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Rainer Harter – Majestät | Eintauchen in die faszinierende Heiligkeit Gottes – SCM R.Brockhaus

SCM | Stiftung Christliche Medien

SCM R.Brockhaus ist ein Imprint der SCM Verlagsgruppe, die zur Stiftung Christliche Medien gehört, einer gemeinnützigen Stiftung, die sich für die Förderung und Verbreitung christlicher Bücher, Zeitschriften, Filme und Musik einsetzt.

ISBN 978-3-417-22893-9 (E-Book)
ISBN 978-3-417-26821-8 (lieferbare Buchausgabe)

© 2017 SCM R.Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH
Max-Eyth-Straße 41 · 71088 Holzgerlingen
Internet: www.scm-brockhaus.de; E-Mail: info@scm-verlag.de

Soweit nicht anders angegeben, sind die Bibelverse folgender Ausgabe entnommen:
Elberfelder Bibel 2006, © 2006 by SCM-Verlag GmbH & Co. KG, Witten.

Weiter wurden verwendet:
Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe in neuer Rechtschreibung, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart. (LUT84)
Lutherbibel, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart. (LUT17)
Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift, © 1980 Katholische Bibelanstalt, Stuttgart. (EÜ)
Hoffnung für alle® Copyright © 1983, 1996, 2002, 2015 by Biblica, Inc.®. Verwendet mit freundlicher Genehmigung des Herausgebers Fontis – Brunnen Basel. (HFA)
Bibeltext der Neuen Genfer Übersetzung, Copyright © 2009 Genfer Bibelgesellschaft, CH-1204 Genf. Wiedergegeben mit freundlicher Genehmigung. Alle Rechte vorbehalten. (NGÜ)
Bibeltext der Schlachter Bibelübersetzung. Copyright © 2000 Genfer Bibelgesellschaft. Wiedergegeben mit der freundlichen Genehmigung. Alle Rechte vorbehalten. (SCH)

Umschlaggestaltung: Kathrin Spiegelberg, Weil im Schönbuch
Titelbild: unsplash.com, Nathan Anderson
Satz: Christoph Möller, Hattingen

Inhalt

Über den Autor

Vorwort von Geri Keller

Einleitung

Das Unbeschreibliche beschreiben

Der Verlust der Heiligkeit

Teil 1 | Vom Wesen des Heiligen

Faszination Heiligkeit

Warum Heiligkeit etwas mit Heilwerden zu tun hat

Das Fundament

Mysterium tremendum

Teil 2 | Der heilige Gott

Begegnungen mit dem Heiligen

„Ich bin heilig“ – was Gottes Heiligkeit für uns bedeutet

Schreckliche Schönheit

10 Das menschliche Angesicht des heiligen Gottes

Teil 3 | Geheiligtes Leben

11 Berufen zur Heiligkeit

12 Nicht von dieser Welt

13 Heilige Vorbilder

14 Heilig werden

15 Heiligung im Alltag

16 Heiligung und Gnade

17 Umarmungen der Liebe

18 Die Furcht des Herrn

19 Die Entmachtung des zornigen Königs

20 Der gute Kampf des Glaubens

Dank

Anmerkungen

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Über den Autor

Rainer Harter RAINER HARTER, geboren 1964, lebt in Freiburg, wo er 2003 das überkonfessionelle Gebetshaus gründete, welches er seither leitet. Er ist ein gefragter Sprecher auf Seminaren und Konferenzen. Sein Herz schlägt für Einheit und dafür, dass die Kirche wieder neu von Jesus fasziniert wird.

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Vorwort von Geri Keller

Dass bei zunehmender Gefahr auch das Rettende wächst, erleben wir heute im Blick auf die expandierenden Gebetsbewegungen. Es entstehen zum Beispiel immer mehr Gebetshäuser. Sie gleichen Treibhäusern, in denen Pflanzen während der Winterzeit als kommendes Pflanzgut gezogen werden. Grünhäuser, Häuser der Hoffnung. Da, wo Gott leidenschaftlich angebetet wird, empfangen Menschen auch Offenbarung von ihm und vom Innersten seines Herzens. Deshalb sind früher oftmals von Klöstern entscheidende Impulse ausgegangen. Heute scheint die Hand Gottes vermehrt auf Gebetshäusern zu liegen, die eine ähnliche Rolle übernehmen und den Ruf hören: „Freund, rücke hinauf!“

Das neue Buch von Rainer Harter ist jedenfalls eine eindeutige Gebetshaus-Frucht, gewachsen aus der innigen Gemeinschaft des Autors mit seinem Gott. Nach einem Wort von Richard Rohr ist vermutlich niemand so wahrhaft radikal wie ein Mensch, der wirklich im Gebet verwurzelt ist. Und radikal ist dieses Buch. Man fühlt sich wie einer jener Schwimmbadbenutzer, die einzig der Sonnenbräune wegen dort sind, aber von jemandem im Wasser angespritzt werden. Im ersten Moment zuckt man zusammen, um es im besten Fall dann doch zu wagen, die Liegewiese der Gnade zu verlassen und sich ins Element Wasser zu stürzen.

Danke, Rainer Harter, dass du mit einer Handvoll anderer den Ruf Gottes aus Hesekiel 22,30 gehört hast, wo er nach einem Mann sucht, der eine Mauer (von Gottesfurcht) baut gegen den Strom von Beliebigkeit und Profanität. Es kann ja nicht sein, dass vor dem Thron Gottes ununterbrochen das „Heilig! Heilig! Heilig!“ gesungen wird, während das Wort „heilig“ für uns zu einem Fremdwort geworden ist. War nicht der tiefste Schrei von Mose: „Lass mich deine Herrlichkeit sehen!“ (2. Mose 33,18)? Was wollte er denn noch sehen, da er ja ohnehin so vertraut mit Gott war wie niemand sonst?! Wohl das absolut Innerste seines Wesens, seine Heiligkeit, die gleichzeitig auch seine Herrlichkeit ist!

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Einleitung

Gott hat jeden Christen zu einem heiligen Leben berufen. Bei diesem Ruf gibt es keine Ausnahmen.

Jerry Bridges1

Am Anfang dieses Buches soll eine Einladung stehen. Ich möchte Sie auf eine faszinierende Reise zu einem Schatz mitnehmen, der in Gefahr steht, unter den Schichten unserer Herausforderungen und unter dem Gewicht des Alltäglichen verschüttet zu werden und schließlich in Vergessenheit zu geraten. Doch wenn dies geschieht, wird unser persönlicher Glaube den strahlendsten Anteil seines anziehenden und zugleich Ehrfurcht gebietenden Glanzes verlieren. Bei dem Schatz, von dem ich spreche und den ich mit Ihnen zusammen entdecken möchte, handelt es sich nicht um eine verborgene Nebensächlichkeit, sondern vielmehr um das Herzstück unserer Gottesbeziehung.

Seit ich mich mit der majestätischen Heiligkeit Gottes beschäftige, haben sich mein Glaube und mein Gottesbild verändert. Trotz der Distanz, die die Heiligkeit Gottes im Vergleich zur menschlichen Unfähigkeit, aus sich heraus heilig zu leben, eigentlich schaffen müsste, war es gerade die Auseinandersetzung mit diesem Thema, die mein Herz Gott näher hat kommen lassen und die meinen Glauben mit Faszination erfüllt hat. Dieser unfassbare Gott, diese höchste Majestät und dieses vollkommene Wesen ist nicht irgendein ferner Gott, sondern der Gott, der in uns wohnen möchte.

Ich lade Sie ein, das zu entdecken, was die Bibel als Kernmerkmal der Persönlichkeit Gottes bezeichnet; alle anderen Eigenschaften seines wunderbaren Wesens strömen daraus. Darüber hinaus möchte ich Sie neugierig darauf machen, das erfüllende Leben zu entdecken, das Gott als heilig bezeichnet und für das Sie geschaffen wurden.

Als ganze Kirche, aber auch als einzelne Christen stehen wir in der heutigen Zeit vor der großen Herausforderung, eine jahrtausendealte Botschaft für uns selbst und andere in die Gegenwart und mitten hinein in unseren Alltag zu übersetzen. Zum Teil gelingt uns dies gut, doch manchmal passiert es, dass wir versuchen, nicht nur die Worte Gottes, sondern Gott selbst an das Denken unserer Zeit anzupassen. Dann wird durch die unterschiedlichen Gedanken, Vorstellungen und Erklärungsversuche unser Blick auf Gott getrübt; wir verlieren die Sicht auf seine Schönheit und machen uns ein fehlerhaftes Bild von ihm. Gott aber ist unabänderlich derselbe. Im wilden Wirbel des täglichen Lebens kann es sogar passieren, dass die Beziehung zu Gott auf ein Mittelmaß reduziert wird, das uns jedoch bald vertraut ist und das wir schließlich akzeptieren. Wir sind den Gott unserer Vorstellung und Erfahrung dann „gewohnt“ – und so wird er für uns „gewöhnlich“ oder sogar langweilig. Entsprechend zähflüssig fühlt sich unsere Nachfolge als Jünger Jesu an.

Mit diesem Buch möchte ich sozusagen den umgekehrten Weg gehen und Ihnen als Leser zeigen, dass wir unsere Vorstellung von Gott nicht verändern, sondern nur ein Stück näher an ihn herantreten müssen, um staunend festzustellen: Er ist viel faszinierender, als wir bisher angenommen haben. Die Faszination, die von ihm ausgeht, ist unabhängig vom Denken und der Vorstellungskraft der Menschen einer bestimmten Epoche der Weltgeschichte. Wir müssen wieder lernen, hinter den Vorhang unserer eigenen Ideen über Gott zu schauen. Seine Schönheit hat nichts von ihrer Kraft verloren. Sie ist noch immer lebensverändernd und bringt unseren Alltag zum Blühen.

Ich möchte Ihnen eine Art Karte zu einem für viele verborgenen Schatz in die Hand geben und diesen mit Ihnen zusammen neu entdecken. Lassen Sie uns auf die Suche gehen, um den innersten Kern des Herzens Gottes zu entdecken. Lassen Sie uns die ausschlaggebende Wahrheit freilegen, die über allen anderen steht:

Gott ist heilig.

Denn das ändert alles.

Es ist mein Herzensanliegen, dass Sie die Kraft und Schönheit der Heiligkeit Gottes erkennen und erleben, wie Ihr eigenes Leben von ihr durchdrungen werden kann. Ich habe es selbst erfahren dürfen. Nie war ich so fasziniert von Gott wie heute, nie war meine Leidenschaft für ihn größer.

Das vorliegende Buch besteht aus drei Teilen. Im ersten möchte ich mit Ihnen anschauen, was der so geheimnisvolle Begriff „heilig“ eigentlich bedeutet und beinhaltet. Er hat von Anbeginn der Menschheit und in allen Kulturen und Religionen eine wichtige Rolle gespielt und spielt sie noch immer. Im zweiten Teil steht das Staunen im Mittelpunkt. Wir betrachten die faszinierende Heiligkeit unseres Gottes, die ganz unterschiedliche Empfindungen in uns wecken kann, uns letztlich jedoch segensvoll prägen und in die Lage versetzen möchte, ein heiliges (oder auch: heiles) Leben führen zu können. Im dritten Teil beschäftigen wir uns schließlich mit der Frage, wie wir in unserem Alltag heilig leben können. Ich werde Ihnen einige geistliche Vorbilder vorstellen und vielleicht werden Sie ebenso beeindruckt sein wie ich, wenn Sie lesen, wie diese Menschen durch ihr hingegebenes Leben unsere Welt verändert haben. Darüber hinaus finden Sie jedoch auch ganz praktische Anleitungen für Ihren Alltag, die dabei helfen sollen, dass das Leben als Christ wieder dauerhaft begeisternd und lebendig wird. Zuletzt schauen wir uns an, wie ein durch die Begegnung mit Gottes majestätischer Schönheit geheiligtes Leben einen Unterschied in einer unheiligen Welt machen kann.

Ich glaube daran, dass „Majestät“ eine neue Ehrfurcht und ein authentisches Verlangen danach in Ihnen wecken kann, den heiligen Gott kennenzulernen und seinem Beispiel zu folgen. In über dreißig Jahren der persönlichen Nachfolge habe ich festgestellt, dass dies das Leben ist, das mit Recht „schön“ genannt werden kann.

Sind Sie bereit für den Aufbruch auf einen Weg, an dessen Ende die Entdeckung heiliger Schönheit liegen wird? Dann lassen Sie uns gleich zu Beginn denjenigen bitten, uns zu führen, der unser Ziel am besten kennt.

„Lieber Vater, ganz am Anfang dieser Reise will ich dich bitten, mich durch deinen Heiligen Geist zu deiner Heiligkeit zu führen. Ich sehne mich danach, dein Wesen besser zu erkennen und zu verstehen. Ich habe Hunger und Durst nach dir. Bitte öffne meine inneren Augen für deine Schönheit und hilf mir dabei, heil und Jesus ähnlich zu werden, damit durch mein Leben auch andere Menschen tiefer mit deiner Heiligkeit in Berührung kommen und selbst heil und heilig werden. Amen.“

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Kapitel 1
Das Unbeschreibliche beschreiben

Du bist! Nicht des Ohres Hören und des Auges Licht
kann dich erreichen. Kein Wie, Warum und Wo
haftet an dir als Zeichen.
Du bist! Dein Geheimnis ist verborgen:
Wer mag es ergründen!
So tief, so tief – wer kann es finden!2

Der Versuch, die Heiligkeit Gottes umfassend erklären und sie in ihrer unendlichen Tiefe ausloten zu wollen, ist von vornherein zum Scheitern verurteilt, denn sie liegt außerhalb der für Menschen zugänglichen Realität. Gottes Heiligkeit ist wie eine Dimension, die zwar existiert, mit unseren Sinnen jedoch nicht betreten werden kann. Und dennoch wirkt diese fremde Realität, diese „Gottes-Dimension“, in unser Leben hinein. Unsere Sinne sind jedoch immerhin so fein, dass sie erahnen und spüren, dass es das Vollkommene gibt, das sich im Heiligen ausdrückt. Wir „wissen“, dass es da ist.

Der faszinierenden Dimension des Heiligen können wir Menschen uns nur ein Stück weit nähern. Doch können wir sie umkreisen und voller Herzensaufmerksamkeit betrachten. Wir können sie sogar berühren und uns von ihr berühren lassen. Tief in unserem Inneren gibt es eine Triebkraft, die uns der Heiligkeit Gottes näher bringen kann. Ich bete, dass diese Kraft beim Lesen dieses Buches in Ihnen zunimmt und schließlich größer wird als je zuvor. Es ist die Kraft der Sehnsucht nach Gott. Nutzen Sie diese Sehnsucht auf Ihrem Weg, verwenden Sie sie gleichsam wie ein Raumschiff, mit dem Sie sich zu einer neuen Dimension aufmachen. Und dann staunen Sie im Blick auf das, was sich Ihnen zeigen wird.

VERZEHRENDES FEUER

In der Bibel begegnet uns im Zusammenhang mit Gottes Wesen immer wieder das Bild des Feuers. Werfen wir also einen ersten Blick auf das Wesen der Heiligkeit. Jedem von uns ist vermutlich die Faszination, die von einem offenen Feuer ausgeht, vertraut. Zu meinen schönsten Kindheitserinnerungen gehören die Feiern, die draußen in der Natur stattfanden und bei denen spätabends alle um ein großes Lagerfeuer herum saßen. Es wurden Geschichten erzählt, irgendwann wurde gemeinsam geschwiegen. Alle Augen waren auf das prasselnde, manchmal Funken stiebende Feuer gerichtet.

Wenn wir vor einem solchen Feuer sitzen, verspüren wir meist eine ganz besondere Atmosphäre. Wir sind gefesselt von der unbändigen, alles verzehrenden Kraft der Flammen. Wir genießen die Wärme, die von ihnen ausgeht, und wir achten darauf, das Feuer am Leben zu erhalten, weil wir seinen Schein und den Tanz seiner Flammen mögen. Wir können Stunden hineinstarren. Doch nie kämen wir auf die Idee, uns selbst mitten ins Feuer zu begeben, weil wir wissen, dass wir Menschen zwar die Kraft und Schönheit des Feuers sehr wohl genießen können, den Flammen selbst jedoch nichts entgegenzusetzen haben. Sie sind stärker als wir, sie sind gefährlich für uns, sie könnten uns verzehren.

Alle diese Beschreibungen treffen auch auf den heiligen Gott zu. Wir wollen ganz nah bei ihm sein, wir sehnen uns nach der Wärme seiner Liebe und seiner Kraft in unserem Leben. Doch manchmal vergessen wir, dass es mehr gibt als die Auswirkungen des göttlichen Feuers: nämlich das Feuer selbst. Unser Glaube sollte sich nicht in erster Linie um das drehen, was er tun kann (und will), sondern um ihn selber. Das Sein Gottes ist um vieles faszinierender als sein Tun. Lassen Sie uns deshalb näher ans Feuer herantreten. Lassen Sie uns dies mit dem großen Respekt tun, der sich in dem alten Wort „Ehrfurcht“ ausdrückt und der uns als postmodernen Christen teilweise verloren gegangen ist. In der Folge dieses Verlusts sind jedoch auch unsere Neugier, unser Staunen und unsere Hingabe immer mehr verschwunden. Gott ist ein heiliges, „ein verzehrendes Feuer“ (Hebräer 12,29), das von uns Menschen nicht zu bändigen ist. Ich möchte Sie ermutigen, dieses Bild mit in Ihre nächsten Gebetszeiten zu nehmen. Was sehen Sie, wenn Sie Gottes Feuer betrachten?

Nicht nur mit visuellen Vergleichen wurde versucht, Gottes Heiligkeit zu beschreiben und uns Menschen einen Zugang zu ihr zu verschaffen. Durch die Musik, die wir mit unseren Sinnen wahrnehmen und die von dort direkt in unsere tiefsten Schichten vordringt, haben große Künstler wie Johann Sebastian Bach, Georg Friedrich Händel oder Johannes Brahms versucht, der Schönheit des Wesens und der Botschaft Gottes Ausdruck zu verleihen.3 Auch die zeitgenössischen Lobpreislieder versuchen, in Worte und Melodien zu fassen, was wir erahnen und spüren, aber doch nicht wirklich begreifen und zu erklären in der Lage sind.

Wie die Vorstellungen und Bilder, der wir uns bedienen, um Gottes Heiligkeit zu beschreiben, dringt aber auch die Musik nur ein Stück weit vor. Zu geheimnisvoll und eben „nicht von dieser Welt“ ist der Heilige, als dass Klänge und Kompositionen ihn umfassen könnten. Letztendlich bleibt beim Blick auf Gott nur noch das schweigende Staunen übrig, getragen von der Sehnsucht, in seiner Nähe zu sein und in ihm aufzugehen. Obwohl mit Musik so vieles zum Ausdruck gebracht werden kann, was uns Menschen ausmacht und zu berühren vermag, muss auch sie ehrfurchtsvoll schweigen, wenn es um das Heilige geht. Den heiligsten Moment der katholischen Messe zum Beispiel, nämlich den der „Wandlung“ des Brotes in den Leib Jesu und des Weines in sein Blut, drückt auch die vollendetste Messemusik nur dadurch aus, dass sie verstummt.4 Nicht anders ist es in den Gottesdiensten moderner Freikirchen. Der höchste Moment in der Wahrnehmung des Heiligen ist der, wenn das Lobpreisteam sozusagen vor der unbeschreiblichen Majestät der Heiligkeit Gottes kapituliert, die Instrumente verklingen und alles schweigt.

Im Staunen und Stillwerden wird dann spürbar: Der Heilige, Gott selbst, ist da. Seine Heiligkeit ist unbeschreiblich. Sie ist manchmal irritierend und kann uns mit unserer eigenen Unheiligkeit konfrontieren. Sie ist das Schönste, was es zu finden gibt, und zugleich ist sie nicht nur angenehm. Sie polarisiert, sie lässt keine Kompromisse zu und sie fordert uns extrem heraus. Weil wir sie nicht verstehen, tendieren wir trotz unserer irgendwie vorhandenen, wenn auch vergrabenen Sehnsucht dazu, sie zu meiden. Wir versuchen unser Verlangen lieber mit dem zu stillen, was Gott für uns tut, als mit ihm selbst. Doch auf diese Weise verpassen wir das Beste.

Der Versuch, sich der Heiligkeit Gottes in Form eines Buches zu nähern, ist also ein Wagnis. Die Herausforderung besteht darin, dass Gottes Heiligkeit himmlisch, also nicht „von dieser Welt“ ist, wir aber auf irdische, menschliche, rationale Begriffe und Bilder angewiesen sind. Das Heilige ist Realität und reicht gleichzeitig weit über sie hinaus. Es ist im wahrsten Wortsinne „irreal“. Das Heilige ist ein Übermaß der Realität und damit für den Menschen nur teilweise fassbar.

Der große evangelische Theologe Rudolf Otto definiert Heiligkeit als eine Kategorie, die sich aus den Bestandteilen des Rationalen und des Irrationalen zusammensetzt.5 Beides kommt im Heiligen zusammen: das, was wir von Gott wahrnehmen und verstehen können, aber auch das, was uns immer geheimnisvoll und fremd sein wird.

Evelyn Underhill, eine anglokatholische Theologin und Mystikerin (1875–1941), hat die Tatsache, dass Gottes Wesen unsere Vorstellungskraft bei Weitem übersteigt, einmal mit den folgenden Worten zum Ausdruck gebracht: „Wenn Gott so klein wäre, dass wir ihn verstehen könnten, wäre er nicht groß genug, um von uns angebetet zu werden.“ Gott ist fassbar – und doch auch nicht. Unser Verstand und unsere Sinne sind nicht in der Lage, ihn und seine Realität in Gänze wahrzunehmen. Wir wollen es zwar gerne, aber es geht nicht. Ab und zu spiele ich ein Gedankenspiel, um mir selbst aufzuzeigen, dass mein Verstand zu klein ist, um bestimmte Sachverhalte zu begreifen oder sie mir vorzustellen, obwohl sie doch real sind: Haben Sie schon einmal versucht, sich die Unendlichkeit vor Augen zu führen? Bei dieser Aufgabe gelangt mein Verstand sehr schnell an seine Grenzen. Ich denke und denke, aber es gelingt mir nicht! Immer wieder frage ich mich dann: „Aber was liegt dahinter, daneben, drum herum?“ Ich fasse es einfach nicht. Und doch ist es da: das unfassbare, möglicherweise sogar unendliche Universum.

Mein Verstand, mein Denken, ist begrenzt. Wenn ich schon die Schöpfung nicht begreifen kann, wie sollte ich Gott umfassend verstehen können? Obwohl er sich immer wieder und auf unterschiedliche Weisen offenbart hat, bleibt er doch ein Geheimnis für mich. Und dennoch ist er da.

Der Prediger und Schriftsteller Gerhard Tersteegen (1697–1769), mit dem wir uns in einem späteren Kapitel noch ausführlicher beschäftigen werden, drückte die Unbeschreiblichkeit des heiligen Gottes mit einem einzigartigen Satz aus, der gleichsam aufzeigt, dass Gott nur Gott sein kann, wenn er unbeschreiblich bleibt: „Ein begriffener Gott ist kein Gott.“

GESTAMMELTE SCHÖNHEIT

Vor Kurzem unterhielt ich mich mit einem Freund darüber, dass ich erst nach Jahrzehnten des Glaubens an Jesus anfange, Gottes Schönheit zu sehen. Als ich versuchte, ihm zu erklären, wie ich sie nun genau wahrnehme, und sie ihm beschreiben wollte, merkte ich: Ich kann es nicht. Mein Freund, der ebenfalls einen kontemplativen Lebensstil führt, antwortete mir: „Da bist du in guter Gesellschaft, denn keiner der Kirchenväter konnte dies jemals.“

Das innere Erleben der Gottesschau kann man einem anderen Menschen nicht adäquat beschreiben. Es wäre so ähnlich, wie wenn ich versuchen würde, Ihnen den Schmerz zu beschreiben, den ich im Augenblick in meinem linken Arm empfinde und der mich nachts aufwachen lässt. Der Schmerz ist ganz real, doch auch wenn ich Ihnen erklären könnte, wo er in etwa sitzt und was für eine Art von Schmerz es ist, würden Sie ihn doch nicht „nachfühlen“ können. Ich bleibe damit allein, ich kann ihn nicht mit einem anderen Menschen teilen. Jede Beschreibung bleibt diffus. So ähnlich ist es auch mit dem Blick auf Gottes Schönheit, die wir suchen und erleben dürfen: Unsere inneren Augen blicken Gott an, der real und überwältigend ist, doch unsere menschlichen Sinne sind nicht in der Lage, zu ergreifen oder zu beschreiben, was wir da sehen. Jeder Versuch, es in Bilder zu fassen, ist ungenau und verfälscht, und letztlich bleibt dem Gegenüber nur, zu verwerfen oder zu glauben, dass wir tatsächlich einen Blick auf Gottes Schönheit geworfen haben.

Uns Menschen der Postmoderne wurde eingeimpft, dass all das, was wir nicht erklären oder belegen können, was wir mit unseren Sinnen oder Messinstrumenten nicht erfassen und in Relation zu etwas anderem setzen können, ein höchst fragwürdiges Etwas ist – wenn es denn überhaupt existiert. Diese Haltung gipfelt in der Aussage, man glaube nur, was man sehen könne. Mit diesem Buch versuche ich letztlich, etwas zu beschreiben, was nicht „verständlich“ ist. Um nicht nur meine Worte, sondern sozusagen zwischen den Zeilen lesen zu können, brauchen Sie mehr als nur Ihren Intellekt. Weiter oben habe ich schon von der Sehnsucht gesprochen, die ein wunderbares Hilfsmittel auf unserer Reise sein wird. Lesen Sie dieses Buch daher unbedingt mit großem Verlangen nach Gott in Ihrem Herzen. Bitten Sie ihn immer wieder, Ihnen Ihre Herzensaugen für sein Wesen zu öffnen, damit Sie ihn sehen können.

Es gibt darüber hinaus noch etwas, das uns dabei helfen kann, in Berührung mit dem Heiligen zu kommen. Dieses Etwas kommt von Gott selbst, es liegt außerhalb unseres Einflusses und seine Hilfe kann nur erbeten werden. Um Gott zu verstehen, benötigen wir den Einen, der Gott in seiner Schönheit wirklich kennt und in der Lage ist, sich sowohl in der Dimension Gottes als auch in unserem menschlichen Herzen zu bewegen. Ich spreche vom Heiligen Geist. Er selbst ist heilig, er ist ein Teil der Dreieinigkeit, er selbst ist Gott. Er kennt sich mit Gott und seiner Heiligkeit am besten aus und Jesus hat über ihn gesagt, dass er uns in die Wahrheit führen wird (Johannes 16,13).

Lesen Sie dieses Buch daher mit wachem Verstand, hinterfragen Sie meine Aussagen und machen Sie sich Ihre eigenen Gedanken zu den einzelnen Kapiteln. Verlassen Sie sich aber gleichzeitig nicht alleine auf Ihren Verstand, bringen Sie immer Ihre Sehnsucht nach Gott mit ins Spiel. Und bitten Sie vor dem Lesen eines neuen Kapitels den Heiligen Geist, Sie anzuleiten und Ihnen das Wesen Gottes zu zeigen.

Keines der Bilder und keiner der Vergleiche, die ich finden könnte, um Ihnen die Heiligkeit Gottes näher zu bringen, wird vollkommen angemessen sein oder könnte exakt beschreiben, was und wie er ist. Selbst denjenigen, von deren persönlicher und realer Begegnung mit Gott uns die Bibel berichtet, kann man abspüren, dass sie beim Versuch, Gott in seiner Heiligkeit zu beschreiben, hilflos nach Worten und Bildern suchen, um fassbar zu machen, was für den menschlichen Verstand nicht fassbar ist. Hören Sie einmal dem Propheten Daniel zu, als er versucht, den Engel, dem er am Tigris begegnet, zu beschreiben:

Und sein Leib war wie ein Türkis und sein Gesicht wie das Aussehen eines Blitzes. Und seine Augen waren wie Feuerfackeln und seine Arme und seine Füße wie der Anblick von glatter Bronze. Und der Klang seiner Worte war wie der Klang einer Volksmenge.

Daniel 10,6 (Hervorhebungen durch den Autor)

Dem Propheten Hesekiel erging es ähnlich, auch er rang nach Worten:

Und oberhalb des festen Gewölbes, das über ihren Häuptern war, befand sich – wie das Aussehen eines Saphirsteines – etwas wie ein Thron und auf dem, was wie ein Thron aussah, oben auf ihm eine Gestalt, dem Aussehen eines Menschen gleich. Und ich sah: Wie das Funkeln von glänzendem Metall, wie das Aussehen von Feuer, das ringsum ein Gehäuse hat, war es von dem Aussehen seiner Hüften an aufwärts; und von dem Aussehen seiner Hüften an abwärts sah ich etwas wie das Aussehen von Feuer; und ein Glanz war rings um ihn.

Hesekiel 1,26-27 (Hervorhebungen durch den Autor)

Beide Männer Gottes mussten sich bei dem Versuch, das Unbeschreibliche zu beschreiben, mit Vergleichen behelfen – wenn auch sehr faszinierenden.

Zuletzt – obwohl es noch einige weitere solcher Berichte in der Heiligen Schrift zu finden gibt – ein Beispiel aus dem Neuen Testament. Der Apostel Johannes berichtet uns im Buch der Offenbarung von seiner Begegnung mit dem auferstandenen Jesus:

… und inmitten der Leuchter einen, gleich einem Menschensohn, bekleidet mit einem Gewand und an der Brust umgürtet mit einem goldenen Gürtel, sein Haupt aber war wie weiße Wolle, wie Schnee, und seine Augen wie eine Feuerflamme und seine Füße gleich glänzendem Erz, als glühten sie im Ofen, und seine Stimme wie das Rauschen vieler Wasser …

Offenbarung 1,13-15

Sehen Sie diese Männer vor sich, wie sie beim Verfassen des jeweiligen Textes geradezu darum ringen, möglichst adäquate Bilder zu finden, um Gott in seiner Heiligkeit zu beschreiben? Selbst bei ihnen bleibt es beim „Wie“ …

Das Ziel unserer Reise ist es, ehrfürchtig staunen zu lernen. In ihrem Verlauf werden wir mehr und mehr von uns selbst, von unseren Vorstellungen und Annahmen hinter uns lassen, um so schrittweise unseren Kopf und unser Herz freizubekommen für das große Staunen über Gott in seiner heiligen Gegenwart – dem Ort, an dem unser Leben plötzlich klein wird und zugleich die höchste Erfüllung findet, die ein Mensch erfahren kann.

Von Herzen lade ich Sie ein, Ihr Herz zu öffnen und im Vertrauen auf Gottes Führung mit mir zusammen den Heiligen Gott zu entdecken. Seien Sie unbesorgt und entspannen Sie sich: Diese Entdeckung wird nicht Gesetzlichkeit und Leistungsorientierung auslösen, sondern Freude und Staunen in Ihnen wecken. Ein Staunen, das so viele von uns verloren haben. Erinnern Sie sich noch daran, als Sie das letzte Mal über etwas besonders Schönes gestaunt haben? Welche Ehrfurcht es in Ihnen geweckt hat? Nehmen Sie sich doch jetzt kurz Zeit dafür, an diesen Moment zu denken. Und dann sprechen Sie in der Erinnerung daran, wie sich das Staunen anfühlte, ein Gebet zu Gott, damit derjenige uns an die Hand nimmt, der sich mit der Heiligkeit Gottes so gut auskennt: der Heilige Geist.

„Vater, zu Beginn des Weges hin zu einem besseren Verständnis von deiner Heiligkeit und damit letztlich hin zum Kern deines Wesens und zum ehrfurchtsvollen Staunen über dich möchte ich dich bitten: Sende deinen Heiligen Geist zu mir, damit er mich führt, mir mein Herz öffnet und mich erkennen lässt, was es bedeutet, dass du der Heilige bist. Amen.“