen suchen, wenn sie eine räumliche Perspektive auf Wirtschaft und Gesellschaft anwenden.

Toronto und Heidelberg, im Sommer 2018

Harald Bathelt und Johannes Glückler

Teil 1: Einführung

Teil_01

1Zu einer Geographie der Wirtschaft

1.1Warum eine Geographie der Wirtschaft?

Seit über 2000 Jahren ist (trotz Schwierigkeiten bei der Messung) eine wachsende weltweite Wirtschaft zu beobachten ( Abb. 1.1). Die Geschichte dieser Entwicklung lehrt uns, dass sich ökonomisches Wachstum weder kontinuierlich noch an allen Orten gleichförmig vollzieht. Im Wachstumsbericht der Weltbank analysiert eine Forschergruppe, angeführt von dem Wirtschaftsnobelpreisträger Herbert Spence, die Ursachen starken Wachstums (World Bank 2008). Hierbei zeigte sich, dass die Länder Botswana, Brasilien, China, Hong Kong, Indonesien, Japan, Korea, Malaysia, Malta, Oman, Singapur, Taiwan und Thailand über einen Zeitraum von bis zu 25 Jahren durchgängig Wachstumsraten ihres Bruttoinlandsprodukts von jährlich über 7 % aufwiesen. Können wir durch eine Analyse dieser Beispielländer das Geheimnis allgemeinen wirtschaftlichen Wachstums ergründen? Die kritische Lektüre des Berichts legt eher nahe, dass die Hoffnung auf ein allgemeines Wachstumsrezept unerfüllt bleiben wird (Easterley 2008). Bei vielen Ländern hat der Boom inzwischen nachgelassen und die Rahmenbedingungen des Wachstums sind sehr spezifisch (Acemoglu et al. 2005). Die Wirtschaftsgeschichte ist voller Beispiele dafür, dass einige Regionen einen lang anhaltenden (wenngleich nicht endlosen) wirtschaftlichen Aufschwung erfahren, während andere stagnieren oder schrumpfen (Maddison 2007; Landes 2009). Keine Region der Erde hat über die gesamte jüngere Geschichte eine kontinuierliche wirtschaftliche Entwicklung genossen. So sehr uns die Theorien der Wirtschaftswissenschaften die Regelhaftigkeiten des Ökonomischen lehren, so zeitlich unbeständig und geographisch unterschiedlich entfaltet sich die wirtschaftliche Entwicklung in der Realität.

Abb_01-01

Abb. 1.1 Die Entwicklung des Weltprodukts absolut und pro Kopf in US-Dollar seit Christi ­Geburt (nach Maddison 2007; World Bank 2008)

Der spezifische geographische Kontext ist Quelle ökonomischer Bedingungen und Lebenssituationen, die zu regionalen Ungleichheiten führen und unterschiedliche Chancen gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Entwicklung zur Folge haben (Storper 2009). Ein Mensch, der in den USA geboren wird, wird heute statistisch gesehen im Durchschnitt ein hundertfach größeres Einkommen erzielen und 30 Jahre länger leben als ein Mensch in Sambia. Ein Berufstätiger wird in Bolivien nur ein Drittel des durchschnittlichen Einkommens erzielen, das ihn in den USA erwarten würde (World Bank 2009). Regionen unterscheiden sich unter anderem in ihrem Ressourcenreichtum, ihrer Produktivität und ihrem wirtschaftlichen Wohlstand. Standorte und Regionen stehen darüber hinaus in vielfältigen wirtschaftlichen Beziehungen. Natürliche Ressourcen, Arbeitskräfte und Arbeitsplätze, Wissen, Kapital und Konsumenten sind geographisch ungleich verteilt. Für den Wirtschaftsprozess, d. h. die Herstellung und Bereitstellung von Gütern zur Befriedigung menschlicher und gesellschaftlicher Bedürfnisse, müssen einerseits verschiedenste Ressourcen kombiniert werden. Andererseits bedarf es der Verteilung und Bereitstellung der Güter an die Endverbraucher, die diese wiederum an möglicherweise anderen Orten konsumieren als dort, wo sie sie beziehen. Da diese Faktoren und Güter weder gleichmäßig verteilt, noch gleichermaßen mobil sind, besteht eine Herausforderung darin, die Beschaffung, Kombination und Verteilung sowohl innerhalb als auch zwischen Standorten, Städten und Gemeinden, Regionen und Ländern zu organisieren.

Die Geographie interessiert sich für das Verhältnis zwischen Standort, Territorium und Gesellschaft. Wirtschaftsgeographen im Besonderen fragen nach der spezifischen räumlichen Organisation wirtschaftlichen Austauschs und sozialer Institutionen im Produktionsprozess und interessieren sich für die räumliche Differenzierung der Art und Weise, wie Wirtschaft in lokalisierten Lebensverhältnissen praktiziert wird (vgl. auch Glückler 2011 b). Im Fokus steht hierbei die Frage, wie sich Unterschiede in den wirtschaftlichen Strukturen und Prozessen zwischen Standorten und Territorien erklären lassen. In einer vormodernen Gesellschaft lässt sich eine Begründung relativ einfach durch die überwiegend lokale Lebens- und Wirtschaftsweise finden. Im Zug der Modernisierung ermöglichen neue Transport- und Kommunikationstechnologien eine zunehmende geographische Entankerung der Lebensverhältnisse (Giddens 1997; Werlen 1999). Menschen tauschen Waren, Informationen und Kapital zu geringeren Kosten über zunehmend große Entfernung aus. Auch die Mobilität der Menschen wird größer, sodass Erfahrungen und Begegnungen an vielen unterschiedlichen Orten leichter und häufiger zu realisieren sind. Diese Entkopplung sozialer Beziehungen von der gemeinsamen physischen Anwesenheit (Ko-Präsenz) verwandelt das Verhältnis von Standort, Territorium und Gesellschaft in einen zunehmend komplexen Zusammenhang. Manche erwarten mit der digitalen Revolution das Ende der „Tyrannei der Distanz“ und eine „flache Welt“, die keine oder kaum noch räumliche Unterschiede oder Begrenzungen wirtschaftlichen Handelns aufweist (Cairncross 1997; Friedman 2005). Jedoch stellen sich in der Praxis ständig neue Fragen in Bezug auf Lokalität und Mobilität, neue Formen lokaler Spezialisierung, regionale Disparitäten und globale Beziehungen (Giese et al. 2011). Eine räumliche Perspektive ist für die Analyse ökonomischer Beziehungen und ökonomischen Handelns weiterhin zentral, denn die Erde ist eben keine gleichförmige Scheibe. Viele Fragen, die unsere gegenwärtige Gesellschaft herausfordern, sind zutiefst geographische Problemstellungen.

Abhängigkeit des Menschen von natürlichen Rohstoffen. Natürliche Rohstoffe, wie z. B. Öl, Kupfer oder Gas, sind an bestimmte Standorte gebunden – sie sind lokalisiert und ihr Vorkommen ist geographisch und mengenmäßig begrenzt. Da wir diese materiellen Ressourcen ­benötigen, um aus ihnen Güter herzustellen, ergeben sich geographische Probleme der Verfügbarkeit, des Zugangs und der Mobilisierung dieser Rohstoffe. Mit der wirtschaftlichen Nutzung natürlicher Rohstoffe gehen jedoch viele gesellschaftliche und ökologische Herausforderungen einher, die im Zuge der Globalisierung und einer zunehmend globalen Zivil- und Risikogesellschaft (Beck 1997) immer mehr an Brisanz gewinnen (Soyez und Schulz 2002; Braun et al. 2003; Oßenbrügge 2007; Knox-Hayes 2016).

Natürliche regionale Unterschiede. Standorte weisen auf der Erdoberfläche infolge der unterschiedlichen topographischen, klimatischen, vegetativen und andere naturräumliche Bedingungen sehr unterschiedliche natürliche Kostenvorteile auf, sofern diese für ökonomisches Handeln relevant werden. Allein auf die Variation dieser natürlichen Bedingungen (und der entsprechenden Kostenstrukturen) ist ein Teil der ungleichen Wirtschafts- und Siedlungsverteilung zurückzuführen (Ellison und Glaeser 1999; Roos 2005). Auf globaler Ebene lassen sich erstaunlich prägende Unterschiede der wirtschaftlichen Entwicklung beobachten (Gallup et al. 1999): Erstens haben fast alle Länder in den mittleren Breiten eine höhere wirtschaftliche Produktivität und einen größeren wirtschaftlichen Wohlstand als die Länder der Tropen. Zweitens erzielen küstennahe Regionen weltweit höhere Einkommen als küstenferne Regionen oder Binnenstaaten. Auch auf regionaler und lokaler Ebene lassen sich räumlich differenzierte Nutzungen und Standortstrukturen erkennen, die aus Unterschieden natürlicher Zugangsbedingungen und anderer Kostenvorteile resultieren. In manchen Branchen bestimmen natürliche Kostenvorteile oder Beschränkungen die Standortverteilung von Unternehmen in erheblichem Maß. So ist z. B. die effiziente Stromgewinnung aus Windenergie und Wasserkraft trotz technologischer Fortschritte auf klimatische und topographische Gunstlagen angewiesen. Die räumliche Verteilung von Kraftwerken zur Stromgewinnung aus regenerativen Energien lässt sich in Deutschland geradezu idealtypisch auf natürliche Kostenvorteile zurückführen (Klein 2004; Handke und Glückler 2010). Wichtig bleibt jedoch festzustellen, dass die natürlichen Bedingungen wirtschaftliche Strukturen keineswegs determinieren. So gibt es beispielsweise trotz potenzieller Kostennachteile wichtige Standorte der chemischen Produktion auch weit von den Küsten entfernt (Beispiel: BASF in Ludwigshafen) oder wichtige Regionen des Gemüseanbaus trotz vergleichsweise ungünstiger klimatischer Bedingungen (Beispiel: Niederlande).

Regionale Disparitäten und regionale Entwicklung. Nicht alle regionalen Unterschiede repräsentieren zugleich bedeutsame regionale Disparitäten im Sinne einer Abweichung gesellschaftlich-ökonomisch relevanter Merkmale, wie z. B. Arbeitslosigkeit, Einkommen oder Bildungszugang, von einer als fair oder angemessen erachteten Referenzverteilung (Biehl und Ungar 1995). Der Zusatz der gesellschaftlichen Relevanz ist wichtig, um diejenigen regionalen Unterschiede zu betonen, die sich auf die als notwendig angesehene Lebensqualität und die Lebenschancen der Bevölkerung auswirken. Die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse bzw. die Stärkung des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zusammenhalts bildet auch im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland (GG Art. 106, Abs. 3) eine wichtige Norm der Gesellschaftsordnung. In der Praxis ist es eine Herausforderung, regionale Disparitäten auszugleichen. Auch nach bald 30 Jahren der Wiedervereinigung sind die regionalen Unterschiede der wirtschaftlichen Leistungskraft und des Einkommens pro Einwohner zwischen Ost und West erheblich und reichten im Jahr 2014 von einem Minimum von 11 300 Euro pro Einwohner im Zwickauer Land bis zu einem Maximum von über 80 000 Euro pro Einwohner im Landkreis München. Der Landkreis München erwirtschaftete demnach pro Kopf das Siebenfache und die kreisfreie Stadt Ingolstadt gar das Achtfache der Region Südwestpfalz (Destatis 2017). Vor- und Nachteile der natürlichen Bedingungen sagen dabei nicht immer etwas über die wirtschaftlichen Entwicklungschancen einer Region aus. So leiden heute viele Länder, die reich an natürlichen Rohstoffvorkommen sind, an deutlich geringerem Wohlstand als manche ressourcenärmere Staaten – ein Zusammenhang, der manchmal als Ressourcenfluch bezeichnet wird (Sachs und Warner 1999), der jedoch im Einzelfall einer spezifischen Erklärung bedarf.

Räumliche Agglomeration und Metropolen.